Christoph Niemanns leise Verrücktheiten im Münchner Literaturhaus

Mohnsemmel oder Stoppelbart – das ist hier die Frage. Christoph Niemann ist es vermutlich egal.

Den Alemannen sitzt der Schalk im Nacken. Ob Politiker (Wolfgang Schäuble), Wissenschaftler (Albert Einstein) oder Künstler – ganz egal. Zu den Künstlern zählt einer, den nicht jeder kennt: Christoph Niemann. Dabei hat sich der gebürtige Waiblinger des Jahrgangs 1970, seit 2008 Wahlberliner, längst einen Namen gemacht. Als Zeichner. Oder besser: zeichnender Erzähler. So durfte Niemann x-mal schon ein Titelblatt für den „New Yorker“ gestalten. Seine Illustrationen kennen Leser des „Zeit“-Magazins – eine Sonderausgabe war ganz und gar dem Designer Christoph Niemann gewidmet – und der Zeitschrift „Weltkunst“. In der „New York Times“ hat er eine eigene Kolumne. Mit seinem Kinderbuch „Der Kartoffelkönig“ war er 2014 für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert. Christoph Niemann erhielt einen festen Platz in der Art of Directors Club Hall of Fame, und für literarische Novitäten von Superstar-Autoren des Zürcher Diogenes-Verlags wie Coelho oder Martin Suter kreierte Niemann Covers, die Pfiffigkeit und Konvention ins ausgewogene Verhältnis bringen.

Diesen Tausendsassa „mit Tinte und Tusche“, wie Niemann von Andreas Platthaus kürzlich im Frankfurter Literaturhaus vorgestellt wurde, lernen nun die Münchner kennen, auch im Literaturhaus – mit einer ersten Werkschau südlich der deutschen Donau; denn Ausstellungen bestritt Niemann bereits in Wien, Paris und natürlich New York, wohin es ihn, zum Arbeiten, bereits mit 27 Jahren gezogen hatte. An der Isar tat der Grafiker und Autor Christoph Niemann mit vielen Worten kund, was ohnehin vielen Kulturkonsumenten klar ist: „Der wahre Zauber findet nicht auf dem Papier statt, sondern entsteht im Kopf des Betrachters.“

Während frühere Ausstellungen seiner stets amüsanten und überraschend erhellenden Animations- und Illustrationskünste Titel wie „Unterm Strich“, „That`s How“ oder „Modern Times“ trugen, wurde die jüngste Münchner Niemann-Schau etwas dünn mit „Im Auge des Betrachters“ überschrieben. Sie bietet allerdings abwechslungsreich präsentierte Arbeiten des vielseitig Kreativen aus den letzten beiden Jahrzehnten. Und: Sie lässt den „Betrachter“ nicht nur hingucken, sondern auch selbst aktiv werden. So sind schon ältere, aber nicht tot zu kriegende Covers von Magazinen, die Niemanns Handschrift tragen, als großformatige Plakate ausgehängt. Durch Manhattan reist man virtuell mit einem Doppelcover für den „New Yorker“.

Als Bild-Erzähler der „hinterhältigen“ Art erweist sich Christoph Niemann, wenn er sich ein Tintenfass (es soll ja Menschen geben, die so ein Ding noch kennen) wie eine Kamera vors linke Auge hält und darauf seitlich mit dem linken Zeigefinger klickt. Oder wenn er für die Hinterläufe eines munter galoppierenden Pferdes zwei Bananen hernimmt. Oder wenn bei ihm eine Mohnsemmelhälfte ein bartstoppeliges Männerkinn ersetzt. Diesem scheinbar dauergutgelaunten Christoph Niemann sitzt eben der Schalk im Nacken. Kein Wunder, dass große Leute uns ganz gerne auch Kinder seine Kreationen begeistert aufnehmen. Daher der gute Rat: Mit Kindern reingehen! Diese Ausstellung dürfte manchen jungen „Betrachter“ spontan zu eigenen Bildschöpfungen der kuriosen Art und leisen Verrücktheit anregen. Dazu ist noch Zeit genug: bis 3. Februar. Die Galerie im Erdgeschoß des Münchner Literaturhauses, gleich neben dem Café „Oskar Maria“ ist immer Montag bis Mittwoch, am Freitag sogar von 10 bis 19 Uhr, und an Samstagen, Sonn- und Feiertagen von 10 bis 18 Uhr geöffnet.

Foto (Hans Gärtner)

Mohnsemmel oder Stoppelbart – das ist hier die Frage. Christoph Niemann ist es vermutlich egal.

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Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.