Lichtbilder oder: „Wer nichts erzählen kann, der hat auch nichts zu sagen.“ (C. Ransmayr)
„Reden, Ansprachen, die nicht auch vom Leben der Menschen berichten, von ihren Hoffnungen, Ängsten, Sehnsüchten und katastrophalen oder verbrecherischen Irrtümern, könnten ebensogut als leere Thesen gedruckt, an Wände und Tore geschlagen und dort in Ruhe vergessen werden.“, notiert Christoph Ransmayr im September 2013, in dem kleinen Ort Pincinguaba, gelegen auf einer brasilianischen Halbinsel im Südatlantik, zwischen Sao Paulo und Rio de Janeiro. Reden und Ansprachen hat der österreichische Schriftsteller schon viele gehalten, halten müssen, halten dürfen. Denn der zu den bedeutendsten deutschsprachigen Vertretern des postmodernen Erzählens gehörende Autor wird nahezu jährlich mit Auszeichnungen „überschüttet“. Und dann lässt es sich der Geehrte nicht nehmen, in dieser oder jener Ausführung dieser postulierten Anforderung gerecht zu werden.
Elf solcher „Elogen“ sind in dem vorliegenden schmalen Bändchen versammelt. Texte zur Verleihung des Bertolt-Brecht-, des Ernst-Toller-, des Heinrich-Böll-Preises oder des Premio Itas. Aber ebenso Eröffnungsreden zur Basler Buchmesse, der Weltkartenschau in der Österreichischen Nationalbibliothek oder einfach „nur“ Gedankenvorträge zur Entstehung einer Kurzgeschichte, zum Erzählen in Strophen oder zur Kunst der Übersetzer. Ansprachen, die Ransmayr einem größeren Publikum in Theatern und imposanten Sälen, als auch einem kleineren, illustren Kreis in Innenhöfen oder Wohnzimmern zu Gehör brachte. Den Leser erwartet jedoch keineswegs eine langatmige, einfallslose oder nichtssagende Laudatio, denn wie seine Prosa, so entpuppt sich Ransmayrs „Gerede“ als unglaublich wort- und sprachgewaltig. Texte, die stets eine faszinierende Aura umgibt, die man beinahe atemlos in sich aufnimmt und die in höchstem Maße poetisch sind. Der österreichische Autor wartet mit Passagen auf, die geradezu vor Schönheit vibrieren, selbst wenn aus ihnen hin und wieder das Dunkle, Anklagende oder gar Schockierende herausschaut. Sozialkritisch sind sie mitunter, politisch direkt und ungeschönt, zuweilen mit einer geradezu schockierend offenen Klarheit. Ab und an klingen überdies sehr intime, bewegende, seiner Herkunft gewidmeten Momente hindurch, in denen man merkt, dass der Kosmopolit und Globetrotter Ransmayr ein „oberösterreichischer Dörfler“ aus bescheidenen Verhältnissen geblieben ist. Den verstorbenen Vater, einen Lehrer, erwähnt er in melancholischer Dankbarkeit. Immer wenn jener auf dem „Englischen Klosett“ Monologe auf Russisch führte und der Sohn ihnen aus einem geheimen Versteck lauschte, genoss er deren Klangschönheit, aber blieb genauso mit dem Rätsel des Nichtverstehens dieser fremden Sprache zurück.
Fazit: Ransmayr hebt genau wie der deutsche Schriftsteller, Politiker und Revolutionär jüdischer Herkunft Ernst Toller in seinem „Schwalbenbuch“ „den Kampf gegen die Unerbittlichkeit hoch über seine Zeit hinaus, verwandelt ihn in Sprache, in Poesie, und so, wenn nicht in einen Triumph, so doch in etwas, das Herrschaft, Gefangenschaft und Mauern übersteigen und überdauern“ kann. Sein „Gerede“, der zehnte Band der „Spielformen des Erzählens“, ein Projekt, in dem Ransmayr mit neuen Varianten des Erzählens experimentiert, offenbart eine ebenso vergnügliche wie tiefsinnige, unglaublich vielschichtige Prosa. Mit einem Wort: Lichtbilder.
Christoph Ransmayr
Gerede. Elf Ansprachen
S. Fischer Verlag (Februar 2014)
104 Seiten, Gebunden
ISBN-10: 3100629523
ISBN-13: 978-3100629524
Preis: 12,00 EUR
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