Boris Palmer: Es gibt große Unterschiede zwischen 1932 und 2025

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In der Debatte über den Umgang mit der AfD spielt das Argument, die Konservativen dürften den Nazis nicht erneut die Macht in die Hand geben, eine große Rolle. Das ist letztlich die Begründung der Brandmauer.

Ich verstehe diese Sorgen. Ich sehe aber zwischen der Zeit vor 100 Jahren und heute mindestens 10 wesentliche Unterschiede.

  1. Die Straßen sind voll mit Menschen, die unsere Demokratie verteidigen wollen. SA und SS Schlägertrupps gibt es hingegen nirgends, nur in wenigen Orten im Osten gibt es NS-Zellen, die das gerne versuchen würden.
  2. Es gibt keine Weltwirtschaftskrise mit damals sechs Millionen Arbeitslosen und einem Reichskanzler Brüning, der mit einer strikten Sparpolitik breite Massen ins Elend führt.
  3. Es gibt keinen Versailler Vertrag (Schmach von Versailles) und keine Dolchstoßlegende von dem im Felde ungeschlagenen Heer, das von den Verrätern der Revolution um den Sieg gebracht wurde und deshalb auch keine Reichswehr, die unsere Verfassung überwinden will.
  4. Es gibt keine NS-Rassenideologie, die dem deutschen Herrenvolk ein natürliches Recht zur Unterjochung der Untermenschen und zur Vernichtung der Juden zubilligt.
  5. Es gibt keinen Zangenangriff der Kommunisten und Faschisten. Die Konservativen tragen die Demokratie heute mit. Das Parlament besteht nicht wie in Weimar in der Mehrheit aus Gegnern der Demokratie.
  6. Es gibt keinen Reichspräsidenten, der als ehemaliger General und mit über 80 Jahren mit Notverordnungen regiert.
  7. Es gibt eine starke freie Medienlandschaft, einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk und über das Internet frei zugängliche Informationen für jeden.
  8. Es gab keinen Bürger in Uniform, der als Soldat oder Polizist mit zu vielen hunderttausenden hinter dem Grundgesetz steht.
  9. Es gab kein Bundesverfassungsgericht und keine starke Kontrolle der Exekutive.
  10. Es gibt niemand, der unseren Kaiser Wilhelm wieder haben will.

Aus all diesen Gründen halte ich den Vergleich mit 1932 für unhistorisch. Wir stehen nicht vor der Machtübernahme der Faschisten und auch nicht vor eine erzwungene Remigration. Wir sollten aufpassen, dass wir uns im richtigen Anliegen, die Demokratie zu verteidigen, nicht in etwas hinein steigern, das den Blick für pragmatische Lösungen versperrt und die Gesellschaft in unversöhnliche Lager spaltet. Wenn wir einmal annehmen, dass 30% der Thüringer Nazis sind, ist es sehr schwer, friedlich und frei zusammen zu leben.