Ein Reigen eindrucksvoller, polychromer Figuren – Ritter auf stolzen, festlich geschmückten Pferden oder die Mauern einer Festung hinauf kletternd, Heilige und Würdenträger, gekrönte Häupter und Teufelswesen oder auch mythische Gestalten wie eine „Etymachia“ mit einer auf einem Drachen reitenden Invidia (Neid) neben einer wohl geformten jungen Schönen, die ihre Nacktheit mit einem leuchtend grünen Feigenblatt verdeckt -empfängt derzeit den erstaunten Besucher im ersten Stockwerk der Bayerischen Staatsbibliothek. Vergrößerungen in brillanten Farben antiker Miniaturen kündigen auf vertikalen oder horizontalen Bannern in den Galerien und in dem Gang der Handschriftenabteilung sowie auch auf Fahnentürmen rund um die Säulen des Fürstensaals den neuen Ausstellungszyklus, der über einganzes Jahr in drei hintereinander folgenden Schauen unter dem Titel „Bilderwelten – Buchmalerei zwischen Mittelalter und Neuzeit“ – gezeigt wird. Eine geglückte museale Gestaltung, die dazu prädestiniert ist, das Interesse für die reichen Bestände der Bayerischen Staatsbibliothek zu steigern, die sich mit ihren Schauen einer immer breiteren Öffentlichkeit öffnet. In einem repräsentativen Querschnitt ihrer kostbarsten Schätze zeigt sie in ihrer nun auf zwei Räumen erweiterten Schatzkammer Exponate, die teilweise zum ersten Mal der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Zum ersten Mal rückt die deutsche Buchmalerei eines Jahrhunderts in den Mittelpunkt einer ihrer Ausstellung und verknüpft sich – auch erstmalig – mit zehn weiteren thematisch verwandten Satellitenausstellungen in Deutschland, Österreich und in der Schweiz. Verfolgt wird in der hochkarätigen Schau der Übergang vom Mittelalter in die beginnende Renaissance, eine Umbruchzeit, die die Reformation, die Entdeckung Amerikas und den Seeweg nach Indien mit all den darauf folgenden Umwälzungen in den politischen und ökonomischen Strukturen des alten Kontinents einleitet. Während frühere Weltbilder und die alte Weltordnung immer mehr ins Wanken geraten, wird Vieles in Frage gestellt: die Rolle der Monarchie, des Papstums, der Kirche und schließlich die Bibel selbst. Miniaturen, Zeichnungen und Holzschnitte in wertvollen Bänden liefern wichtige Informationen über eine Zeitspanne, die sich vom späten Mittelalter bis hin zur Neuzeit erstreckt. Während die Künstler im Mittelalter meistens in der Anonymität versinken, erfahren wir in der Neuzeit die Namen der Buchmaler, in deren Reihen sich auch Größen wie Dürer, Holbein oder Cranach befinden. Deckfarbenmalerei, illuminierte Textillustrationen zunehmend auf Papier im perfekt erhaltenen Zustand entführen den Besucher auf eine faszinierende Reise durch diese bewegten Zeiten, die die Welt in jeder Hinsicht auf den Kopf stellten. Gegliedert ist die Schau, die sich über ein Ganzes ausstrecken wird, in drei Abschnitten:
Luxusbücher vom 13.04. und 15.07.2016
Ewiges und Irdisches vom 25.07. und 06.11.2016
Aufbruch zu neuen Ufern vom 14.11. 2016u. 24.02.2017
Im Quaternio Verlag Luzern ist ein reich bebilderter 256seitiger Katalog erschienen, der mit einer einleuchtenden Einleitung von Claudia Fabian, die beim Ausstellungskonzept federführend war, mehreren Essays, Exponatbeschreibungen und einer Fülle von Illustrationen die vielschichtige Schau ergänzt. Er ist ein unverzichtbarer Wegweiser durch die Zeit von 1400 bis 1530/40, die sie in ihren Fokus stellt.
Begleitet wird die Ausstellung ferner von einer Reihe parallel verlaufender Vorträge und von der Tagung „Bilderwelten erschliessen. 30 Jahre Katalog der deutschsprachigen illustrierten Handschriften des Mittelalters“ der Bayerischen Akademie der Wissenschaften im September.
Auftakt dieser hochkarätigen Reihe war der Vortrag von Dr. Stefan Jakob Winmer über die so genannte „Tegernseer Haggadah“, die in einer der Vitrinen der verdunkelten Schatzkammer zu bewundern ist. In einer sehr fundierten Analyse ging der ausgewiesene Münchner Ägyptologe, erfolgreiche Buchautor und „Brückenbauer“ auf die Geschichte dieser einzigartigen – wie der Titel der Ansprache verhieß – Ausgabe der Haggadah ein. Ihre Besonderheit liegt darin, dass die Illustrationen der hebräischen Schrift, die traditionell als „Libretto“ für den „Seder-Abend“ dient, von einem christlichen Maler stammen und dass dem Text ein Traktat in lateinischer Sprache vorangestellt ist. Dieses stammte wiederum vom Dominikaner Mönch Erhard von Pappenheim, der darin im Stil eines Reporters den vermeintlichen „Ritualmord“ eines christlichen Kindes erwähnt, dessen Blut für die Herstellung der für das Seder-Mahl zubereiteten Mazzas angeblich verwendet worden wäre. Der Mord war – wie bei ähnlichen Vorfällen – Juden zugeschrieben, die sich auch unter Folter dazu bekennen mussten. Der Text stellt einerseits eine Dämonisierung der Juden dar, bekundet andererseits aber auch die Absicht, die jüdische Religion und deren Feste den Christen näher bringen zu wollen. Eine ambivalente Haltung, die sich auch in manchen Détails der kunstvoll gestalten 23 Miniaturen widerspiegelt, die – wie beispielsweise eine hier und da auftauchende segnende Hand mit zwei erhobenen Fingern – eher auf die christliche Ikonografie zurückgreifen. Ähnlich verhält es sich bei der im jüdischen Glauben sonst verbotene Darstellung Gottes, der im rosa Kleidmit einem gezückten Schwert in der Hand abgebildet wird oder auch eines triumphierenden Christus, der– nicht auf einem Esel – sondern auf einem jungen Schimmel reitend Einzug in Jerusalem hält. Offen bleibt die Frage bei dem Referenten – wie auch bei anderen von ihm zitierten Forschern wie dem Haward-Professor David Stern –, inwieweit es sich umfreie Interpretationen des Künstlers handele oder eher um eine zielgerichtete Deutung der Haggadah, Seder und Christi Abendmahl in Verbindung zu bringen und die christlichen Zeitgenossen dazu aufmuntern sollte, sich mit dem Judentum näher zu befassen. Vermutet wird, dass es sich um ein „bewusst so gestaltetes Buch für christliche Theologen“ gehandelt haben soll. Die von einem jüdischen Auftraggeber bestellte Haggadah gelang in den Besitz vom Passauer Domprediger Paulus Bann und ging nach dessen Tod 1489 ans Kloster Tegernsee über, und wurde dort mit der oben erwähnten lateinischen Schrift versehen. In der Zwischenzeit hatte der Skandal um den „Hostienfrevel von Passau“, der auch im „Des Knaben Wunderhorn“ seinen Niederschlag findet, für Aufsehen gesorgt und die Stimmung gegen Juden in der Region aufgehetzt. Die Folge war die Vertreibung der Juden aus Passau und die Errichtung der heutigen Salvatorkirche an Stelle der in der Zeit zerstörten Synagoge. Mit diesem vermeintlichen Versuch, die Haggadah „christlich zu malen“ warf die Geschichte noch einmal ihren langen Schatten voraus. Es endete– wie Stefan Jakob Wimmer am Ende seiner spannenden Rede untermauerte– schlussendlich in die Shoah.Es sollte dann viel länger dauern, bis das Christentum dazu bereit war, seine „Geschwisterlichkeit“ mit dem Judentum zu entdecken.
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