Ganz versteckt gibt’s zu Ostern auch mal gute Nachrichten: Die Arte-Mediathek hat guten Zulauf – vielleicht stellt das ja mal manches Programmkonzept auf den Kopf – nachher, wenn die Krise vorbei, die Gesellschaft eine bessere geworden ist und eine neue Welt… Bis es soweit ist, wollen wir das schon ein wenig praxisnäher angehen und verweisen mit möglichst viel Nachdruck auf eine aktuelle Umfrage. Gleich am Anfang, nach den Riesenpandas.
Die Brancheninfos erscheinen gleichzeitig auch auf unserem Blog out-takes zum Nachlesen.
13 Jahre schon leben Ying Ying and Le Le zusammen im Zoo von Hongkong. Der ist nun geschlossen, und die beiden Riesenpandas nutzten die Gelegenheit, umendlich zu tun, worauf alle die ganze Zeit vergeblich gewartet hatten. Der „New York Times“ war der Vollzug eine Twitter-Meldung wert.
Welche Auswirkungen haben die Corona-Maßnahmen für die Menschen in der Film- und Fernsehproduktion? Das wird ja zurzeit oft gefragt, hier wird’s aber ernsthaft: Wie viele Filmschaffende haben überhaupt Anspruch auf Hilfsmaßnahmen und falls ja, wie ist der Stand? Einen Überblick soll eine Umfrageschaffen. Konzipiert hat sie Jörg Langer, der unter anderem in einer Studie „Die Situation der Film- und Fernsehschaffenden 2015“ untersucht hat, in Zusammenarbeit mit AG Dok, BVFK und Crew United.
Die Umfrage braucht nur fünf Minuten. Doch es muss nun schnell gehen, betont Langer: In der nächsten Woche soll schon ausgewertet werden. Die Ergebnisse werden im Anschluss allen Verbänden und Institutionen kostenlos zur Verfügung gestellt, „um eine substanzielle Verbesserung der Hilfemaßnahmen für die Branche zu erreichen.“
„Angst frisst Demokratie“, mahnt Jakob Augstein im „Spiegel“: „Das Corona-Erlebnis wird auch darum in die Geschichtsbücher eingehen, weil es sich hier um die erste Krankheit handelt, die auch über das Netz übertragen wird.“
„Es wirkt!“ meldet hingegen „Der Spiegel“ selbst: Eine Simulation von Max-Planck-Forschern zeigt erstmals, welchen Effekt Kontaktsperren haben. Ohne sie wären die nachgewiesenen Corona-Zahlen wahrscheinlich doppelt so hoch.
„Forscher bezweifeln Sinn von Schulschließungen“ verkürzte gestern der „Spiegel“ neue Erkenntnisse ins Falsche. Wissenschaftler aus Großbritannien und Australien hatten 16 internationale Forschungsarbeiten ausgewertet und selbst erklärt:
Die Datenlage sei noch schlecht, der Effekt von Schulschließungen bislang kaum berücksichtigt, die Aussagen widersprüchlich, Rechenmodelle besagten das Gegenteil, und ob sich Erkenntnisse aus der Sars-Pandemie von 2003 ohne weiteres übertragbar sind, fragen sie sich selbst. Dem „Spiegel“ ist es trotzdem eine Meldung wert. Die eigentliche Folgerung, die die Wissenschaftler aus ihrer Auswertung ziehen, zitiert das Magazin aber nicht: Die argumentieren nämlich nicht gegen Schulschließungen an sich, sondern halten eine selektive Anwendung für effektiver: „Sollten die strengen Einschränkungen noch über einen längeren Zeitraum weiter gelten, müsse man andere, weniger störende Maßnahmen zur sozialen Distanzierung in Schulen überlegen.“
Und darum diskutierte „Der Spiegel“ gestern vor allem mit sich selbst und nannte auch gleich noch „Vier Gründe, warum die Schulen nicht einfach wieder öffnen können“.
Amerika lässt seine Ärmsten sterben, kommentiert „Die Zeit“. In der Corona-Krise offenbart sich, wie segregiert die USA sind: Afroamerikaner sterben weit häufiger als Weiße. Aber Donald Trump hat sich für sie noch nie interessiert.
Warum sterben in Deutschland weniger Menschen als anderswo? Die „New York Times“ versucht eine Erklärung der deutsche Ausnahme, „Die Welt“ fasst sie zusammen.
Beate Bahner, Fachanwältin für Medizinrecht aus Heidelberg, kündigte eine Normenkontrollklage gegen die Corona-Verordnung Baden-Württemberg an: Die Maßnahmen der Bundes- und Landesregierung seien verfassungswidrig und verletzten in bisher nie gekanntem Ausmaß eine Vielzahl von Grundrechten. Dies gelte für alle Corona-Verordnungen der 16 Bundesländer. Dazu gibt’s auch eine Petition.
Ach ja, den ersten Link hätten wir uns sparen können: Heute teilte die Anwältin in einer Rundmail mit, dass ihre Website ab 11 Uhr gesperrt sei. Aber hier steht’s auch. „Der Spiegel“ berichtet ebenfalls.
„Jage die Ängste fort“: Kulturstaatsministerin Monika Grütters sieht für Kunst und Kultur in der Corona-Krise allerhand Chancen – wenn die Künstler nur genug Fantasie zeigen. Zugegeben, auch ein paar Probleme, aber irgendwie entsteht im Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ der Eindruck, alle seien bestens versorgt. Der Frage nach den Projektarbeitern weicht sie ein weiters Mal aus.
„Spontaneität mitnehmen, Produktionsbedingungen nicht.“ In der ZDF-Neo-Serie „Drinnen“ spielt Lavinia Wilson gerade werktäglich eine Werberin in der Corona-Quarantäne – und jede*r dreht bei sich zu Hause. Wie Corona die Branche auf Trab bringt und über die Angst, dass das Prinzip Selbstausbeutung bleiben könnte.
Für Nicht-Serien-Junkies ist die „Drinnen“ übrigens auch geeignet: die Folgen sind nur zehn Minuten lang.
Wie ist die Situation für Filmschaffende zurzeit in Schweden? Kerstin Neuhaus, die von Deutschland aus skandinavische Schauspieler*innen vertritt, und Talent Manager und Producer Maria Vascsak aus Stockholm berichten im #BeCreativeAtHome!-Interview auf Casting-Network.
„Irgendwann geht’s nicht mehr besser“: Über Ostern ist Annette Frier wieder mit Christoph Maria Herbst in der ZDF-Serie „Merz gegen Merz“ zu sehen. Ein Interview über Comedy und schwierige Themen.
Die Abrufzahlen der Arte-Mediathek sind um die Hälfte höher als im Vorjahr, sagt Intendant Peter Boudgoust: „Über alle Zeitschienen erreichen wir deutlich mehr Zuschauer, die zudem durchschnittlich jünger sind als vor der Krise.“
Betrifft: Arbeitslosengeld. In der Brancheninfo am Dienstag hatten wir über Lockerungen beim Zugang zum Arbeitslosengeld (ALG) berichtet. Dabei haben wir nicht deutlich unterschieden: Die Erleichterungen gelten lediglich für Selbständige, die freiwillig in die Arbeitslosenversicherung einzahlen, wie wir vor einer Wochepräziser geschrieben hatten. Für auf Produktionsdauer Angestellte, die nun vor ALG1 oder ALG2 stehen, ist bislang nichts vorgesehen. Abgesehen von dieser Petition.
„Unterlassene Hilfeleistung“ nennt Jan-Ulrich Bittlinger den Umgang mit der Nothilfe in Bayern in seinem Blog, der auch weitere Informationen für Selbständige bietet. Bittlinger, Wirtschaftsförderer von Murnau in Oberbayern, bemängelt, das „nur Unternehmen mit mehr als 10 Mitarbeiter*innen“ eine Chance auf die versprochenen Kredite hätten. Um das transparent zu machen, hat er ein Register angelegt: Betroffene können dort ihre Erfahrungen mit Banken oder Sparkassen melden, die einen Corona-Sofort-Kredit von KfW, LfA oder einer anderen Landesbank verwehrt haben oder zusätzliche Auflagen machen.
Die Förderer hatten ihr gemeinsames Corona-Hilfsprogramm für die eigenen Förderprojekte schon vorgestellt. Heute war morgen um elf war Start für die Anträge. Bei der MFG Baden-Württemberg sieht das nach schnell und einfach aus, der FFF Bayern hat auf seiner Website detaillierte Erklärungen dazu und auch weitere Links zu Hilfsprogrammen.
Kreativ in der Krise. Karsten Morschett ist Schauspieler und Regisseur und leitet das Theater „Krimimobil“. Und damit ist die Situation auch schon klar. „Mir geht es im Moment natürlich wie den meisten Kollegen hier“, schreibt Morschett. Zu seinem Glück hat er in seiner Freizeit noch eine andere Leidenschaft, sogar mit Diplom: Morschett ist Biersommelier. Darum nutzt er die Zwangspause und bietet„Betreutes Trinken gegen den Corona-Koller zu Hause“ an: „Das war meine kreative Idee, um den Leuten zu Hause ein wenig Abwechslung zu bringen. Home-Office, Homeschooling und wenig Abwechslung. Da fällt vielen die Decke auf den Kopf.“ 49,90 kostet die Online-Bierverkostung. Dafür werden sieben verschiedene Biere samt Verkostungsgläsern nach Hause geliefert, der Sommelier schaltet sich per Videochat zu – »und zwar 90 Minuten lang, die Länge eines verpassten Fussballspieles.« Danach merkt jede*r den Unterschied zwischen Pils und Weizen, und weiß auch, wie die kleinen Biere gemacht werden.
Und noch ein paar Tipps zum Hinschauen: Im Filmuni-Festival auf Radioeins präsentiert Knut Elstermann an drei Samstagen insgesamt 16 Kurzfilme der Filmuniversität Babelsberg und ihre Macher*innen. Premiere ist am Ostersamstag, die drei Programme sind jeweils für eine Woche exklusiv im Stream zu sehen. Zum Auftakt am 11. April spricht Elstermann im radioeins-Filmmagazin „Zwölf Uhr mittags“ mit dem Nachwuchsregisseur Michael Fetter Nathansky über seinen Film„Und Weinen Können“ (2019).
„Schlawiner“ gegen Lagerkoller: Im Quarantäne-Special der legendären Serie melden sich Michael Ostrowski & Co. zurück und trotzen der Einsamkeit in diesen Zeiten mit Humor.
Wer sagt’s denn … die Kreativen in der Werbung kommen immer noch auf die originellsten Ideen: Die Agentur Jung von Matt ruft zum „ersten Indoor-Filmfestival der Welt“. Aha. Eingereicht werden können alle Filme, die in den eigenen vier Wänden und nach den geltenden Corona-Vorgaben gedreht wurden. Und zwar ab sofort – bewertet wird, sobald in Deutschland der Lockdown gelockert wird. Alle Themen seien erlaubt.
Komisch oder lustig sein … dafür gibt es zurzeit wenig Anlass. Eine heitere Ablenkung in Corona-Zeiten ist dennoch in Ordnung, findet DW-Filmexperte Jochen Kürten. Er hat zehn legendäre Komödien aus zehn Jahrzehnten fürs Heimkino ausgewählt: „Lachen in Krisenzeiten.“
Mehr Filmtipps gibt’s jetzt, dann folgt unser Blog.
Genug gelesen? Falls Sie unsere Brancheninfo nicht mehr erhalten wollen, können Sie das in ihren Kontoeinstellungen auf Crew United leicht ändern: Bitte stellen Sie unter „Benachrichtungen“ einfach den E-Mail-Empfang für „News und Infos zu Crew United“ ab. Die anderen Einstellungen sind davon nicht betroffen.
Kino in Zeiten von Corona 3
Die Streams der Woche. Von Elisabeth Nagy
Immer wieder erwische ich mich bei der unnützen Überlegung, was ich gerade tun würde oder zu tun hätte, wenn die Zeit nicht so wäre, wie sie gerade ist. Ostern steht an und ich hätte mich über ein paar freie Tage gefreut. Ein paar freie Tage, die die Zeit angehalten hätten. Aber die Zeit ist angehalten worden, das Hamsterrad ist stehen geblieben. Die Flut an Pressevorführungen verebbte auf einen Schlag. Heute ist der vierte Startdonnerstag ohne Kinostarts. Der neue James Bond würde in die zweite Woche gehen. Jetzt würden die Biografien von Marie Curie („Marie Curie – Elemente des Lebens“, Marjane Satrapi) und Harriet Tubman („Harriet – Der Weg in die Freiheit“, Kasi Lemmons) in die Kinos gekommen. Mit „Königin“ (May El-Toukhy, mit Trine Dyrholm) wäre der dänische und mit „Als wir tanzten“ (Levan Akin) der schwedische „Oscar“-Beitrag gestartet. Mit den Kindern wäre man in den Animationsfilm „Mina und die Traumzauberer“ (Kim Hagen Jensen, Tonni Zinck) oder in „Der Junge und die Wildgänse“ (Nicolas Vanier) gegangen. Bis auf den letzten Titel wird alles nur verschoben.
Bei diesem letzteren lehnt sich der deutsche Verleihtitel stark an „Amy und die Wildgänse“ (Carroll Ballard, Start in Deutschland Anfang 1997) an und erzählt eine ganz ähnliche Geschichte. Bereits der Dokumentarfilm „Nomaden der Lüfte“ hatte Ultraleichtflugzeuge für seine Aufnahmen verwendet. Das Team machte es sich zu nutze, dass sich die Vögel auf die Kameraleute prägen ließen. Der Umweltaktivist Christian Moullec und seine Frau Paola machten nichts anderes, um die fast ausgestorbene Zwerggans zurück nach Skandinavien zu bringen. Sie zogen Küken auf, und es ist der 14-jährige Sohn, der, statt am Computer zu daddeln, sich aufschwingt, um den Gänsen die Flugroute zu zeigen. Viele Flugaufnahmen und Landschaften, etwas für die große Leinwand. Und ausgerechnet dieser Jugend- und Abenteuerfilm fällt nun aus dem Startkalender raus. Heute wäre er in die Kinos gekommen. Der Verleih Capelight entschied sich nun, am ursprünglichen Kinostart für einen Einsatz im Heimkino.
Einen anderen Weg beschreitet der Verleih DCM. Die Udo Lindenbergfilm „Lindenberg! Mach dein Ding“ (Hermine Huntgeburth), der Mitte Januar in die Kinos kam, wird seit gestern in Düsseldorf gezeigt. Auf dem Parkplatz des Messegeländes spannte man die 400 Quadratmeter große hydraulische Leinwand, die dort Ansässige vom Open-Air-Kino am Robert-Lehr-Ufer kennen. Tickets gibt es im Vorverkauf. Weitere Autokinos dürften allerdings folgen. Dario Suter, der Managing Director des Filmverleihs DCM formulierte in der entsprechenden Pressemeldung: „Unser Kinoherz blutet in Anbetracht weltweit geschlossener Filmstätten. Ein Lichtblick, dass das Autokino sich mit den sozialen Abstandsregeln vereinbaren lässt und in dieser einsamen Zeit Menschen ein gemeinsames Erlebnis bietet. Wir freuen uns, dass unser Film Lindenberg! Mach dein Ding in Düsseldorf den Auftakt zur Eröffnung gibt und wünschen den Betreibern aller Autokinos viel Erfolg!“
Einen zweiten Anlauf nimmt auch der Film „Der Krieg in mir“ (Sebastian Heinzel). Ursprünglich kam die Dokumentation, die nachspürt, wie Traumata der älteren Generationen durch Krieg oder andere extreme Ausnahmesituationen, auch unser Leben prägen, Anfang März ins Kino. Der Filmverleih Wessel hält gerade jetzt diesen Film für wichtig und stellt ihn für eine limitierte Zeit auf die Plattform Kino-on-Demand.de, auf der man das Kino seiner Wahl direkt unterstützen kann.
Salzgeber bringt in seinem Salzgeber Club diese Woche und wieder exklusiv und für eine limitierte Zeit den Film „This is Not Berlin“ in die Auswertung. „This is Not Berlin“ spielt in Mexiko Stadt. Während 1986 gerade die Fußball-Weltmeisterschaft ausgetragen wird, begegnet Carlos, gspielt von Xabiani Ponce de León, die Liebe, den Sex, Drogen, das pulsierende Leben. Punk und Exstase sind die Hauptantriebe. Hari Sama hat den Film autobiographisch angelegt und setzt auf ein atmosphärisches Zeitporträt. In Malagá gewann der mexikanische Film den Spezialpreis der Jury und auch die Kamera von Alfredo Altamirano wurde ausgezeichnet.
Rein auf Spendenbasis stellt der Berliner Verleih Arsenal jede Woche eine andere Auswahl an Filmen online. Das Arsenal-Kino, Heimstätte der Berlinale-Sektionen Forum und Forum Expanded hat zwei Säle. Arsenal 3 ist dabei der digitale Kinoraum. Der Zugang zu den Filmen ist frei. Man hofft natürlich, dass Nutzer*innen trotzdem etwas einzahlen, damit man die Lizenzen stemmen kann. Diese Woche ist zum Beispiel Ulrike Ottingers „Bildnis einer Trinkerin“ (1979) in der Auswahl. In der vierten Corona-Woche folgt dann „Freak Orlando“ (1981). Ein weiterer Titel ist „An Elephant Sitting Still“ (Hu Bo, 2017), einer der schönsten Filme des Kinojahres 2018. Einen Tag lang folgen wir vier ProtagonistInnen durch Episoden der Grausamkeit, die Zeugnis vom Egoismus der Gesellschaft im Großen und der Familie im Kleinen ablegt. Jede Hoffnung scheint unmöglich und doch ist „An Elephant Sitting Still“ kein desillusionierender Film. Ganz im Gegenteil, Hu Bo schafft es, die Erfahrung der Demütigung, der Gewalt, der Schuld und der Wut einem so nahe zu bringen, dass man mitzufühlen lernt.
Abstand und Anstand
Lauter gute Nachrichten: Apokalyptiker & Integrierte; Gedanken in der Pandemie 14. Von Rüdiger Suchsland
„Gründonnerstag 29 März 2018. Der Frankfurter Hauptbahnhof wurde von milder Abendsonne geflutet, die wartenden Passagiere an Gleis 9 warfen lange Schatten. Auf die Minute pünktlich um 18 Uhr 30 fuhr Tanja Arnheim mit ICE 375 aus Berlin ein. Als Jerome Daimler, der eine Tüte mit frischen Backwaren in der Hand hielt, Tanja auf Höhe des Bistros aussteigen sah, überlegte er für einen Moment, ob er ihr entgegen laufen sollte, aber dann fand er es charmanter, einfach stehen zu bleiben.“
Leif Randt: „Allegro Pastell“, Anfangssätze
Ein Prozent aller Deutschen ist gerade infiziert. Auch wenn morgen Karfreitag ist und es da noch die ganze Zeit ums Opfer geht, bevor danach dann die Wiederauferstehung dran ist, möchten wir uns heute mal auf ein paar gute Nachrichten konzentrieren.
Wer kennt Robert Sigl? Vermutlich viel zu wenige von Euch, die jetzt lesen. Denn Sigl ist einer der großen Unbekannten des deutschen Kinos, und das selbstredend zu Unrecht. Jetzt hat der Münchner Regisseur einen schönen witzigen stillen Kurzfilm gemacht. Er heißt „Coronoia“, und steht auf YouTube.
Das ist eine gute Gelegenheit, um nachdrücklich auf Sigl Regiedebüt hinzuweisen. Es heißt „Laurin“ und hätte es damals die verdiente Aufmerksamkeit bekommen – die deutsche Filmgeschichte wäre anders und vermutlich besser verlaufen.
Aber hätte es Roman Polanski in Deutschland zum Filmregisseur gebracht, oder wäre er Theaterintendant geworden? Und David Lynch? Solche Fragen stellt man sich angesichts der Karriere von Sigl und dessen Debütfilm „Laurin“, der erst mit bald 30-jähriger Verspätung 2018 wiederentdeckt wurde. Dabei waren Sigl und sein Film für einen kurzen Augenblick im Scheinwerferlicht: Im Januar 1989, als es den „Bayerischen Filmpreis“ für den besten Nachwuchsfilm gab.
Sigl, Jahrgang 1962, war bereits 1987 Absolvent der Münchner HFF und immerhin finanzierte die ARD seinerzeit einen veritablen Horrorthriller wie diesen – eigentlich hätte er durch diesen Film zum neuen Regiestar werden müssen, in einer Zeit, als das deutsche Kino weitgehend darniederlag. Die Geschichten die Sigl dann erlebte, erzählen alles über die provinzielle Borniertheit und Ignoranz der hiesigen Filmszene: Bei den Hofer Filmtagen lehnte Heinz Badewitz den Film mit dem schrägen Argument ab, damit würde Sigl „sich selbst schaden“, der Produzent ließ die Filmnegative komplett vernichten. Was für ein absurder Akt vom deutschen Kinoselbsthass.
Und noch im Januar 2018 behauptete eine Berliner Zeitung, „Laurin“ sei „die einzige Regiearbeit“ Sigls, obwohl ein Blick in imdb.com genügt hätte: Denn nach dem reservierten Umgang mit „Laurin“ hat Sigl die meisten seiner Filme und Fernsehserien im Ausland gedreht, in Polen, in Kanada und den USA. Oder im Parterre-Segment der deutschen Sender: „Alarm für Cobra 11“, „Aktenzeichen XY“, aber eben auch „Zeig keine Angst“ (1999) und „Das Mädcheninternat: Deine Schreie wird niemand hören“ (2001). Aber keine Frage: Eigentlich müsste Robert Sigl ein Star sein. Er könnte, mit besseren Drehbüchern und anderer Förderpolitik, ein deutscher David Lynch sein, statt der Beweis, dass man hierzulande auch David Lynch vom Film-Hof jagen würde. So aber ist er im Ausland bekannter als hier, wo er nur an B- und C-Ware ’rangelassen wird.
Dabei verbindet „Laurin“ Märchenmotive mit subtiler Poesie, und Einflüssen europäischen Horrorkinos von Roeg bis Argento. Im Zentrum seht steht ein junges Mädchen im 19. Jahrhundert, in dessen Dorf ein Serienmörder umgeht. Zugleich wird sie, die an der Schwelle zum Erwachsenwerden steht, von ahnungsvollen Albträumen gequält – offenbar hat Laurin das „zweite Gesicht“. Also versucht sie selbst, den Mörder zu finden …
All das erinnert beispielsweise an Neil Jordans „Zeit der Wölfe“, auch an Sigls erklärtes Vorbild Polanski. Und eben an David Lynch. Die Atmosphäre ist modern zweideutig und lyrisch – wie in „Twin Peaks“. Ein Kleinod deutschen Filmschaffens.
“Laurin“ ist auch einfach ein schöner Film. Die DVD/Blu-Ray könnte man sich vielleicht gerade noch zu Ostersamstag bestellen. Sie ist prachtvoll ausgestattet und enthält sehr umfangreiches Bonusmaterial. Eine großartige Leistung des Verleihs „Bildstörung“. Neben einem Audiokommentar des Regisseurs gibt es auch dessen HFF-Kurzfilm „Der Weihnachtsbaum“, eine TV-Dokumentation über Sigl von Eckhardt Schmidt, Interviews mit Darstellern, Kameramann und Filmexperten, entfallene Szenen und anderes mehr. Im Booklet findet man einen Text des Regisseurs zur Entstehung des Films, einen vertiefenden Text des Filmwissenschaftlers Marcus Stiglegger, sowie ein Regisseurs-Interview, das dieser 1996 für „Splatting Image“ führte.
„Laurin“, Regie: Robert Sigl, Bundesrepublik Deutschland 1989, 84 Minuten (ungekürzte Fassung), im Kino und zugleich DVD und Blu-Ray bei Bildstörung
Leider nicht tippen kann ich „Der Überläufer“, die zweite Siegfried-Lenz-Verfilmung in einem halben Jahr, weil offensichtlich Erben und Verlag Kasse machen wollen, solange noch jemand weiß, wer Siegfried Lenz war. Jetzt in der ARD-Mediathek in gleich vier Teilen zu „bestaunen“. Ich wundere mich, dass der Film so gute Kritiken bekommt. Hier wird wieder einmal das „Dritte Reich“ und der Zweite Weltkrieg für eine Mainstream-Unterhaltungsschmonzette ausgeschlachtet, und die Historie zum Vorwand für eine auch politisch schmierige Liebesgeschichte zwischen bravem Wehrmachtssoldat und fescher Polen-Partisanin benutzt – die Bilder könnten von Heinz-Konsalik („Der Arzt von Stalingrad“) sein, wäre der Regisseur gewesen, und nicht Kolportage-Autor. Selbst Rainer Bock, der immer gut ist, leidet hier ab und an unter sehr expliziten Drehbuchsätzen.
Ansonsten will ich es mal so sagen: Florian Gallenberger habe ich noch nie für einen guten Regisseur gehalten, sondern für einen unsäglichen Kitschbolzen und dabei für sehr berechnend.
Schlechte Kombination.
„Robbens Frau positiv getestet“ – jetzt geht es also schon los: Dass die Promis wieder durchgenudelt werden und dass die Klatschseite des Mail-Providers, die vor zwei Monaten noch für eine neuesten Ehen, Trennungen und Affären berichtet hatte, nun von den neuesten Ansteckungen belegt sind. Sehr bald werden Halb-Promis sich absichtlich infizieren, um ihre Corona-Aufmerksamkeits-Dosis zu bekommen. Und dann werden sicherlich auch bald die ersten Tagebücher der genesenen Promis veröffentlicht werden. Nach dem Motto: „Mein Leben zwischen Leben und Tod“, „Vier Wochen im Pandemie-Camp“ oder „Wie ich durch Corona meine große Liebe fand“, und dann erlebt man einen Star, dessen siebte Frau die Krankenschwester ist, die ihn auf der Intensivstation gesundgepflegt hat.
Erste Sachbuchveröffentlichungen sind dann nicht mehr weit: „Pandemie und Onanie – Singles im Ausnahmezustand. Eine empirische Untersuchung“; „Pandemie und Infamie – was Paare von Corona lernen können“; „Corona und Cortana – ein Medienratgeber für schwierige Zeiten“; „Pandemie, iihh – Hygiene auch ohne Klopapier“ …
Liebe Leser, vielen herzlichen Dank für eure vielen Zuschriften, die meistens positiv sind, die ich natürlich aber auch dann gern lese, wenn sie kritische Anmerkungen enthalten. Gefreut habe ich mich auch über die Witze, die mir zugeschickt wurden – teilweise waren darunter auch kurze Filme, die ich hier nicht in jedem Fall verlinken kann. Manches kennen wir auch schon, wie etwa der zusammengeschnittene Clip von Ausschnitten von Christian Drosten, in dem er erklärt, dass Corona eigentlich ein Scherz ist – ich kann über sowas auch lachen, wie einige andere, aber nicht alle. So ist das halt – auch das gehört zum derzeitigen Zustand. Lachen und lachen lassen.
Über manches kann man natürlich auch so halb lachen, aber das ist ja auch schon was. Beispielsweise folgender Witz, den Nathalie Danilow-Leppin zuschickte:
Die Erde trifft einen anderen Planeten.
Planet: „Na, wie geht’s so?“
Erde: „Ach, grad nicht so gut.“
Planet: „Wieso, was ist denn los?“
Erde: „Ich habe Menschen.“
Planet: „Du, da hab ich was für dich. Probier mal Corona Forte.“
Oder von Christian Bruhn:
1. Sagt der eine Corona-Geheilte zum anderen
„War halb so schlimm!“
Sagt der andere: „Ich fand’s atemberaubend!“
2. „Witz, komm raus, du bist umzingelt!“
„Geht nicht, ich bin ansteckend.“
3. Geheimer Schauspiel-Workshop „Method Acting“:
Schauspieler: Ich denke, meine Figur fühlt sich wie eine Klorolle.
Sie reißen sich um mich, und ich muss niemanden mehr in den Arsch kriechen.
Es stimmt übrigens, was mir auch jemand geschrieben hat: Es gab überhaupt keine Aprilscherze dieses Jahr.
Unser heutiger Buchtipp ist alles andere als ein Geheimtipp. Macht aber nichts. Dies ist das perfekte Buch für einen Tag des Osterwochenendes, falls man sich auf einer Münchner Parkbank zum Lesen niederlassen möchte. Oder halt für das ganze Wochenende, wenn man immer nur abends für ein, zwei Stunden zum Lesen kommt.
Besser vielleicht, als sich noch eine weitere Serie reinzuziehen, von der man nie auch nur die erste Folge überstehen würde, wenn ich gerade Corona wäre.
Ich weiß ja nicht, wie es den anderen hier geht. Aber das, was mir von Netflix vorgeschlagen wird, was mich interessieren könnte oder müsste nach meinem Sehverhalten, das interessiert mich meistens nicht die Bohne. Und ich frage mich, ob die Algorithmen wirklich so scheiße sind, oder ob es Absicht ist, dass sie einen auf Dinge hinweisen, die man sich gerade nicht anschauen würde. Wäre ja vielleicht nicht die schlechteste Taktik, denn das was einen eh interessiert, das schaut man halt auch ohne Netflix.
Leif Randts Roman „Allegro Pastell“ hat angenehme nur gut 250 Seiten Umfang, und eine gewöhnungsbedürftige mauve-pastellene Farbe. Dies ist der Renner der Saison und das aus guten Gründen. Ein Roman über die Millennials. Ich glaube auch für die Millennials – weil ich selber aber nicht mehr zu dieser aus meiner Sicht auch ziemlich gewöhnungsbedürftigen Gruppe gehöre, würde ich sagen: Das Buch erklärt mir halt ein bisschen, was in diesen Köpfen vorgeht, die zu alt für Fridays for Future sind und zu jung, um die Filme von Roman Polanski zu mögen. Und es erklärt mir auch, was ich mit diesen Leuten gemeinsam habe, die 20 oder 20 plus X Jahre jünger sind als ich.
Heute am Hermannplatz in Kreuzberg. Für mich war es eine gute Nachricht zu sehen, dass da genauso viel los war wie sonst. Gefühlt zumindest, außer dass der Karstadt nicht auf hatte. Aber dafür der Markt und natürlich schon einige der vielen kleinen Geschäfte. Und es waren viele Leute auf der Straße, und die sahen nicht so aus, als ob sie alle von der Arbeit kamen oder zu ihr gingen.
Was mir daran gefällt: Dass das Leben weitergeht. Dass es einigermaßen normal weiter geht. Dass sich alles ganz anders angefühlt hat, als in Berlin-Mitte, wo wirklich alle sehr beflissen die Ausgangsregeln bis auf jedes einzelne Komma beachten. Muss ich noch dazu sagen: Kaum einer hatte eine Maske auf. Höchstens einer von 25. Und keiner schien ängstlich zu gucken. Auch ganz anders als in Mitte.
Wir haben es schon geahnt: Es wird so sein, wie Söder ja angekündigt hat: Die Masken-Pflicht wird kommen. Vielleicht bringt sie ja wirklich etwas – vielleicht geht es auch nur um Gehorsam gegenüber der Obrigkeit.
Ich weiß schon, dass das einige jetzt hier ärgert, und dass manche, die das lesen, es auch kindisch finden, dass ich das so hinschreibe. Aber zum einen ist es schlicht und einfach ehrlich: Ich empfinde es so und erlebe es genauso. Und da alle anderen sich nicht nur bei Corona auch das Recht nehmen, ihr Empfinden öffentlich zu machen …
Zum anderen möchte ich damit aber auch sagen: Habt euch nicht so! Ich will, dass wir in einer Gesellschaft leben, die sich „nicht so hat.“ Die die Dinge gelassener sieht, die sich nicht aufregt über jeden der irgendeinen Teil der Ausgangsregeln nicht beachtet. In einer Gesellschaft, die den anderen so wie er ist, akzeptieren kann, und die bei aller persönlichen Besorgnis, die ich niemanden nehmen möchte, vielleicht doch die Maßstäbe nicht verliert, und ab und zu mal überlegt, wie es mit den Zahlen aussieht. Die Zahlen, das ist nämlich die andere Seite der gute Nachrichten.
Es ist nicht schön, wenn Menschen sterben. Aber sie sterben. Auch ohne Corona. Im Schnitt in Deutschland 2616 täglich, davon täglich 140 an atemwegsbedingten Krankheiten. Ohne Corona. Zur Zeit sind über 99 Prozent aller Deutschen nicht mit dem Virus infiziert. Das ist eine schlechte Nachricht, denn wir alle müssen uns infizieren. Aber eine gute, wenn es um unsere Chancen geht, beim Einkaufen krank zu werden.
Die Chance, dass Menschen unter 70 an Grippe sterben, ist höher, als dass sie an Corona sterben. Auch 87 Prozent aller Menschen über 80 Jahre überleben eine Infektion – und da sind die Zahlen aus China, Italien, Spanien eingerechnet, das heißt in Deutschland sind die Chancen noch viel besser. Auch für die über 80-jährigen. Und Medizinstatistiker rechnen vor, dass jetzt Menschen „an Corona“ sterben, die eh gestorben wären, zum Beispiel an Alter, Herzschwäche, Demenz, etc.
Mit Zynismus hat das nichts zu tun. Ich finde es eher zynisch, nicht über den Tellerrand zu schauen – also weder die nicht-westlichen Länder zu sehen, noch anzuerkennen, dass es auch noch andere Probleme gibt, also Corona.
Alle Zahlen vom Statistischen Bundesamt, keine Fakenews.
Abstandsregeln, Anstandsregeln, Ausgangsregeln, wie heißt es jetzt eigentlich nochmal genau?
Was wir an Ostern dürfen und was nicht – Gott sei Dank erzählt mir das der Newsletter von GMX. Sonst wüsste ich ja wirklich nicht, was ich an Ostern darf und was nicht. Darf ich Ostereier bemalen oder ist das gefährlich, weil ich dann melancholisch werde, weil ich sie nicht draußen im Park verstecken darf? Und darf man eigentlich wenn man Ostereier sucht, auf Abstand, genau dies tun? Oder ist zwar lesen und Musik hören auf der Bank erlaubt aber nicht Ostereiersuchen im Park?
Eine Bekannte erzählte von den Münchner Verhältnissen, wo Menschen im Park mit Polizeihubschraubern aufgescheucht werden, Eltern mit behinderten Kindern, natürlich auch andere sehr robust und gnadenlos in wenigen Minuten vom Isarstrand vertrieben werden. Warum nur? Abgesehen, dass die Polizei von diesen Bürgern bezahlt wird. Aber sie behandeln einen wie die Herrscher die Untertanen. Da hat Super-Söder noch viel zu tun.
Im Interview mit der „Welt“ wird Uwe Timm zu seinem 80. Geburtstag interviewt und gefragt: „Sie haben an vielen Orten gelebt und gearbeitet, etwa in Rom, Argentinien, Paris, Hamburg, München, Berlin. Gibt es so etwas wie Heimat für Sie?“
Antwort: „Vertraut sind mir Berlin und Rom, aber zu Hause fühle ich mich im unaufgeregten München.“
Und auch die nächste Antwort des 80-jährigen ist wichtig in Zeiten der Risikogruppen, des Sterbens und zum Fest der Wiederauferstehung: „Wie gehen Sie mit dem unausweichlichen Gedanken an das Älterwerden, ja an den Tod um?“ – „Gelassen.“
Frohe Ostern!
Trotz allem ein frohes Osterfest, bis Dienstag und bleibt gesund!
Euer Crew United Team
Brancheninfo von crew-united und cinearte, erschienen auf out-takes