Müsste ich einmal ehrlich mit mir selber sein, so könnte ich sagen, es würde mir kein Unrecht getan, mich einen „Hipster“ zu nennen. Indizien gibt es immerhin zuhauf. Denn wenn im Winter der kalte Wind um die entblößten Knöchel weht, weil die gute Röhre zweimal umgeschlagen nicht an die, beinahe lachhaft auffallenden, Sneaker reicht, der Quinoa-Salat mit dem Zehntagebart ungewollt innige Freundschaften eingeht oder einfach die gepunktete Fliege würgt, lässt sich die Applikation des verhassten H-Wortes auf sich selbst nur schwer leugnen. Aber natürlich nur ironisch, versteht sich.
Unter der, für manche wohl modisch fragwürdigen, Fassade eines jung-urbanen Mittelschichtlers ist für den Hipster vor allem eines definierend – die Ablehnung des Herkömmlichen, des verhassten „Mainstreams“, die Jagd nach Nischen, zumindest so lange bis jene selbst für die Allgemeinheit begehrlich geworden sind, pointiert auf den Punkt gebracht durch die Phrase „Wenn im Wald ein Baum umfällt und niemand es hört – ein Hipster würde den Soundtrack kaufen“.
Nun hat mir gerade diese Haltung den letzten Nagel in meinen biologisch abbaubaren WholeFood- Indie Rock-Jutebeutel-Sarg getrieben, denn blicke ich auf das kommende Jahr 2017, so denke ich vornehmlich an etwas, was dem üblichen „Twentysomething“ oder Rest des mainstream- verachtenden, nun ja, Mainstreams höchstens als arbeitsfreier Tag am Horizont schwebt:
Ich freue mich auf das fünfhundertjährige Reformationsjubiläum.
Nicht nur, weil diesmal selbst das, historisch gesehen, erzkatholische Bayern, von je her mit einer, im Vergleich zum bundesdeutschen Durchschnitt, berauschenden Fülle an Feiertagen gesegnet, einen zusätzlichen Tag für ausgiebige Weißwurstfrühstücke erhält, nein ich freue mich, weil ich den Mann hinter der Festivität sehr bewundere, hat er mir doch den Mann hinter dem Mann hinter der Festivität zugänglich gemacht.
Luthers Botschaft von der Erlösung durch den Glauben allein, aus Gnade allein, durch Christus allein, zur Ehre Gottes allein und dies alles belegt durch die Schrift allein, so einfach wie skandalös, damals wie heute, spricht mich mit der Aussicht auf Erlösung ohne eigenes Zutun nicht nur wegen meiner inhärenten Faulheit an, es nötigt auch eine gehörige Portion Ehrlichkeit mit sich selbst ab, Ehrlichkeit, dass man selbst unter größten Anstrengungen nie dem geforderten Standard des biblischen Gottes genügen könnte.
Mir ist bewusst, dass Begrifflichkeiten wie „Gott“ und „Erlösung“ bei den meisten meiner Zeitgenossen nichts weiter als ungläubiges Kopfschütteln oder –kratzen auslösen müssen, aber gerade in einer Zeit, die es für unumstößlich hält, absolute Wahrheit zu einem überkommen Irrtum der Vergangenheit zu erklären und sämtlichen Adjektiven gerne ein „post“ voranzustellen, ob modern oder faktisch, (hierbei könnte man eigentlich Konsequenz walten lassen und Email zu einem „Post-Postamt“ erklären, aber Konsequenz ist wohl auch etwas überholtes und Spaß nun auch wieder bei Seite), bietet die Botschaft, dass der Mensch durch Gott alleine mit Gott versöhnt wird und dadurch Zweck und Erfüllung findet, eine so einfache wie unerhörte Alternative, ein εὐαγγέλιον, eine Gute Nachricht.
Natürlich möchte ich dem Mann Martin Luther meinerseits keine uneingeschränkte Heldenverehrung zu teil werden lassen, zu scheußlich sind seine späten Ausfälle über die Juden; mich selbst, Mitglied einer freikirchlichen Gemeinde, hätte er wohl als „wiedertäuferischen Rottengeist“ verbrennen lassen (ein zugegebenermaßen großartig-polemischer Ausdruck einer Sprache, welche wir zu großen Stücke ihm verdanken). Es schickt sich eher, ihn als fehlbaren Menschen im Kontext seiner Zeit zu bewerten, etwas das hoffentlich einem jeden von uns einmal gewährt werde möge. Die Entscheidung dieses einen, mehr als unvollkommenen, Mannes jedoch, sich gegen den Geist seiner Zeit zu stellen war es, welche das Gesicht Europas und der Welt für immer verändern sollte. Dass der sächsische Funke dabei zu einem Flächenbrand internationaler Signifikanz schwelen sollte hätte sich der wittenbergische Theologieprofessor wohl weder erhofft noch erträumt, als er seine 95, noch sehr katholischen Thesen, als Aufruf zur fachinternen Debatte an das, als schwarzes Brett der Stadt fungierendes, Schlosskirchentor schlug.
Es zahlt sich also durchaus aus, sich hin und wieder konträr zu geben. Manchmal vermag daraus eben eine betont skurrile Subkultur erwachsen, in diesem Fall aber die Eckpfeiler individueller Freiheit, freier Wirtschaft, moderner Wissenschaft und ein von der Altlast der Jahrhunderte befreiter Weg zum Alten der Tage. Es lohnt sich also Hipster zu sein, auch wenn es meistens nicht leicht ist, sich es selbst einzugestehen.
Sollte man also bei den Jubiläumsfeierlichkeiten im Herbst auf einen extravagant gekleideten Jüngling stoßen, welcher mit grauhaarigen Damen mit Kurzhaarfrisur und knielangen Röcken „Ein feste Burg“ singt, nur nicht wundern, er feiert den Ur-Hipster schlechthin, welcher bereits vor allen anderen Gottes freie Gnade für „cool“ befunden hatte.
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