Boris Palmer: „Die etablierten Parteien schwächen die Demokratie und treiben der AfD die Wähler zu“

AfD-Logo, Quelle: SGL

Die Vorgänge um die Wahl des Landtagspräsidiums werden gemeinhin als skandalös und Beleg für die Demokratiefeindlichkeit der AfD gewertet. Ich sehe darin vor allem Fehler der anderen Parteien, die ihre Position als Verteidiger der Demokratie massiv schwächen und der AfD die Wähler zutreiben. Wer die Demokratie verteidigt, muss ihre Regeln besonders streng achten und darf auch nicht zu legalen Tricks greifen, um den Gegner der Demokratie zu schwächen oder zu demütigen. Genau das ist aber passiert.

Besonders offensichtlich ist das bei der Wahl der stellvertretenden Landtagspräsidentin. Die Kandidatin der AfD fiel durch, weil sie vor 10 Jahren einen Arbeitsvertrag um zwei Monate gefälscht hat. Damit sei sie unwählbar. Wenn die Maßstäbe an Politiker immer so streng wären, würde das Argument greifen. Man fühlt aber, dass das nicht der Fall ist.

Und man findet sofort ein aktuelles Gegenbeispiel: In der Affäre um die ziemlich offenkundig grundlose Entlassung der Staatssekretärin Lamia Messari-Becker hat der hessische Landtag ausgerechnet einen Kumpel des Ministers, dessen Verhalten untersucht werden soll, zum Ausschutzvorsitzenden gewählt. Einen SPD-Politiker, der – Achtung! wegen Urkundenfälschung verurteilt worden war. Also exakt desselben Delikts, dessen sich die AfD-Kandidatin für den Landtagsvizeposten schuldig gemacht hat.

Die Analogie geht sogar noch weiter: Die anderen Parteien haben den Politiker in den Ausschussvorsitz gewählt (der im Gegensatz zur Stellvertretung des Landtagspräsidenten reale Macht hat), weil das Vorschlagsrecht bei der SPD lag. Ein wegen Urkundenfälschung verurteilter Parteifreund des Beschuldigten Minister soll nun die Aufklärung leiten. Das dürfte wohl kaum Begeisterung bei den anderen Fraktionen ausgelöst haben, aber sie fühlten sich an die Geschäftsordnung gebunden.

Versetzen wir uns nun einen Moment in einen AfD-Wähler. Erscheinen die anderen Parteien als Hüter der Demokratie, wenn sie bei sich selbst genau das akzeptieren, was bei der AfD eine Kandidatin unwählbar macht? Oder entsteht da nicht eher der Eindruck, es sei etwas an der Erzählung der AfD, die anderen Parteien verteidigten keinesfalls die Demokratie, sondern nur ihre Pfründe? Wird da nicht eine Wut und ein begründeter Eindruck von Benachteiligung und Demütigung geschürt, der exakt die Motivation ist, die Menschen zur AfD treibt?

Nicht viel besser ist es bei der Präsidentenwahl selbst. Nach dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs steht fest, dass die Abgeordneten das Recht hatten, die Geschäftsordnung zu ändern, bevor sie das Präsidium wählen.

Es war also legal, einen AfD-Landtagspräsidenten zu verhindern. Aber war es auch legitim? Und vor allem: war es strategisch klug? Ich meine: Nein.

Was hier passiert ist, gleicht doch einem Fußballspiel, bei dem man nach dem Abpfiff die Regeln so ändert, dass der Sieg der gegnerischen Mannschaft zur Niederlage wird, zum Beispiel in dem zwei Tore, die nach alter Regel gelten, durch die neue Regel ungültig werden. Jeder Fan der siegreichen Mannschaft würde sich da betrogen fühlen.

Genau so ist es, wenn man eine Landtagswahl durchführt und eine Geschäftsordnung in Kraft ist, die der stärksten Partei das Vorschlagsrecht für den Landtagspräsidenten garantiert. Wenn man das nach der Wahl einfach streichen will, entsteht der Eindruck einer Demütigung und eines gestohlenen Siegs bei den Fans der AfD unweigerlich. Ein solches Vorgehen ist nicht legitim. So verteidigt man die Demokratie nicht, man beschädigt sie.

Das Ganze folgt auch keiner Strategie, wie sehen hier kopfloses Taktieren. Strategisch hätte man die Änderung der Geschäftsordnung langfristig planen und durchführen müssen. Eine entsprechende Änderung im letzten Jahr wurde von den Grünen beantragt (Chapeau!) aber von der CDU abgelehnt. Keine Strategie, nur kurzfristiges Taktieren. Denn das Argument damals war, diese Änderung könne der AfD Stimmen bescheren. Tolle Erkenntnis. Das gilt für das aktuelle Vorgehen um den Faktor 100 mehr.

Der Grundfehler im Umgang mit der AfD wird an diesen Vorgängen sehr sichtbar: Aus der Annahme, man habe es mit Feinden der Demokratie zu tun, leitet man eine moralische Selbstermächtigung her, das legale Instrumentarium maximal auszuschöpfen und die AfD zu benachteiligen, wo immer möglich. Das macht die AfD immer stärker und beschädigt die Demokratie.

Es gibt nur zwei richtige Strategien im Umgang mit der AfD.

Entweder man verbietet sie, weil sich gesichert verfassungsfeindlich ist und den Umsturz plant. Dann ist es bei 30% in drei Bundesländern höchste Zeit.

Oder man kann sie nach unserer Verfassung nicht verbieten, was wahrscheinlich zutrifft, weil sie zwar eine völlig andere Politik will, aber das Grundgesetz nicht antasten. Dann muss man im Umgang mit ihr penibel darauf achten, die Spielregeln der Demokratie zu achten, auch wenn davon die AfD profitiert. Alles andere zerstört die eigene Glaubwürdigkeit.

Quelle: Facebook