In der Lehre vom dreieinen Gott gibt es einen Punkt, der die Orthodoxe Kirche von der westlichen Christenheit trennt. Es ist dies die Auffassung vom Ursprung des Heiligen Geistes. Während die orthodoxe Theologie am Wortlaut des Nizänischen Glaubensbekenntnisses von 381 n. Chr. festhält, der besagt, dass der „Geist vom Vater ausgeht“, hat die Kirche Roms nach anfänglichem Widerstreben den Zusatz „und vom Sohne“ (ausgeht) anerkannt. Dieser kam aus Spanien und wurde von Karl d. Gr. auf der Synode zu Aachen für das karolingische Reich eingeführt. In Rom selbst kam das filioque erst 1014 in den liturgischen Gebrauch. So obskur und spitzfindig diese Frage erscheinen mag, so ist sie doch nicht ohne Bedeutung. Denn eine Veränderung im Herzen der Theologie – dies ist nun mal das Mysterium des dreieinen Gottes – bleibt nicht ohne gravierende Folgen und Erschütterungen im Leben und Glauben der Kirche. Zunächst soll zu dieser Frage die Heilige Schrift und die Tradition der Kirche zu Wort kommen. Im Johannesevangelium sagt Christus: „Und ich will den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Tröster geben“ (Joh 14,16). Wenn der Heilige Geist hier der andere Tröster genannt wird, dann ist der Rückschluss, dass Christus der eine und erste Tröster ist, zulässig. Damit steht die volle Gleichordnung beider göttlicher Personen fest. In Joh 15,26 spricht Christus vorn Heiligen Geist, „… den ich euch senden werde vom Vater, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht“. Dies ist die entscheidende Stelle im Neuen Testament über den Ausgang des Heiligen Geistes, die nur den Vater als seinen Ursprung zulässt. Die Verbformen von „senden“ und „ausgehen“ bestätigen diese Aussage. Das Ausgehen steht in dieser Stelle im Präsens und geht damit dem Senden, das im Futur steht, voraus. In gleicher Weise bestätigt der Kirchenvater Irenäus von Lyon die Johannesstelle, wenn er vom Sohn und vom Geist als den beiden Händen Gottes spricht (Adv. Haer. IV). In dieser Tradition steht auch der Wortlaut des Nizäno-Konstantinopolitanischen Glaubensbekentnisses ohne das filioque, wie es auch vom Westen angenommen wurde. Somit zeigen die ersten vier Jahrhunderte eine einheitliche Tradition in der Lehre von der Dreieinheit Gottes. Erst durch das Aufkommen und die Anerkennung des filioque im Westen begann die theologische Abtrift Roms von der Tradition der Alten Kirche. Zum tieferen Verständnis der Glaubensunterschiede in der Lehre vom dreieinen Gott: Sie enthält das Mysterium von Einheit und Verschiedenheit. Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist sind „eines Wesens“, und doch ist jede der drei Personen von den beiden anderen durch personale charakteristische Kennzeichen unterschieden. „Die Gottheit ist unteilbar in ihren Unterscheidungen“ (Johannes Damascenus). Die Personen sind „vereint und doch nicht vermischt, unterschieden und doch nicht getrennt“ (Gregor von Nazianz). Wenn alle drei Personen unterschieden sind, was hält sie dann zusammen und macht ihre Einheit aus? Die Orthodoxe Kirche steht in der Tradition der Kappadozischen Väter, nach der die Einheit Gottes in der Monarchie des Vaters beruht. Die beiden anderen Personen haben ihre Herkunft aus dem Vater. Er ist der Ursprung, von keinem geboren, von keinem ausgehend. Der Sohn ist aus dem Vater geboren vor aller Zeit. Der Geist ist aus dem Vater hervorgegangen vor aller Zeit. An dieser Stelle weicht die römisch-katholische Kirche von der Tradition der Alten Kirche ab. Nach ihr geht der Geist vom Vater „und vom Sohne“ (filioque) aus. Der Vater ist nicht mehr das Band der Einheit, da der Sohn jetzt auch Ursprung ist. Rom begründet die Einheit Gottes mit seinem Wesen, also abstrakt, während die Orthodoxe Kirche sie personal begründet. Was aber heißt, „der Geist geht aus dem Vater hervor“? Die Orthodoxe Kirche glaubt, dass Christus zwei Geburten hatte: eine ewige, vor aller Zeit und eine zeitliche, an einem bestimmten Punkt in der Geschichte. Er wurde aus dem Vater geboren „vor aller Zeit“ und von der Jungfrau Maria damals in Bethlehem. In gleicher Weise muss eine klare Unterscheidung gemacht werden zwischen dem ewigen Hervorgehen des Geistes und seiner zeitlichen Mission. Ersteres betrifft die innergöttliche Beziehung, während zweite die Beziehung Gottes zur Schöpfung angeht.
Das Hervorgehen aus dem Vater ist das genuine Kennzeichen des Heiligen Geistes, während das Senden auch vom Sohn ausgesagt werden kann. Wenn die westliche Christenheit das Senden mit dem Hervorgehen des Geistes gleichsetzt, dann hat sie die innergöttlichen Beziehungen mit den zeitlichen Aktionen Gottes vermischt. – Ist damit nicht die Einheit der Gottheit, der eine Ursprung, gespalten in zwei unabhängige Ausgänge des Geistes „vom Vater und vom Sohn“? Ist nicht Gott dadurch in zwei Dyaden zerrissen? Wenn man zur Vermeidung dieser Spaltung sagt: Der Geist geht vom Vater und vom Sohn „gleichsam wie aus einem Prinzip hervor“ (Wortlaut des Unionskonzils von Lyon 1274), vermischt man dann nicht die Personen? Hat man den Ditheismus vermieden und landet im Semi-Sabellianismus (Gott Vater, Sohn und Geist sind nur drei verschiedene Aspekte des einen Gottes)? Die scholastische Theologie des Westens betont das Wesen Gottes auf Kosten der Personen. Gott wird so zu einem entfernten, unpersönlichen Begriff. Durch metaphysische Argumente wird versucht, ihn zu beweisen, ihn den Menschen wieder nahe zu bringen. Aber Gott ist nicht ein Gott der Philosophen, sondern der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Nicht durch Beweise, sondern durch Begegnung mit Ihm entsteht geistliches Leben. Ein anderes Problem des filioque ist, dass man im Westen durch die liturgischen Vollzüge den Geist aus seiner Aufgabe verdrängt. Er wird dem Sohn untergeordnet, wenn die Epiklese bei der Segnung der eucharistischen Gaben von Brot und Wein entfällt. Welche Gebete bezeugen die Funktion des Geistes im Stundengebet? Selbst unter römischkatholischen Theologen ist die Rede von einer „Entfunktionalisierung des Geistes“ (Michael Kunzler). Orthodoxe Autoren sehen diese zwei Konsequenzen des filioque:
– Überbetonung der Einheit Gottes und
– Unterordnung des Geistes.
Diese beiden Züge haben auch eine Veränderung der kirchlichen Struktur nach sich gezogen. An die Stelle des Geistes, der die Kirche durch die Konzilien, Synoden und insbesondere die Heiligen in alle Wahrheit führt, ist eine Zentralisierung der Hierarchie getreten.
In der orthodoxen Ikonographie thront der Geist als Vorsitzender des Konzils in dessen Mitte auf einem Thron mit dem Evangeliar. Wie in der Auffassung von der Dreieinheit Gottes im Westen die Einheit auf Kosten der Verschiedenheit betont wird, so geschieht es auch mit der Struktur der Kirche. Zwei verschiedene Auffassungen von der Dreieinheit Gottes führen zu zwei verschiedenen Ekklesiologien. Das filioque ist keine obskure Sophisterei, sondern Ursache zu handfesten Differenzen zwischen Ost und West.