„In ihrer Nähe gibt es nur sie, in ihrer Nähe beginnt der Wahn.“, lässt Max Frisch seinen Montauk über die junge Verlagsangestellte Lynn sinnieren. Auch wenn die Erzählung nur Fiktion ist, so könnte sie doch einen großen Anteil Wahrheit beinhalten. Wahrheit über seine Beziehung zu einer Frau, deren bildhafte Lyrik „in ihrer Mischung aus Sinnlichkeit und Intellektualität“ fasziniert, die viele Leben gleichzeitig lebte, dabei aber immer darauf bedacht war, dass keines vom anderen wusste: Ingeborg Bachmann. Ingeborg Gleichauf, die mich schon in ihren Biografien über Max Frisch, Simone de Beauvoir und Hannah Ahrendt begeisterte, dringt erneut in den „Zwischenraum aus ungelebten Möglichkeiten“, in die „Reste von Vergangenem“ ein, um die wohl herausforderndste Liebesbeziehung, die Max Frisch einging, zu beleuchten. Eine Begegnung, die sowohl für Bachmann als auch Frisch äußerst prägend war und deren extreme Erfahrungen in beider Arbeit einflossen.
„Hat nicht jede erste Begegnung ihre ganz eigene, besondere Vorgeschichte? Und wenn diese erste Begegnung den Beginn einer Liebesbeziehung markiert, wie groß ist dann erst die Bedeutung dessen, was vorher geschah oder auch gerade nicht, die Geschichte der Wünsche, Sehnsüchte, überhaupt der ganze Vorstellungs- und Gefühlskosmos, der sich auftut, wenn es um ich und du geht. Noch um ein Vielfaches komplizierter, schillernder, facettenreicher wird es, wenn der Blick sich richtet auf die Beziehung zweier Dichter oder Schriftsteller.“ Ingeborg Gleichauf berichtet in ihrer unvergleichlich romanesken, analysierenden Art über den verwirrenden, vieldeutigen Anfang, die gemeinsamen Jahre, bis hin zur Trennung, über die Frisch selbst schrieb: „Das Ende haben wir nicht gut bestanden, beide nicht.“ Sie lässt den Leser an den Höhen und Tiefen dieser ungewöhnlichen, explosiven, großen Liebe teilhaben. Wunderbar gelingt es ihr, an den Schauplätzen Paris, Zürich und Rom Bilder auftauchen zu lassen, Stimmen hörbar zu machen und sie vor dem inneren Auge des Lesers auszubreiten. „Die Vergangenheit schiebt sich über die Gegenwart. Auf der Bühne des Gedächtnisses wird ein Stück aufgeführt.“
Gleichauf berichtet vom steten Schreiben Bachmanns und Frischs „gegen den Andrang der Welt, gegen die Ansprüche anderer Menschen“, das durchaus ein Schreiben „aus Notwehr gegen die eigenen Ängste und Unsicherheiten“ war. Beide sind Meister „im Anfangen, im Entwurf ungeahnter Möglichkeiten“. Doch der Boden auf dem sich die zwei Liebenden bewegten, erwies sich mehr als brüchig. Trotzdem kämpften sie um ihre Beziehung und bäumten sich vehement gegen das Scheitern auf, wie die Autorin feststellt. Immer wieder wirft die Autorin Fragen in ihrem Text auf: Wer sind sie denn wirklich, diese Ingeborg Bachmann und dieser Max Frisch? Was zeigten und was versteckten sie? Inszenierten sie sich oder das was man von ihr sehen wollte nur? Ingeborg Gleichauf kitzelt die vielen widersprüchlichen Ansichten ihrer beiden Protagonisten heraus, stellt sie gegeneinander, um irgendwo dazwischen das Quäntchen Wahrheit zu finden. Dabei tritt in ihren Texten ein Ton zutage, der die Schwingungen aus Wirklichkeit und Fantasie, von denen das Paar getragen wurde, nachvollziehbar macht.
Der Blick auf die Beziehung bleibt natürlich ein vermittelter, „gebunden an die Werke, die in dieser Zeit und danach entstehen, und auch an die Werke, die bereits erschienen sind. Sie tragen nicht bei zur Wahrheitsfindung, was das Faktische betrifft, aber sie können etwas zeigen. Sie regen die Vorstellungskraft an. Die Beziehung wird lesbar.“ Zwar nur in Ansätzen und Momentaufnahmen, aber trotzdem gelingt der Autorin eine Annäherung an das „explosive Zwischen-den-Beiden“. Dazu gibt sie neben den Hauptfiguren in diesem Drama weiteren Mitspielern eine Stimme. Das sind zum einen natürlich deren Kunst, aber auch die öffentliche Meinung und vor allem die Schauplätze, an denen sich Bachmanns und Frischs Leben abspielte. Denn beide waren Reisende auf der Suche nach Orten, wo sie länger oder vielleicht für immer verweilen hätten können. Geschickt arbeitet Ingeborg Gleichauf hierbei vor allem das unterschiedliche Erleben heraus.
Fazit: Das Buch – ergänzt durch einige Fotos – liest sich fast wie ein Roman und ist doch sehr detailgenau und differenziert. Es ist der Autorin ohne waghalsige Spekulationen, sondern durchaus mit kritischem Abstand gelungen, die Beziehung von Max Frisch und Ingeborg Bachmann mit ihren jeweiligen Romanen, Theaterstücken oder Gedichten zu verzahnen: eine durchgehend geschickte Verflechtung von Beschreibung und Analyse, ein authentisches Werk und zuweilen ein „beängstigendes In-die-Nähe-Kommen zum Atmosphärischen im Leben des Liebespaares Bachmann und Frisch“. Obwohl der Text mit viel Sympathie für die beiden Protagonistin geschrieben und deren Annäherung sehr persönlich gestaltet wird, vereinnahmt Ingeborg Gleichauf sie weder, noch verklärt sie sie zu Helden. Aber sie versetzt sich ganz tief in Frischs und Bachmanns Denk- und Verhaltensweisen. Gerade dadurch holt sie faszinierende und streitbare Persönlichkeiten an die Oberfläche, die letztendlich beinahe persönlich zum Leser sprechen und ausrufen: „Alles ist offen, und nichts ist geklärt“ im „Kunstwerk Liebe des Dichterprinzenpaares“.
Ingeborg Gleichauf
Ingeborg Bachmann und Max Frisch
Eine Liebe zwischen Intimität und Öffentlichkeit
Piper Verlag (Oktober 2013)
224 Seiten, Gebunden
ISBN-10: 3492054781
ISBN-13: 978-3492054782
Preis: 19,99 EUR
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