Gerade in Hamburg. Hier ein längeres Gespräch mit einem Kino-Vorführer. Wir kommen auf Plakate. Er mag Berlin Alexanderplatz. Dafür, warum der Film aber unter den Erwartungen mancher bleibt, hat er eine interessante Erklärung: Die Plakate in Deutschland seien oft sehr schlecht. So auch hier.
Das verstehe er nicht, »warum die vom Verleih so ein Plakat machen. Das ist gar kein Plakat. Das sieht ganz gut aus, ist aber nur stylisch. Es macht auf nichts Lust. Und ich verstehe nicht, warum da kein Schauspieler drauf ist. Die Jella Haase ist doch so bekannt.«
Ähnliches bei Undine, der schon länger im Kino läuft: »Da ist kein Schauspieler zu sehen. Die Gesichter sind abgewandt, die Farben trübe. Wer soll da reingehen und warum?« Das Plakat ist so Wannabe und um die Ecke gedacht, wie der ganze Film.
Beim Plakat für den Dokumentarfilm Wim Wenders, Desperado fällt mir dann selber auf, wie dilettantisch es gemacht ist: Den Mann auf dem Bild erkennt man nur als Wim Wenders vor 40 Jahren, wenn man eh weiß, dass er es wohl sein muss. Und den in roter Pseudo-Handschrift-Schrift gehaltenen Schriftzug kann man nur mit Mühe als »Wim Wenders« identifizieren. Ob die Cannes-Palme auf dem Plakat etwas hilft?
Er meint nur: »Viele denken halt, das ist der neue Film von Wim Wenders.«
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Der Schauspieler Volker Bruch initiiert die Initiative »Los für Lesbos«. Mit deren Erlösen sollen Organisationen unterstützt werden, die sich für die Rechte und Würde von Flüchtlingen an den europäischen Außengrenzen einsetzen. Insgesamt haben sich bis dato 24 Künstler angeschlossen. Bei der Initiative spenden die Künstler persönliche Gegenstände aus ihrer Karriere, die dann verlost werden.
»Die Situation im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos beschäftigt mich gerade sehr«, so Bruch. »Das Lager platzt aus allen Nähten, es fehlt praktisch an allem. An Essen, an Kleidung, an medizinischer Versorgung, an trockenen Schlafplätzen, an sanitären Einrichtungen, an Sicherheit, an Schulbildung für die vielen Kinder. Eigentlich müsste dieses Lager sofort evakuiert werden, aber das passiert einfach nicht. Im Gegenteil, inzwischen sind die Schutzsuchenden seit Monaten eingesperrt und dürfen das Camp nicht mehr verlassen. Also, was kann ich als Schauspieler tun? Ich kann Aufmerksamkeit generieren – und ich kann Geld spenden, damit sich die Situation vor Ort verbessert. Und um das zu kombinieren, haben wir uns die Aktion ‚Los für Lesbos‘ ausgedacht.«
Neben Bruch, Herbert Grönemeyer und Liv Lisa Fries nehmen auch Heike Makatsch, Jürgen Vogel, Lars Eidinger, Karoline Herfurth, Jella Haase, Jannis Niewöhner, Emilia Schüle, AnnenMayKantereit, der 1. FC Union Berlin und viele andere teil.
Jeder gespendete Euro entspricht einem Los, das zwischen 23. Juli (12.00 Uhr) und 21. August (12.00 Uhr) unter www.losfuerlesbos.com erworben werden kann.
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Die Kinos nach dem Neustart sind ausverkauft und trotzdem zu zwei Dritteln leer. Mau sind die Zahlen, auch wenn es im Sommer die Kinos eh schwerhaben. Und die Abstandsregeln erlauben nur eine Maximalauslastung von 20 bis 30 Prozent.
Auch das Open Air darf nur 30 Prozent verkaufen. Draußen! Noch halten die Verleiher Publikumsfilme zurück. Vor allem die US-Blockbuster werden in den Herbst verschoben. Nolans Tenet schon zum dritten Mal, jetzt auf den 26. August.
Gerade hat Cineplex-Geschäftsführer Kim Ludolf Koch den Constantin-Chef Martin Moszkowicz aufgefordert, nicht auch noch deutsche Produktionen mit Publikumspotential auszubremsen. »Lassen Sie Kaiserschmarrndrama auf dem August-Termin, bringen Sie Ostwind möglichst zeitnah und lassen Sie Contra auf dem 3. Oktober oder ziehen ihn sogar nach vorne,« schreibt er in einem Offenen Brief.
In Frankreich bekommen Verleiher Geld dafür, Filme jetzt zu starten. In Deutschlsand sind die Förderer zu dumm, um auf solche Gedanken zu kommen.
Und die Verleiher zu geldgeil, und zu wenig kinoaffin.
Es kommt alles zusammen.
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Immer wieder verweist man in Diskussionen über Film in Deutschland auf das Beispiel Frankreich. Da sei alles besser, heißt es.
Stimmt das überhaupt? Mir scheint es so. In Frankreich ist Kino – auch Jahrzehnte nach der legendären Nouvelle Vague – die »siebte Kunst«. Ernstgenommen als nationales Kulturgut, von manchen quasi heiliggesprochen.
Tatsächlich ist – ganz konkret – die Praxis des Kinobesuchs und das Erlebnis für die französischen Kinogänger komplett anders: Zunächst einmal gibt es kein Popcorn (das haben die Deutschen aus Amerika übernommen). Überhaupt wird im Kino nicht viel gegessen. Die Kinos sind insgesamt weniger komfortabel, oft alte Gebäude mit altem Mobiliar – das kann man charmant finden, oder überholt.
Jedenfalls gibt es trotzdem in Frankreich viel mehr Zuschauer. Das liegt zum einen an den niedrigeren Preisen. Und daran – das ist der größte Unterschied –, dass es ganz selbstverständlich und seit Jahrzehnten in den französischen Kinos ein Abonnement-System gibt, ähnlich wie bei uns im Theater oder in der Oper.
Schließlich laufen viel mehr Filme in Originalversionen mit Untertitel – die Achtung vor der Stimme der Schauspieler und der ursprünglichen Tonmischung der Regisseure ist dort deutlich größer.
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Auch die französische Filmförderung funktioniert ganz anders. Zum einen gibt es ganz einfach viel mehr Geld. Doppelt so viel wie in Deutschland. Kino sei eben Kunst und müsse gefördert werden.
Überdies ist die Macht des Fernsehens zwar nicht gleich Null, aber extrem eingeschränkt. An zwei Tagen in der Woche ist es den Sendern einfach verboten, Kinofilme auszustrahlen – um den Kinobesuch zu fördern
Jetzt in Corona-Zeiten gibt es viele konkrete Hilfsmaßnahmen, um den Kinobesuch zu fördern und der Filmbranche Einnahmen zu sichern: Extraprämien im Fall schneller Re-Starts von Filmen, die Aufhebung von Auswertungseinschränkungen, Produktionsförderungen.
Seit jeher hilft auch die berühmte »exception culturelle« Frankreichs: Quoten für französische und europäische Filme.
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Somit ist die öffentliche Rolle, die das Kino in Frankreich spielt, komplett anders. Kino wird grundsätzlich anders wahrgenommen: In der Öffentlichkeit, in Talk-Shows, bei politischen Debatten sind Filmemacher und Filmstars wie zum Beispiel Catherine Deneuve oder Juliette Binoche gefragte Gesprächspartner, und sie werden intellektuell für voll genommen – in Deutschland ist dergleichen unvorstellbar.
Das berührt auch die Filmkritik: Während Filmkritik in Deutschland oft an Gastro-Kritik erinnert – schmeckt der Film? lohnt er das Geld? –, ist sie in Frankreich eindeutig Kunstkritik. Film steht in einer Reihe mit bildender Kunst, Theater und Literatur.
Schließlich ist der französische Kinobegriff international, nicht national: Zum Beispiel lebt Michael Haneke in Paris und spricht Französisch – er wird quasi adoptiert.
Das französische Kino ist ein Weltentwurf!
(to be continued)
Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind auf artechock in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beobachtungen, Kurzkritiken, Klatsch und Filmpolitik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kinogehers.
Erschienen auf out-takes