Kurz vor der versöhnlich gemeinten Brexit-Rede von Theresa May hat er es wieder getan. Mit einem gezielt publizierten Plan für harte Verhandlungen mit der EU brachte Dauerrebell und Außenminister Boris Johnson die Premierministerin Ihrer Majestät Queen Elizabeth II. in arge Verlegenheit: keine Abgeltungszahlungen an die EU, keine Austrittsübergangsperiode. Und überhaupt – wer mit der EU sympathisiere sei ein illoyaler Staatsbürger: “Viele der jungen Leute mit aufgemalten zwölf EU-Sternen im Gesicht beginnen geteilte Loyalitäten zu entwickeln.“
Die knallharte Linie Johnsons ist das Gegenteil dessen, was die Hausherrin von 10 Downing Street symbolträchtig nicht in London, sondern in Italien verkündete. Es dürfte die Rede ihres Lebens gewesen sein und war eine Adresse nicht fürs heimische Publikum, sondern an die EU27, denn sie diente dem Bemühen, die festgefahrenen Gespräche der Briten mit EU-Unterhändler Michel Barnier aufzulockern.
In ihrer mit großer Spannung erwarteten Florenzer Rede versprach May den Kontinentaleuropäern den pünktlichen Austritt im März 2019: „Wir werden weder Mitglied des Binnenmarktes noch der Zollunion sein.“ Nach dem Brexit sei Großbritannien zur Zahlung von 20 Milliarden Euro an die EU bereit, verteilt auf eine Übergangsperiode von „etwa“ zwei Jahren.
„Aber wir verlassen Europa nicht,“ sagte May beschwörend und bot der EU an, bei Verteidigung, Sicherheit und Außenpolitik strategisch weiter zusammenzuarbeiten. Über die heftig umstrittene Höhe fälliger Zahlungen Großbritanniens an die EU sagte sie nichts, nur nebulös, dass man alle Verpflichtungen erfüllen wolle. In Rede stehen 20 Mrd. Euro.
Aber die May’schen Beruhigungspillen für die EU dürften ihre Kopfschmerzen zu Hause nicht beseitigen. Die „Britain first“ -Fraktion wird kaum Ruhe geben. Ihr Anführer, der 53jährige Johnson, gilt als der Paradiesvogel der britischen Politik. Schon als Bürgermeister von London setzte der Mann mit dem wuscheligen blondgrauen Haarschopf gerne Querschläge gegen die eigene Konservative Partei. Zuletzt setzte sich Johnson populistisch an die Spitze der Brexit-Bewegung, fiel so dem damals amtierenden Premier David Cameron in den Rücken.
Dass Theresa May ausgerechnet Johnson zum Außenminister machte, sollte den Springinsfeld eigentlich einbinden – doch das ist nur bedingt gelungen, wie man sieht. Sein schärfster Gegner ist Schatzkanzler Philip Hammond, der sich für einen möglichst geräuschlosen EU-Austritt einsetzt (“soft Brexit”). Auch Innenministerin Amber Rudd steht zu May und rüffelte Johnson mit der Bemerkung, dieser steuere nicht die Brexit-Verhandlungen.
Aber hinter Johnsons stets ungestüm ausschauendem Vorgehen steckt immer ein Plan: das Erklimmen der nächsten Karriereleiter. Die Spatzen pfeifen es in der britischen Hauptstadt seit Langem von den Dächern: Johnson will unbedingt Premierminister werden. Und dafür ist er bereit, in offene Flanken Mays zu treten.
Für die britische Regierungschefin kam der Angriff jedenfalls höchst ungelegen. Die resolute 60jährige steckt mitten in den Austrittsverhandlungen mit der EU. Nach allem, was man dazu aus Brüssel hört, stocken die bis 29. März 2019 terminierten Beratungen. Zu weit auseinander klaffen schon in dieser frühen Gesprächsphase beider Seiten Vorstellungen.
May ist sowieso angezählt, seit sie den Konservativen bei der Wahl im Juni nur mithilfe einer rechten Regionalpartei die Macht erhalten konnte. In Sachen Brexit werfen die Hardliner ihr Weichheit vor. Die Kritik verfängt. Viele halten May für eine Übergangsregierungschefin, die bald fallen und den Weg für Johnson freimachen könnte.
Kritiker behaupten, Johnson könne sich überhoben haben. So giftet die Zeitung „The Independent“: „Sein Stern als Promi-Politiker ist sowieso längst verglüht.“ Doch jedermann im Vereinigten Königreich weiß, dass Johnson sich selbst davon nicht beirren lässt, dass seine Umfragewerte gegenüber früheren Beliebtheitsrankings derzeit deutlich abgesunken sind. Als sei nichts vorgefallen, schnurrte der Außenminister dieser Tage eine Videobotschaft aus New York so gelassen ab, als könne er kein Wässerchen trüben
Der Streit zwischen Johnson und May habe jedenfalls „tiefgreifende Meinungsunterschiede“ im britischen Kabinett über den Umgang gegenüber der EU bei den Brexit-Verhandlungen offenbart, analysiert Sky News. Die einen wollen Crash, die anderen Cash. Nun, nach der programmatischen Brexit-Rede Mays in Florenz, in der sie versucht hat, es allen recht zu machen, wird sich zeigen, ob Johnson – der fünf Minister hinter sich haben soll – ruhiggestellt ist. Vorerst jedenfalls.
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