Meist spricht man ganz selbstverständlich von der Willensfreiheit. Doch weder Freiheit noch Wille sind unproblematische Begriffe. Ist mein Wille zum Beispiel immer frei? Und wenn nicht, ist das Kriterium für die fehlende Freiheit dann, dass ich nicht bewusst entscheide? Hieran würde allerdings die nächste Frage anknüpfen: Was bedeutet „bewusst entscheiden“? Ein bewusster Gedanke scheint gleichsam von uns gerufen worden zu sein. Ein unbewusster ist hingegen frei von einer Empfindung der Urheberschaft. Gedanken können aus dem Nichts hervortreten und dann von weiteren Überlegungen begleitet und fortgeführt werden und womöglich in Handlungen münden, die zwar irgendwie mit dem Ursprungsgedanken verknüpft sind, aber wie genau und warum, das bleibt im Dunkeln. Und dennoch soll am Ende etwas entstehen, das dem Individuum eine Verantwortlichkeit aufzwingt. Eine Handlung ist aber doch nur ein ausgeführter Gedanke. Wie soll diese dann eine andere Beschaffenheit aufweisen als ein Gedanke, der aus dem Nirgendwo zu kommen scheint? Wieso sollte es für die Verantwortlichkeit relevant sein, ob ich meine Entscheidung auf einen bewussten Prozess zurückführen kann? Was ändert dieses mysteriöse Bewusstsein? Oder um diese Problematik noch fundamentaler zu formulieren: Worin liegt der Unterschied, ob ich eine Münze werfe oder willkürlich Kopf oder Zahl wähle?
Offensichtlich liegt ein Unterschied in dem Gefühl, welches die Handlung begleitet: Ich weiß bei einer zufälligen Wahl nicht was das Ergebnis sein wird.
Allerdings weiß ich es bei einer willkürlichen Wahl ja auch nicht bevor ich mich zu meiner Entscheidung entschieden habe. Wenn ich mich dazu entscheide etwas zu wollen, dann will ich es schon. Ich bin nicht Herr über meine Gedanken und Handlungen, sondern ich bin diese Gedanken und Handlungen. Ich bin in genau der gleichen Weise für meine Gedanken und Handlungen verantwortlich, wie etwa ein Sturm für Unwetterschäden verantwortlich ist. Also weil die Eigenschaften des Sturms zu den Schäden geführt haben. Es scheint jedoch wenig sinnvoll zu sagen, dass der Sturm deshalb frei gehandelt hat.
Wie kann ich verantwortlich dafür sein, dass ich ich bin? Und selbst wenn ich dafür verantwortlich wäre, so müsste ich auch die Schuld für diese Verantwortlichkeit tragen et cetera – ad infinitum. Am Ende wäre ich verantwortlich für das gesamte Universum. Wie Atlas den ganzen Kosmos tragen musste, so würde das Gewicht der Welt auf den Schultern jedes Menschen ruhen.
Wenn meine Seele hingegen vollkommen frei wäre, wie einige Denker argumentieren, so wäre dies natürlich nicht der Fall. Doch dann wäre ich auf der anderen Seite für gar nichts verantwortlich, denn meine Seele wäre ja von nichts abhängig und somit von absoluter Kontingenz. Meine Gedanken und Handlungen würden sich vollkommen losgelöst manifestieren. Es wäre wie Michel Houellebecq in seinem Buch Gegen die Welt, gegen das Leben so einprägsam formuliert hat: „Und die menschlichen Handlungen sind genauso frei und sinnleer wie die freien Bewegungen der Elementarteilchen.“
Es gibt doch letztendlich nur zwei Möglichkeiten: Mein Ich ist zufällig oder mein Ich ist determiniert. Ist man nun in dem einen Fall freier als im anderen?
Zumindest empfinden wir uns als freie Wesen. Benjamin Libet führte Ende der Siebziger Jahre das berühmte, nach ihm benannte, Experiment durch, dessen Ergebnisse danach auch immer wieder bestätigt wurden.
Er wollte feststellen, wie viel Zeit vergeht zwischen der bewussten Entscheidung von jemandem etwas zu tun, der Aktivierung des entsprechenden Areals im Gehirn und der tatsächlichen Bewegung. Erstaunlicherweise stellte er fest, dass die willentliche Entscheidung für eine Handlung deutlich nach dem Auftreten des entsprechenden neuronalen Prozesses einsetzte. Dieses Resultat wurde in den vergangenen Jahrzehnten mehrmals von verschiedenen Wissenschaftlern in diversen Versuchsanordnungen reproduziert.
Es gab außerdem mehrere Studien, bei denen Hirnbereiche direkt gereizt wurden und die Patienten daraufhin von dem Willen berichteten beispielsweise ihren Arm zu heben. War der elektrische Impuls stark genug kam es auch vor, dass sie die Bewegung tatsächlich ausführten.
In einem wissenschaftlichen Artikel wurde beschrieben, dass eine Person jedes Mal anfing zu lachen, wenn ein bestimmter Abschnitt im Kortex stimuliert wurde. Und wenn sie gefragt wurde was so lustig sei, nannte sie auch immer einen Grund, der aber natürlich von ihr selbst im Nachhinein erfunden worden war (z.B. „Sie sehen komisch aus.“). Trotzdem war sie felsenfest überzeugt, dass dies die Ursache für ihre Heiterkeit sei.
Die Fälle von Split-Brain-Patienten zeigen ein ähnliches Muster. Solche Menschen haben sich einer Operation unterzogen, bei der die Verbindung zwischen den beiden Hirnhälften durchtrennt wurde, um besonders schwere epileptische Anfälle zu verhindern. Experimente zeigten, dass, wenn man solchen Patienten Bilder so vorführte, dass diese nur jeweils von einer Hirnhälfte wahrgenommen werden, sie nur verbal beantworten konnten was abgebildet ist, wenn sich das Sprachzentrum in der entsprechenden Hemisphäre befand. Zeigte man die Bilder der anderen Hälfte des Gehirns, so behaupteten die Probanten, dass sie überhaupt kein Bild sehen. Gab man ihnen jedoch die Möglichkeit als Antwort auf ein gleiches Bild direkt vor ihnen zu zeigen, so taten sie es dennoch ohne zu zögern. Fragte man dann nach dem Grund dafür, konnte natürlich wieder nur die Gehirnhälfte, die für Sprache zuständig ist und angeblich überhaupt nichts sieht, antworten. Ergebnis waren Fantasiegeschichten, an deren Wahrheit die Personen aber keinerlei Zweifel hatten.
Wir wissen also eigentlich nie, warum wir etwas tun. Und zwar aus dem gleichen Grund, aus dem wir nichts darüber sagen können, warum irgendetwas geschieht (sofern es überhaupt Gründe für Ereignisse gibt). Wir konstruieren uns Erklärungen, von denen wir annehmen, sie bedürften keiner weiteren Begründung. Ludwig Wittgenstein hat das im Tractatus unter 6.371 und 6.372 folgendermaßen formuliert: „Der ganzen modernen Weltanschauung liegt die Täuschung zugrunde, dass die so genannten Naturgesetze die Erklärungen der Naturerscheinungen seien. So bleiben sie bei den Naturgesetzen als bei etwas Unantastbarem stehen, wie die Älteren bei Gott und dem Schicksal.“
Die Modelle der Naturgesetze sind lediglich abstrakte Repräsentationen der vorgefundenen Phänomene. Sie machen Vorhersagen, aber sie fragen nicht nach dem Wesen des Beschriebenen.
Genauso bleibt der Alltagsverstand beim Willen stehen, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, wie ich wollen kann was ich will.
Wie kommt etwas in meinen Kopf? Wie kann das lebendige Bild der Welt, welches mich in jedem Augenblick erfüllt, aus elektrischen und chemischen Signalen in meinen Nerven entstehen? Wie kann dieser Klumpen Materie in meinem Schädel, mein sinnliches Erleben und mein Wollen erschaffen, die sich mir mit solcher unmittelbaren Klarheit offenbaren?
Wenn bestimmte Neuronen aktiv werden, dann sehe ich die Farbe Rot. Doch wenn ich daraus ableite, dass die Gehirnaktivität identisch mit meiner Wahrnehmung ist, dann könnte ich auch ebenso gut postulieren, dass die Lichtwellen, die mein Auge treffen, identisch mit den Impulsen in meinen Nerven sind.
Wo befindet sich meine Rotempfindung? Dort wo auch mein Wille sitzt? Womöglich in meiner Seele? Doch wie würde dann mein Körper mit meiner Seele kommunizieren? Sind sie vielleicht beide mentaler Natur?
Es muss jedenfalls etwas grundlegend falsch sein mit der reduktionistischen Vorstellung davon, wie unsere Welt beschaffen ist. Könnte sich die Quelle jeglicher starker Emergenz dem rational Zugänglichen entziehen? Logik und Kausalität stoßen schließlich irgendwann an ihre Grenzen. Aus an sich masselosen Teilchen (nach dem Standardmodell der Elementarteilchenphysik) bilden sich makroskopische Strukturen und es entsteht unsere materielle Welt. Aus dem Nichts entstehen Quanten, offenbar vollkommen losgelöst von Raum und Zeit.
Logik und Kausalität hingegen benötigen Raum und Zeit:
Die Unsicherheit des Wissens über die Zukunft ist äquivalent zu der Unsicherheit darüber, was gerade in diesem Moment zum Beispiel auf der anderen Seite der Erde passiert. Und die Sicherheit des Wissens über die Vergangenheit ist äquivalent zu der Sicherheit darüber, was gerade vor meinen Augen geschieht. Diese Beziehung kann man sich mit Hilfe des Konzepts von induktiver und deduktiver Logik aus der Erkenntnistheorie verdeutlichen.
Induktive Logik ist das Schließen von Erfahrungen auf Ereignisse, die mir noch nicht bekannt sind. Deduktive Logik ist hingegen das Schließen von Erfahrungen auf implizierte Ereignisse. Induktives Schließen beschäftigt sich also mit Kausalität. Beispielsweise: „Die Sonne ist bisher jeden Tag aufgegangen. Wird sie morgen aufgehen?“ oder „In meiner Wohnung ist es kalt. Ist es draußen kalt?“. Deduktion ist Logik in einem strengeren Sinne. Sie postuliert keine Kausalzusammenhänge, sondern Identitätszusammenhänge. Deduktiv wäre: „Die Sonne ist bisher jeden Tag aufgegangen. Ist sie gestern aufgegangen?“ oder „In meiner Wohnung ist es kalt. Ist es in meiner Küche kalt?“. Man sieht hier die Gleichwertigkeit von Raum und Zeit.
Man kann sich diese Gleichwertigkeit allgemeiner so vorstellen:
Die Raumzeit ist ein vierdimensionales System, bestehend aus drei Raumdimensionen und einer Zeitdimension. Ein Raumpunkt manifestiert sich darin als eindimensionale Linie (die drei Raumdimensionen wurden subtrahiert). Ein Zeitpunkt als dreidimensionaler Körper (die eine Zeitdimension wurde subtrahiert). Ein Punkt im Raum zu einer bestimmten Zeit entspricht einem nulldimensionalen Punkt (die vier Raumzeitdimensionen wurden subtrahiert). Um mich im Raum zu bewegen muss ich mich auch in der Zeit bewegen, denn es kostet Zeit ihn zu überbrücken. Und analog muss ich mich im Raum bewegen um mich in der Zeit zu bewegen, denn Zeit ist nichts anderes als Veränderung. Würde ich eingefroren an ein und demselben Ort verbleiben, so verginge keine Zeit für mich. Bei einem Punkt in der Raumzeit wurden aber, wie erklärt, alle vier Raumzeitdimensionen subtrahiert. Ein solches dimensionsloses Objekt ist also nicht an die Gesetzmäßigkeiten der vierdimensionalen Welt gebunden. Das könnte erklären warum es nicht möglich scheint Quantenmechanik und allgemeine Relativitätstheorie zu vereinen.
Die Schwierigkeit kann man sich mit folgendem Gedankenexperiment vor Augen führen:
Verschiedenheit im Raum ist die Natur des Raumes. Wäre ein Punkt im Raum vollkommen identisch mit allen Punkten im Raum, so gäbe es logischerweise nur diesen einen Punkt. Damit wäre die Raumzeit, wie oben bereits erwähnt, auf eine eindimensionale Linie der Zeit reduziert. Andererseits wäre die Zeit ohne Verschiedenheit von dem befreit, was wir Veränderung bzw. Bewegung nennen, und somit die Raumzeit zu dem beschriebenen regungslosen dreidimensionalen Körper erstarrt.
Das Rätselhafte ist nun, dass es Verschiedenheit sowohl im Raum als auch in der Zeit gibt, denn die oben genannten Fälle finden wir nicht vor, andererseits muss es aber anscheinend auch dimensionslose Punkte in der Raumzeit geben, aus denen sich diese aufbaut. Schon Zenon von Elea hat im fünften Jahrhundert vor Christus die Problematik solcher Gedankengänge mit seinen Paradoxien, wie etwa der Geschichte von Achilles und der Schildkröte, aufgezeigt:
Bei einem Rennen zwischen dem schnellen Achilles und der langsamen Schildkröte, wird der Schildkröte ein Vorsprung gewährt. Versucht Achilles nun sie einzuholen, so kann er zwar den Vorsprung der Schildkröte aufholen, aber in der Zeit, die er dafür benötigt, hat die Schildkröte einen neuen Vorsprung gewonnen. Holt er diesen auf, geschieht das Gleiche erneut. Egal wie oft er den Vorsprung aufholt, die Schildkröte hat immer Zeit um eine weitere Strecke zurückzulegen. Das heißt er kann sie niemals einholen.
In den Jahrtausenden seitdem dieses Gedankenexperiment formuliert worden ist, haben sich einige der größten Denker der Menschheit die Köpfe darüber zerbrochen, warum das beschriebene Szenario in unserer Welt nicht eintritt.
Die Erfindung der Infinitesimalrechnung hat niemals, wie vielfach behauptet, das Paradoxon aufgehoben. Man hat nur beschlossen seine Widersprüchlichkeit zu ignorieren. Aus einer „Tendenz“ von Achilles die Schildkröte einzuholen, wird dort plötzlich das tatsächliche Eintreten gefolgert. Dass ein Problem mathematisch gelöst wurde, heißt nicht, dass es auch philosophisch gelöst wurde. In der Mathematik arbeitet man mit Axiomen und kann durchaus Probleme wegdefinieren.
Die zentrale Frage bleibt jedenfalls bestehen: Wie kann man eine unendliche Menge an Strecken abschreiten?
Bestünde die Raumzeit nur aus unendlich vielen ausdehnungslosen Raumpunkten, so könnte sich theoretisch nichts darin von der Stelle rühren, da immer ein Punkt mehr überwunden werden müsste bevor die Bewegung einsetzt. Und bestünde sie aus unendlich vielen ausdehnungslosen Zeitpunkten, so wäre dasselbe der Fall, da die Veränderung unendlich klein wäre. Erst die Einheit von Raum und Zeit überwindet dieses Hindernis, indem sie eine Korrespondenz von dem Raum, den man zurücklegt, mit der Zeit, die vergeht, erschafft. Innerhalb dieser Verbindung kann es keine nulldimensionalen Objekte mehr geben. Obwohl der Raum als solcher und die Zeit als solche aus nulldimensionalen Punkten zusammengesetzt sind, kann man innerhalb unserer Raumzeit nur zu einem nulldimensionalen Punkt gelangen, wenn man die Raumzeit verlässt (alle vier Raumzeitdimensionen subtrahiert). Oder anders ausgedrückt: Das Nichts kann nur außerhalb von allem Sein liegen. Und doch kommt dieses aus dem Nichts.
Es scheint wahr zu sein: Das Ganze ist letztlich mehr als die Summe seiner Teile.
Werden die Bedingungen der Raumzeit verletzt, das heißt verlässt man die Einheit aus Raum und Zeit, so wird auch Logik und Kausalität überwunden. Objekte können dann existieren ohne durch irgendetwas verursacht worden zu sein. Würde etwa jemand aus der Zukunft mit Hilfe einer Zeitmaschine in die Vergangenheit zurückreisen und dem Zeitmaschinen-Erfinder in spe die Bauanleitung für diese geben, dann wäre die Idee der Zeitmaschine aus dem Nichts entstanden.
Vielleicht ist alles Mystische (die Welt, das Leben, der Wille usw.) von solcher Art.
In Mythen und Religionen wird gesagt: Am Anfang war das Chaos und aus dem Chaos entstand die Ordnung. Aber sie entstand nicht aus ihm in dem Sinne, dass sie durch das Chaos verursacht worden ist. Das kann nicht sein, da es kein Ursache-Wirkungs-Verhältnis im Chaos gibt (sonst wäre es nicht chaotisch im strengsten Sinne). Die Ordnung kommt auch nicht nach dem Chaos, denn es gibt kein Vorher und Nachher im Chaos. Genauso wenig wie ein Außen und Innen. Es ist eine Gottheit, die Ordnung erschafft. Und sie erschafft sie nur durch ihr Vorhandensein: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.“
Der Wille erhebt sich aus dem dunklen Meer, wie eine Insel im Nichts.
Der Schluss, den ich hier ziehen muss, ist demnach, dass mein freier Wille nicht mit den Gesetzen von Logik und Kausalität erklärt werden kann.
Um sinnvolle Aussagen machen zu können, muss ich jedoch auf Logik und Kausalität zurückgreifen. Ansonsten gäbe es kein Richtig und Falsch mehr.
Was kann ich also über die Welt und mich in ihr sagen? Ich kann sagen: Die Welt ist unvollständig. Denn es kann keine Menge aller Mengen geben. Man stelle sich etwa eine Schachtel vor, die alles enthält. Das hieße, dass sie sich auch selbst enthalten müsste und führt zu Widersprüchen. Alles kann also nicht existieren.
Wenn nichts alles ist, dann ist alles nichts.
Ich bin nichts.
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