Das Jesus-Buch, Teil II

Teil zwei des Jesus-Buchs des Papstes geht nun wirklich ans Eingemachte. Das wusste Joseph Ratzinger auch schon, als er 2003 begann, sein Werk als Theologe mit einem Buch über den Messias zu krönen. Es kam dann anders, als es sich der Kardinal vorgestellt hatte: Zwei Jahre später schauten sich seine Mitbrüder in Purpur in der Runde um und kamen schnell zu dem Schluss, dass nur einer von ihnen Papst werden könne – der freundliche Bayer eben von nebenan aus der Glaubenskongregation. Als Benedikt XVI. hätte Joseph Ratzinger sein begonnenes Manuskript eigentlich wegwerfen müssen. Päpste schreiben Enzykliken, verfassen Apostolische Lehrschreiben und Motu proprios. Sie stellen keine theologischen Werke zur Diskussion. Aber Papst Benedikt weiß auch – und er wusste es schon als Theologe und Präfekt der Glaubenskongregation–, dass in den vergangenen Jahrzehnten nichts so sehr den Glauben der Getauften erschüttert hat wie die Auflösung des historischen Jesus und seiner Wunder und machtvollen Taten im Säurebad der modernen Theologie. Benedikt XVI. blieb sich treu und schrieb.
Dass der Jesus Christus, der uns in der Heiligen Schrift begegnet, wirklich der Messias ist, war bereits Gegenstand des ersten Bands, der vor vier Jahren erschien. Doch nun legt Joseph Ratzinger noch eins drauf: Es geht um die Passion, um das Leiden und Sterben des Gottessohns – und um seine Auferstehung. Nur wenn Jesus auferstanden ist, ist wirklich Neues geschehen, das die Welt und die Lage des Menschen verändert: Davon ist Papst Benedikt im Einklang mit der ganzen Tradition überzeugt. Nur wenn der Herr nach der Auferstehung seinen Jüngern erschienen ist, ist er heute noch in seiner Kirche lebendig. Nur dann hat die Kirche ein Recht, die Erlösung der Menschen durch den Auferstandenen zu verkünden, nur dann haben die Nachfolger der Apostel und an ihrer Spitze der Papst die Vollmacht, im Namen und Auftrag Gottes zu handeln. Es ist der Kern, um den es im neuen Jesus-Buch des Papstes geht. Hätte Joseph Ratzinger das nicht von Anfang an gewusst, hätte er sein Manuskript vielleicht nach der Wahl zum Papst verstauben lassen. So aber besiegelt Benedikt XVI. seine in langen Jahren erworbene Einsicht, dass hier der Ursprung der Glaubenskrise in der Kirche und der Gotteskrise in der einst christlichen Welt des Westens liegt.
Denn als moderner Theologe auf dem Konzil und in den darauffolgenden Jahren hat Joseph Ratzinger aus nächster Nähe verfolgen können, wie der Kern des katholischen Credos verdunkelt wurde. Die Auferstehung und die nachösterlichen Erscheinungen Jesu wurden in die kollektive Erfahrung und in den Glauben der frühen Gemeinden verlegt – wie unsinnig das heute auch wirken mag. Dadurch erhielten sie immer mehr einen subjektiven Charakter. Anstatt die Auferstehung als historisches Ereignis, als eine Wahrheit für sich stehen zu lassen, kamen spekulative Geister in den theologischen Fakultäten auf den Geschmack, über die Evangeliumsberichte weiter zu spekulieren, mal unter Einfluss einer rein rationalistischen Exegese, mal als Huldigung an die sich hoch auftürmenden Gedankengebäude einer idealistischen Philosophie. Was ist schon Wahrheit? Sie geht nicht dem Denken voraus, sondern das Denken erschafft sie immer wieder neu. Denkste, sagt dazu der Papst.
Das jüngste Theologen-Memorandum ist nur der jüngste und wohl schlechteste Ausfluss jener Hybris, die sich selbst an die Stelle des Erlösers setzt und glaubt, die Religion, die Gebote, Gott und die Kirche immer wieder neu erfinden zu müssen. Nein, bekräftigt jetzt wieder der Papst. Der Einbruch Gottes in die Geschichte der Menschheit geht jedem Denken und Spekulieren voraus. Einige Jahrhunderte hat die junge Kirche gerungen, das Unerhörte, das am ersten Osterfest offenbar wurde, überhaupt erst einmal in Worte zu fassen. Nicht Menschen haben das katholische Credo erfunden, Gott hat es gewollt. Die Fleischwerdung des göttlichen Wortes – ist das Fundament der Kirche. Nicht die spekulative Leistung religiöser Genies.
Papst Benedikt hat die theologische Wissenschaft eingeladen, über sein auf drei Bände angelegtes Werk über Jesus Christus zu reden und zu diskutieren. Das wird man tun. Dieses Buch ist weder unfehlbar, noch wird es vollkommen sein. Dass aber Joseph Ratzinger als Papst an seiner Absicht festgehalten hat, als theologischer Autor einer verunsicherten Kirche den historischen Jesus zurückzugeben, ist schon für sich ein großes Zeichen.

Guido Horst ist Chefredakteur des Vatikan-Magazins (www.vatikan-magazin.de)

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Guido Horst wurde 1955 in Köln geboren. Nach dem Studiun der Geschichte und Politologie arbeitete er für die katholische Presse als Journalist. Im Jahr 1998 übernahm Horst die Leitung der katholischen Zeitung Die Tagespost mit Sitz in Würzburg; 2006 gab er den Posten des Chefredakteurs ab und ging wieder nach Rom. Er wurde abermals Rom-Korrespondent der Tagespost und Chefredakteur der zusammen mit Paul Badde konzipierten Zeitschrift "Vatican-magazin".

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