Nachfolgend finden Sie einen Kommentar von Dr. Blunt von der City,
University of London.
IN JAHR NACH DEM BREXIT: EINE TRAURIGE BILANZ
[1] [1]DR. GWILYM DAVID BLUNT [1], DOZENT FÜR INTERNATIONALE POLITIK AN DER CITY, UNIVERSITY OF LONDON
Es ist schon mehr als ein Jahr her, dass Großbritannien die
Europäische Union verlassen hat. Während der Übergangszeit war es
jedoch leicht, dieses bedeutsame Ereignis aus den Augen zu verlieren,
insbesondere angesichts des stillen Gemetzels, das die Covid-19-Pandemie
im Land angerichtet hat. Diese wohltuende Illusion löste sich in Luft
auf, als die Übergangsperiode am 1. Januar 2021 endete.
Boris Johnsons „Deal“ mit der Europäischen Union wurde in
Pro-Brexit-Kreisen als glänzender Triumph der britischen Diplomatie
angepriesen. Doch während in Kent die Lastwagen stauen, Unternehmen mit Lieferengpässen zu kämpfen haben, Verbraucher über Importgebühren
stöhnen und einige Regale in Lebensmittelgeschäften auffällig leer
geworden sind, ist die Realität des Brexit nun eingetreten.
Johnsons Bestreben, eine Vereinbarung „nach kanadischem Vorbild“ mit
unseren engsten Handelspartnern zu treffen, hat einfach keinen Sinn. Das
liegt nicht zuletzt daran, dass Kanada etwa 10 % seines Handels mit der
EU abwickelt, während die EU fast die Hälfte des britischen Handels
ausmacht. Es sind qualitativ unterschiedliche Beziehungen. Der Status
quo wird nicht haltbar sein; wahrscheinlich werden Großbritannien und
die EU in einem nahezu ewigen Zyklus von Neuverhandlungen gefangen
bleiben. Sartre sagte: „Die Hölle, das sind die Anderen“. In Bezug auf
die internationale Politik könnte der Satz folgendermaßen abgeändert
werden: „Die Hölle, das sind die anderen Länder, mit denen man
internationale Handelsabkommen aushandeln muss“.
Abgesehen davon war die jüngste Aufregung über den falsch
eingeschätzten Versuch der EU, AstraZeneca auf Kosten des Vereinigten
Königreichs mehr Impfungen abzuringen, ein unerwarteter Rettungsanker
für die Pro-Brexit-Bewegung. Sie ermöglichte es der virulenten
europhobischen Presse, zu ihrer Lieblingsbeschäftigung zurückzukehren,
nämlich Brüssel an den Pranger zu stellen. Allerdings steckt eine
echte Ironie darin, den Austritt aus der Europäischen Union mit der
Begründung zu rechtfertigen, dass sie die Interessen ihrer
Mitgliedsstaaten aggressiv verteidigt.
Links:
——
[1] https://www.city.ac.uk/people/academics/david-blunt
Dr. Ida JUNKER
Senior international consultant
PPOOL media – communications