„Wie seid ihr eigentlich ins Internet gekommen, als es noch keine Computer gab?“ Diese Frage dürften heutzutage wohl schon einmal die ein oder anderen Großeltern von ihren Enkeln gestellt bekommen haben. Was sollen sie, deren „Telefone Apparate waren, die im Flur an der Wand hingen“, ihren Sprösslingen darauf bestenfalls antworten? Ich empfehle, sich das neueste Buch von Bruno Preisendörfer zur Hand zur nehmen und gemeinsam mit den zweifelnden Jungspunden das 1. Kapitel „Von der Schiefertafel zum Tablet“ aufzuschlagen und zu lesen. Ungläubige Gesichtsausdrucke und erstaunte große Augen dürften bei derartigen „Erinnerungen an die Gegenstandswelt“ beim Nachwuchs garantiert sein. Beim Vertreter des reiferen Generationsalters hingegen dürfte sich wohl eine betrübte Nostalgie breitmachen, die aber je nach technischem Eigen-Knowhow auch durchaus in begeisterte Euphorie umschlagen könnte.
„In der Praxis wirft das schnelle Altern jüngster Errungenschaften Probleme der Anpassung auf, in der Philosophie tiefgründige Fragen.“, stellt der Autor folgerichtig fest. Doch keine Angst, der freischaffende Publizist und Schriftsteller wählt in seinem Buch keineswegs die oftmals verschwurbelten und für die Allgemeinheit nicht gerade verständlichen Gedankengänge dieser Weltanschauung. Seine Betrachtungsweise der Entwicklung der Dinge dürfte größtenteils relativ neutral und wertungsfrei sein, denn dass „früher alles besser war, hält er für ein Märchen, dass früher, als vieles schlechter war, von alten Leuten erzählt wurde.“ Und er fügt auch gleich noch hinzu: „Dass morgen alles noch besser wird, hält er für eine Übertreibung junger Leute, die das Leben mit einem Start-up verwechseln.“
Preisendörfer bleibt tatsächlich in seinen Ausführungen relativ neutral. Wenn zuweilen auch mit einigen Längen und vielleicht zu opulenten und ausladenden Ausführungen des ein oder anderen – vielleicht schon in Vergessenheit geratenen – Gebrauchsgegenstands, begleiteten seine Betrachtungen den Leser auf einer durchweg interessanten und vor allem immer mit einem Funken Humor gewürzten und daher höchst amüsanten „Reise zu Dingen der eigenen Vergangenheit seit den späten 1950ern.“ Ohne Abstriche kann bestätigt werden, dass man auf diesem Ausflug mitunter „Objekte“ wiedertrifft, „die man völlig vergessen hat, obwohl sie einst ungeheuer wichtig waren. Oder man lacht sich kaputt über Gewohnheiten, die noch vor wenigen Jahren mit unerschütterlichem Alltagsernst gepflegt wurden.“
In sechs Kapiteln recherchiert, analysiert, betrachtet und erzählt Bruno Preisendörfer fundiert und höchst unterhaltsam vom Wandel der Dinge. Man lernt zum Beispiel den Werdegang von Griffel und Schiefertafel über Patronenfüller bis hin zum Tablet kennen oder erfährt von den Vorzügen des guten alten Kofferradios, das heutzutage vom MP3-Player abgelöst wurde. Aber auch die LP (Langspielplatte) – die sich heutzutage allerdings immer mehr oder wieder größerer Beliebtheit erfreut –, die Veränderungen der bewegten Bilder in TV oder Video und letztendlich natürlich die Vorgänger des Smartphones, die man noch allerorts in London in Form der roten Telefonhäuschen finden kann –, tummeln sich auf den Seiten.
Und der Mensch? Tja, der scheint sich hingegen wieder auf seine Ursprünge zu besinnen und immer mehr seinen Vorfahren anzunäher: „Heutzutage unterscheidet sich der Mensch hauptsächlich dadurch vom Affen, dass er mit dem Daumen auf dem Zahlenfeld eines Handys Nummern eingeben oder gleichzeitig mit zwei Daumen auf dem Buchstabenfeld eines Smartphone-Displays Botschaften tippen kann. Sogar im Gehen!“, meint Bruno Preisendörfer.
Der mit Sicherheit aus dem Staunen nicht mehr hinauskommende Enkel dürfte sich auf dieser Reise zu längst überholten technischen Exklusivitäten wie Marty McFly aus der Science-Fiction-Trilogie „Zurück in die Zukunft“ fühlen. Da tauchen solch exotische Gerätschaften wie Rechenschieber, Floppy-Disk, Akustikkoppler, Musiktruhe, Tonkassette, Röhrenfernseher, Schreibmaschine oder Telefone, bei denen man noch eine Wählscheibe drehen musste, auf. Mit Hilfe von Bruno Preisendörfers charmanten, sympathischen, höchst interessanten und informativen Rückblicken in die technische Vergangenheit, dürfte vielleicht auch die jüngere Generation einen Mehrwert daraus ziehen. Denn „viele Menschen wissen heute vor lauter Erleben nicht mehr, wo sie die ganzen Erinnerungen hintun sollen“. Oder doch? Youtube, Facebook, Instagramm und Co. sind zumindest beredtes Zeugnis der digital sozialisierten jungen Leute. Obwohl der damals sehr trendige Trendforscher Matthias Horx noch im Jahre 2001 meinte: „Das Internet wird kein Massenmedium – weil es in seiner Seele keines ist.“ Eine Seele hat es mit Sicherheit nicht, sondern es dient höchstens als hilfreicher „Palast“ der eigenen Reminiszenzen. Ein Konstrukt, in dem die Dinge angefangen haben zu reden und „hören nicht mehr damit auf…“
Ein Satz aus dem Buch, der der Autor aus einem Online-Kommentar zitiert, bleibt jedenfalls im Unterbewusstsein hängen: „Früher war die Zukunft besser“. „Ich bin nicht dieser Meinung. Aber wir werden sehen“, stellt Bruno Preisendörfer als abschließendes Statement fest.
Bruno Preisendörfer
Die Verwandlung der Dinge. Eine Zeitreise von 1950 bis morgen
Verlag Galiani, Berlin (8. März 2018)
272 Seiten, Gebunden
ISBN-10: 3869711663
ISBN-13: 978-3869711669
Preis: 20,00 EURO