Christen und Atheisten

Das Thema muss enger gefasst werden: Atheismus und Kirche.

Gemeinhin nennen wir alle Menschen, die Kirchenmitglieder sind (ob evangelisch oder katholisch) Christen. Auch den Horror der Evangelikalen etc.. Christentum ist ein vielseitiges, oft blutbeflecktes religiöses Bannerwort, das bei der Hälfte der Menschheit Furcht, Schrecken und Terrorangst verbreitet, genau wie „Islamisten“. Alle berufen sich auf Gott, den einzigen, wahren, für den sie sterben oder töten, gemäß dem Wort: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben….“ Dafür sterben, dafür töten die Monotheisten –auch heute noch.
Gott lebt! Er lebt, dieser Kirchengott, dieser Allah, dieser Jahwe! In den Gehirnen von Abermillionen Menschen.
Unsere Kirchen gehen hausieren mit dem Wort „Gott lebt“. Und dulden keinen Zweifel, dass dem so sei. Woher nur wissen sie es? Können sie nicht in demütiger Bescheidenheit sagen: Wahrscheinlich existiert ein Gott. So wie die Atheisten sagen: wahrscheinlich existiert kein Gott.
„Es gibt (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) keinen Gott“ scheint mir für einen ehrlichen Atheisten die treffendste Aussage, die auch einem Zweifel und damit menschlicher Intelligenz noch Raum lässt. Zweifel, den jede exakte Wissenschaft zulässt, die nicht dogmatisch bestimmt, dass etwas so und so zu sein hat. Warum nur tut sich die Mehrzahl der Menschen so schwer, auch diese andere „Meinung“, (nicht „Wahrheit“), anzuerkennen? Ja, mit Hassmails und unflätigen Beschimpfungen auf eine Atheistenkampagne zu reagieren, die genau diese Meinung äußert?
Offensichtlich erklärt sich die obstinate Dummheit und Intoleranz vieler Zeitgenossen aus der Jahrhunderte alten Indoktrination geistlicher und geistiger Manipulation, die einen Weg zum freien Dialog mit Andersdenkenden, seit es Monotheismus gibt, versperrt. (Versuchen Sie es doch einmal mit einem dergestalt seit seiner Kindheit manipulierten Katholiken zu diskutieren.)

Nur so ist es zu verstehen, dass keine einzige der 17angefragten deutschen Großstädte, anlässlich einer Atheistenkampagne im Mai 2009, die neben Banalreklame durchaus auch Christentums- und kirchenfreundliche Parolen durch die Strassen chauffieren, bereit waren, auch atheistische Slogans zu präsentieren. Beispiel: „Ein erfülltes Leben braucht keinen Gott“: Solch eine „Gottverachtende Werbung“ könne nicht geduldet werden. Das ist doch nicht „gottverachtend“ das ist Lebens- und Menschenoptimismus und Mut. (Wir Atheisten trauen uns zu, ohne geistigen Krückstock in Kreuzesform durchs Leben und in den Tod zu gehen. Wir trauen uns zu, eine einigermaßen moralische Solidarität mit unseresgleichen zu verwirklichen ohne „Gottesgebot“.) Die Verkehrsbetriebe einer Stadt sollten stolz sein zu einer solchen Meinung zu stehen, statt sich dem Kirchendiktat zu unterwerfen. Haben wir unter Bürokraten eigentlich nur Duckmäuser und Kriecher??
Wenn doch diese hehren Verteidiger ihrer Gottesvorstellung auch einmal hinter ihre Religionsfassade einen Blick werfen würden, dann könnten sie feststellen, dass die Herkunft ihres „Gottes“ und ihres Gottesbegriffs aus mehr als trüben Quellen sprudelt. Ihr Gott ist entsprungen aus einem Heidengott! Einem Regengott aus der Götterwelt der Sinaigegend, namens JAHWE!, der von einer einflussreichen und machtgierigen Priesterschaft zu dem monotheistischen „Gott“ hochstilisiert wurde. Und der nun im Kirchenchristentum seit zweitausend Jahren seine von „Nächstenliebe“ und „Feindesliebe“ getränkten Untaten in der Welt vollbringt. (Kreuzzüge, Inquisition, Hexenverbrennungen, „Bekehrungen“ in Mittel- und Südamerika. Knebelung der wissenschaftlichen Erkenntnisse, Unterstützung aller antidemokratischen, faschistischen Ideologien, Widerstand gegen die sozialengagierten Kräfte im 19. und 20. Jahrhundert). Dieser Bibel-Gottesbegriff ist auch heute noch die prägende Instanz in den Seelen der Gottesanbeter, da mag Hans Küng, der ehrbare Streiter gegen den Kirchen(un)geist noch so viel ins Feld führen, hier ist die Kirchendoktrin unerschütterlich retrograd, resistent gegen jeden Vernunftgedanken. (Man stelle sich vor, dass der Kirche oberster Pontifex Benedikt XVI doch tatsächlich überzeugt ist, dass der verflossene Papst von einem Himmelsbalkon auf die Menschheit blickt!). (Interview mit Hans Küng im Stern vom 15. 10. 2009. S. 124 –131)
Die aus dem Sud von Magischem Denken, Nichtverstandenem, Machtgier der Hierokraten, der Verführbarkeit eines ungebildeten Volkes entstandene psychische Realität des Gottesphantoms hat sich materialisiert in den Taten und Untaten unserer Religionen. Gott, dieses Phantom ist in die Realität übergetreten: Gott lebt! Dieser kirchliche Popanz lebt!!
Wenn die Verteidiger dieses Gottes, die meistenteils nicht einmal überzeugte Gottes- „Anbeter“ , sondern abgestandene Mitläufer einer christlichen Ideologie sind, einen ehrlichen Blick wagen würden auf sich selbst und die Hintergründe ihres Tuns, dann würden sie feststellen, dass ihre geistige Trägheit und Feigheit sie hindert, frei zu handeln und nicht nach der Pfeife einer verlogenen Tradition zu tanzen.
Die Kirche und die ihr Hörigen sind flugs bei der Hand, atheistisches Denken als „aggressiv“ zu verteufeln und barmend nach den weltlichen, „demokratischen“ Hilfstruppen zu rufen, die ihnen solches Ungemach, solche Zumutung einer geistigen Auseinandersetzung aus dem Weg räumen. Und nur zu gerne sind unsere demokratischen Strukturen helfend tätig, zum Beispiel obengenannte „Gottverachtende Werbung“ zu verbannen, während landauf landab „Worte zum Sonntag“ und Ähnliches an jedem Morgen in Radio und Fernsehen den Zeitgenossen zugemutet wird, obwohl 30% der Bevölkerung konfessionslos ist und nur 20% der sogenannten Kirchenmitglieder noch in einer Gemeinde teilnehmen. (TAZ, 31.05.09 S.04). Hört man sich den Inhalt so mancher Ergüsse an, dann bleibt einem, ob der erbärmlichen Gottgefühligkeit, bar jeder intelligenten Hinterfragung, der Frühstückskaffee im Halse stecken. Offenbar fehlt aber nicht nur der devot lauschenden Christenherde, sondern auch den Radiomachern der Sinn für intellektuell Zumutbares. Meine Frage: Wer ist denn hier aggressiv?
Die Atheisten verteidigen sich immer, sie wollen die Gläubigen nicht verletzen. Ich denke das ist ehrlich, denn in jeder Kommunikation bestimmt der Empfänger die Botschaft. Wenn dieser eine atheistische Information oder Argumentation als „aggressiv“ bestimmt, dann hat er zunächst mit sich selbst ein Problem. Sei es dass er dermaßen unsicher ist, dass er eine solche Argumentation nicht zulassen kann, ohne sein Selbstverständnis infrage zu stellen, sei es dass er so indoktriniert ist, dass er jeden freien Gedanken und freies Nachdenken über das Gottesphänomen als Blasphemie betrachtet, oder dass ihn diese Fragestellung sowieso völlig kalt lässt. (Bei Letzteren würde man sich wünschen, dass sie sich dann auch neutral aus den Scharmützeln heraushalten, statt sich durch wohlwollendes Applaudieren gegen die Andersdenkenden zu profilieren und damit bei den „Gottesanbetern“ Pluspunkte zu sammeln, wie es bei vielen Karrieretypen der Fall ist).
Zum Problem der Indoktrination hier noch einige Anmerkungen: Jedermann weiß, wie bildsam und formbar junge Menschen sind: Alle autoritären Herrschaftsformen machten sich diese Kenntnisse zu nutze: Nur wenige Beispiele: Nazis: Jungvolk und Hitlerjugend, DDR: Freie Deutsche Jugend, China: die Jugend der Kulturrevolution etc. Sie alle waren von Parolen, die ihnen eingehämmert wurden, die in ihrem Lebensumfeld wirkten, die begeisterten, weil sie ein Ziel aufzeigten, das in einer Gemeinschaft verwirklicht werden konnte, gefangen. Sie waren später die überzeugtesten Anhänger der jeweiligen Ideologie und waren weitestgehend immun gegenüber Argumenten rationaler Art. Ist es bei den Kirchengläubigen anders? Gläubig im katholischen und evangelischen Sinn ist ja der Inbegriff der irrationalen Verhärtung und geistigen und intellektuellen Abdankung, die es nicht mehr zulässt, sachlich zu diskutieren über Bibel und ihre in weiten Teilen menschenfeindliche Gottesherrschaft, über das darauf fußende Christentum, dem die Kirche vieles von seiner im Kern des Neuen Testaments angelegten Menschenfreundlichkeit ausgetrieben hat und über die Theodizee und die persönliche Stellungnahme zu diesen Problemen. Man hält sich eben lieber in der kuscheligen wolligen Schafherde auf, um nicht den kalten Wind der Konfrontation zu ertragen. Kann man es ihnen verübeln, ihnen, die seit dem Kleinstkindesalter der Einflussnahme der „Hirten“ ausgesetzt sind, die durch Höllenstrafen-Androhungen und grandiose Liebeserklärungen in Wechselbäder der Gefühle gestürzt werden? Die das Gift der Gottesferne als Verworfene auslöffeln müssen oder das Hecheln nach dem Auserwähltsein durchleben? Einen Begriff davon möge man sich bei Tilmann Mosers „Gottesvergiftung“ machen. Es ist eine rabenschwarze Abrechnung einer geschundenen Seele mit diesem aufgepfropften Kirchengott, der von verantwortungsvoll unbarmherzigen Erwachsenen in die Kinderseele eingepflanzt wurde.
Ich habe noch keinen Atheisten gehört oder gesehen, der mit einem vergleichbar aggressiven Vokabular gegen Gläubige und Ungläubige vorgegangen ist, wie das die Kirche über Jahrhunderte gegen Andersdenkende (in Worten und Taten) getan hat. (Die Revolution von 1789 sah die Krone und den Adel als ihren Hauptgegner und die Kirche als die Hure der Mächtigen, die das Volk in Botmäßigkeit brachte und sich als Büttel der Mächtigen verstand. Die Untaten gegen sie waren, mit Verlaub gesagt, ein Kollateralschaden der Geschichte.)
Ich denke, es gehört zu jeder Diskussion eine differenzierte Darstellung und es ist gewiss ein Unterschied ob ich über „Kirche“ und Kirchen-(Bibel-)Gott diskutiere oder über „Gott“ im Sinne einer (noch) nicht durchschaubaren Realität. Leider ist aber das Wort „Gott“ von der Kirche oder besser: vom Monotheismus usurpiert, sodass viel zu oft und unzulässigerweise ein bibel- und kirchenfreier „Gott mit diesem Monotheos in eins gesetzt wird. Und damit wird jeder fruchtbare Ansatz durch beleidigte Attitüden verfälscht. Kirche und Gottesglaube in diesem Sinne sind nicht identisch: sie sind geradezu kontradiktorisch in ihrer Begrifflichkeit. Auch Kirche und Christentum schließen sich bei ehrlicher Betrachtung aus.
Kirche ist ein aus dem Griechischen abgeleitetes Wort: kyriake oikia und heißt soviel wie „Haus des Herrn“ also zunächst einmal ein ganz konkreter Wohnsitz des Herrn, der als Gott verehrt wird. In der Kirchengeschichte findet eine Identifikation zwischen „Wohnsitz“ und „Gott“ d. h. Jesus statt, -(…est ecclesia) später wird dies abgeschwächt in (…subsistit in ecclesia). Ein Angriff auf „Kirche“ in ihrer weltlichen Ausformung und ihren unmenschlichen Schwächen ist also nicht eo ipso ein Angriff auf das jesuanische Christentum. Kritik an der Kirche und Kritik am Kirchengott ist Kritik an ihrem Verrat am Christentum, das etwas ganz anderes in der Welt bewirken wollte. Wobei wir allerdings nicht vergessen sollten, dass auch ein Jesus von Nazareth grausamste geradezu schizophrene Äußerungen getan hat über ewige Höllenstrafen einerseits und Feindesliebe andererseits. Eine Religion der Liebe sollte anders aussehen. Immerhin könnte man hier selektiv das Menschliche in den Vordergrund stellen. Die „Kirche“ macht es nicht. Es sind die idealistischen Menschen, die hier menschlich sind und darunter sind viele, wenn nicht die meisten, die es ohne ein Gottesgebot machen, sondern aus moralischen Gründen und menschlichem Mitleiden, Solidarität. Dazu braucht man keinen Gott und keine göttliche Vorschrift und schon gar keine kirchliche. Und was aus Jesus würde, wenn er heute in die Hände der Una Sancta geriete, das wissen wir auch nicht.
Meine Diskutanten, meist aus dem gehobenen Großstadtbürgertum, deren Denken sich hauptsächlich um Geld und wie man es möglichst schnell erwirbt, dreht, die also mit religiösen Gedanken überhaupt nichts am Hut haben, sind auf der anderen Seite wiederum so kirchenfreundlich, dass sie viele tausend Euro Kirchensteuer zahlen und ihre Kinder taufen lassen, in christliche Kindergärten stecken. Warum?? Die wohlbürgerlichen Freunde machen es alle so! Und man will nicht außen vor stehen. Und außerdem will man nicht, dass die Kinder schon in frühester Jugend sich ausgeschlossen fühlen aus einer Gemeinschaft. Diskriminierung à la Christentum! Schon hier wird der Samen der Intoleranz gelegt. Schon hier beginnt die Indoktrinierung: wir sind die Kinder Gottes und die anderen? Und als Wichtigstes kommt hinzu, dass die Eltern selbst seit ihrer Kindheit so indoktriniert sind, dass sie selbst ihre Lammfrömmigkeit gar nicht mehr merken und eine solche Bemerkung weit von sich weisen würden.
Wenn die Menschheit akzeptieren würde, dass wir, trotz aller wissenschaftlicher Erkenntnisse in Astrophysik, Quantentheorie und Kosmologie noch nicht hinter alle Fragen gekommen sind, vielleicht nie kommen werden, ohne daraus den Schluss der Rattenfänger zu ziehen, dass der Weisheit letzter Schluss dann nur noch Gott sein kann, (ein Bibelgott!), dann wäre unsere Welt frei von dogmatischer Gängelung, frei sich geistig zu entfalten, frei zu neuen Ufern, die wir finden (oder auch nicht), Ufern, die nicht von der mentalen Mauer eines Phantoms Namens Gott verbarrikadiert wäre. Begnügen wir uns, dass es (vorläufig noch) Geheimnisse gibt und nennen wir sie auch so.
Warum müssen die meisten Menschen einer Vorstellung eines allgütigen, allweisen allmächtigen Gottesphantoms anhängen, das im Lauf der Geschichte hinieden millionenfach enttäuscht hat, wo nur unter groteskesten theologischen Verbiegungen eine Gotteswahrscheinlichkeit postuliert wird, die dann schrecklicherweise in ein Dogma umgemünzt wird. Warum suchen wir immer das Leid, das in der Welt geschieht, Pilatusgleich auf jemand anderen zu schieben, statt ehrlich zuzugeben und dazu zu stehen, dass wir Menschen so zwiespältig von der Natur gepolt sind, dass wir das „Böse“ in uns tragen wie auch das Gute. Dass man keinen Gott für Auschwitz verantwortlich machen kann, die Gräuel zugelassen zu haben, sondern Menschen. Und wir Menschen töten und morden weiter ob Stalin, Pol Pot, ob die Franzosen in Algerien, ob die Chinesen in ihrer Kulturrevolution etc. etc.: Unsere ganze Geschichte ist vom Tötungsirrsinn geprägt. Und der allgütige, allmächtige, allwissende Bibelgott war uns im Alten Testament, das von der Kirche als unsere geistige Wegzehrung aufgedrängt wurde, ein grandioser Lehrmeister in diesen Dingen und ist es heute noch.
Sagen Sie mir, bitte, wo gottesferner, der Aufklärung verpflichteter Atheismus es verdient, von „rechtgläubigen Schafen“, die sich obstinat jeglicher intellektuellen Hinterfragung verweigern, so verteufelt zu werden. Vielleicht weil sie keine Dogmatiker sind? Weil sie nicht auf Biegen und Brechen sinnfreie Behauptungen aufstellen? Weil sie den Finger in Wunden legen, auf die geistige Selbstgenügsamkeit aufmerksam machen? Die Atheisten sind Ärgernis und vielleicht das Salz, um das Leben zu würzen: Das Salz der Erde?

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Über Gloker Notker 13 Artikel
Notker Gloker, Jahrg. 1937, Dr. phil. Er studierte Romanistik, Geschichte, Philosophie in Köln, Wien, Montpellier, Tübingen und Aix en Provence. Ab 1974 war Notker Gloker viele Jahre an westafrikanischen Hochschulen tätig, (Didaktik, Methodik, Lernpsychologie, Deutsch als Fremdsprache für Gymnasiallehrer), danach Aufbau und muttersprachliche Neuorientierung des Grundschulwesens in der fünften Region von Mali.

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