Boris Palmer: Wer 2015 der Migration widersprach, war ein Unmensch, Rassist oder Nazi – Jetzt überbietet man sich im Abschiebungston

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@enthemmte Debatte

Wie die Debatte über Asyl seit dem Attentat von Solingen verläuft, finde ich schrecklich und unseres Landes unwürdig. Wir sind von einem Extrem ins andere verfallen.

Seit 2015 galt dogmatisch die Auffassung, dass man sowieso nichts gegen irreguläre Migration machen kann: Die kommen halt und abschieben kann man sie nicht. Findet euch damit ab! Und wer widersprach, war wahlweise ein Unmensch, ein Rassist oder ein Nazi.

Plötzlich ist es nun umgekehrt. Vorschläge zur Abwehr von Flüchtlingen können gar nicht radikal genug sein. Friedrich Merz macht nur mit, wenn die Grenzen komplett abgeriegelt und alle Flüchtlinge zurückgeschickt werden. Was das in Europa auslöst, scheint ihm völlig egal. Ein deutscher Alleingang sofort. Sahra Wagenknecht schlägt vor, die Sozialleistungen für alle, die über ein sicheres Drittland eingereist sind, zu streichen, also für alle.

Nun werde ich sicher nicht anfangen, diese Positionen zu beschimpfen. Natürlich kann man das fordern. Aber mir fehlen da Maß und Mitte, Realismus und Pragmatismus, so etwas wie Gesamtverantwortung. Natürlich müssen die Zahlen der Antragsteller endlich runter. Wir verkraften das in den Kommunen nicht mehr und es zerreißt unsere Gesellschaft.

Aber was die Bundesregierung mit den Grünen vorgeschlagen hat, war vor vier Wochen noch undenkbar. Ein verantwortungsvoller Oppositionsführer hätte hier sagen müssen, das prüfen wir jetzt auf seine Wirksamkeit. Sogar ein rechtlicher Test von Zurückweisungen nach dem Modell Merz war im Paket. Horst Seehofer hat bei Angela Merkel nie auch nur einen Bruchteil der Härte durchgesetzt, die Merz jetzt bei der Ampel in drei Wochen erreicht hat. Da wäre es seine Pflicht gewesen, mitzuwirken.

Offenbar meint Merz, das Wahlkampfthema bleibt ihm nur, wenn er nicht im Boot sitzt. Ich halte das für fahrlässig. So wird eine echte Wende in der Migrationspolitik im Streit verdeckt und das hilft nun wirklich nur der AfD. Ich glaube nicht mal, dass die Union damit Stimmen holt.

Und meine frühere Partei steht schon jetzt vor einem Scherbenhaufen. Was sie jetzt mitträgt, geht weit über die kleinen und pragmatischen Vorschläge hinaus, die ich seit 2015 immer wieder vorgetragen habe und dafür mit einem Parteiausschlussverfahren abgestraft wurde. Hätte ich etwa die Forderung erhoben, alle Asylbewerber abzuschieben, die in anderen EU-Ländern Asyl beantragt hatten und sie dafür auch in Haft zu nehmen, ich bin sicher, dafür wäre ich geteert und gesteinigt worden, auch von den Medien. Und nun sagt die Außenministerin zu exakt diesem Vorhaben der Innenministerin: „Können die Grünen da Ja sagen? Ja, aus vollem Herzen. Wir machen da natürlich mit.“

Die Lehre aus all dem muss sein, Probleme ernst zu nehmen und rechtzeitig zu handeln. So lange alles zu leugnen und zu verdrängen, bis man nicht mehr anders kann, als die Realität anzuerkennen, führt zu Überreaktionen. Das ist der Anteil, den die Grünen an den Beschlüssen haben, die sie nun mittragen müssen. Und Friedrich Merz überzieht nun in die andere Richtung. Das kann ebenfalls sehr unerwünschte Folgen haben. Wenn die europäischen Partner nicht mitziehen, hat er mit Zitronen gehandelt. Die Außengrenzen können wir nicht sichern, weil wir keine haben. Ohne die EU geht unsere Wirtschaft endgültig baden. Und mit Solingen hat das alles sowieso nur noch ganz am Rande zu tun. Der IS findet auch Mittel Wege, Attentäter über die grüne Grenze zu schicken und Messerverbote halten die auch nicht auf.

Könnten wir nicht endlich Vernunft walten lassen bei der Migrationsdebatte?

Quelle: Facebook

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