Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz: Von diesen Gesetzen profitieren Aktivisten und Großkonzerne

container hafen schiff logistik transport, Quelle: MICHOFF, Pixabay License Freie kommerzielle Nutzung Kein Bildnachweis nötig

Seit Anfang des Jahres gilt das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz in Deutschland. Auf EU-Ebene wird gerade an einer noch strengeren Verordnung gebastelt. Von diesen Gesetzen profitieren Aktivisten und Großkonzerne. Das Nachsehen haben Mittelständler und Kleinunternehmer – ganz besonders im globalen Süden, aber auch in ganz Europa.

Eine-Welt-Laden und Nestlé untergehakt

Vom ehemaligen Entwicklungshilfeminister Gerd Müller über die Eine-Welt-Laden-Aktivistin aus Kreuzberg bis zu „130 Ökonom*innen“, die 2021 die Forderung nach einem Lieferkettengesetz unterschrieben haben: Sie alle dürfen erleichtert aufatmen und voller Stolz auf ihr Werk blicken, das – so Müller – „wichtigste Gesetz für mehr Gerechtigkeit zwischen Reich und Arm“. Aber noch mehr Menschen haben guten Grund, die Sektkorken knallen zu lassen. Die Chefs von Ritter Sport, Tchibo, Nestlé, Rewe und kik haben auch dazu beigetragen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Zumindest für ihre Stakeholder. Es ist doch erstaunlich, dass die vielen Aktivistinnen nicht stutzig geworden sind, als sie plötzlich Schützenhilfe von einer Seite bekamen, die sie in der Regel für Vorzeigeexemplare des Raubtierkapitalismus halten.

Großkonzerne standen schon länger unter Druck. Nicht erst seitdem staatliche Stellen in der entwickelten Welt sie stärker an die Kandare genommen haben. Schon vorher haben zivilgesellschaftliche Akteure darauf gedrungen, dass die Firmen daran arbeiten, die Belastung der Umwelt und die widrigen bis menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen zu reduzieren. Dass sie auf diesen Druck reagiert haben, hat ihre Produktionskosten gesteigert und gereichte ihnen gegenüber anderen Wettbewerbern zum Nachteil, die nicht so im Fokus standen. Doch mit den Lieferkettengesetzen am Horizont könnte sich der Wind drehen. Denn während Nestlé und kik ja schon Compliance Abteilungen und Prozesse aufgebaut hatten – und auch genügend Ressourcen für so etwas zur Verfügung haben – musste die lästige Konkurrenz jetzt nachziehen.

Die Kaffeebäuerin und der Schuster sind überfordert

In Sichtweite des Prangers rücken jetzt kleinere Unternehmen, also Mittelständler und aufstrebende Jungunternehmen, zumal in der EU-Gesetzgebung die Grenze von 1.000 Mitarbeitern, ab der in Deutschland derzeit Nachweispflichten gelten, womöglich noch unterschritten wird. Diese Unternehmen können die Regulierungen nicht so leicht wegmoderieren wie die großen Firmen-Schlachtschiffe. Aber nicht nur die Kleinen hierzulande kommen in die Bredouille. Noch viel härter trifft es die Leute im Globalen Süden, deren Wohl ausweislich der entsprechenden Kommunikationsabteilungen ja Tchibo und Rewe so sehr am Herzen liegt.

Die Kaskade an Lieferkettengesetzen stärkt nicht nur hierzulande den Großkonzernen den Rücken, sondern führt auch dazu, dass in den Ländern des Globalen Südens nur diejenigen nach Europa exportieren können, die über die Infrastruktur und Mittel verfügen, ihre Reinheit unter Beweis zu stellen. Die unabhängige Kaffeebäuerin in Äthiopien und der Schuhproduzent in Vietnam werden de facto nicht mehr nach Europa importieren können, es sei denn, sie lassen sich von einem Industriegiganten schlucken. Ansonsten sind ihnen nur die Absatzmärkte zugänglich, wo sie geringere Preise erzielen können als in der Ersten Welt. Wenn sich so Stück für Stück Warenströme verschieben wird das sowohl die Lage der Produzenten schwächen als auch natürlich die Position Europas in der Welt.

Das himmelschreiende Elend darf nicht weitergehen!

Worum geht es beim Lieferkettengesetz? Kinderarbeit zurückzudrängen in Ländern wie Kamerun, Haiti oder Laos, wo sie eine signifikante Rolle in der Wertschöpfung spielt. Die hemmungslose Abholzung von Jahrtausende alten Regenwäldern zu verhindern, die für Biodiversität und Weltklima unverzichtbar sind. Sauberes Wasser, Schutz von Arbeiterinnen vor sexueller Ausbeutung, das Aufbrechen von staatlichen Verboten von Gewerkschaften. Kurz: Auch jenseits der westlichen Welt sollen Menschen die Chance haben, ihre Menschenwürde zu wahren und an Fortschritt und Wohlstand beteiligt zu werden. Selbst wer auf jeglichen moralischen Kompass und auf jede Regung von Empathie verzichtet, dürfte anerkennen, dass eine Welt, wo es Menschen deutlich besser geht, allen einen Nutzen bringt. Aber die Verfechter des Lieferkettengesetzes haben natürlich einen Punkt, der sich nicht ganz leicht ausräumen lässt: Der kurzfristige Nutzen, den Manager vom schnellen Gewinn und Kunden vom niedrigen Preis haben, verstellt oft den Blick. Ebenso wie die Tatsache, dass das Leid von Mensch und Natur nicht unmittelbar erfahrbar ist, sondern sich weit entfernt abspielt.

Das himmelschreiende Elend darf nicht weitergehen! Keine Frage. Aber dafür müssen wir Lösungen finden, die auch tatsächlich etwas bewirken. Der derzeitige Versuch befriedigt das Bedürfnis nach einem guten Gewissen: wir tun ja was. Und er dient Großkonzernen dazu, oligopolistische Strukturen auszubauen. Um beurteilen zu können, ob sich die Situation vor Ort verbessert, muss man wohl einen längeren Beobachtungszeitraum haben. Die Signale, die derzeit kommen, sind aber nicht besonders positiv. So war etwa in einem Bericht der FAZ zu lesen, dass sich europäische Kaffeeröstereien aus Äthiopien zurückziehen könnten. Die Bauern werden vermutlich nicht ganz ohne Absatzmarkt dastehen, denn im Zweifel springen Unternehmen aus Ländern ein, denen Sozial- und Umweltstandards weniger ein Herzensanliegen sind als Gerd Müller, und die sich darüber freuen, dass sie die Preise drücken können.

Die Politik wälzt Verantwortung ab

Die Bedeutung des Westens und insbesondere Europas in der globalen Wirtschaft befindet sich in einem beispiellosen Sinkflug. Eine de facto Abschottung unserer Märkte gegenüber allen Teilnehmern, die unseren Idealvorstellungen nicht entsprechen, kann also eine immer geringere Wirksamkeit entfalten. Am Ende schadet das nicht nur uns, sondern denen, denen wir helfen wollen.

Anstatt also immer wieder neue Instrumente zu ersinnen, die Marktteilnehmern das Leben schwer machen, sollten die Politiker hierzulande vielleicht lieber den Druck auf ihre Kollegen im globalen Süden erhöhen. Denn ein wesentlicher Grund für Umweltzerstörung und Menschenschinderei sind fehlender Rechtsstaat, versagende Institutionen, Korruption, Machtgier und Ideologien wie Nationalismus, Sozialismus und religiöse Fundamentalismen. All das hat sehr viel weniger mit Produzenten und Händlern zu tun als mit Politik. Ob Politiker die besten Intentionen haben oder verbrecherische Unmenschen sind: Den Preis für deren Versagen zahlen die Kleinen.

Quelle: Prometheus – Das Freiheitsinstitut

Finanzen

Über Clemens Schneider 2 Artikel
Clemens Schneider ist einer der beiden Gründer von Prometheus und fungiert als Direktor vor Ort in Berlin. Wenn es um Inhaltliches geht, ist er für viele der Ansprechpartner: Bei der Endkorrektur von verschiedensten Formen von Texten, bei strategischen Überlegungen zu Themen und Projekten und als Speaker bei Vortragsveranstaltungen, Debatten und ab zu auch mal in Funk und Fernsehen. Da Clemens auch den Umgang mit Menschen mit Leidenschaft sucht, ist das Thema Netzwerken bei ihm gut aufgehoben, wobei ihm der Kontakt mit neugierigen und begeisterungsfähigen jungen Menschen meist sehr viel mehr zusagt als mit den vermeintlich Wichtigen und Mächtigen. Außerdem publiziert er immer mal wieder in FAZ, Welt, taz und anderen Medien. Clemens ist gebürtiger Rheinländer, hat einen Teil seiner Kindheit in Italien verbracht und dann auch lange in Bayern gelebt eher er nach Berlin gezogen ist, wo er sich inmitten des Chaos pudelwohl fühlt. Der studierte katholische Theologe und frühere Mönch engagiert sich ehrenamtlich als Leiter der Agora Sommerakademie sowie im Vorstand der Initiative Queer Nations und des English Choir Berlin. Clemens liebt Hunde, Berge, klassische Musik und immer wieder Italien.