Das „Geschäft mit der Angst“.[1] Islamfeindlichkeit in der BRD nach den Anschlägen in Frankreich

Am 7. Januar 2015 wurde ein Anschlag auf die Mitarbeiter im Redaktionsbüro der Satirezeitschrift Charlie Hebdo im Zentrum von Paris verübt, bei dem zwei maskierte Männer bewaffnet mit Sturmgewehren in die Redaktionsräume eindrangen und zwölf Menschen töteten. Die Täter verschanzten sie sich schließlich nordöstlich von Paris in einer Druckerei. Ein weiterer Täter nahm am 9.1.2015 mehrere Geiseln, von denen er vier noch während der Geiselnahme erschoss. Er forderte freien Abzug für die Charlie Hebdo-Attentäter und drohte mit der Tötung aller Geiseln. Bei der koordinierten Erstürmung der beiden Schauplätze am frühen Abend durch die Polizei wurden alle drei Attentäter, die sich zum IS bekannten, getötet, die weiteren Geiseln blieben unversehrt. Nach dem Anschlag kam es noch am selben Abend und den darauf folgenden Tagen in zahlreichen französischen und anderen europäischen Städten zu spontanen Solidaritätskundgebungen. Am 11. Januar beteiligten sich im Land schließlich mindestens 3,7 Millionen Menschen an Trauermärschen, davon etwa 1,2 bis 1,6 Millionen am zentralen Trauermarsch in Paris, an dem auch die französische Regierung und 50 Staats- und Regierungschefs teilnahmen.
Am 15.1.2015 hatte die belgische Polizei mit einem großangelegten Anti-Terror-Einsatz Anschlagspläne angeblicher Terroristen vereitelt. Im Grenzgebiet zu Deutschland wurden zwei Terrorverdächtige bei einem Schusswechsel getötet, ein dritter überlebte. Nach Angaben der Ermittler stünde ein größerer Terrorakt unmittelbar bevor.
In Berlin durchsuchten Ermittler am 16.1.2015 im Auftrag des Generalstaatsanwalts elf Wohnungen in mehreren Stadtteilen und nahmen mehrere Menschen fest, die im Verdacht stünden, für den Kampf des IS in Syrien geworben zu haben. Am 19.1.2015 wurde wegen „Terrorgefahr“ die geplante Pegida-Demonstration verboten. Es habe Morddrohungen gegen den Organisator des Pegida-Aufmarsches, Lutz Bachmann, gegeben. Nach Angaben der Polizei wurden unbekannte Täter auf Twitter in arabischer Sprache dazu aufgerufen, sich unter die Pegida-Versammlung zu mischen, um einen Anschlag zu verüben.[2]
Der Zentralrat der Muslime in Deutschland organisierte nach den Anschlägen in Frankreich eine Mahnwache für ein „weltoffenes und tolerantes Deutschland und für Meinungs- und Religionsfreiheit“[3] Damit sollte der insgesamt 17 Terroropfer in Paris gedacht und islamfeindlichen Bestrebungen entgegengetreten werden. Die Bundesregierung mit Kanzlerin Merkel, alle im Bundestag vertretenen Parteien, der französische Botschafter Philippe Etienne sowie Vertreter der jüdischen Gemeinde und der christlichen Kirchen nahmen an der Kundgebung m 13.1.2015 teil. Nach Angaben der Polizei verfolgten etwa 10 000 Menschen vor dem Brandenburger Tor die Kundgebung. Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, sagte in seiner Begrüßungsrede: „Die Terroristen haben nicht gesiegt, und sie werden nicht siegen. Wir werden es nicht zulassen, dass unser Glaube missbraucht wird. Wir werden es nicht zulassen, dass unsere Gesellschaft von Extremisten, die nur das Ziel haben, Hass und Zwietracht zu stiften, auseinandergerissen wird.“ Der katholische Berliner Weihbischof Matthias Heinrich und der evangelische Bischof Markus Dröge riefen dazu auf, den „Dialog der Religionen“ fortzusetzen. Angela Merkel nahm auch endlich in ihrem Ausspruch „Der Islam gehört zu Deutschland“ die real existierende interkulturelle Gesellschaft zur Kenntnis.
Dieses wichtige und lobenswerte Zeichen für ein friedliches und respektvolles Zusammenleben aller Religionsformen und atheistischer Ausprägungen wird jedoch schon lange vor den Anschlägen in Paris nicht von einer Mehrheit geteilt.
Schon seit Jahren wurde immer wieder festgestellt, dass Hetze gegen Migranten seinen Ursprung nicht am „rechtsextremen“ Rand hat, sondern in der sich demokratisch bezeichnenden „Mitte“ der Gesellschaft. Dieser „Extremismus der Mitte“ äußert sich besonders beim Phänomen antimuslimischer Rassismus: Die von der Friedrich-Ebert-Stiftung herausgegebene Studie[4] über extrem rechte Einstellungen in der Bundesrepublik zeigte, dass 9% der deutschen Bevölkerung demnach ein geschlossenes extrem rechtes Weltbild besitzen. Jede vierte befragte Person bekannte sich zu ausländerfeindlichen Äußerungen, wobei Personen über 60 Jahre und Arbeitslose die höchsten Werte besaßen. Im Vergleich zu Westdeutschland, wo jeder fünfte Befragte ausländerfeindliche Einstellungen offenbarte, war die Quote im Osten mit fast 39% ungleich höher. Dabei zeigte sich, dass die Ausländerfeindlichkeit in solchen Gegenden besonders hoch ist, wo kaum Migranten leben. In Stadtstaaten wie Berlin oder Hamburg fanden sich deutlich weniger rassistische Sichtweisen wie in ländlich geprägten Flächenländern wie Mecklenburg-Vorpommern. Der antimuslimische Rassismus ist in Bundesrepublik in allen Gesellschaftsschichten vertreten. Diese Spielart des Rassismus wird nicht mehr in biologistischer Weise vorgetragen, sondern verschiebt sich auf die kulturelle Ebene. 57,5% der Befragten behaupteten eine Rückständigkeit des Islam, 56,3% halten ihn für eine „archaische Religion“.
Kurz nach dem Anschlag auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ in Paris fühlen sich mehr Menschen „vom Islam bedroht“. Bei einer Befragung der Bertelsmann-Stiftung macht „der Islam“ 57% der deutschen Bevölkerung Angst. Paradoxerweise ist in Sachsen und Thüringen, wo die wenigsten Muslime in Deutschland leben, das subjektive Bedrohungsgefühl mit 70% am höchsten. In Nordrhein-Westfalen, wo viele deutsche Muslime leben, empfinden 46% so.[5]
Seit den Anschlägen vom 11.September 2001 steht „der Islam“ immer wieder mal im Zentrum der öffentlichen Debatte. Die Ermordung des niederländischen „Islamkritikers“ Theo van Gogh 2004, Selbstmordattentate in verschiedenen Gegenden der Welt oder die Diskussion um das Buch „Deutschland schafft sich ab“ von Thilo Sarrazin 2010 führten oft zu einer negativen Darstellung von Muslimen in den Medien.
In oft vereinfachender und hetzerischer Weise wird eine „Islamisierung“ als Bedrohung für die westlichen Einwanderungsgesellschaften konstruiert. Der Islam wird als monolithischer Block gesehen und mit den negativen Attributen militant, totalitär, antidemokratisch und frauenfeindlich versehen. Unterschiedliche Glaubensvorstellungen bei Sunniten, Schiiten, Alewiten usw. oder die Auffassung eines säkularen Islams fehlen häufig in der Debatte. Negative unveränderliche Merkmale finden sich auch in der Wissenschaft. Efraim Karsh, Leiter des Programms für Mittelmeerstudien am King’s College der Universität London, stellte in seinem Werk „Imperialismus im Namen Allahs“[6] fest, dass islamische Reiche sich in der Geschichte als Imperien schlechthin verstanden hätten. Der Islamismus sei nicht als „Bruch“ mit der Geschichte des Islams zu verstehen, sondern als Bestandteil imperialen Denkens von Beginn an.
Die ständige Wiederholung der These, die christlichen europäischen Gesellschaften müssten sich gegen einen immer als fundamentalistisch und monolithisch verstandenen Islam wehren, dient dazu, religiöse Konkurrenzangst zu nationalisieren bzw. zu ethnisieren.[7]. Der Islam wird als existenzbedrohend für die deutsche Gesellschaft und ihre „nationale Identität“ dargestellt. In all diesen Szenarien taucht ein altbekanntes Muster auf; nämlich die Zurichtung der Gesellschaft nach Carl Schmitts Prinzipien der Freund-Feind-Bestimmung[8]: Als „Freunde“ werden in diesem Zusammenhang die Angehörigen der christlichen-abendländischen Kultur in Europa betrachtet. Die „Feinde“ sind die Angehörigen des islamischen Kulturkreises vor allem in den westeuropäischen Staaten.[9] Der totalitäre Islam in seinem Streben nach Weltherrschaft bedrohe das freie christlich-abendländische Deutschland und Europa.
Diese „Islamisierung“ gilt schon als ein fortgeschrittener Prozess, gegen den nun endlich etwas unternommen werden müsse. Dies lasse sich vor allem an der stärkeren Präsenz islamischer Gotteshäuser wie in Duisburg-Marxloh oder Köln-Ehrenfeld feststellen. Die „Islamisierung“ wird auch mit dem Diskurs um den demographischen Wandel verknüpft. Aufgrund der höheren Geburtenrate von Muslimen in der BRD und deren Einwanderung würde der Islam in ein paar Generationen die politische Macht in Deutschland übernehmen.
Eine einheitliche „islamische Kultur“ gibt es aber nicht und dient nur als Konstruktion, um Komplexität zu reduzieren. Dass es verschiedene Auslegungen des Islams gibt, wird häufig nicht beachtet. Zu dieser Strategie schreibt Uta Kural:[10] „Das Feindbild Islam war seit den Kreuzzügen bis zu den Konflikten mit dem Osmanischen Reich immer vorhanden. Man brauchte nur das latent vorhandene Feindbild aus dem kulturellen Gedächtnis hervorzuholen.“
Anfang Oktober 2014 kam es in der Kölner Innenstadt zu einer Demonstration von ca. 5.000 rechten Hooligans unter dem Motto „Hooligans gegen Salafisten“ (HogeSa), die von Ausschreitungen überschattet wurde. Das Bündnis „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (Pegida) protestiert schon seit mehreren Wochen vor allem in Dresden mit mehreren zehntausend Teilnehmern in der Tradition der Montagsdemonstrationen gegen eine „Islamisierung Europas“. Die dort auch angesprochenen Themenbereiche „nationale Identität“ und „Asylmissbrauch“ sind eng mit dem Postulat gegen „Islamisierung“ verknüpft. Rechte Hooligans der Dresdener Gruppierungen„Faust des Ostens“ (FdO) und „Hooligans Elbflorenz“ (HE) nehmen nachweislich regelmäßig an den Demonstrationen teil, ohne dass diese Schnittstellen von Pegida und HoGeSa thematisiert werden. Die dort beobachteten ethnisch-rassistischen Identitätskonstrukte lassen sich nach dem Wissenschaftler Alexander Häusler folgendermaßen zusammenfassen:[11]
Gleichsetzung von ethnischer Herkunft und Glauben sowie von Ethnie und Kultur;
Behauptung ethno-kultureller Unvereinbarkeit („Abendland gegen Morgenland“);
Überschneidung von kulturellen mit demographischen Untergangsprophezeiungen („demographische/kulturelle Landnahme“);
Pauschalzuschreibung unabänderlicher Wesensmerkmale (frauenfeindlich, unehrlich, machtbesessen etc.);
Rassistische Verklärungen (Muslim=Ausländer=Islamist=Eroberer);

Die AfD sieht in der Pegida-Bewegung eine Chance für die Stabilisierung und Mobilisierung von Wählerpotentialen und bietet den Demonstranten in Dresden und anderswo eine parteipolitische Verankerung. Der AfD-Landesvorsitzende in Brandenburg, Alexander Gauland, betonte: „Wir sind die ganz natürlichen Verbündeten dieser Bewegung“.[12]
Ob diese rassistische Stimmung mit dem Mord an am 13.1.2015 tot aufgefundenem Asylbewerber Khaled Idris in irgendeinem Zusammenhang steht, kann nicht sicher beantwortet werden.
Diese Konstruktion vom „Untergang des Abendlandes“ durch die „Islamisierung Europas“ dient schon seit Jahren den extrem rechten Parteien als Aufhängerthema für ihre Hetze gegen den interkulturellen Frieden in der BRD. Vor allem konservative Kreise nähern sich immer mehr der Agitation der extremen Rechten an, um in Hinblick auf die Wahlen 2015 nicht ins Hintertreffen zu geraten. Daher ist eher mit eine Zunahme und Verstetigung des antimuslimischen Rassismus auf hohem Niveau in der näheren Zukunft zu rechnen.

[1] Der FPÖ-Abgeordnete Eduard Manoni bezeichnete so in einem Interview die Strategie seiner Partei in Bezug auf das Thema „Islamisierung“.
[2] Aachener Nachrichten vom 19.1.2015
[3] FR vom 13.1.2015
[4] Decker, O./Kiess, J./Brähler, E. u.a.: Die Mitte im Umbruch. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2012, Bonn 2012
[5] Aachener Nachrichten vom 9.1.2014
[6] Karsh, E.: Imperialismus im Namen Allahs. Von Muhammad bis Osama Bin Laden, München 2007
[7] Vgl. dazu Kornexl, K.: Das Weltbild der intellektuellen Rechten in der Bundesrepublik Deutschland. Dargestellt am Beispiel der Wochenzeitschrift Junge Freiheit, München 2008, S. 533f
[8] Carl Schmitt stellte fest: „Die spezifische politische Unterscheidung, auf welche sich die politischen Handlungen und Motive zurückführen lassen, ist die Unterscheidung zwischen Freund und Feind.“ (Schmitt, C.: Der Begriff des Politischen, Berlin 1963, S 26) Schmitt beschreibt in existentialistischer Weise die Freund-Feind-Gruppierungen. Der politische Feind ist derjenige, der durch sein bloßes Dasein für jemanden zur Gefahr wird.
[9] Shooman, Y.: Vom äußeren Feind zum Anderen im Inneren. Antimuslimischer Rassismus im Kontext europäischer Migrationsgesellschaften, in: Jäger, M./Kaufmann, H. (Hrsg.): Skandal und doch normal. Impulse für eine antirassistische Praxis, Münster 2012, S. 159-174, hier S. 159f
[10] Kural, U.:Imago Turci –Antiosmanische Propaganda, in Reulecke, J. (Hrsg.): Spagat mit Kopftuch, Hamburg 1997, 27-34
[11] http://www.sozialismus.de/heft_nr_1_januar_2015/detail/artikel/afd-zwischen-wettbewerbskorporatismus-und-rechtem-kulturkampf/
[12] Ebd.

Finanzen

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Dr. phil. Michael Lausberg, studierte Philosophie, Mittlere und Neuere Geschichte an den Universitäten Köln, Aachen und Amsterdam. Derzeit promoviert er sich mit dem Thema „Rechtsextremismus in Nordrhein-Westfalen 1946-1971“. Er schrieb u. a. Monographien zu Kurt Hahn, zu den Hugenotten, zu Bakunin und zu Kant. Zuletzt erschien „DDR 1946-1961“ im tecum-Verlag.

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