„Menschliches Genom entschlüsselt!“ Diese Meldung schlug im Jahr 2000 ein wie eine Bombe. Die Berichterstattung beherrschte ein ganzes Jahr lang die Medien. Man sprach vom „Buch des Lebens“. Anlässlich dieser sensationellen Bekanntgabe verkündete der damalige US-Präsident Bill Clinton in einer Pressekonferenz das Ereignis der Weltöffentlichkeit mit folgenden Worten: „Mit diesem Tag lernen wir die Sprache, mit der Gott das Leben erschaffen hat“. Dies veranlasste Sidney Brenner, einen der Pioniere der Genforschung, zu einer vorlauten Bemerkung: „Und vielleicht ist die Bibel die Sprache, in der der Mensch Gott erschaffen hat“. Nun ist weder das Genom noch die Bibel eine Sprache, sondern bestenfalls ein geschriebener Text und auch die vollmundige Ankündigung der Wissenschaftler, dass es „nur noch ein kleiner Schritt zur Identifizierung der krank machenden Gene und in der Folge zu einer adäquaten Therapie dieser Bausteine des Lebens“ sei, ist mittlerweile in Ernüchterung unter den Genforschern umgeschlagen, stellt Kurt Langbein in seinem „Weißbuch Heilung“ fest.
„Das Genom ist längst entschlüsselt, aber die konventionelle Medizin versteht immer noch einen Großteil der Erkrankungen nicht. (…) tausendfache Versuche, mit diesen Ansätzen die großen Volkskrankheiten zu bekämpfen, sind gescheitert.“ Kommen die Signale, die in einer bestimmten Zelle Gene an- oder abschalten, vielleicht doch aus ganz anderen Regionen des eigenen Körpers? Gibt es eine geheimnisvolle Energie, die in uns fließt und die durch manche Menschen wahrgenommen und aktiviert werden kann? „Was hält uns länger gesund, was macht uns krank? Wie können wir vermeiden, krank zu bleiben oder an einer Krankheit zu sterben? Wie kommt Heilung zustande? Welche Rolle spielen dabei die Mediziner, welche andere Heiler? Wie heilen Heiler überhaupt? Gibt es Erklärungen für Heilungen, welche die Medizin unerklärlich findet? Welche Rolle spielen traditionelle, von der Schulmedizin abgelehnte Therapieformen tatsächlich?“
Kurt Langbein, medizinischer Wissenschaftsjournalist und selbst krebsbetroffen, hat sich in seinem Buch auf eine augenöffnende, individuelle und übergreifende Entdeckungsreise gemacht. Ein Parcours, der ihm ebenso fremd war wie auch mir und der in der eigenen schulmedizinischen geprägten Wahrnehmung bis dato ganz schnell in die Schublade der merkwürdigen fernöstlichen Heilmethoden oder von modernen Esoterik-Strömungen durchzogenen alten Naturkunde gesteckt wurde. Dabei besucht er neben Heilern und Psychoanalytikern auch anerkannte Wissenschaftler, wie zum Beispiel Neurobiologe, Arzt und Psychotherapeut Joachim Bauer, Epidemiologe Michael Marmot, Hirnforscher Gerald Hüther, den italienischen Neurophysiologe Fabrizio Benedetti oder den amerikanischen Immunbiologen Noah Palm.
Der in Budapest geborene österreichische Autor, der zudem eine bewegte Geschichte seiner Vorfahren erzählen kann, berichtet in kurzen, gut verständlichen und klar analysierten, hochinteressanten Kapiteln von Zellbewegung und -kommunikation in unserem Körper, von Spontanheilung, Placebo-Effekt, Schmerzforschung, den Einflüssen von Beziehungen, Stress, Empathie, Lebensrhythmen und Chronobiologie, von Meditation und Hypnose oder aber den vielen Irrtümern der Ernährungslehre, die Ernährungswissenschaftler Udo Pollmer in einem ZEIT-Interview so treffend persiflierte: „Ernährungsberatung ist vor allem eines: Gewalt von Frauen gegen Frauen.“
Eines wird in all den hochinteressanten Ausführungen, die sogar vor der Quantenphysik und dessen jüngstem Kind, der Existenz von Biophotonen, nicht Halt machen, mehr als deutlich: Unser Wissen und das ständige Überbetonen, welchen Einfluss Umweltfaktoren auf unsere Gesundheit haben, das Analysieren unserer Beschwerden und Gesundheitsprobleme in Röhren und mittels hochauflösenderer Fotografien ist nur eine Seite. Eine Medizin, „die den Körper nur als Maschine begreift, hat wenig Chancen, Nachhaltiges zu leisten.“, ist sich nicht nur der Autor sicher. Zum „Behandeln“ – dessen Wortstamm bereits darauf hindeutet – gehört noch mehr. Krankheit, da sind sich alle interviewten Personen einig, „entsteht primär, wenn das System Mensch nicht mehr in Balance ist. Und Heilung wird dann möglich, wenn Therapeuten den Patienten helfen, die ungünstige Konstellation in ihnen und um sie herum zu verändern und die Selbstheilungskräfte wieder zu aktivieren.“ Komplementärmedizin ist dabei ein Wort, dass man sich merken sollte. Diese Verfahren und Behandlungsmethoden, die (noch) nicht zur konventionellen Schulmedizin gehören und gerade in Universitätskliniken eine nahezu überwindbare Schlucht darstellen, ergänzen und unterstützen und stellen einen nicht zu unterschätzenden Anteil bei der Aktivierung der Selbstheilungskräfte dar.
Fazit: „Weißbuch Heilung“ versteht sich als leidenschaftliche Kritik gegen das verkürzte und verengte Denken der medizinischen Zunft. Es ist zugleich ein großes Plädoyer dafür, dass sich die Forschung endlich aus dem festen Griff der Medizin-Industrie, allen voran der Pharmaindustrie, lösen sollte. „Es ist der Geist, der sich den Körper baut“, heißt es in Friedrich Schillers „Wallenstein“. Kurt Langbein fügt hinzu: „Schritt um Schritt erkennt nun die Neurowissenschaft, wie richtig der Dichter – und ausgebildete Arzt – damit lag: Die Seele kann den Leib verändern.“ Ich persönlich würde nun nicht behaupten, dass es durch das Lesen dieses Buchs gleichfalls glückt, aber die eigene Denkweise erden, zum Nach- und vielleicht gar zum Umdenken bringen, DAS gelingt diesem hervorragenden Buch, dem ich – ganz im Gegensatz zu tatsächlichen virulenten Krankheiten – eine epidemieartige Verbreitung und akute Ansteckungsgefahr wünsche.
Kurt Langbein
Weißbuch Heilung
Wenn die moderne Medizin nichts mehr tun kann
Ecowin Verlag (Januar 2014)
207 Seiten, Gebunden
ISBN-10: 3711000428
ISBN-13: 978-3711000422
Preis: 22,95 EUR
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