Boris Palmer schreibt auf seiner Facebookseite: „Als Joachim Gauck noch Bundespräsident war, hatte ich in der Migrationsfrage oft den Eindruck, er sei der Einzige, der den Problemen, die mich vor Ort so sehr unter Druck setzten, mit Verständnis begegnete. Bei Miosga hat er erneut gezeigt, wie eine Politik der Mitte aussehen könnte. Er sagte, man müsse den Bürgermeistern und Landräten zuhören und er habe das getan. Kann ich nur bestätigen. Hätte Angela Merkel nur mehr auf ihn gehört, uns wären viele Probleme erspart geblieben, die jetzt, so Gauck, reichlich spät angegangen werden. Danke, Herr Bundespräsident, Sie geben noch immer Halt und Orientierung!“
Joachim Gauck redet Klartext bei Caren Miosga
Bei Caren Miosga sprach der Alt-Bundespräsident von einem substanziellen Ost-West-Gefälle. „Wir werden lange unterschiedliche politische Kulturen haben in Deutschland. Das hängt aber nicht mit dem Charakter der Ostdeutschen zusammen. Viele denken ja, der Ossi sei undankbar, das ist Quatsch. Aber es gibt natürlich Unterschiede, und die zeigen sich beim Wählen.“ Man werde einen Wandel aber nicht „durch eine angststarre Zukunft erlangen, sondern durch ein kämpferisches Engagement.“
Wie der ehemalige evangelische Propst aus Rostock betonte, könne man auch das Erstarken von der AfD nicht als rein ostdeutsches Problem betrachten. Das Phänomen sei ein internationales. In jeder Gesellschaft gibt es Menschen, die sich vor einem Wandel schützen wollen, was eine eingebildete Angst sein kann oder eine reale Erfahrung. „Ein großer Teil der Bevölkerung in ganz Europa hat dieses Gefühl, und die Vertreter der nationalpopulistischen Parteien wissen das. Sie sagen, das ist unser Triggerelement. Wenn wir das nach vorne bringen, dann sahnen wir ab bei den Ängsten dieses Teils der Bevölkerung. Das ist international.“
Zudem blickte der gebürtige Ostdeutsche auf die Geschichte der DDR und betonte: „Die ostdeutsche Gesellschaft ist eine zutiefst von 56 Jahren politischer Ohnmacht geprägte Gesellschaft. Das unterscheidet sie vollkommen von der westdeutschen Gesellschaft. Die ostdeutsche Teilbevölkerung hat also keinen schlechteren Charakter, aber schlechtere Startbedingungen in die Existenz eines Bürgers, das heißt Autonomie, Eigenverantwortung. Der Wert der eigenen Meinung, die Rolle des Ichs in einer Gesellschaft – all das war völlig anders.“
Auch widersprach Gauck der Aussage, dass es sich bei der AfD um eine Nazi-Partei handele. Auf der ganzen Welt gibt es Rechtsnationale, Populisten und Nazis. „Das Problem besteht nicht darin, dass eine übergroße Anzahl von Wählern in Europa Adolf Hitler zurückhaben will. Das Problem besteht darin, dass sie ihrer eigenen Kraft zur Gestaltung unseres Gemeinwesens weniger zutrauen als bestimmten Führungskräften. Sie möchten lieber Gefolgschaft sein unter autoritär geführten Personen à la Orbán und ähnlichen Typen. Diese selbstbestimmte, auf Debattenkultur beruhende offene Gesellschaft macht ihnen Angst. Und deshalb gibt es diese Anschlussform an die Naziideologie.“