Bundespräsident Christian Wulff empfängt das Diplomatische Korps

Ich heiße Sie herzlich willkommen in Schloss Bellevue.
Herr Nuntius, ich danke Ihnen herzlich für die guten Wünsche, die Sie im Namen des Diplomatischen Korps ausgesprochen haben.
Die Erfahrungen mit Ihnen allen haben mir zu Beginn meiner Amtszeit große Freude gemacht. So denke ich mit Freude an unseren Tagesausflug nach Thüringen. Auch dafür danke ich Ihnen.
Im vergangenen Jahr hat Deutschland 20 Jahre Einheit gefeiert. Viele von Ihnen haben sich mit uns gefreut und an den Feierlichkeiten am 3. Oktober teilgenommen. Wir Deutsche wissen: Wir konnten unsere Einheit nur erringen, weil die Völker Mittel- und Osteuropas nach Freiheit strebten und weil unsere Verbündeten uns zur Seite standen.
Die Welt und Europa haben sich in den 20 Jahren deutscher Einheit stark verändert. Für uns Deutsche, das sollte uns bewusst sein, zum Vorteil. Wir sind von Freunden in Europa umgeben. Mit unseren Partnern in der ganzen Welt konnten wir unsere Beziehungen weiter ausbauen. Alte Freundschaften wurden gestärkt, neue haben sich entwickelt.
Deutschland ist in guter Verfassung für die nächsten 20 Jahre. Die Deutschen blicken, das zeigen uns viele Umfragen zum Jahreswechsel, zuversichtlich nach vorn. Unsere Wirtschaft hat den Einbruch des Jahres 2009 verhältnismäßig gut überstanden, sie steht auf einem soliden Fundament. Der Aufschwung hält an, die Arbeitslosenzahl ist rückläufig.
Aber es bleiben natürlich zahlreiche Herausforderungen. In der immer enger vernetzten Welt des 21. Jahrhunderts sind die meisten der großen Herausforderungen nur in weltweiter Kooperation zu lösen. Frieden und Sicherheit, der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen, die Gestaltung des Klimawandels, die Reduzierung von Armut, das Sicherstellen der universellen Geltung der Menschenrechte und die Bekämpfung des Terrorismus übersteigen die Kräfte jedes einzelnen Landes. Nur gemeinsam können wir sie angehen.
Wir Deutsche wollen sie gemeinsam angehen und die Zukunft zusammen mit den Staaten und Internationalen Organisationen gestalten, die Sie in Deutschland vertreten.
Deutschland hat sich auch deshalb für einen nicht ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen beworben, den es vor einigen Tagen für zwei Jahre einnehmen konnte. Wir freuen uns über das Vertrauen, das unserem Land mit der Wahl bereits im ersten Wahlgang entgegengebracht wurde.
Als weltumspannende Organisation sind die Vereinten Nationen das Forum für die Diskussion und die Regelung globaler Probleme. Dazu müssen ihre Strukturen aber auch die Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts widerspiegeln. Die Reform der Vereinten Nationen ist Deutschland ein wichtiges Anliegen.
Mit den G20 hat sich ein neues Gremium etabliert, das einen geeigneten und flexiblen Rahmen für die Diskussion zentraler Fragen des globalen Wirtschafts- und Finanzsystems bietet. Deutschland wird sich hier weiter besonders engagieren, insbesondere für eine effektive, weltweite Regulierung der Finanzmärkte.
Europa ist und bleibt der Ankerpunkt Deutschlands in der internationalen Politik. Deutschlands Zukunft liegt in einem immer enger zusammenwachsenden Europa. Wenn Europa erfolgreich ist, wird auch Deutschland erfolgreich sein. Ganz bewusst habe ich nach meinem Amtsantritt zuerst unsere Nachbarn in Europa besucht – große wie kleine -, das Europäische Parlament in Straßburg als Erstes und dann die weiteren Institutionen der Europäischen Union in Brüssel.
Wir sind solidarisch in Europa und haben dies auch in der Krise unter Beweis gestellt. Deutschland ist sich seiner Verantwortung für Europa und für unsere gemeinsame Währung, den Euro, bewusst. Deutschland ist bereit, sich dieser Verantwortung zu stellen. Das Gleiche erwarten wir von unseren europäischen Partnern. Der Europäische Rat im Dezember hat bereits wichtige Weichen gestellt, dass Europa die richtigen Schlussfolgerungen aus der Finanz- und Währungskrise zieht. Aber es bleibt noch viel zu tun. Wenn alle in Solidarität und Verantwortung handeln, werden wir die Folgen der Krise hinter uns lassen, und der Euro wird so stabil bleiben, wie er ist.
Als Bundespräsident ist es mir eine Ehre und ein Geschenk, mein Heimatland, Deutschland, in Europa und der Welt zu vertreten und so mit dazu beizutragen, dass sich unsere Beziehungen weiter vertiefen.
Schon im ersten halben Jahr meiner Amtszeit hatte ich die Gelegenheit zu einer Vielzahl bemerkenswerter Begegnungen im Ausland und hier in Berlin. Staatsoberhäupter und Regierungschefs aus Europa, Afrika, Asien und Lateinamerika waren zu Besuch. In der Schweiz, in Russland und der Türkei wurde ich zu Staatsbesuchen empfangen. In Südafrika konnte ich wenige Tage nach meinem Amtsantritt unserer Nationalelf zujubeln und mit Präsident Zuma und anderen afrikanischen Staatsführern sprechen.
Mit dem Besuch in Israel und in den Palästinensischen Gebieten noch im ersten Halbjahr meiner Amtszeit wollte ich ein Zeichen der besonderen deutschen Verantwortung aus der Shoah für das Existenzrecht Israels setzen und gleichzeitig deutlich machen, dass wir Deutsche uns für Israel und die Palästinensischen Gebiete einen dauerhaften und gerechten Frieden wünschen. Ein solcher Frieden kann nur erreicht werden, wenn zwei Staaten, Israel und ein unabhängiger palästinensischer Staat, in anerkannten Grenzen Seite an Seite leben.
Es ist mir wichtig, einen Eindruck zu gewinnen von den unterschiedlichen Regionen der Welt, ihrer Geschichte, ihrer Kultur und ihren Traditionen und dabei Deutschland und das wofür es steht vorzustellen. Sehr gerne werde ich in den kommenden Jahren weitere Länder besuchen. Ich weiß, dass es mir allerdings nicht gelingen wird, in all die Staaten zu reisen, die Sie repräsentieren. Umso mehr brauche ich Ihre Hilfe als Diplomaten, als „Brückenbauer“, die unsere Denkweise hier in Deutschland ergründen und uns die Sicht Ihrer Heimatländer erläutern.
Ich bin tief überzeugt, dass den Nationen die Zukunft gehört, die offen sind für kulturelle Vielfalt, die dem Fremden nicht mit Ablehnung begegnen, sondern mit Respekt und bereit sind, sich mit ihm auseinanderzusetzen. Gewalt gegen Religionsgemeinschaften, wie wir sie in der jüngsten Zeit leider vermehrt erleben mussten, hat hier keinen Raum. Wir müssen ihr entschieden entgegentreten.
So wie ich mir in Deutschland einen Dialog wünsche, der uns erlaubt, unser jeweiliges Gegenüber in seinen Besonderheiten wahrzunehmen und sensibel zu sein für seine Belange, so wünsche ich mir einen internationalen Dialog, in dem wir – im Bewusstsein unserer Vielfalt und im Respekt unserer jeweiligen Eigenheiten – gemeinsam um die besten Lösungen für die globalen Herausforderungen ringen.
Deutschland wird Ihnen weiter ein verlässlicher Partner sein!
Ich wünsche Ihnen, Ihren Familien und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein gutes, neues Jahr 2011. Es ist schön, dass Sie heute unsere Gäste sind. Ich freue mich auf unsere Gespräche heute und im ganzen Jahr.

www.bundespräsident.de

Bundespräsident Christian Wulff empfängt das Diplomatische Korps

Über Wulff Christian 11 Artikel
Christian Wulff, geboren 1959 in Osnabrück, studierte Rechtswissenschaften. Vom 4. März 2003 war er Ministerpräsident des Landes Niedersachsen. Von Oktober 2006 bis Oktober 2007 Vorsitzender der deutschen Ministerpräsidentenkonferenz. Vom 30. Juni 2010 bis zum 17. Februar 2012 war er Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland.

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