Zum 32. Mal gab es von der Robert Bosch Stiftung den hoch angesehenen Adelbert-von-Chamisso-Preis. Über den neuesten, der in der Münchner Allerheiligenhofkirche verliehen wurde, freuen sich die Autorinnen Esther Kinsky (Jahrgang 1956) und Uljana Wolf (Jahrgang 1979) – s. Foto. „Beide Schriftstellerinnen sind in Deutschland aufgewachsen. Sie wurden dennoch von den Migrationserfahrungen der Eltern und Großeltern geprägt, die sie in ihren Texten verarbeiten“, heißt es vonseiten des Stifters. Er lässt den nun mit je 15 000 Euro reicheren Preisträgerinnen eine „umfassende Begleitförderung“ angedeihen. Auf seine Kosten gehen sie auf Lesereise und nehmen an Schreibwerkstätten in Schulen teil.
Vom Kulturwechsel geprägte, auf Deutsch schreibende Schriftstellerinnen und Schriftsteller berücksichtigt der nach dem französischen Dichter, Naturforscher und grenzüberschreitenden „Kulturwanderer“ Adelbert von Chamisso (1781 bis 1838) benannte Literaturpreis. Damit ist er einzigartig in Europa. Die Auszeichnung gilt zum einen für das Gesamtwerk, zum anderen für jeweils eine aktuelle Publikation.
Esther Kinsky, im Bergischen Land geboren, erkundet, wie ihre Laudatorin Katharina Raabe befand, in ihrem Roman „Am Fluss“, erschienen im Verlag Matthes & Seitz 2014, „das zerzauste Marschland, die ausgefranste, von riesigen Strommasten, Eisenbahntrassen und Autostraßen durchschnittene Industrielandschaft“. Sie ermöglicht den Blick auf die Kindheit der Autorin am Rhein, an ihre Jahre in Kanada, England und Ungarn, ihre Polen-, Israel- und Indien-Reisen.
Gedichte, die die gebürtige Berlinerin Uljana Wolf schreibt, entstünden nach Ansicht des Laudators Michael Braun „aus einer Unsicherheit, aus einer Störung der Sprachgewissheit, aus einem fundamentalen Sprachzweifel“. Unruhe kennzeichne nach Braun das Poetische bei Wolf. Zuletzt zeige sich der ihr eigene „fortdauernde Prozess von Verunsicherung und Ausdifferenzierung“ in dem Lyrik-Band „Meine schönste lengevitch“ (kookbooks 2013). In den darin vorgenommenen „Spracherkundungen“ käme, so Braun, nichts ins Lot. Vielmehr bliebe alles „in Bewegung, in Gegenbewegung“.
In der voll besetzten Münchner Allerheiligenhofkirche sorgten anderthalb Stunden lang Kurzlesungen durch den Schauspieler Stefan Wilkening, Performances eines Musik- und Tanz-Duos sowie Video-Einspielungen mit Kurzporträts der Preisträgerinnen unter Katty Saliés Moderation für Auflockerung der eher tiefernsten, zumindest nachdenklichen Gesamtstimmung der Literatur-Veranstaltung. Von der Preis-Jury lernte das Publikum überraschender Weise zwei Konkurrenten des Metiers der Literaturkritik persönlich kennen: Wolfgang Herles und Denis Scheck.
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