Das neue BTHG verursacht Angst und Chaos

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Nachdem mir Mitte Januar 2020 bei einem Treffen mit mehreren Rollstuhlfahrern berichtet wurde, dass viele ihr Geld für die Assistenten nicht erhalten haben und noch immer ohne neuen Bescheid sitzengelassen wurden, habe ich eine öffentliche Umfrage (auf mehreren Plattformen, via Foren und per Mail) gemacht, wie die bisherigen Erfahrungen mit dem neuen BTHG sind. Dabei durften die Informanten anonym bleiben, mir war nur wichtig, dass sie mir das jeweilige Bundesland dazu nennen, um mir einen ersten Überblick zu schaffen, wie es bundesweit läuft.

Ergebnis vorab: Es läuft äußerst besch… eiden. Wenn man bedenkt, dass es JAHRELANG bekannt war, dass die Umstellung am 1.1.2020 in Kraft treten wird, fragt man sich schon, wie man das bundesweit so verpennen kann, dass jede Menge Betroffene nun ohne Bescheide und ohne Gelder da sitzen und paniken, weil sie auf diese Weise Probleme mit ihren Helfern bekommen, die natürlich auch auf ihre Bezahlung warten. Da die Assistenten der Schwerbehinderten in Deutschland sowieso miserabel bezahlt werden, kann man sich leicht ausmalen, dass auch sie in große Schwierigkeiten geraten, wenn sie auf ihr Geld warten müssen und es nicht mehr für Miete usw. reicht. 
(Bescheide werden auch von vielen gebraucht, um Ihr Einkommen nachzuweisen und um bei den Tafeln ihre Bedürftigkeit belegen zu können, damit sie dort Lebensmittel erhalten. Dies geht natürlich nicht, wenn die Behörden auch noch das Erstellen der Grundsicherungsbescheide verschlafen haben.)

Von mehreren Seiten erhielt ich die Rückmeldung, dass sich Leistungsberechtigte nicht mehr trauen, Anträge einzureichen. Sie fürchten die anstrengenden mehrstündigen Konferenzen, in denen sie regelrecht wie in einem Verhör gegrillt werden und sich für sämtliche Bedürfnisse erklären und rechtfertigen müssen. Unter anderem kommen da auch Fragen, wie oft man am Tag Lebensmittel zu sich nimmt und wie häufig welche besorgt werden müssen. (Als ob Schwerbehinderte von einem anderen Planeten kämen, auf dem es völlig andere Ernährungsweisen gäbe und sie deshalb gleich mehrere oder vielleicht sogar weniger Mägen zu füllen hätten als auf Planet Erde…)

Die Übergriffigkeiten überheblicher Sachbearbeiter habe ich ja auch schon in mehreren Artikeln kritisiert, sie scheinen derzeit jedoch sogar zuzunehmen, anstatt abzunehmen, da in Zeiten des Neoliberalismus überall der Kostenfaktor an erster Stelle steht. So wird weiterhin stark eingeschüchtert, gedemütigt, entmutigt und bevormundet.

Anstatt endlich mal bundesweit einheitliche Regelungen zu schaffen, werden auch beim neuen BTHG wieder die Bundesländer ermächtigt, jedes für sich einen eigenen Irrsinn auf wackelige Beine zu stellen.

Da sitzen Expertengremien über Jahre ganze Ewigkeiten zusammen und quatschen als Nichtbetroffene über den Bedarf von Schwerbehinderten und psychisch Kranken, um dann wieder ein lausiges Ergebnis zu erzielen, das den Betroffenen nicht weiterhilft. Die Ermessenspielräume bleiben, was schon zu Beginn deutlich macht, dass es wieder schlecht laufen wird, denn wenn der Leistungsträger selbst entscheidet, wird er niemals zu Gunsten des Leistungsberechtigten entscheiden, weil er ja immer auf seine eigenen Kosteneinsparungen achtet. 
Natürlich sind Beraterhonorare für überbezahlte Politiker*innen, Studien, usw. bei ihnen auf einer ganz anderen Wahrnehmungsskala. Die müssen quasi einfach sein und dürfen gerne fette Millionenbeträge fressen. 
Schwerbehinderten wird von Geburt an beigebracht, dass sie nichts wert sind, dass sie keine Ansprüche stellen sollen und gefälligst dankbar und zufrieden sein sollen, selbst wenn man sie in irgendwelchen trostlosen Werkstätten für ein miserables Taschengeld ausbeutet und sie kaum am gesellschaftlichen Leben teilhaben können, weil sie aus der Gesellschaft aussortiert werden und in Heimen leben, von wo aus sie mit einem Bus zur Arbeit abgeholt und wieder zurückgebracht werden. Diese Heimunterbringungen bringen auch Gefahren mit sich. So wurde mir bereits mehrfach von betroffenen Frauen berichtet, dass sie dort vom „Pflegepersonal“ vergewaltigt wurden.

Nun zu den ersten Ergebnissen meiner kleinen Online-Umfrage zum neuen BTHG (Bundesteilhabegesetz):

Aus Schleswig Holstein wurde mir mitgeteilt, dass einige Kreise und Städte es nicht mal geschafft haben, aktuelle Bescheide zu versenden und dass Bewohner einer besonderen Wohnform kein Geld erhalten haben. 
Der Herr meinte zu meiner Frage nach Verbesserungen / Verschlechterungen durch das BTHG auch noch: Einstufung in Regelbedarfstufe 2. Tagessatz für Verpflegung von 4,75 Euro gesenkt auf 4,42 Euro. Immer noch schlechter gestellt als HartzIV-Empfänger. Alles in allem also eine Katastrophe. Von wegen alles wird besser, das Gegenteil ist eingetreten.

Aus Baden Württemberg meldete sich eine Dame mit den Worten: Nichts Positives in BW! 
So waren auch die weiteren Antworten Betroffener. Sie werden auf Nachfragen hin zum Abwarten aufgefordert.

Ein Herr meldete sich dazu auch noch wie folgt: Mir wurde erklärt, dass ich ab 2020 bis zur Neuberechnung im neuen Jahr erst mal meine Überweisung aussetzen soll. 
(Hoffentlich ergibt das dann keine böse Kostenüberraschung.)

Ein Verein für selbstbestimmtes Leben aus Norddeutschland gab mir folgende Rückmeldung: Ich habe heute mit einem Bereichsleiter telefoniert, es herrscht das totale Chaos. Einige Bewohner haben Geld erhalten, andere nicht und die erhaltenen Summen sind nicht nachvollziehbar. In keinem Bundesland wird das BTHG umgesetzt. Überall nur Übergangsvereinbarungen.

Ein Berufsbetreuer aus Nürnberg fragte dazu: Warum gelingt das eigentlich nicht? Warum ist es nicht möglich, ein solches Gesetz möglichst praktisch umzusetzen?

Anschließend noch sein persönliches Fazit zum bisherigen Chaos durch das neue BTHG: Außer einem irrwitzigen Bürokratismus habe ich bis jetzt noch nichts mitbekommen.

Ich erzählte ihm daraufhin, dass ich im Gesundheits- und Sozialausschuss des Bezirks Oberbayern mitbekommen habe, dass Bayern noch nicht mal die geplanten Fragebögen („Bedarfsermittlungsinstrumente“) zustande gebracht hat und dass der Fragebogen 2020 nicht zum Einsatz kommen wird, weil es erst ein Pilotprojekt geben wird. (Wie die Bundesländer den Bedarf ermitteln, bleibt den Ländern überlassen und deshalb entstanden nun auch noch die unterschiedlichen Fragebögen.)
Darauf meinte er: Fragebögen gibt es aber doch genug? Mir ist ohnehin kein Gesetz bekannt, das bestimmt, dass Leistungen von Fragebögen abhängig wären. 
Ich erklärte ihm, dass die Fragebögen das „Bedarfsermittlungsinstrument“ zum neuen BTHG sind und dass natürlich wieder jedes Bundesland ein eigenes Süppchen kocht, anstatt endlich mal bundesweit einheitliche Regelungen zu schaffen. 
Seine Antwort: Das ist doch utopisch! Früher, bei der Sozialhilfe, da hieß es, diese setzt ab Bekanntwerden ein, es brauchte also nicht mal einen Antrag, heute muss es ein Bedarfsermittlungsinstrument sein…

Ich wies ihn dann auf die fertigen Fragebögen hin, die man sich hier herunterladen und ansehen kann:

https://umsetzungsbegleitung-bthg.de/service/links-und-materialien/material-bedarfsermittlung-icf/

(Warnung: Man bekommt beim Lesen der Fragen ggf. einen dicken Hals oder Herzrasen, weil sich kein gesunder Mensch jemals so nackt machen und für seine Existenz und

Bedürfnisse derart rechtfertigen muss, wie Schwerbehinderte und psychisch Kranke, die Unterstützung brauchen. Man kann zudem auch davon ausgehen, dass Sachbearbeiter mit dem korrekten Ausfüllen der Bögen überfordert sein werden.)

Bedarfsermittlungsinstrumente der Bundesländer

·                                 Baden-Württemberg: BEI_BW: Download von der Website des Ministeriums für Soziales und Integration Baden-Württemberg.

·                                 Berlin: Teilhabeinstrument Berlin (TIB): Download des Dokuments im PDF-Format. 

·                                 Brandenburg: ITP Brandenburg: Download auf der Website des Landesamts für Soziales und Versorgung Brandenburg.

·                                 Hessen: ITP Hessen: Download der Formulare und Handreichungen von der Website des Landeswohlfahrtsverbands Hessen.

·                                 Mecklenburg-Vorpommern: ITP M-V: Download von der Website des Kommunalen Sozialverbands Mecklenburg-Vorpommern.

·                                 Niedersachsen: B.E.Ni: Download von der Website des Niedersächsischen Landesamts für Soziales, Jugend und Familie

·                                 Nordrhein-Westfalen: BEI_NRW: Download des Dokuments im PDF-Format. 

·                                 Sachsen: ITP Sachsen: Download von der Website des Kommunalen Sozialverbands Sachsen.

·                                 Thüringen: ITP Thüringen: Download des Formulars im PDF-Format. 
 Download der Handreichung im PDF Format. 

Aus Brandenburg erhielt ich diese Antwort: In den Werkstätten herrscht hier viel Unsicherheit über die neue Essensgeldregelung. Viele Beschäftigte hören erst mal „Ab jetzt müsst Ihr Euer Essen selbst zahlen!“ und dann machen sie die Schotten dicht, sagen „dann esse ich nicht mehr mit!“, ohne sich den Rest anzuhören. Wobei die Werkstatt das auf einem Bogen sogar in leichter Sprache erklärt hat – nur direkt klappt die Vermittlung nicht. Die Ausgabe der Anträge und Vertragsänderungen war vor Weihnachten, also sehr kurzfristig. Viele waren schon in Urlaub und manch einer hat dann am ersten Arbeitstag wohl in der Kantine zu hören bekommen „Nein, Du bekommst nichts, Dein Antrag ist noch nicht da!“ Andere mussten sich anmaulen lassen, weil sie Butterbrote mitgebracht hatten und das Kantinenessen nicht wollten usw. 
Bis die Ämter ein paar hundert Anträge bewilligt haben, wird es Wochen dauern, solange muss die Stiftung mit den Essensgeldern in Vorleistung gehen. Aber immerhin, diejenigen, die keine staatlichen Leistungen wie Rente oder Grundsicherung bekommen und Mehraufwand beantragen können, sind erst mal mit 20 Euro dabei. 

Mich erreichte auch noch ein kurzes Statement aus BerlinBerlin fängt gerade erst an. Träger und Klient*innen zum Teil ohne Geld. Mehr kann ich Dir ab Frühjahr / Sommer sagen.

Auch noch ein positives Statement eines Herrn: In Berlin wurden zumindest mit der Einführung des BTHG Stufe 3 zum 1.1.2020 Verwaltungsstrukturen zentralisiert: https://umsetzungsbegleitung-bthg.de/gesetz/umsetzung-laender/bthg-berlin

Nordrhein-Westphalen hat offenbar das gleiche Problem. Von dort erhielt ich diese Antwort: In NRW niemanden getroffen, der von einer, wie auch immer gearteten Verbesserung zu berichten wusste. Die Verunsicherung ist aufgrund der fehlenden Bescheide recht groß. Leider!

Aber auch eine positive Meldung erreichte mich: NRW- LWL – bisher wurde durch den Träger eine Bedarfsermittlung abgelehnt. Märkischer Kreis ab 1.1.2020 zuständig. Am Dienstag kommt ein Hilfeplaner zum Vorgespräch. Wir wünschen uns das trägerübergreifende Persönliche Budget. Bisher guter Eindruck und Freude über Wechsel. 

Eine weitere Rückmeldung aus NRW: Der Start des neuen Bedarfsermittlungsverfahrens ist noch gar nicht terminiert. Im stationären Bereich werden die Teilhabeleistungen getrennt von der Miete und existenzsichernden Massnahmen extra abgerechnet. Bisher wurde beides vom LWL getragen, dafür sind aber auch sämtliche Einnahmen,die Erwerbsminderungsrente und Wohngeld  dem LWL zugeleitet. Seit dem 1.1.20 werden diese Einkommendi rekt auf das Konto des Klienten überwiesen. Von diesen Einnahmen werden dann die Miete sowie existensichernden Leistungen beglichen. Es zeigt sich jetzt, dass die Klienten damit in aller Regel finanziell weitaus besser gestellt sind.

Ein Mann aus Niedersachsen teilte mir mit: Manche Landkreise sind teilweise fertig, manche noch unter 50 Prozent Bearbeitungsquote. Viele Gelder auf falschen Konten, oder noch gar nicht gezahlt. Teilweise Summen nicht nachvollziehbar. Fehlende Dokumente zu den Anträgen wurden erst im neuen Jahr als fehlend benannt.

Eine Mutter meldete sich aus Sachsen-AnhaltIch bin gesetzliche Betreuerin unserer erwachsenen, schwerstbehinderten Tochter, welche im Wohnheim lebt. Unsere Tochter hat Geld bekommen für RS 2 plus Mehrbedarf. An das Wohnheim wurde auch ein Teil gezahlt, aber längst nicht soviel Geld wie bis Dezember 19. In dem Bescheid steht, dass eine Überprüfung nach Ende des Bewilligungszeitraumes stattfindet und eventuell zuviel gezahltes Geld von unserer Tochter erstattet werden muss. Niemand kann uns sagen, was wir von dem Geld ausgeben dürfen und was nicht. Wir haben also Geld, können es aber aus Angst vor einer Rückforderung nicht ausgeben. Eine Einladung zum Hilfeplanverfahren hatten wir bisher nicht.

Aus Hessen erreichte mich diese Nachricht: Ich habe bisher vom Sozialamt Eingliederungshilfe bekommen. Die haben mir schon im Dezember letzten Jahres geschrieben, dass sie die Zahlung einstellen und der LBV das übernimmt und dass sie die Unterlagen an den LBV schicken. Durch telefonische Nachfrage beim LBV habe ich erfahren, dass das Sozialamt die Unterlagen nicht weitergeleitet hat und ich das selbst machen muss.

Ebenfalls aus Hessen gibt es tatsächlich auch mal Erfreuliches zu berichten. Ein Mann freut sich: Meine Partnerin ist raus aus der Einkommens- und Vermögensanrechnung. Yay!

Noch eine Rückmeldung aus Hessen, die von einer Person kommt, die mit Kostenträgern zusammenarbeitet: (Es geht hier um Schulbegleitung von Kindern mit Behinderung oder seelisch erkrankten Kindern.) 
Mein Arbeitgeber arbeitet mit rund 25 Kostenträgern zusammen. Von diesen hat es gerade ein einziger Kostenträger auf die Reihe bekommen eine Leistungsvereinbarung abzuschließen. Nach Abschluss und dem Erstellen der ersten Rechnungen hat dieser Kostenträger eine Neuberechnung der Fachleistungsstunden gefordert. Diesem Kostenträger flogen förmlich die Kosten um die Ohren, auch weil er davon ausging, dass es nun günstiger wird. Ist es aber nicht, sondern die Kosten sind erheblich gestiegen. Auch weil im BTHG verankert ist, dass eine Zahlung von Tariflöhnen kein Grund sein darf einen Leistungsanbieter abzulehnen. Also bekommen meine Kollegen nun Tarif (TvÖD Sue 8a). Für meine Kollegen ist das super, die Kostenträger weinen.
Bisher gab es innerhalb der Schulbegleitung nur bei Jugendamtsfällen Hilfeplangespräche. Nun müssen bei Fällen, die über das Sozialamt laufen, Teilhabegespräche geführt werden. Das passiert noch gar nicht. Bei dem Kostenträger sollten Sachbearbeiter aufgestockt werden, aber das geschah nicht. Das heißt, die Teilhabegespräche laufen gar nicht, noch nicht mal mehr die Rechnungen werden pünktlich bezahlt. Haben sie vorher Gehälter bezahlt, die jeden Monat gleich liefen, müssen nun ja Fachleistungsstunden in Rechnung gestellt werden und diese Rechnung muss geprüft werden, erst nach Prüfung darf Geld überwiesen werden. Die Sachbearbeiter schaffen den Mehraufwand nicht.
 
Auf jeden Fall haben wir das Gefühl, dass wesentlich weniger bewilligt wird, denn bis sich der richtige Kostenträger gefunden hat, ist die Situation, für die Kostenübernahme beantragt wurde, oft vorbei. Eigentlich soll es so laufen, dass ein Kostenträger zuständig ist und dieser sich die Kosten bei anderen Kostenträgern zurückholen soll, falls ein anderer Kostenträger aufkommen muss.  
(Das Schreiben war sehr umfangreich und zeigte sehr viele konkrete Probleme auf, deshalb gebe ich es nun gekürzt wieder. Außerdem wollte ich die zugesicherte Anonymität wahren und verhindern, dass anhand der geschilderten Fälle ausgemacht werden könnte, von wem die Informationen kamen.) 

Bayern zeigt sich wie gewohnt rückständig und so ist hier noch nicht mal der Fragebogen zur Bedarfsermittlung fertig geworden, noch ist man in der Lage, eine Gesetzesänderung, die JAHRE im Voraus angekündigt war, fristgerecht umzusetzen. Da wird nun auch erst mal wieder herumgeeiert und sündteure Studien in Auftrag gegeben. In der letzten Sitzung des Sozial- und Gesundheitsausschusses vom Bezirk Oberbayern im Jahr 2019 hoffte Frau Zieglmaier von der Bezirksverwaltung nach eigener Aussage noch, dass man die Bescheide rechtzeitig fertig bekommt. Wie ich Mitte Januar 2020 bei einem größeren Treffen mit mehreren Rollstuhlfahrer*innen erfahren und bestätigt bekommen habe, hat es der Bezirk Oberbayern mal wieder nicht auf die Reihe gebracht, seinen Job zu machen: Viele Schwerbehinderte sind derzeit ohne Bescheid und ohne Geld. Würde diese Behörde sich mal endlich auf den eigentlichen Aufgabenbereich konzentrieren, d.h. HILFEN bereitzustellen, anstatt die Leute wie Dreck zu behandeln und ihnen bis ins Kleinste hinterherzuspionieren, wäre das verhinderbar gewesen. Schließlich war lange genug bekannt, daß es Anfang 2020 zu Umstellungen kommen wird. 
Bei einer Budgetkonferenz im Januar wurde ein Behördenopfer gezwungen, dem feindseligen (!) Sachbearbeiter, Herrn T.S., der auch schon anderweitig äußerst negativ aufgefallen ist und damit durch die Medien ging, den Hilfebedarf zu erläutern, obwohl es gegen diesen einen Befangenheitsantrag aus schwerwiegendem Grund gibt (er versucht nachweislich dem Behördenopfer zu schaden, ihm berechtigte Leistungsansprüche zu verweigern und es sogar zu kriminalisieren). Das Behördenopfer war im Vorfeld bereits wegen des massiven Psychoterrors, der durch die Behörde ausgeübt wurde, erneut zusammengebrochen und ist deshalb seit MONATEN krankgeschrieben. Trotz rechtzeitigem Antrag auf Weiterbewilligung des Persönlichen Budgets erhält das Behördenopfer seit Ende August 2019 keine Zahlungen für die benötigten Hilfen.
Ein Bezirksmitarbeiter vom sogenannten Fachdienst: Wir sind eine Behörde. Wir können machen, was wir wollen. 
Menschenleben zählen ja nichts. 
Seit der Nazizeit hat sich die Denkweise in Bayern demnach nicht nennenswert weiterentwickelt…

Ein weiterer Berufsbetreuer berichtete mir aus NRWBisher gibt es nur behördliche Problemlagen bei mir. Aktuell kann ich keine Verbesserung oder Verschlechterung mitteilen. In einem Fall hat jedoch das Verfahren dazu geführt, dass ein Betreuter derart verunsichert ist, dass er aktuell in eine Psychose gerutscht ist. 

Anhand des oben genannten Falls wird mal wieder deutlich, welches Leid über Behördenabhängige gebracht wird, wenn die zuständigen Behörden nicht korrekt arbeiten. Die Panik des Betroffenen hätte verhindert werden können und nun geht er wegen der Inkompetenz der Behörde seelisch durch die Hölle. Mir treibt das Tränen der Wut in die Augen, denn das zeigt wieder mal, wie behindertenfeindlich Deutschland noch immer eingestellt ist und welche Macht Sachbearbeiter über Menschen haben, die weitestgehend wehrlos sind. 

In einer öffentlichen Gruppe auf Facebook, schreibt eine Frau von ihrem Frust. Sie hofft darauf, eine Zeitung zu erreichen, die sich für das Thema interessiert. Sie beklagt sich über ihre persönlichen Erfahrungen mit der Umstellung des Kostenträgers im Rahmen des BTHG, berichtet davon, dass sie ihren Weiterbewilligungsantrag rechtzeitig gestellt hatte, dass sich aber beide Kostenträger nicht zuständig fühlten. Das alles hätte sie viele Telefonate, Zeit und Nerven gekostet. Sie hörte bis kurz vor Weihnachten von beiden Stellen nichts und informierte ihre Assistenz darüber, dass sie vielleicht kündigen muss, weil sie die Kosten nicht selbst tragen kann. In der Folge verlor sie Mitarbeiter. Nun ist sie verständlicherweise wütend und schimpft über die Zustände in NRW
Nachdem ich herausgefunden habe, von wem der Text ist, der mir von einer Freundin zugeschickt wurde, die weiss, dass ich gerade über das BTHG-Chaos schreibe, war ich doch etwas erstaunt, denn genau die junge Dame, die sich öffentlich über ihr Problem beklagt, hatte mich vor nicht allzulanger Zeit mehrfach heftig attackiert, als ich das Verhalten der Sachbearbeiter in den Behörden kritisiert hatte. Nun ist sie offenbar selbst Opfer der üblichen Machenschaften geworden und ihre Ansichten haben sich urplötzlich deutlich gedreht.

Wer sich zum Umsetzungstand der Bundesländer informieren möchte, findet hier noch Infos: https://umsetzungsbegleitung-bthg.de/gesetz/umsetzung-laender/

https://umsetzungsbegleitung-bthg.de/bthg-kompass/bk-bedarfsermittlung-icf/

https://umsetzungsbegleitung-bthg.de/service/links-und-materialien/

Gerhard Bartz, Vorsitzender von ForseA, dem Bundesverband Forum selbstbestimmter Assistenz behinderter Menschen e.V., antwortete mir: Ich fürchte, dass die Kostenträger auch nicht viel mehr wissen als wir. Daher steuern wir auf chaotische Monate zu. Ich hoffe, es sind nur Monate…

Auf meine Nachfrage bzgl. der nicht nachvollziehbaren Einordnung in Pflege und Eingliederungshilfe antwortete mir Gerhard Bartz: Die Trennung macht für Behinderte – zumindest außerhalb von Anstalten – nicht den geringsten Sinn, verschafft aber vielen Profis Lohn und Brot. Daher werden diese die Trennung mit Klauen und Zähnen verteidigen.
Wir fordern seit dem Beginn der Diskussion die Leistungsart Assistenz, die alles beinhaltet. Und die es den „Wissenschaftlern“ und sonstigen „Fachleuten“ unmöglich macht, unsere Hilfen auseinanderzuklamüsern. Wir brauchen Hilfe. Punkt! Dieser Bedarf erstreckt sich über eine definierbare Zeit, egal, ob dies 0 bis 24 Uhr oder 8 bis 13 Uhr ist. In dieser Zeit brauchen wir die verlässliche Anwesenheit der Assistenz, um unser Leben planen zu können. Die Trennung der beiden Hilfearten führte zu willkürlichen Festlegungen, beispielsweise nur in Pflege, um die für uns günstigeren Regelungen der Eingliederungshilfe zu umgehen
www.forsea.de

Ein Mann mit eigenem Assistenzdienst, der selbst ein schwerbehindertes Kind hat, antwortete: Durch die Änderung der Zuständigkeit für die existenzsichernden Leistungen (Grundsicherung) hin zum Sozialamt müssen Zehntausende Anträge auf Grundsicherung beim Sozialamt stellen, während sie bislang die Leistungen aus einer Hand beim Landschaftsverband erhalten haben. 
Tolle Verbesserung für den Grundsicherungsempfänger. Bürokratismus und Wartezeiten genau derselben Leistung, die er schon hatte. (…)
Man hätte: 1.) die zwei Jahre Vorlaufzeit nutzen können 2.) einen internen Finanzausgleich zwischen überörtlichen und örtlichen Sozialhilfeträgern vornehmen können, so wie es bei vielen anderen Leistungen auch geschieht. Das hätte das Antragswesen jedenfalls auf das jeweilige Auslaufen der Bewilligungen verteilt. So kommt nun alles zum 1.1.2020 und das absehbare Chaos ist da. Wer keine Arbeit hat, macht sich eben welche.

Während ich diesen Artikel schreibe, erreicht mich noch eine Pressemitteilung des Bayerischen Staatsministeriums. 
Bayerns Sozialministerin Schreyer (CSU) freut sich: Über 2,8 Millionen Euro für den Bau einer Förderstätte in Oberfranken. Mittendrin statt nur dabei – das ist mehr als ein gängiger Slogan. Es ist unser erklärtes Ziel: Menschen mit Behinderung sollen in der Mitte unserer Gesellschaft leben. Mehr noch: Es soll für uns alle eine Selbstverständlichkeit werden, dass Menschen mit und ohne Behinderung zusammenleben, arbeiten und ihre Freizeit verbringen können. Dazu gehört auch die Teilhabe am Arbeitsleben. Förderstätten ermöglichen dies, indem sie Menschen mit schwerer Behinderung beschäftigen und fördern, für die ein Besuch einer Werkstatt für behinderte Menschen nicht oder noch nicht möglich ist. Ich freue mich deshalb, dass Diakoneo eine Förderstätte mit 48 Plätzen in Neuenmarkt errichtet. Dieses wichtige Vorhaben unterstützen wir mit über 2,8 Millionen Euro.
Es wird wohl noch einige Jahre/Jahrzehnte/Jahrhunderte dauern, bis man auch hier in Bayern begreift, was das Recht auf Selbstbestimmung bedeutet und dass Behindertenwerkstätten keine Inklusion, sondern eine ausgrenzende Sonderwelt darstellen, von der die deutsche Wirtschaft profitiert, aber die aus der Gesellschaft Aussortierten nur ein erbärmliches Taschengeld (weit unter Mindestlohn) erhalten, während sie – trotz Arbeit – ein Leben in bitterer Armut führen. 
Bayern schafft eifrig immer mehr Behindertenwerkstätten, während bundesweit der Ruf nach deren Abschaffung immer lauter wird.

Insgesamt wird mir sehr viel von behördenverursachten existenziellen Notlagen und von Angst vor dem, was da kommen wird, berichtet. Auch Vereine und Mitarbeiter von Beratungsstellen wissen nicht, was sie den Betroffenen raten sollen, weil sie aktuell selbst keinen Durchblick mehr haben und nicht weiter wissen.

Viele Schwerbehinderte und psychisch Kranke verharren derzeit in einer Art Schockstarre wie hypnotisierte Kaninchen vor einer Anakonda.

Deutschland hat mal wieder ein furchterregendes Bürokratiemonster erschaffen, unter dem ausgerechnet die Menschen zu leiden haben, die sich ohnehin schon am wenigsten wehren können. 

Über Patricia Koller 22 Artikel
Die Autorin Patricia Koller recherchiert und schreibt zu sozialen Themen (wie z.B. Opfer von Gewaltverbrechen) und kämpft als Aktivistin für die Verbesserung der Rechte von Schwerbehinderten und psychisch Kranken. Sie ist ehrenamtliche Helferin für Schwerbehinderte und psychisch Kranke und Leiterin der Selbsthilfegruppe “Persönliches Budget für Schwerbehinderte – Behindertenrecht”.