Cosima Wagner – Schöpferin des Wagner-Mythos und Herrin von Bayreuth

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Nur über wenige Frauen des 19. Jahrhunderts ist so viel geschrieben worden wie über Cosima Wagner (1837 – 1930). Die Jahrzehnte später geborene Lou Andreas-Salome (1861-1937) wäre am ehesten vergleichbar. Diese glänzt bis in die Gegenwart durch ihr philosophisches und schriftstellerisches Werk, sowie durch ihre persönlichen Beziehungen zu Friedrich Nietzsche, Rainer Maria Rilke und Sigmund Freud. Lou Andreas-Salome und Cosima Wagner haben gemeinsam, dass sie eng mit Friedrich Nietzsche befreundet waren.

Über ihre enge Beziehung zu Friedrich Nietzsche hinaus ist Cosima Wagner durch folgende Phänomene ihres Lebens besonders bekannt geworden und geblieben:

  • Sie war Tochter des berühmten Pianisten und Komponisten Franz Liszt.
  • Mit dem bekannten Komponisten Richard Wagner war Cosima Wagner verheiratet. Sie war seine zweite Ehefrau.
  • Ihren Ehemann Richard überlebte sie um fast fünfzig Jahre. In diesem „zweiten Leben“ nach dem Tod Richard Wagners wurde sie zur Schlüsselfigur der Bayreuther Festspiele und die mächtigste Person im Wagner-Clan.

In der deutschen Kulturszene gibt es nur wenige Familien, die derart nachhaltig über Jahrhunderte bis in die Gegenwart hinein Einfluss ausübten: die Wagners und die Manns, also die Nachkommen von Richard Wagner und von Thomas Mann.

Ein Christkind – geboren am Heiligen Abend 1837 wie Kaiserin Elisabeth

Cosima Wagner wurde am 24. Dezember 1837 in Bellagio am Comer See geboren. Die Kaiserin Elisabeth, bekannt geworden als „Kaiserin Sissi“, wurde am selben Tag geboren. Cosima Wagner und Kaiserin Elisabeth sind sich im realen Leben wiederholt begegnet. Die Kaiserin Elisabeth schätzte wie ihr Verwandter aus Bayern, der „Märchenkönig“ Ludwig II., die Musik von Richard Wagner. Der bayerische König Ludwig II. war ein glühender Wagner-Verehrer und hat Wagner von 1864 an bis zu dessen Tod im Jahr 1883 nachhaltig finanziell unterstützt. Er war sein wichtigster Mäzen. Wagner hatte einen sehr verschwenderischen luxuriösen Lebensstil und war ständig in finanziellen Engpässen. Cosima Wagner wiederum hatte einen sehr umfangreichen Briefwechsel mit dem bayerischen König, der in Buchform erschienen ist.

Cosima Wagner ist geboren als Cosima de Flavigny. Sie war ein uneheliches Kind von Franz Liszt und der Gräfin Marie d‘Agout (geborene de Flavigny), die zu dem Königreich Lombardo in Venezien der Habsburger Monarchie gehörte. Weder die Mutter noch ihr Vater hatten Interesse an ihrer unehelichen Tochter, so dass diese einen Teil ihrer Kindheit bei ihrer Großmutter Anna Liszt verbrachte und später in Paris erzogen wurde. Ihre erste Begegnung mit Richard Wagner hatte sie bereits als 16-jähriges Mädchen in Paris, als ihr Vater Franz Liszt, der mit Richard Wagner befreundet war, sie in Paris besuchte. Dass sie später einmal die Geliebte und Ehefrau dieses Komponisten werden sollte, hat sie vermutlich damals nicht geahnt.

Die erste Ehe mit Hans von Bülow

Nach ihrer Pariser Zeit lebte sie kurz bei ihrem Vater Franz Liszt in Weimar. Dieser gab sie dann zur weiteren Erziehung an die Freifrau Franziska von Bülow in Berlin. Deren Sohn, Hans von Bülow –wurde der begabteste und erfolgreichste Schüler von Franz Liszt. Er war bereits in jungen Jahren ein erfolgreicher Pianist und Dirigent. Franz Liszt erkannte die Fähigkeiten und Begabungen seines Schülers und verkuppelte ihn mit seiner Tochter. Im Jahr 1857 heirateten Cosima und Hans von Bülow in der Hedwigskirche in Berlin. Auf ihrer Hochzeitsreise besuchten sie Richard Wagner in Zürich, denn Hans von Bülow war wiederum ein großer Verehrer von Richard Wagner und mit diesem befreundet. Aus der Ehe von Cosima und Hans von Bülow gingen zwei Töchter hervor, Daniela und Blandine. Ihre Mutter Cosima hat sie nach ihren beiden Geschwistern benannt, die Daniel und Blandine hießen. Die Ehe zwischen Cosima und Hans von Bülow war sehr unbefriedigend, Cosima war unglücklich und hatte gelegentlich deswegen sogar Selbstmordgedanken. Im Jahr 1863 deutete sich ein Ausweg an: Der berühmte Richard Wagner gestand ihr seine Liebe und sie begannen eine heimliche Liebesbeziehung, die an Konfliktpotential schwer zu überbieten war. Ihr Ehemann Hans von Bülow war der begabteste Schüler ihres Vaters Franz Liszt und gleichzeitig großer Verehrer ihres neuen Geliebten Richard Wagner. Franz Liszt hatte ja seine Tochter mit seinem Schüler Hans von Bülow verkuppelt und war gegen die Beziehung mit Wagner.  Richard Wagner war sich bewusst, dass er mit dieser sexuellen Affäre seinen sehr guten Freund und Verehrer Hans von Bülow verraten hat. Cosima Wagner wiederum fühlte sich aufgespannt und zerrissen in einem Beziehungsgeflecht, in dem sie von drei namhaften Musikern verwickelt war: ihrem Vater Franz Liszt, ihrem Geliebten Richard Wagner und ihrem Ehemann Hans von Bülow.

Sechs Jahre Doppelleben und komplexe Menage á trois

Wagner gilt als versierter Frauenverführer und Frauenheld. Der besondere Kitzel an der komplexen Dreiecksgeschichte lag darin, dass sowohl Cosima von Bülow als auch Richard Wagner verheiratet waren. Richard Wagner war immer noch mit der Schauspielerin Minna Planer verheiratet. Die verdoppelte Dreiecksbeziehung, in die Richard Wagner und Cosima von Bülow verwickelt waren, blieb keine passagere Affäre, sondern zog sich als ein sechsjähriges Doppelleben hin. In dieser Zeit sind drei uneheliche Kinder von Richard Wagner gezeugt worden: im Jahr 1865 wurde Isolde geboren, im Jahr 1867 Eva und schließlich im Jahr 1869 Siegfried.

Als der schon damals sehr berühmte Philosoph Friedrich Nietzsche seinen ersten Besuch bei der Familie Wagner in Tribschen machte, fand er für sein moralisches Empfinden eine schreckliche Situation vor: Nietzsche war gerade frisch gebackener Professor der Philologie an der Universität Basel. Im Mai 1869 machte er seinen ersten Besuch in Tribschen bei Luzern, wo Cosima von Bülow und Richard Wagner mittlerweile wohnten. Cosima von Bülow hatte vier kleine Mädchen um sich, zwei aus der ersten Ehe mit Hans von Bülow (Daniela und Blandine) und zwei uneheliche Kinder aus der Beziehung mit Richard Wagner (Isolde und Eva). Gleichzeitig war Cosima von Bülow immer noch mit Hans von Bülow verheiratet und war gerade hochschwanger mit einem dritten Kind. Etwa einen Monat später, am 6. Juni 1869, ist der gemeinsame Sohn von Cosima und Richard Wagner zur Welt gekommen und erhielt den Namen Siegfried. Jahrzehnte später wird sich herausstellen, dass er der einzige männliche Nachfahre in der Wagner-Dynastie sein sollte. Friedrich Nietzsche war durch diese Konstellation bei seinem ersten Antrittsbesuch seinerzeit sehr verstört, andererseits freute er sich über die unkomplizierte und freundliche Aufnahme im Hause Wagner.

Heirat von Richard und Cosima Wagner im Jahr 1870

Richard und Cosima Wagner konnten jahrelang nicht heiraten, weil sie ja beide noch verheiratet waren. Die mittlerweile von Richard Wagner getrenntlebende erste Ehefrau Minna ist schließlich am 25. Januar 1866 gestorben. Die Scheidung von Cosima von Bülow wurde im Jahr 1869 beantragt und 1870 vollzogen. Die Scheidung erfolgte am 18. Juli 1870 und am 25. August 1870 heirateten Cosima und Richard Wagner in Luzern. Mit dieser Eheschließung waren einige Konflikte geklärt, andere brachen Jahrzehnte später wieder auf. Denn Cosima Wagner war ja bei der Geburt von Isolde und Eva noch mit Hans von Bülow verheiratet und diese beiden Töchter galten als eheliche Kinder von Hans von Bülow. Jahrzehnte später erkannte Isolde, welche Nachteile diese Konstellation für sie hatte und versuchte eine gerichtliche Klärung im Jahr 1914, die zu einem riesigen Skandal führte.

Erfolge in Bayreuth, Festspielhaus und Gründung der Bayreuther Festspiele

Im Jahr 1872 zog das frisch vermählte Ehepaar Richard und Cosima Wagner von dem schweizerischen Tribschen bei Luzern nach Bayreuth. Bayreuth sollte nun zum Zentrum des „Wagner-Mythos“ werden. Dort wurde ein Festspielhaus gebaut und eine riesige Villa, in dem das Ehepaar mit seinen Nachkommen lebte, die „Villa Wahnfried“. Cosima Wagner war ja adliger Herkunft und ist überwiegend von Gouvernanten in aristokratischen Häusern aufgewachsen. Insofern war sie streng erzogen und mit den Umgangsformen in adligen oder reichen bürgerlichen Verhältnissen wohl vertraut. Nach dem Umzug nach Bayreuth wurde Cosima Wagner quasi zur Kulturmanagerin des Wagner-Imperiums. Sie unterstützte ihren Mann Richard bei der Aquise finanzieller Mittel. Cosima Wagner hatte einen intensiven Briefwechsel mit dem bayerischen König Ludwig II., der bis zum Tod von Richard Wagner immer wieder viel Geld für die Musik ausgab, die er liebte. Cosima Wagner machte den „grünen Hügel“ in Bayreuth zu einem Weltimperium, in dem sie „Hof hielt“, sie hatte ihren eigenen „Hofstaat“. Entsprechend ließ sie sich als ‚“Hohe Frau“ anreden. Sie organisierte Musikveranstaltungen und gesellschaftliche Einladungen, zu denen überwiegend Adlige aus ganz Europa und reiche Menschen eingeladen wurden. Im Jahr 1876 waren die ersten Bayreuther Festspiele und diese waren ein riesiger Erfolg. Kaiser Wilhelm II. gab sich die Ehre, daran teilzunehmen und Cosima Wagner ließ alle ihre aristokratischen Beziehungen aufleben, um eine entsprechende glänzende und ehrwürdige Kulisse für den ersten Festakt zu gestalten.

Die Freundschaft mit Friedrich Nietzsche

Friedrich Nietzsche hatte eine sehr enge Beziehung sowohl zu Cosima als auch zu Richard Wagner. Er schätzte die Musik von Richard Wagner und auch seine Ideen zum Musikdrama. Außerdem war er heimlich verliebt in Cosima, konnte dies jedoch nie direkt aussprechen. Es gab einen ausführlichen Briefwechsel zwischen Cosima Wagner und Friedrich Nietzsche. Cosima ließ kurz vor ihrem Tod die meisten Briefe von Nietzsche verbrennen. Die Freundschaft zwischen Friedrich Nietzsche und dem Ehepaar Wagner dauerte von 1869 bis 1876, also weniger als ein Jahrzehnt. Im Jahr 1876 war die letzte reale Begegnung zwischen dem Ehepaar Wagner und Friedrich Nietzsche in Sorrent in Italien. Die heimliche Liebe von Friedrich Nietzsche zu Cosima Wagner zog sich über diese letzte Begegnung hinaus und findet sich in zahlreichen seiner Werke wieder. Als es zum Nervenzusammenbruch und der beginnenden geistigen Umnachtung von Friedrich Nietzsche im Januar 1889 in Turin kam, schrieb er sogenannte Wahnsinnszettel an Cosima. Darin schrieb er „an die Prinzess Ariadne und meine Geliebte“. In den „Dionysos-Dithyramben“ findet sich die „Klage der Ariadne“. Hier phantasiert Nietzsche, dass im Bezug auf den klassischen Mythos von Ariadne er selbst als Dionysos erscheint und Cosima Wagner als Ariadne. Nietzsche phantasiert also letztlich, dass er Richard Wagner die Cosima „ausspannt“ und letztlich als der siegreiche Dionysos seine Ariadne entführt. In dieser Zeit war jedoch Friedrich Nietzsche quasi psychotisch, er war dem Wahnsinn nahe oder dem Wahnsinn schon verfallen.

„Das zweite Leben“ – fast fünfzig Jahre nach Richard Wagners Tod.

Das Leben von Cosima Wagner zeigt im Grunde zwei gleichlange Lebenshälften. Sie ist 93 Jahre alt geworden und die erste Hälfte ihres Lebens sind Kindheit, Jugend und die beiden Ehen mit Hans von Bülow und Richard Wagner. Nach Richard Wagners Tod im Jahr 1883 hat Cosima Wagner noch 47 Jahre gelebt und ist im Jahr 1930 gestorben. In dieser zweiten Lebenshälfte war sie die Schlüsselfigur in Bayreuth: Sie war die Herrin des Hügels und die Drahtzieherin in der Familiendynastie der Wagners. Den „Wagner-Mythos“ und die Legendenbildung um Richard Wagner erschuf und belebte sie. Von 1883 bis 1906 war sie 23 Jahre lang die Leiterin der Bayreuther Festspiele. Alle kulturellen Aktivitäten, die mit Richard Wagner und den Bayreuther Festspielen zu tun hatten, wurden von ihr mit großer Konsequenz und eiserner Hand vorgegeben worden. Sie war eine Herrscherin, die Herrin oder die Meisterin.

Der Schriftsteller Harry Graf Kessler, der Cosima Wagner zu Beginn des 20. Jahrhunderts wiederholt begegnet ist, hat sie wie folgt treffend beschrieben:

„Cosima nutzt gern ihre Beziehungen zur internationalen Aristokratie. Fürstendienst heißt das. Sie reist viel, um Kontakte zu machen, Künstler und Musiker zu treffen, Wagners Opern in anderen Inszenierungen zu sehen, steigt in den besten Hotels ab, lässt sich huldigen und wirbt zugleich immer Publikum für Bayreuth. Harry Graf Kessler hat sie um 1900 in Berlin beobachtet. Cosima ist hier gesellschaftlich souverän; eine solche Stellung ist einzig: die Fürstinnen, Botschafterinnen, Comtessen. Alles zittert vor ihr und wird rot vor Freude, wenn Cosima sie gnädig anredet. Diese gesellschaftliche Macht ist ebenso wunderbar sie ihre künstlerischen Leistungen. In die Villa Wahnfried lädt sie Auserwählte zu hocheleganten großen Soireen. Die Cosima ganz in Schwarz in einer Art von Hut auf und einem schwarzen Gaze-Schleier, der ihr bis über die Augenbrauen reichte; darunter das fabelhaft energische Gesicht mit dem gewaltigen Knochengerüst; die Backenknochen und das Nasenbein scheinen wie aus Granit … Unter all ihren Gästen, Männern und Frauen, sieht sie aus, als wenn sie von einer anderen Rasse wäre: ganz Knochen und Willenskraft.“ (zitiert nach Förg 2013).

Die Wiederkehr des Verdrängten

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts – Cosima Wagner war mittlerweile 70 Jahre alt – brachen die unbewältigten Konflikte und Familienspannungen, die von ihr lange machtvoll unterdrückt wurden, in großer Vehemenz wieder auf: Wie in Wagners Musikdrama „Tristan und Isolde“ war es nun die reale Isolde, die nun im wirklichen Leben genauso hoch ambivalent war wie die Opernfigur. Isolde war mittlerweile mit Franz Beidler verheiratet und hatte einen Sohn als Nachkommen. Dieser Sohn war der einzige männliche Nachkomme im Wagner-Clan. Der gemeinsame Sohn von Cosima und Richard Wagner, Siegfried Wagner, war homosexuell und folglich an Frauenbeziehungen und Kindern als Nachfolger für die Wagner-Dynastie wenig interessiert. Dieser Konflikt blieb so lange unter der Decke, bis schließlich eben Isolde Ansprüche in der Nachfolge anmeldete. Sie wollte mehr berücksichtigt werden und größeren Einfluss ausüben. Da sowohl Cosima als auch Siegfried Wagner ihr das verwehrten, kam es im Jahr 1914 zu einer skandalträchtigen Gerichtsverhandlung. Cosima Wagner bekannte sich nicht zu ihrer Tochter und schwieg hinsichtlich der Identität des Vaters. Insofern blieb Isolde juristisch ein eheliches Kind von Hans von Bülow, obwohl sehr viele wussten, dass sie das erste Kind von Richard und Cosima Wagner war. Die zweite Front bezüglich der Zukunft der Wagner-Dynastie war Siegfried Wagner selbst. Seine Mutter Cosima setzte ihn massiv unter Druck, eine Frau zu heiraten und Nachkommen zu zeugen. Schließlich fand man, wie es schien, ein geeignetes „Opfer“: ein Waisenkind aus dem englischen Sussex mit dem Namen Winifred Majore Williams, die bei ihren Berliner Großeltern lebte. Sie sollte die Ehefrau von Siegfried Wagner werden. So war es der Wille von Cosima Wagner. Die Ehe kam zustande. Die neuvermählte Winifred Wagner erlebte sich selbst als „armen Wurm“. Sie war unsicher, einsam, eingeschüchtert und den massiven Erziehungsversuchen des Wagner-Clans ausgesetzt. Sie schrieb an eine Freundin: „Ich 18-jährige Pute als Herrin von Wahnfried ist doch eigentlich ein Witz!“  Der Witz hatte bald sein Ende und eine bittere Realität wurde deutlich: Winifred entpuppte sich als gute Antisemitin und große Verehrerin von Adolf Hitler. Im Jahr 1930 sind Cosima und Siegfried Wagner gestorben. Winifred Wagner war nun die einzige Herrscherin in der „Villa Wahnfried“ und am grünen Hügel in Bayreuth. Nun begann eine intensive Freundschaft zwischen Winifred Wagner und Adolf Hitler, die versuchten, sich wechselseitig dienstbar zu machen: Für Hitler wurden die Bayreuther Festspiele zu einer willkommenen Propagandamaschine, Winifred Wagner hatte mit dem neuen Machthaber einen mächtigen und einflussreichen und finanzkräftigen Unterstützer. Die Aufarbeitung dieser schwierigen Geschichte zwischen 1930 und 1945 ist bis heute unaufgearbeitet. So sind die Briefe zwischen Winifred Wagner und Adolf Hitler bis heute unveröffentlicht.

Der üppige Nachlass: Mehr als zehn Briefbände und fünftausend Seiten Tagebücher

Durch die obigen Ausführungen dürfte deutlich geworden sein, welch große Bedeutung Cosima Wagner für die deutsche Kultur im 19. Und 20 Jahrhundert hat. Entsprechend groß ist das Interesse an der Darstellung der komplexen Persönlichkeit von Cosima Wagner. Bereits zwischen 1920 bis zum Ende des 20. Jahrhunderts wurden zehn Biographien über Cosima Wagner veröffentlicht. Auch im 21. Jahrhundert gab es vier neue biographische Darstellungen von Cosima Wagner (Hilmes 2007, 2009; Borchmeyer 2008; Beidler 2011; Köhler 2006).

Seit dem Jahr 1976 sind auch die Tagebücher von Cosima Wagner veröffentlicht worden. Es handelt sich hier um 5000 Seiten, die Cosima Wagner in der Zeit ihrer Ehe mit Richard Wagner geschrieben hat. Sie hat Tagebuch geführt über den Alltag zwischen ihr und Richard Wagner und das über knapp 14 Jahre. Über die berühmten Tagebücher von Cosima Wagner gibt es zahlreiche Ausgaben in verschiedenen Verlagen mit unterschiedlichem Umfang.  Die erste Ausgabe erschien 1936 und wurde von Martin Gregor-Dellin und Dietrich Mack herausgegeben. Zuletzt erschien eine Auswahl der Tagebücher, die von Marion Linhardt und Thomas Steinert herausgegeben wurde. Der eifrige Leser kann jedoch die umfassendere Ausgabe aus dem Jahre 1976 lesen, die 1400 umfasst. Über ihre Zeit nach Richard Wagners Tod hat Dietrich Mack (1980) eine umfangreiche Sammlung von Briefen und Dokumenten herausgegeben.

Die Familie Wagner und der Wagner-Clan

Cosima Wagner war 14 Jahre lang mit Richard Wagner verheiratet. 47 Jahre jedoch lebte sie als Witwe. Sie hat also Richard Wagner lange überlebt. In diesem „zweiten Leben“ (Mack 1980) war sie bis zum Jahr 1905 die Leiterin der Bayreuther Festspiele und damit die Herrin am grünen Hügel von Bayreuth. In diesem halben Jahrhundert Lebenszeit hat Cosima Wagner Großes für die Zukunft geschaffen: Sie sorgte für das Fortleben der Bayreuther Festspiele, arbeitete unermüdlich am Wagner-Mythos und hielt den Wagner-Clan zusammen (Krause 2009). Das Interesse am Wagner-Clan ist bis in die Neuzeit sehr groß, und dies nicht nur bei Wagnerianern. Im 21. Jahrhundert – also mehr als 100 Jahre nach Richard Wagners Tod – erschienen hervorragende Monographien, die das Innenleben des Wagner-Clans ausleuchten. Die Historikerin Brigitte Hamann beschrieb 2005 „Die Familie Wagner“. Drei Jahre später folgte das Werk „Der Wagner-Clan“ von Jonathan Carr (2008). Carr (1942 – 2008), ein britischer Journalist und Biograph, war bereits in Deutschland sehr bekannt durch seine Biographien über Helmut Schmidt und Gustav Mahler. Sein Werk „Wagner-Clan“ (2008) erschien in deutscher Sprache in seinem Todesjahr und gilt als das Standardwerk für die Strukturen und Beziehungsgeschichten des Wagner-Clans. In den Rezensionen der FAZ (Jürgen Kesting 2008) und der Süddeutschen Zeitung (Stephan Speicher 2010) wurde diese Monographie hoch gelobt.

Im Jahr 2009 erschien die Monographie von Oliver Hilmes „Cosimas Kinder. Triumph und Tragödie der Wagner-Dynastie“ (Hilmes 2009). Ein wichtiger Beitrag zum Verständnis – mit persönlicher Betroffenheit und besonderen Möglichkeiten der Innenschau – stammt aus der Feder von Nike Wagner. Sie ist die eine Urenkelin von Richard Wagner. In ihrem Werk „Wagner Theater“ (Wagner 1999) beschreibt sie die Familiendynamik des Wagner-Clans sowie die politischen und kulturhistorischen Verflechtungen zwischen der Villa Wahnfried und der Gesellschaft in Politik und Kultur. Nike Wagner ist musikwissenschaftlich hochqualifiziert und gilt als Intellektuelle unter den lebenden Wagner-Urenkeln. Bei den Entscheidungen um die Nachfolge und die Leitung der Bayreuther Festspiele nach dem Tod von Wolfgang Wagner im Jahr 2010 konnte sie sich jedoch nicht durchsetzen. Sie gilt aktuell als Kritikerin und „Stachel im Fleisch der Wagner-Familie“. Weil das anhaltende Interesse an der Wagner-Familie so groß ist, ließ das ZDF im Jahr 2014 einen Film mit dem Titel „Wagner-Clan“ produzieren und senden. Iris Berben spielte darin die Hauptrolle der Cosima Wagner. In diesem Film steht vor allem die Zeit nach dem Tod Richard Wagners im Mittelpunkt. Cosima Wagner erscheint als die „Herrin“ oder „hohe Frau“ einer komplexen Patchwork-Familie. Es wird gezeigt, wie sie ihre vier Töchter und den einzigen Sohn aus zwei Ehen „unter einen Hut brachte“ und geschickt die Nachfolge-Regelung vollzog. Dass in ihrer Lebenszeit und im hohen Alter (sie wurde 93 Jahre alt) schließlich die Annäherung an Adolf Hitler und das Nazi-Regime erfolgte, ist ein dunkler Schatten über dem Wagner-Clan. Licht und Schatten sind in den großen deutschen Familien-Clans reichlich vorhanden. Es ist eben ähnlich wie in der Familie Thomas Mann, nur ganz anders.

Literatur:

Beidler Franz W. (2011) Cosima Wagner: ein Porträt. Richard Wagners erster Enkel: Ausgewählte Schriften und Briefwechsel mit Thomas Mann. Königshausen & Neumann, Würzburg

Borchmeyer Dieter (2008) Nietzsche, Cosima, Wagner. Porträt einer Freundschaft. Insel, Frankfurt/Main

Carr, Jonathan (2008). Der Wagner-Clan. Geschichte einer deutschen Familie. Hoffmann und Campe

Förg Gabriele (2013) Cosima und Winifred Wagner. Bayerisches Feuilleton, Radio Bayern 2 vom 18.5.2013

Giroud Francoise (1998) Cosima Wagner. dtv, München

Gregor-Dellin Martin, Mack Dietrich (Hrsg.) (1976-1978) Cosima Wagner: Die Tagebücher. 2 Bände. Piper, München

Hamann, Brigitte (2005) Die Familie Wagner. Rowohlt, Reinbek

Hilmes Oliver (2007) Herrin des Hügels. Siedler, München

Hilmes, Oliver (2009) Cosimas Kinder. Triumph und Tragödie der Wagner-Dynastie. Siedler, München

Hilmes, Oliver (2014) Eine kluge, kalte, böse Königin. Wagner-Clan. Die Zeit Nr. 09 vom 20. Februar 2014

Kesting, Jürgen (2008) Von der Krankheit, ein Wagner zu sein. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 15.6.2008.

Köhler Joachim (2006) Ich, Cosima. Classen, Berlin

Krause, Tilman (2009) Cosimas Kinder und der Wahn von Bayreuth. Die Welt vom 29.6.2009

Linhardt Marion; Steinert Thomas (2005) Tagebücher: Cosima Wagner (Auswahl) Piper, München

Mack Dietrich (Hrsg.) (1980) Cosima Wagner. Das zweite Leben: Briefe und Aufzeichnungen 1883-1930. Piper, München

Mauró, Helmut (2012) Nike Wagner im Profil. Stachel im Fleisch der Wagner-Familie. Süddeutsche Zeitung vom 29.7.2012

Speicher, Stephan (2010) Der Wagner-Clan. Ein wildes Geschlecht. Süddeutsche Zeitung vom 17.5.2010

Wagner, Nike (1999). Wagner Theater. Suhrkamp, Berlin

Über Herbert Csef 153 Artikel
Prof. Dr. Herbert Csef, geb. 1951, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychoanalytiker. Studium der Psychologie und Humanmedizin an der Universität Würzburg, 1987 Habilitation. Seit 1988 Professor für Psychosomatik an der Universität Würzburg und Leiter des Schwerpunktes Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Medizinischen Klinik und Poliklinik II des Universitätsklinikums. Seit 2009 zusätzlich Leiter der Interdisziplinären Psychosomatischen Tagesklinik des Universitätsklinikums. Seit 2013 Vorstandsmitglied der Dr.-Gerhardt-Nissen-Stiftung und Vorsitzender im Kuratorium für den Forschungspreis „Psychotherapie in der Medizin“. Viele Texte zur Literatur.