Lou Bihl: Putin im Wartezimmer, Unken Verlag, Karlsruhe 2023, ISBN: 978-3-949286-09-422 EURO (D)
In diesem Roman beschäftigt sich Lou Bihl hauptsächlich mit dem Angriffskrieg Russland auf die Ukraine. Dies wird mit Zeichnungen des New Yorker Künstlers Daniel Horowitz begleitet.
Die Teilnehmer eines Schulungskurs zu gesunder Ernährung und bewusster Lebensführung für Menschen mit Übergewicht diskutieren kontrovers und ergebnisoffen im Wartezimmer über die Hintergründe und Geschehnisse des Krieges. Genauer, der Anfangsphase des Krieges.
Dies ist ein zusammengewürfelter Haufen von Menschen, die sich nicht kennen, und außer der 10 Sitzungen bei einer nicht namentlich genannten Hausärztin keine Gemeinsamkeiten haben.
Diese Diskussionen im Wartezimmer werden heimlich von der jungen Syrerin Amira, die eine Art Vertraute der Hausärztin ist, getarnt als Kursteilnehmerin heimlich aufgezeichnet. Durch die übergeordnete Perspektive der Hausärztin erfahren die Leser*innen auch Hintergründe zu den einzelnen Personen, ihren Symptomen und ihres Lebens.
Die Diskussionen sind immer leidenschaftlich und kontrovers, da Personen nicht wissen, dass ihre Argumente aufgezeichnet werden, sind die Aussagen klar, ehrlich und pointiert. Manchmal gibt es auch sehr weit hergeholte Ansichten, aber das ist der Anspruch des Buches: Es soll ein Querschnitt der Gesellschaft diskutieren und abgebildet werden. Verschiedene Klassen, Generationen, Erfahrungen, soziokulturellen Hintergründen und Bildungsschichten sollen aufeinandertreffen und schonungslos diskutieren. Wie und warum manche Personen so argumentieren, wird aus deren Lebensschicksal deutlich.
Ein anderes von Bihl behandeltes Thema ist die Gruppe selbst. Die heftigen Diskussionen führen nicht zu Gräben oder Feindseligkeiten, sondern schweißen die Personen zusammen.
Die behandelten Themen sind natürlich von der weiteren Entwicklung des Krieges überholt, das sagt die Autorin selbst. Dennoch gibt es übergeordnete Themen zum Entstehungszusammenhang des Krieges oder zum Krieg allgemein, die zeitlos sind.
Das Buch soll aber nicht nur einen ungeschminkten gesellschaftlichen Querschnitt von Haltungen über den Krieg darstellen, sondern ist auch sicher eine Art der individuellen Auseinandersetzung der Autorin selbst.