Am Abend der Bundestagswahl bin ich aus der aktiven Politik ausgeschieden. Es zeigt die Besonderheit dieser Debatte, dass ich trotzdem heute spreche. Wir sind im politischen Niemandsland zwischen altem und neuem Parlament. Dennoch beraten wir tiefgreifende Änderungen der Finanzverfassung, die unser Land und Europa für lange Zeit prägen werden. Ich spreche hier also nicht, weil ich, anders als Friedrich Merz, etwas werden will, sondern um unsere Überzeugungen zu bekräftigen.
Fiskalregeln wie die Schuldenbremse sind lästig und konfliktträchtig, aber sie schützen Steuerzahler und kommende Generationen.
Mit der vorliegenden Änderung des Grundgesetzes würde die Schuldenbremse dagegen bis zur Wirkungslosigkeit gelockert. Deutschland könnte bald 1 Billion Euro höhere Schulden haben, ohne dadurch wirtschaftlich gestärkt worden zu sein. Es würde im Bundeshaushalt Platz geschaffen für Umverteilung, für Subventionen und für Wahlgeschenke. Der kritischen Betrachtung der enormen Staatsausgaben entziehen sich Union und SPD; der europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt wird offen infrage gestellt.
Sie schreiben in Ihrem Gesetzentwurf unter „C. Alternativen“ lapidar „Keine“. Das ist falsch, und das klang bei CDU und CSU noch vor wenigen Tagen ganz anders.
Heute haben wir von Friedrich Merz eine vollkommen andere wirtschaftspolitische Ausrichtung gehört und haben bei ihm zugleich eine möglicherweise unbeabsichtigte Form der Komik erlebt. Sie hier vorne in der ersten Reihe: Wer sind Sie? Und was haben Sie mit Friedrich Merz gemacht?
Fast drei Jahre habe ich mich als Finanzminister solchen Ansinnen von SPD und Grünen entgegengestellt. Auch daran ist am Ende die Ampelkoalition gescheitert.
Die Merz-Union hat nicht einmal zwei Wochen durchgehalten. Die Charakterfrage in der Politik ist doch diese: Opfert man Ämter wegen seiner Überzeugungen, oder opfert man seine Überzeugungen für Ämter?
Die geopolitische Lage hat sich in den vergangenen Jahren verändert. Aber es war doch bereits vor dem Amtsantritt von Donald Trump klar, dass Europa und dass auch Deutschland mehr würden investieren müssen in Landes- und Bündnisverteidigung. Es handelt sich also nicht um eine krisenhafte Zuspitzung, sondern um eine neue Normalität. Deshalb hatte ich seinerzeit die Initiative für die Schaffung eines in der Verfassung verankerten Sondervermögens für die Bundeswehr ergriffen – anders, als Alternativen zu erwägen wie einen Verteidigungssoli oder schlicht eine generelle Ausnahme von der bestehenden Regel in der Verfassung –, eines Sondervermögens, das durch Zweckbindung und Obergrenze die Mittel dem allgemeinen Verteilungskampf entzieht. Daran könnte und müsste das Parlament anknüpfen, wenn übergangsweise weiter steigende Verteidigungsausgaben realisiert werden sollen. Wenn Deutschland stattdessen eine staatliche Kernaufgabe dauerhaft mit unbegrenzter Verschuldung finanziert, stärkt das nicht unsere Sicherheit, sondern provoziert – im Gegenteil – neue Risiken.
Stabile Staatsfinanzen gehören schließlich zu einem erweiterten Sicherheitsbegriff; denn sie sichern Handlungsfähigkeit in Krisensituationen. Die deutsche Schuldenwende erhöht aber die Fragilität und Krisenanfälligkeit der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion.
Die ersten Auswirkungen sind bereits sichtbar. Zinsanstiege, Zahlungsschwierigkeiten oder gar eine neue Eurokrise würden die Verteidigungsfähigkeit Europas untergraben. Deutschland muss als Stabilitätsanker in der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion weiter Verantwortung tragen. Fiskalische Resilienz ist kein Widerspruch zur Sicherheitspolitik; fiskalische Resilienz ist Teil von Sicherheitspolitik.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist keine Frage, dass unser Land einen großen Investitions- und Modernisierungsbedarf hat. Das Niveau der öffentlichen Investitionen des Bundes ist in den vergangenen Jahren auch gestiegen und sollte weiter steigen. Union und SPD wollen nun aber den Dammbruch, indem sie eine halbe Billion Euro für Investitionen bereitstellen. Schon die Reaktion auf diese Ankündigung zeigt die ökonomische Ambivalenz: Die Bauzinsen sind wieder gestiegen, was nicht dazu beiträgt, die Konjunktur zu beleben, im Gegenteil: Viele Familien können sich genau ausrechnen, wie viel sie jetzt mehr für ihre Immobilie zahlen müssen – wegen Friedrich Merz.
Wenn nicht der Mangel an öffentlichem Geld, sondern Vorschriften, Planungs- und Genehmigungsverfahren das Land lähmen, helfen auch neue Schulden nicht. Wenn viel öffentliches Geld auf beschränkte Kapazitäten trifft, dann sind eher Preissteigerungen als Fortschritte zu erwarten. Wenn nach den Einmaleffekten durch diese Investitionen die Zinslast im Bundeshaushalt so stark steigt, dass Steuern erhöht werden müssen, und wenn die Zinsen für die Privatwirtschaft ebenfalls steigen, dann wird das nicht zu mehr Wachstum führen, im Gegenteil: Sie werden unsere Wirtschaft stranguliert haben.
Überdenken Sie die ökonomischen Risiken! Für die Modernisierung dieses Landes gibt es einen anderen Weg, nämlich den Mut aufzubringen, den Staat auf seine Kernaufgaben zu beschränken, ihn dort starkzumachen und ihn da zu beschneiden, wo er lästig und teuer ist.
Heute sieht niemand die Kreditfähigkeit unseres Landes, unser Triple-A-Rating gefährdet; denn noch herrscht der Glaube vor, das Geld werde gut investiert. Wenn aber Produktivitätsfortschritt ausbleibt und die alternde Gesellschaft höhere Lasten tragen muss, dann kann sich das Blatt wenden. Es war deshalb immer Kennzeichen deutscher Finanzpolitik, niemals die Grenzen der Tragfähigkeit unserer Staatsfinanzen auch nur ansatzweise zu testen.
Sollte die Billionenwende der deutschen Politik das ökonomische Fundament unseres Landes beschädigen, dann trägt dafür allein die Union die Verantwortung; denn sie hat es vorher besser gewusst.
Der Satz „Whatever it takes“ von Friedrich Merz sollte die Dringlichkeit der Maßnahmen unterstreichen. In Wahrheit wird er dessen ganze Kanzlerschaft charakterisieren; denn Friedrich Merz hat keine Anleihe an Churchill genommen, sondern an Draghi. Er hat nicht zu neuen Anstrengungen aufgerufen, sondern zu neuen Schulden. Statt mehr Marktwirtschaft kommt Staatswirtschaft. Die Menschen haben Merz gewählt und Esken bekommen.
Den Schaden hat die junge Generation. Erst hat die Generation Merkel, Scholz und Merz die Friedensdividende verfrühstückt und die Infrastruktur verschlissen, und jetzt muss die junge Generation für horrende Neuverschuldung die Kosten tragen. Wenn man nicht will, dass sich die Jungen dauerhaft den Rändern zuwenden, dann muss man ihre Interessen wieder in das Zentrum rücken. Dazu wünsche ich Ihnen Mut.