Über die Engel erhoben – Wesen und Sinn unserer Leiblichkeit

Das neue Buch von Hartmut Sommer

Gustave Dore - The Angel at the door of the sepulchre 3

Hartmut Sommer: Über die Engel erhoben – Wesen und Sinn unserer Leiblichkeit

Eine philosophisch-theologische Annäherung, erschienen in der Reihe „Bedenken und Besinnen“, 160 S., 140 x 205 mm, Klappenbroschur, 18,00 € (D), ISBN 978-3-942605-29-8

 

Der Mensch – über die Engel erhoben?

„Über die Engel erhoben“ – ein Widerspruch, der spontan aufhorchen läßt. Ein bescheidenes, broschiertes Buch, darauf eine stilisierte Zeichnung eines ungeborenen Kindes, völlig schutzlos, im Mutterleib. Hartmut Sommer, der Autor, verspricht Spannung, indem er eine „philosophisch-theologische Annäherung“ ankündigt und gleich in der Einleitung die Mystikerin Mechthild von Magdeburg mit einer provokanten Frage zitiert: „Was kümmert’s mich, was die Engel erleben?“

Sommer befasst sich gleich im ersten Kapitel mit der naturalistischen Sichtweise auf unser aller Leben – vereinfacht gesprochen: dem Menschsein ohne Gott. Die Summe zieht er auf nur anderthalb Seiten, die es in sich haben – ihr Titel: „Die naturalistische Entmenschlichung des Menschen“. Nach Sommer ist die Moral kein Konstrukt, das der Existenz des Menschen übergestülpt wird, sondern ganz im Gegenteil eine zwangsläufige Folge davon, daß der Mensch Leib und Geist vereint. Er hält fest, dass kein Anhänger der naturalistischen Theorie bezweifeln kann, daß unser Denken durchgeistigt ist, denn wir sind uns unserer Selbst bewusst. Im Naturalismus wird dann aber eine gleichsam entkoppelte Begrifflichkeit von „Geist“ und „Verstand“ gemeint, durch den einem „transhumanistischen“ Dualismus der Boden bereitet wird – mit verheerenden Konsequenzen, vor allem im Hinblick auf den möglichen Einsatz künstlicher Intelligenz oder dem vielleicht bald möglichen Einpflanzen verhaltenssteuernder Chips in den menschlichen Körper.

Nicht minder spannend geht es im Kapitel zwei weiter. Unter dem Rubrum „Substantielle Eigenwirklichkeit des Seelisch-Geistigen“ untermauert Sommer, was zuvor mit seinem Frontalangriff auf den Naturalismus einleitete. Als Rezensent tritt man an solch einer Stelle gerne mal einen Schritt zurück, prüft die logische Verkettung, auch innerhalb des gesamten Buches und fragt sich kritisch, ob die in diesem Werk vertretene Theorie insgesamt auf ein sinnvolles Ende hinsteuert. Und bei „Über die Engel erhoben“ ist dies der Fall. Die Einheit und das Miteinander von Leib und Seele werden sowohl aus philosophischer Sicht als auch vor dem Glaubenshorizont bündig erklärt.

Im dritten Kapitel darf dann, völlig folgerichtig, die Theodizee-Frage nicht fehlen. Denn wenn die Einheit von Leib und Seele gut ist – warum gibt es dann Not, Krieg und Krankheit auf der Welt? Sommer stützt sich auf die irenäische Theodizee und diskutiert dieses Frage ausführlich, er kommt auf den Beistand Gottes zu sprechen und fragt dann nach dem Sinn des Todes. Dem Anspruch einer „philosophisch-theologische Annäherung“ wird dies Buch mit einem sehr überzeugenden Lösungsentwurf für das Leid-Paradoxon vollauf gerecht.

Stück für Stück nähert sich Sommer sodann dem im Titel angerissenen Thema – die gedankliche Synthese zwischen Philosophie und Theologie trägt dabei inhaltlich, ein Rückgriff auf die Mystik gelingt Sommer mühelos. Denn ist nicht Gott selbst Mensch geworden durch den Leib Mariens? Nicht aus sich selbst, sondern erst durch Christus ist der Mensch über die Engel erhoben. Sehr anrührend nennt Sommer diesen Aspekt „die Zärtlichkeit Jesu als leibliches Herabneigen Gottes“ – Anklänge an das „fließende Licht der Gottheit“ der Mechthild von Magdeburg sind unverkennbar.

Nun ist der Boden bereitet für zwei abschließende Kapitel. Zunächst fragte Sommer nach der Leiblichkeit und der seelischen Existenz des Menschen, und nun antwortet er. Als „Seelenleib“ und als „Verklärungsleib der Auferstehung“ begegnet uns, was Jesus vorlebte – die Vollendung. Ganz am Schluss hat aber noch einmal die andere Seite das Wort. In spielerischer Anlehnung an den klassischen Text Jean Pauls hält der Engel, also eigentlich die Alliteration eines Engels, eine „Rede an den Menschen vom Weltgebäude herab“ – ein literarischer Kunstgriff des Autors, der die Bewunderung des himmlischen Wesens für die „Ephemeren“, die „mitten in Gottes Schöpfung gestellten“ Menschen illustriert. Zugleich aber mahnt Sommers Engel den Menschen, das sinnliche Geschöpf, die Verantwortung nicht zu vergessen, die ihm aus seiner leib-seelischen Doppelexistenz Gott gegenüber erwächst.

Ja, Engel werden für gewöhnlich als Boten Gottes verstanden, und aufgrund ihres unmittelbaren Kontaktes zu Gottes Herrlichkeit werden sie von uns Menschen als „höherstehend“ gesehen. Aber der Autor dreht den Spieß um: Es geht bei Gott nicht darum, wer höher zu ihm erhoben ist, sondern wer zu ihm findet. Das leibliche Dasein mit all seinen beglückenden, aber immer auch leidvollen Dimensionen ist das unabdingbare Mittel dazu.

Dieses handliche, broschierte Buch, farblich zurückhaltend, graphisch sehr sparsam gestaltet, hat es in sich, 160 Seiten genügen. Es ist geeignet, um als lohnende Lektüre an inspirierende Orte mitzureisen. Denn sie ist geglückt, die im Titel angekündigte Annäherung, und zwar sowohl philosophisch wie theologisch. Engel gehören zwar zur Sphäre Gottes, soweit wir das erkennen, aber es geht nicht darum, wer höher erhoben ist. Sondern, zu wem sich Gott herabneigt. Damit wird in diesem Buch eine Thematik angerissen, zu der ganz aktuell eine heftige, fundamentale und gefährliche Debatte entbrannt ist. Die hier geäußerten Gedanken erweitern unseren Horizont, lenken unsere Schritte aus einer drohenden Wüste des Nichts hin zu Gott. Diesem Buch ist eine weite Verbreitung unbedingt zu wünschen.

Hartmut Sommer: Über die Engel erhoben – Wesen und Sinn unserer Leiblichkeit

Eine philosophisch-theologische Annäherung, erschienen in der Reihe „Bedenken und Besinnen“, 160 S., 140 x 205 mm, Klappenbroschur, 18,00 € (D),

ISBN 978-3-942605-29-8

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Über Sebastian Sigler 104 Artikel
Der Journalist Dr. Sebastian Sigler studierte Geschichte, Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte in Bielefeld, München und Köln. Seit seiner Zeit als Student arbeitet er journalistisch; einige wichtige Stationen sind das ZDF, „Report aus München“ (ARD) sowie Sat.1, ARD aktuell und „Die Welt“. Für „Cicero“, „Focus“ und „Focus Money“ war er als Autor tätig. Er hat mehrere Bücher zu historischen Themen vorgelegt, zuletzt eine Reihe von Studien zum Widerstand im Dritten Reich.