Büchermensch und Menschendoktor – Hartmann Schedel und seine „Weltchronik“ begeistern in der Bayerischen Staatsbibliothek

Ob der Titel der neuen Ausstellung der Bayerischen Staatsbibliothek „Welten des Wissens“ passend gewählt wurde? Er trumpft doch sehr auf und lässt ein vielseitiges Panorama des Wissens erwarten. Dabei handelt es doch a) keineswegs um aktuelle Wissensstände und b) um kein gesichertes Wissen. In den Mittelpunkt stellt die Schau im breiten Gang vor und in der BSB-„Schatzkammer“ den Genius Hartmann Schedel, nach schwerem Leiden gestorben vor 500 Jahren, im Alter von immerhin 74 Jahren. Das erreichte Alter des staunenerregenden, leidenschaftlichen Mannes ist an sich schon spektakulär, bedenkt man, dass ein „alter Mann“ damals schon ein 50-Jähriger war; doch die unglaublich vielen, vor allem unterschiedlichen „Jobs“, denen Hartmann Schedel nicht nur nachging, sondern die er – wie man nachweisen kann – auch erfolgreich ausübte, gebieten einen tiefen Kotau vor dem gelehrten Nürnberger Bürger, der dem Buch als Kulturgut und persönlichem Schatz fürs Leben schon früh einen hohen Stellenwert zuerkannte.
Ein Büchermensch war dieser Hartmann Schedel, der bereits als Zehnjähriger Vollwaise war, sein Leben aber wie kaum ein Zweiter seinesgleichen in die Hand nahm und vorbildhaft ausgestaltete. Er studierte in Leipzig und Padua Medizin und war als Stadtarzt in Nürnberg, Nördlingen und Amberg tätig. Er trat als ein unvergleichlicher Bücherfreund und -sammler auf, dem man aus heutiger Sicht nur mit größtem Respekt begegnen kann. Seine reiche Privatbibliothek, die er teils erbte, vor allem aber sich aus Klöstern und Kollektionen zusammensuchte – durch Tausch, durch Kauf (ein Exemplar einmal für die heute lächerlich erscheinende Gegengabe von ein paar Anisplätzchen) – umfasste einige hundert seltene Handschriften, Wiegendrucke und Bände. Sie galt als eine der bedeutendsten und ausgefallensten seiner Zeit. Dr. Schedel sammelte Ausgaben zur Astronomie ebenso wie zur Literatur, zur Philosophie wie zur Rhetorik, zur Jurisprudenz wie zu Theologie, Kosmographie oder Geographie.

Natürlich legte sich Hartmann Schedel eine private Medizin-Bibliothek zu. Schließlich war er Menschen-Doktor, Heiler, Allgemeinmediziner. Die Ausstellung zeigt rare und selten schön illuminierte Exemplare, die dank des Schicksals der Schedel`schen Bestände auf dem Umweg über die Augsburger Handelsfamilie Fugger an die Münchner Hofbibliothek gelangt war. Etwa 40 Bände werden in Schaukästen gezeigt, die außergewöhnlichen Status genießen, allein schon wegen mancher Formate, der Buchmalereien (mit dem oft auftauchenden Schedel`schen Wappen mit dem Mohrenkopf) oder den von Schedel selbst eingefügten Buchbeigaben. Diese weisen ihn als Buch-„Freak“ besonderen Ranges aus, seien es ganzfigürliche Porträts, Gebete und Lieder, seien es Listen seiner Buchbestände oder auch, sehr abseitig, Teig-Drucke. Er verfügte über zeichnerisches Talent und führte Reisetagebuch. Er war am laufenden Band am Kopieren. Abschreiben und Neuschreiben liefen bei ihm ineinander. Der Buchdruck war erst um 1450 erfunden – und so mussten noch lange die Schreiberlinge ans Werk, um wichtige Bücher zu verbreiten – durch Abschreiben und, wenn gefordert, durch Handkolorieren.

Das Buch, das mit dem Autoren-Namen Hartmann Schedel für gewöhnlich in Verbindung gebracht wird, ist seine 1493 auf Latein verfasste, kurz darauf ins Deutsche übersetzte„Weltchronik“, die im Verlag des Nürnberger Verlegers Anton Koberger erschien. Alle fünf Ausgaben des bunten, einer Chrestomanie ähnelnden Werkes – erschienen im Lauf des 15. Jahrhunderts – besitzt die BSB. Um ihre gehüteten Schedel-Stücke (aus der Sammlung ebenso wie aus der Eigenproduktion) gruppiert sie nun in der Schau Unikate biographisch bedeutsamer Ausgaben, darunter das Juwel, das aus dem Umkreis von Salzburg 818 stammt und „Liber calculatorius“ genannt wird, und ergänzt sie mit Exponaten aus der Staatsbibliothek Berlin, der Landesbibliothek Coburg und einer Privatkollektion.

Mit den großen, farbig wiedergegebenen, faszinierenden Präsentationstafeln gewinnt die BSB auch diejenigen Ausstellungsbesucher, deren Gusto es nicht unbedingt ist, sich in der notwendigerweise finsteren „Schatzkammer“ der Handschriftenabteilung längere Zeit aufzuhalten. Außerhalb der „Schatzkammer“ wird allerdings deutlich, welche Bilder und Texte die „Weltchronik“ vereint, in welche Teile sie gegliedert ist, wie sie chronologisch verfährt und welche Genres sie vereint: von der Schöpfungsgeschichte und Erzählungen des Alten Testaments über heilsgeschichtliche Texte, Heiligenlegenden undGenealogien bis zu – oftmals ungeniert graphisch wiederholten – herrlichen, dekorativen Städteansichten. Im Zentrum steht, nicht wegen Schedels Geburtsort, sondern wegen der Geltung als wichtigste Handelsstadt im Mittelalter, die Stadt Nürnberg. Hierher kehrte Hartmann Schedel 1481 zurück, wurde in den Größeren Rat aufgenommen, ging hier eine zweite Ehe ein, reistenach Bamberg, Eichstätt, Regensburg und Würzburg, wallfahrtete mit zwei befreundeten Äbten nach St. Wolfgang am Abersee, hielt zu vielen Klöstern Kontakt und behandelte als Arzt angesehene Bürger bis zu den Bischöfen von Würzburg und Bamberg und war eben maßgeblich an dem „groß angelegten Kooperationsprojekt von Nürnberger Humanisten, Künstlern und Handwerkern beteiligt, das heute seinen Namen trägt“: die Schedel`sche Weltchronik.

In aller Ausführlichkeit informieren 1. die breit angelegt, noch bis 1. März 2015 geöffneteAusstellung mit Originalen, die erstmals in diesem Sachzusammenhang gezeigt werden und 2. das von Bettina Wagner verantwortete, aufs Beste instruierende, reich bebilderte Begleitbuch des Münchner Allitera Verlags, das den Titel der Ausstellung trägt: „Welten des Wissens. Die Bibliothek und die Weltchronik des Nürnberger Arztes Hartmann Schedel“.

Foto:
Ältestes Stück der Sammlung H. Schedels: Karolingische Handschrift, Pergament, um 818: Miniatur der 12 Winde
(Foto: Hans Gärtner)

Finanzen

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Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.

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