Noch absolviert Papst Franziskus Veranstaltungen, die man in der Amtszeit seines Vorgängers geplant und vorbereitet hat: Die Messe auf dem Petersplatz mit katholischen Bruderschaften aus aller Welt am 5. Mai, die Heiligsprechung von drei Seligen eine Woche später – bei deren offizieller Bestätigung im Konsistorium vom 11. Februar Benedikt XVI. auch überraschend seinen Rücktritt ankündigte –, das große Treffen mit den kirchlichen Bewegungen und neuen geistlichen Gemeinschaften am Vorabend von Pfingsten, der Besuch in einer römischen Pfarrei am Dreifaltigkeitssonntag, die den gesamten Erdkreis umfassende und von Franziskus im Petersdom geleitete eucharistische Anbetung am 2. Juni oder die beiden dem Lebensschutz gewidmeten Tage zwei Wochen später. Genau jetzt hat das „Jahr des Glaubens“ seine Höhepunkte. Zumindest in Rom. Nach der Sommerpause, die im heißen Süden etwas länger dauert, wird es im Oktober und November relativ schnell zu Ende gehen.
Wetten, dass sich die Kirche zum Abschluss dieses Glaubensjahrs völlig verändert haben wird? (Natürlich nicht in Deutschland, da ersticken zehn Meter Beton starr strukturierter Kirchenamtlichkeit jede Entwicklung zum Positiven hin im Keime.) Nicht, weil die Verantwortlichen für Evangelisierung und Glaubensweitergabe ein tolles Glaubensjahr „gemacht“ hätten. Sondern, weil der Heilige Geist – der ja bekanntlich im Konklave die Herzen der Kardinäle lenkt – den Katholiken einen Papst gegeben hat, den die glaubensmüde gewordene Gemeinde der Getauften in dem einst urchristlichen Europa im Augenblick sehr gut gebrauchen kann. Mit Franziskus ist – um einen Ausdruck des Vatikanjournalisten und Buchautors John L. Allen zu gebrauchen – „das neue Gesicht der Kirche“ in die alten Kernlande der Christenheit hineingeschwappt. Dass derzeit in Rom jede Begegnung mit dem Jesuiten-Papst zu einem Massenfest wird, das hat ja seinen Grund. Auf die Menschen zuzugehen, gerne mit den Leuten zusammen zu sein, sie direkt anzusprechen, schlicht mit „Guten Tag“ und „Gutes Mittagessen“ zu grüßen, sich Zeit für Kranke und Behinderte zu nehmen (oft verbringt Franziskus mit ihnen nach der Generalaudienz nochmals eine ganze Stunde), einfach zu sprechen, aber klar – alles das hat bei dem Papst aus Lateinamerika einen gewissermaßen „biografisch-geografischen“ Hintergrund: Ganz anders als im protestantisch-staatskirchlich angekränkelten Deutschland wirkt die Kirche in Lateinamerika vor dem Hintergrund der fast explosionsartigen Verbreitung der evangelikalen und charismatischen Bewegungen, die aus den Pfingstkirchen hervorgegangen sind und der katholischen Kirche schwer zu schaffen machen.
Diese „neuen religiösen Bewegungen“ haben der Kirche gut vierzig Prozent der einst fast zu hundert Prozent katholischen Bevölkerung Lateinamerikas weggeschnappt, weil sie direkter kommunizieren, auf die Nöte der Menschen – vor allem der Frauen – eingehen und die einfachen Leute bei deren Alltagssorgen „abholen“ – natürlich unlautere Methoden der Mitgliederwerbung und Public Relation sowie einen irrationalen Bibelfundamentalismus nicht ausgeschlossen. Den Europäern ist die „Pentekostalisierung“ des Christentums noch fremd. Papst Franziskus nicht. Er kennt sie aus eigener Erfahrung und antwortet darauf mit einfachen, aber sich einprägenden Gesten. Der Erfolg der Evangelikalen und Charismatiker liegt auch daran, dass sie den Glauben ursprünglicher leben und erfahrbarer machen. Seit Jahrzehnten bemüht sich die lateinamerikanische Kirche, eine Antwort zu geben auf den Pentekostalismus, der heute schon nach der katholischen Kirche die zweitgrößte Realität in der weltweiten Christenheit darstellt. Der Argentinier Jorge Mario Bergoglio ist Teil der Antwort der Katholiken Lateinamerikas auf die Evangelikalen und Charismatiker. Mit Papst Franziskus ist sie endgültig in Rom und in Europa angekommen.
Beginnt nun eine Zeit, in der der Heilige Geist auch in Europa wieder spürbarer weht? Der Heidelberger Bibelforscher Klaus Berger geht im Titel-Thema dieser Frage nach. Wir wissen es nicht. Doch eines lehrt die Geschichte. Mit Blick auf ihre Vergangenheit von langen zweitausend Jahren stellte Gilbert Keith Chesterton fest, oft habe es so ausgesehen, als würde die Kirche vor die Hunde gehen. „Doch immer war es der Hund, der starb.“
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