Der deutsche Pazifismus moderner Prägung tauchte auf, als die Deutschen erneut und innerhalb eines halben Jahrhunderts einen Weltkrieg verloren hatten. Nicht die Millionen Toten und Vertriebenen der eigenen Nation, schon gar nicht die fremder Völker oder gar die Ermordung Millionen Wehrloser prägte den aufkeimenden Pazifismus: Es war der Gedanke an den Krieg an sich, der nicht gewonnen wurde.
Hätten die deutschen Nazis den Krieg gewonnen, was Gott verhütete, hätte der Pazifismus nicht die geringste Chance gehabt, sich in den Gehirnen des deutschen Volkes zu verbeißen. Dank des von den Alliierten gewonnenen Krieges und der erfolgreichen Umerziehung erlebten die Deutschen zum ersten Mal in ihrer tausendjährigen Geschichte eine Generationen lange Phase des Friedens.
Zum Pazifismus des verlorenen Krieges gesellten sich nach einigen Jahren zwei nahe Phänomene, die sich lange als Tabus behaupteten. Es dauerte, bis die Schrecken des Krieges sich gegen Aufbau, Wirtschaftswunder, Gier auf Luxus und Anerkennung durchsetzten. Die Fakten waren derart unverständlich, dass sie sofort tabuisiert wurden. Es waren „Krieg“ und „Judenhass“.
Während progressive Pazifisten „Nie wieder Krieg!“ skandierten, war dem konservativen Durchschnittsbürger der Krieg unvorstellbar. Die Bundeswehr war eine reine Verteidigungsarmee, die nie ihre Fähigkeiten beweisen durfte. Für die Pazifisten war Krieg ein imperiales Mittel, freiheitswillige Völker zu unterdrücken. Bei Stellvertreterkriegen zwischen Dritte-Welt-Diktaturen wurde stets die Seite unterstützt, gegen die die Bundeswehr gekämpft hätte, so sie gedurft hätte.
Mit dem Sterben der Zeitzeugen bekamen die Tabus Risse. Der Judenhass eroberte die Stammtische, dann die Straße und schließlich die Feuilletons. Der Sprung zu mehr oder weniger geachteten politischen, gesellschaftlichen, religiösen und atheistischen eingetragenen Vereinenwar nicht weit. Da niemandem vermittelt werden konnte, dass die wenigen alten Juden in Deutschland, die sämtliche äußerlichen und innerlichen Erkennungsmerkmale abgelegt hatten, eine Gefahr bedeuteten, nahm der Antisemitismus die äußerliche Form des Antizionismus an. Nicht der einzelne Jude in Deutschland, sondern die Heimstadt aller Juden wurde hassens- und verfolgungswert.
Dem Kriegstabu erging es ähnlich. Irgendwann bombardierten deutsche Soldaten Zivilisten in Belgrad, um die serbische Regierung erfolgreich zu zwingen, von der Vertreibung und Ermordung von Albanern abzusehen. Die Teilnahme der Bundeswehr an dem Krieg gegen den irakischen Diktator konnte mit Hilfe von Pazifisten abgewendet werden. Die Alliierten mussten ohne Deutschland die Kurden vor der Ausrottung bewahren. Das deutsche Volk belohnte seine tapfere Regierung, in dem es sie erneut wählte. Als Gegenleistung marschierten die Deutschen mit ihren ehemaligen Siegern nach Afghanistan. Lange sprachen Politiker von einem Friedenseinsatz, bis beim Anblick toter deutscher Soldaten einem Verteidigungsminister das Wort „Krieg“ aus dem Mund rutschte. Gegenwärtig verbringt ein Teil der Marine ihre Zeit im Indischen Ozean, um mit friedenssichernden Maßnahmen eine Frieden, den es dort nie gab, wieder zu erlangen. Lediglich beim Krieg gegen den libyschen Diktator vernebelte das Kriegstabu kurz Denken und Sprache der Politiker. Beim nächsten Krieg wird die Bundeswehr wieder dabei sein! Die Umstrukturierung von einer Amateurvolksarmee zu einer professionellen schlagfertigen Elitearmee hat die ersten Hürden mit Bravour genommen.
Auch die Pazifisten wandelten sich. Um gegen Krieg, imperiale Macht, Faschismus, Rechtsextremismus und für das Volk zu kämpfen, verzichteten sie auf Gewaltlosigkeit. Sie eroberten weitere Betätigungsfelder: gegen Atomkraftwerke und für Windräder, gegen Bahnhöfe und für Fahrräder. Und selbstredend gegen Israel.
Der deutsche Pazifismus moderner Prägung richtet sich in den letzten Jahren gegen Kriege, weil sie nicht gewonnen werden, folglich keine Probleme lösen können. Unterdrückung und Ermordung werden achselzuckend toleriert. Bewährt hat sich der Antisemitismus, denn Israel ist immer im Krieg.
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