Vor 500 Jahren ist er gestorben, Der Malel und das Genie Raffael. Mitten im Leben hat ihn der dunkle Tod ereilt, ob Malaria oder doch die Pest – das bleibt umstritten. Doch sein letztes Werk „Verklärung Christi“ ist in Coronazeiten aktueller denn je. Wir erinnern an einen Ausnahmekünstler, der neben Leonardo da Vinci und Michelangelo der bedeutendste Maler der Renaissance war.
An einem Karfreitag, dem 6. April 1520, soll es gewesen sein, so berichtet Künstlerbiograph Giorgio Vasari, als Raffael mit 37 Jahren verstarb, genau an jenem Tag, an dem er 1483 in Urbino das Licht der Welt erblickte. Mythen ranken sich um seinen Tod; war er ein Opfer seiner Sexualität, seiner vielen amourösen Liebesexzesse, hatte er Burnout oder war es die Malaria, die aus den Sümpfen um Rom gefährlich-tödlich aufstieg? Die Fragen bleibt uns die Geschichte schuldig, doch in Zeiten wie in der Coronakrise lässt der Befund aufhorchen. Einer der berühmtesten Künstler der abendländischen Kultur Opfer von Mikroorganismen? Während Raffael mit dem fiebernden Tod rang, soll sich im Apostolischen Palast ein gefährlicher Riss aufgetan haben wie sich einst beim Tode Christi in Golgota die Erde auftat.
Geboren in der ländlichen Idylle, auf die Raffael später immer wieder als Vorbild seiner Landschaftsidyllen Bezug nehmen wird, hatte er nach dem Tod des Vaters, des Hofmalers und Dichters Giovanni Santi (1435–1494), die Werkstatt übernommen. Doch drängte es den jugendlichen Sanftmütigen, charmant, ein angenehmer Zeitgenosse ohne Starallüren soll er gewesen sein, in die Welt der großen Kunst, zu Michelangelo und Leonardo da Vinci. Mit ihnen wollte das nur so vor Kraft strotzende Kunstgenie in den Ring steigen, sie sollten bald seine Mitspieler beim triumphalen Einzug in den irdischen Olymp der Malergötter werden.
Renaissance heißt ja Wiederbelebung der Antike, „edle Einfalt, stille Größe“ hatte es einst Johann Joachim Winckelmann genannt. Wie sehr sich diese idealische Schönheit, vollkommene Harmonie zwischen Mensch und Natur miteinander versöhnen, dafür wird der Ausnahmekünstler Raffael in der abendländischen Kunst- und Kulturgeschichte stehen, das Genie, das am 6. April vor 500 Jahren gestorben ist.
Es waren bewegende Zeiten, in die Raffael hineingeboren wurde. Der Geist des tiefen Mittealters mit seinen Kommentaren und düsteren Andachts- und Heiligenbildern, mit dem abgöttischen Dogmatismus und einer die Ratio verleugnenden Theologie, die zwischen Verdammnis, Hölle, Gnadenlehre und Erbsünde den Menschen in seiner Freiheit rigoros beschnitt, war in den Zeiten, als die Medici in Florenz erblühten, Kunst und Individualität förderten, endgültig Schluss. Die Natur und der Mensch feierten eine Auferstehung – aus einer Synthese zwischen Platonismus und den Lehren des Aristoteles heraus.
Goldenes Zeitalter
Der Geist des Neuanfangs hatte damals Italien ergriffen. Gerade dieses Italien, das jetzt dramatisch an der neuen Coronapest leidet, war zwischen 1470-1530 der geistige Hort Europas, die lebendige Quelle, in der bereits vor der Aufklärung das Ich die kopernikanische Wende einläutete, den Himmel auf die Erde sog und die Welt in ihrer harmonischen Darstellung als Spiegelbild des Göttlichen feierte.
Die Philosophie entdeckte die Antike, die Theologie den Humanismus, den Menschen. Erasmus von Rotterdam, Lorenzo Valla, Marsilio Ficino, Bessarion, Georgios Gemistos Plethon Pico de la Mirandola sind die geistigen Lichtgestalten dieser Epoche ungeahnter Aufbruchstimmung. Im Bild „Die Schule von Athen“ in der Stanza della Senatura wird Raffael der Antike ein ewiges Denkmal setzen; würdigt den Menschen mit seinem Bild als animum rationale und sensuale. In „La disputa del sacramento“ um 1509/10 für die „Stanze di Raffaelo“ erschaffen, schöpft er ein großartiges theologisches Panorama von Mose bis hin zu Augustinus. Der göttliche Dante, Theologen und Heilige versammeln sich unter dem weit geöffneten Gotteshimmel. Damit vereint er systematisch die zwei großen Themen der Renaissance, Welt und Gott, Wissen und Glauben. Denn jetzt ging es nicht mehr nur um Gott, sondern um die Würde des Menschen, um eine neue Kosmologie, die ebenso die Naturwissenschaft wie die neue Technik der Druckgrafik zu ihren Verbündeten im Kampf gegen das Traditionelle machte.
Anstelle ikonenhafter Strenge trat die Grazie, die Anmut. Und Raffael war ihr Perfektionist. Zärtlichkeit und Melancholie, ruhige Landschaftsbilder entdeckten nicht nur die Natur als neues Sujet, sondern die in ihr waltende göttliche Harmonie. Auch mit seinen Porträts läutete Raffael eine Renaissance ein. Der Mensch als individuelle Person, als sinnlich-leibliche Schönheit trat in den Vordergrund, sanfte Gesichter, der offene Blick, die verletzliche und werdende Unschuld ersetzte die Ikonographie des Mittelalters.
Ewige Stadt Rom – ewiger Glanz
1508 in Rom angekommen, machte Raffael Karriere. Blitzartig stieg er zu den Größen der damaligen Zeit hinauf, zu dem rational-kühlen Leonardo da Vinci und dem melancholisch-schroffen Michelangelo. Der junge Raffael verdankte dem einen eine anatomisch geschulte Realistik, dem herkulischen Michelangelo hingegen die Kraft der großen Panoramen. Doch keiner konnte sie besser nachahmen, die Individualität der Dargestellten, das Persönliche in Mimik, Gestalt und virtuoser Bildsprache als er – in all seinen Historien- und Altarbilden. Selbst Papst Julius II. und den späteren Papst Leo X., ein Medici, hatte die Sprengkraft des Raffael in den Bann gezogen. Julius ließ Raffael in seinen Privaträumen, den Stanzen, freie Hand und der geistig eigenständige Künstler dankt es ihm mit einem Bildprogramm voller humanistischer Ideen, feierte seinen Lobeshymnus nicht auf den machtgierigen Papst, sondern verherrlichte das Wissen seiner Zeit und die Vision des gerechten Handelns. Doch alles bei Raffael wirkt leicht, unbeschwert, er malt die Welt in großen epischen Zügen, und selbst da, wo er Martyrien malt, betritt nie die Abgründigkeit des Bösen die Bühne, sondern über allem thront das Ideal der friedlichen Welt und schwebt wie ein versöhnender Baldachin darüber.
Auf der Suche nach Selbstvervollkommnung
In Rom feierte der Renaissancemeister seine Triumphe, nicht nur als Maler, sondern auch als Baumeister im Vatikan und als Antiken-Spezialist im Kirchenstaat, vollendete 1512/13 die „Sixtinische Madonna“. Papst Leo X. verpflichtete ihn als römischen Stadtarchäologen und nach dem Tod des Petersdomarchitekten Bramante mit dem Bau des damals größten Gebäudes der Welt. Raffael wurde zunehmend alles in einem – Baumeister, Historiker und Maler, alles dies lernend, mit einer Freude an Selbstvervollkommnung und kritischer Selbstsuche, aber am Ende immer vollkommen ideal. Genau dieses Ideal, die Natur durch die Kunst zu vollenden, war seinem Kunstbegriff geschuldet.
Allein die Kunst, so Raffael, besitzt den ästhetischen Wert an sich, denn sie vervollkommnet die unvollendete Natur. Nur sie ist imstande, die Schönheit zu offenbaren, weil Kunst Synthese zwischen Ratio und Sinnlichkeit bleibt, aber als intellektuelle Erfindung den Taktstock führt. Diese höhere Kunst bleibt eine „zweite Erfindung“ wie Goethe es später für die Gattungsfrage einfordern wird. Und dafür steht – auch für den Weimarer Dichterfürsten – nicht Leonardo und nicht Michelangelo, sondern Raffael, weil er Genius und Techniker, Idealist und Realist in einem war.
Und genau diese Synthese ist es, die uns nach 500 Jahren immer wieder von Raffael in den Bann ziehen lässt, jenes Genies, der 1520 an Fieberkrämpfen in Rom verstarb und im Pantheon beigesetzt wurde. Aus Angst vor der Malaria oder Pest hatte man die Beerdigungsrituale stark verkürzt, den Leichnam schnellstmöglich beigesetzt, um so möglicherweise eine Ansteckung anderer zu verhindern. Das liest sich in heutigen Zeiten von Corona brandaktuell.
Die „Verklärung Christi“ in Zeiten der modernen Pest
Und dennoch bleibt uns Raffael als der Schöpfer solcher Jahrtausendwerke wie der „Madonna del Granduca“, der „Madonna mit dem Stieglitz“, der „Sixtinischen Madonna“, der „Schule von Athen“ oder der „Vertreibung Heliodors“ als Genuis in kollektiver Erinnerung. Nicht nur weil er „naturgetreuer als die Natur selbst“ gemalt hatte, wie Künstlerbiograph Vasari attestierte, sondern auch wegen seines letzten Werkes, der „Verklärung Christi“ oder „Transfiguration“. Zwei Ereignisse aus dem Neuen Testament, erzählt von den Evangelisten Markus, Matthäus und Lukas, sind in der Komposition, die schon Züge des Manierismus trägt, dargestellt: Im oberen Teil die „Verklärung Christi“ auf dem Berg Tabor und im unteren Teil die Heilung des mondsüchtigen Knaben. Die obere Bildhälfte brilliert in Leuchtkraft, mit hellen, reinen Farben, die der Bildkomposition Symmetrie und Harmonie verleihen. Die untere Bildhälfte ist düster, dunkel, eine gedrängte Fülle von Menschen, Emotionen, ein irdisch verzweifeltes Verwirrspiel. Doch in den sich in viele Richtungen kreuzenden Kompositionslinien verdeutlicht sich das Spannungsfeld zwischen der heilenden Kraft des göttlichen Erlösers und der chaotisch-irdischen Welt. Sind die Apostel bei der Heilung des Knaben letztendlich gescheitert, bedarf es der Kraft Jesu’, auf den der in auffallendes Rot gekleidete Apostel zeigt, der einzig den Knaben zu heilen vermag. Transportieren wir diese Komposition auf das 21. Jahrhundert, auf die Coronapest, die in der ganzen Welt als Pandemie waltet, so lässt sich auch eine Conclusio zu: Den Himmel zu verleugnen, pure Säkularisierung und reine Technikaffinität werden dem Menschen nicht gerecht in der Stunde äußerster Not, denn der Heilung bedarf es auch Wunder, und diese Hoffnung teilen Menschen aller Religionen heute wieder im gemeinsamen Gebet. Und selbst wenn Gott uns nicht rettet, kommt diese Rettung vielleicht vom Menschen selbst, der als Stellvertreter Gottes zumindest die Gabe des Heilens in sich trägt. Raffael ist moderner als einem in diesen Zeiten lieb ist.
Fazit: Die enzyklopädische Weite des Renaissancemeisters bleibt über die Zeiten hinweg beeindruckend. In ihm war ein Wille am Werk, der mit ungeheurer Intensität den Geist der Antike wiederbelebte und ihn der Kultur der Neuzeit anverwandelte. Als Archäologe und als Erfinder neuartiger Baustoffe ist Raffael tätig gewesen, als Bühnenbildner und Teppichweber, Porträtist und Aktzeichner. Vor allem aber als machtvolles Genie der Form und des Maßes, dessen Schönheitskanon unvergänglich die Zeiten durchstrahlt. Seine „Verklärung Christ“ könnte uns wieder den Mut und die Hoffnung geben, die düstere Gegenwart in eine neue, aber vielleicht andere Heilsidylle zu transformieren.
Der Text erschien zuerst auf The European