Palmer bleibt das Enfant terrible seiner Partei – und er ist stolz darauf. Der Mathematiker versteht sich als Rebell und seine ganze Politik atmet den Geist des Protestes. Anders als grüne Schönredner ist Palmer der Robin Hood der Armen.
Gäbe es Boris Palmer nicht, müssten ihn die Grünen erfinden. Anstatt diesen permanent zu verunglimpfen und an den medialen Pranger zu stellen, sollte man in Berlin froh sein, das hier einer nicht mit univoker Stimme spricht, sondern für Polyphonie sorgt. Palmer ist bekennender Rebell, ein grüner mit besten Eigenschaften.
Und Palmer ist einer, der sich nicht die Stimme verbieten lässt – und schon gar nicht von seiner eigenen Partei samt ihren etablierten Politikern und lang eingesessenen Kadern, die ihn regelmäßig wie ein kleines Kind zur Räson rufen, während sie selbst im politischen Mainstream angekommen und diesen verkörpernd ihre liebgewonnene Macht wie einen edlen Wein genießen. Die Grünen waren mal revolutionär, jetzt sind sie es nicht mehr. Palmer aber ist anders, kantiger, klarer, provokativer – so wie die Grünen der ersten Generation.
Der süddeutsche OB bringt das grüne Berlin regelmäßig an den Rand eines kollektiven Nervenzusammenbruchs. Für Berlin ist er eine Bombe, die jederzeit zu platzen droht. Tübingen bleibt ein rotes Tuch für die Berliner Parteizentrale und die Linksfraktion der Grünen.
Am liebsten hätte man Palmer auf dem Mond
Die protestantische Intellektuellenmetropole Tübingen, die einst mit Hegel, Schelling und Hölderlin Weltruf erlangte und dann im 20. Jahrhundert ihren zweiten Ruhm durch Walter Jens, Ernst Bloch und Hans Küng in einer zweiten Renaissance feierte, war immer, insbesondere in den 68er-Jahren, ein Hort des linken Protestes. Feinere Geister wie Joseph Ratzinger wurden damals durch die pöbelnden Studenten gar aus der Stadt getrieben.
Was früher die 68er waren, ist nun Palmer, aber eben als Realo wie sein Landeschef Kretschmann. Nicht nur, dass er – wie sein Landesvater – permanent für Herzrasen, Angstschweiß und Bluthochdruck in der Berliner Öko-Republik sorgt, am liebsten möchte man diesen ganz abschieben – am besten gleich ans Ende der Welt. Wer nicht ins Bild des grünen Einerlei, die Musli- und bunt gestrickte Pulloverwelt passt, dem droht Ungemach. Ob Claudia Roth, Britta Haßelmann, Simone Peter, Quasselstrippe Renate Künast, Anton Hofreiter oder Volker Beck – für sie alle ist Palmer die Inkarnation es Bösen, eine Art „Donald Trump“, der den grünen Geist verrät.
Das Enfant terrible und der Robin Hood seiner Partei
Palmer bleibt das Enfant terrible seiner Partei – und er ist stolz darauf. Der Mathematiker versteht sich als Rebell und seine ganze Politik atmet den Geist des Protests. Anders als grüne Schönredner ist Palmer der Robin Hood der Armen. Er macht Politik an der Basis und kennt den Alltag – samt seinen Hürden. Er spielt die Klaviatur wie ein versierter Pianist, manchmal greift er in die schwarzen Tasten und kommt der AfD gefährlich nahe, zumeist aber erzeugt er Dissonanzen im grünen Umfeld, wenn er die Abschiebung von straffälligen Syrern fordert oder sich einfach für das traditionelle Modell der Ehe ausspricht.
Gegen den Genderwahn und den linken Mainstream
Im homophilen und genderisierten Grünen-Lager, wo der Heterosexuelle mittlerweile wie die Benzin- und Dieselmodelle zum klassischen Auslaufmodell gehört, will Palmer einfach nicht mitspielen. Für den Tübinger bleibt die klassische Ehe wie für Kretschmann die bevorzugte Lebensform: „Wenn jemand es gut findet, dass in seinem Viertel die Mehrheit homosexuell ist, dann ist das für mich ok. Umgekehrt will ich nicht als homophob bezeichnet werden, wenn ich es ganz gut finde, dass die Mehrheit nicht homosexuell ist.“
Gegen den grünen Mainstream und die wuchernden Gender-Ideologien hält er dann auch fest, dass eine Minderheit nicht erwarten kann, „dass die Mehrheit sich selbst wünscht zur Minderheit zu werden.“ Klar haben Minderheiten Anspruch auf ihre sozialen Rechte und Freiheiten, doch wenn diese „daraus den Anspruch ableiten, dass die Mehrheiten nicht mehr sagen dürfen, dass bestimmte Verhältnisse gut sind“, dann interveniert Palmer heftig. Es kann doch nicht sein, so seine Maxime, dass man die Mehrheit ihre Meinung nicht mehr äußern kann – dieser Maulkorb der „Minderheiten“ trägt im Tornister „Intoleranz und Jakobinismus“.
Die universale Spannbreite grüner Politik
Der Tübinger Bürgermeister Boris Palmer hat einen nicht ungewichtigen Marktwert weit über die Grenzen der Grünen hinweg. Die Verteilung ist fast perfekt. Während Kretschmann abtrünnige Unionswähler um sich wie ein guter Hirte versammelt, schwört Özdemir die Deutsch-Türken auf sich ein und Boris Palmer kann mögliche AfD-Wähler für ein grünes Programm zurückgewinnen. Mit Kretschmann, Özdemir und Palmer haben die Grünen ein gewaltiges Potential, wenn es um die Macht in Berlin im Jahr 2017 geht – eine derartige Spannbreite ist ein Novum innerhalb des grünen Diskurses. Dieses weit ausgreifende Spektrum kann der Partei nur von Nutzen sein, wenn die neue Kanzlerkandidatin Angela Merkel ihre Union auf Schwarz-Grün einschwören sollte.
Mehr Mitte kann den Grünen nicht schaden, damit werden sie bei Weitem keine „CDU light mit Insektenschutz“, wie Jakob Augstein prophezeite und den Untergang grüner Kultur in Deutschland zu erkennen vermeinte.
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