Das Gedächtnis der Menschen ist kurz; auch deshalb kann man sie so gut manipulieren. Zwischen 1958 und 1965 beherrschten zwei russische Frauen die Leichtathletik und gewannen alles, was es in ihren Disziplinen zu gewinnen gab. Wer kennt sie noch und ihre Namen?
Tamara Press gewann so gut wie immer im Kugelstoßen und Diskuswerfen, ihre Schwester Irina war im Fünfkampf und über 80-m-Hürden unschlagbar. Früh schon munkelte man wegen der herben Schönheit der Beiden, dass da irgendetwas nicht stimmen könne; Witzbolde nannten sie die „Press Brothers“. Aber die Geschlechtsüberprüfung von Athletinnen wurde erst 1966 eingeführt, vielleicht auch ihretwegen. Postwendend traten die beiden Sportlerinnen nicht mehr zu Wettkämpfen an. Das war wohl ein Eingeständnis, dass es sich bei Tamara und Irina Press um Hermaphroditen mit männlichem Chromosomensatz handelte.
Nachdem die Geschlechtsüberprüfung zunächst nur aus einer körperlichen Untersuchung bestand, wurden Chromosomentests schon 1967 eingeführt. Allerdings genügt der Nachweis von zwei X-Chromosomen nicht, da zum Beispiel auch hormonelle Störungen möglich sind mit einer Überproduktion des kraft- und leistungssteigernden männlichen Geschlechtshormons, sodass an den Anforderungen, zum Wettkampf von Frauen zugelassen zu werden, immer wieder herumreformiert wurde.
Faktum ist jedoch, dass die Russen nie zugegeben haben, dass hier ein „Etikettenschwindel“ vorlag; auch ist nie bewiesen worden, dass die Geschwister Press keine echten Frauen waren. Aber neuere Entwicklungen zeigen eine Aktualität des Problems und deuten auf eine Rückkehr zum kommunistischen Totalitarismus. Denn eines der egalitaristischen Ziele des Kommunismus war und ist die Zerstörung der binären Geschlechterordnung. Schon früh, lange bevor der Begriff „Gender“ eingeführt wurde, griffen die Kommunisten in die angeblich bürgerlichen Geschlechterrollen ein, die aber zu einem großen Teil biologisch fundiert waren (und sind). Erinnert sei an Alexandra Kollontais Experimente mit „freier Liebe“ und anarchischer „wilder Ehe“, an die Vorschlaghammer schleppenden Bergarbeiterinnen in der postrevolutionären Sowjetunion (aber auch an den Sexualkundeunterricht während der ungarischen Räterepublik und Wilhelm Reichs Freudomarxismus!), bevor Väterchen Stalin klug erkannte, dass das alles mit viel zu viel Instabilität verbunden war und dem Spuk ein Ende bereitete.
Dabei muss natürlich festgehalten werden, dass im gesamten Ostblock eine Frauenemanzipation ohne jeden Feminismus durchgesetzt war; Professorinnen und Abteilungsleiterinnen waren dort schon an der Tagesordnung, als dies im Westen noch eine exotische Seltenheit war. Aber das war nicht der Punkt. Die eigentliche Stoßrichtung ging tiefer. Und wie so Vieles, was im Kommunismus nicht oder unvollständig erreicht oder nur plump verfolgt wurde, wird auch der kommunistische Kampf gegen die menschliche Natur, für den „Neuen Menschen“, im heutigen postmodernen Westen perfektioniert, mit viel subtileren Methoden weitergekämpft.
Bleiben wir beim Sport. In der heutigen genderideologisierten Perspektive dürfte die Frage nach Mann oder Frau gar nicht gestellt werden. Doch ergibt sie sich zwangsläufig aus der Tatsache, dass am Frauensport nur Frauen teilnehmen sollten, weil Männer oder vermännlichte Frauen stark bevorteilt wären. (Umgekehrt dürften sich kaum Frauen in Männerwettkämpfe schleichen – sie wären hoffnungslos unterlegen. Erinnert sei nur an die lächerlichen „Battles of the sexes“ zwischen den lesbischen Tennisstars Billie Jean King und Martina Navratilova auf der einen und dem doppelt so alten Bobby Riggs bzw. durch absurde Regeln benachteiligten Jimmy Connors auf der anderen Seite. King gewann mit viel Mühe und Navratilova verlor glatt.) Letztlich öffnet sich hier die Perspektive eines Diversensports, für den sich allerdings nur einige Wenige qualifizieren würden, weil es kaum „Diverse“ gibt, oder – eigentliches Ziel – der Auflösung der Grenzen mit der Schaffung eines All-Gender-Sports, in dem es natürlich auch keine elitären und damit antiegalitaristischen Rekorde mehr geben kann. Ein kommunistischer Traum würde wahr.
Es ist kein Zufall, dass die Geschlechtsüberprüfung mittlerweile, also in Zeiten, in denen „sex“ durch „gender“ ersetzt wurde, sehr relativistisch geworden ist: die Sportlerinnen müssen als weiblich, intersexuell (oder äquivalent!) anerkannt sein und einen Testosteronspiegel unterhalb eines für Männer typischen Bereiches haben. (Wie schwer es trotz allem doch ist, das angeblich konstruierte Geschlecht neu zu konstruieren!) Hinter diesen relativistischen Kriterien stehen handfeste ideologische Interessen.
Der Soziologe Dr. Dennis Krämer hat sich auf die Untersuchung des ungemein wichtigen Themas der Intersexualität im Sport spezialisiert und darf mit dieser Erfüllungsforschung sicherlich auf Drittmittel zählen. Ich konnte auf eine Lektüre seines in einem linksradikalen Verlag publizierten Artikels über die Geschwister Press („Mediale Praktiken des Gendering. Das Geschlecht der Geschwister Tamara und Irina Press im westlichen Sportdiskurs zu Zeiten des Kalten Krieges“. In: Gabriele Klein, Hanna Göbel (Hrsg.): Performance und Praxis. Praxeologische Erkundungen in Tanz, Theater, Sport und Alltag. Transcript, Bielefeld 2017, S. 191–209) leichten Herzens verzichten, da der Inhalt mir von vorneherein bekannt ist; es läuft immer auf denselben hinaus. Krämer argumentiert laut Wikipedia „aus poststrukturalistischer Perspektive, dass die damalige westliche Presse Tamara Press‘ weibliches Geschlecht, wie auch das ihrer Schwester Irina, nicht deswegen systematisch als unweiblich darstellte, weil dieses männliche Züge zeigte, sondern in erster Linie, weil die sowjetische Sportlerin in starkem Kontrast zum damaligen westlich-konservativen Frauenideal von der zarten Hausfrau und Mutter stand. Die Bedrohungen, die in ihr als Sportlerin erkannt wurden, gingen somit nicht von ihrem genuinen Körper aus, sondern standen in unmittelbarer politischer Relation zur damaligen Konfliktsituation zu Zeiten des Kalten Krieges. Vor diesem Hintergrund galt Tamara Press‘ Körper in den westlichen Medien in erster Linie deswegen als fremd, anders, sonderbar und abnorm, weil hinter ihrer Erscheinung das manipulative Einwirken einer ideologischen Maschinerie des Kommunismus zu Zeiten des Kalten Krieges vermutet wurde“.
Hier kann ich noch als Zeitzeuge sprechen, der die Geschwister Press als kleiner Junge im Fernsehen erlebte: Ganz sicher wurde das Äußere der russischen Schwestern schlicht deshalb spontan als unweiblich empfunden (und von der damals noch geistig halbwegs gesunden westlichen Presse auch so dargestellt), weil die Beiden wie Männer aussahen. Punkt. Es ging dabei sicher nicht um die Verteidigung eines „konservative[n] Frauenideal[s] von der zarten Hausfrau und Mutter“. Dass eine Liesel Westermann als Diskuswerferin kräftiger als die meisten Frauen sein musste, war auch damals jedermann klar, doch war sie sofort als Frau zu erkennen.
Es gingen auch keine „Bedrohungen“ von diesen Körpern aus, sondern vom Kommunismus. Das kann Herr Krämer offenbar nicht erkennen – was nicht wirklich überrascht. Man empfand es damals korrekterweise als äußerst unfair, dass die Sowjetrussen gewissermaßen Männer in Frauenwettkämpfe schickten. Man kann das als „manipulatives Einwirken einer ideologischen Maschinerie“ bezeichnen. Aber das ist eben typisch links. Wer differenziert, macht Unterschiede und das wollen Egalitaristen überhaupt nicht.
Die Rückkehr der Männer in den Frauensport kann heute unter der regenbogenbunten Genderflagge beobachtet werden. Natürlich soll das – wer könnte dagegen sein! – größerer Gerechtigkeit dienen; die stereotypen Stichworte lauten „Antidiskriminierung“, „Gleichstellung“, „Freiheit“. Wer einmal Übertragungen von Spielen der australischen Handball-Nationalmannschaft mit der Transgender-Frau Hannah Mouncey gesehen hat, weiß, was die Stunde geschlagen hat. Das linksradikale Fundament der Gender-Ideologie kann kaum besser demonstriert werden. Es handelt sich um die Rückkehr der Pläne kommunistischer Menschheitsingenieure: Männer sollen sein wie Frauen, Frauen wie Männer, es gibt fünfzehn (oder so) Geschlechter oder eben keines, denen es ist bald eh alles gleichgemacht. Deshalb ist es so eminent wichtig, die Geschwister Press nicht zu vergessen, sondern sich ihrer zu erinnern.