Mit dieser spektakulären Antwort des renommierten amerikanischen Paläontologen „Jack“ Robert Horner auf eine Frage des Magazin „Nature“, was wir denn über das Verhalten der Dinosaurier wissen, dürfte ihm wohl ein überaus verblüffendes und ungläubiges Gesicht seines Gesprächspartners sicher gewesen sein. Horner, der u. a. auch als wissenschaftlicher Berater in den „Jurassic Park“-Filmen mitgewirkt und nachgewiesen hatte, dass es bei manchen Dinosaurier-Spezies einen familiären Zusammenhalt gab, wählte mit dieser Antwort eine bewusste Provokation. Dennoch liegt seine Aussage viel näher an der Wahrheit, als es der Mehrheit bewusst sein dürfte.
Derweil geistert wohl bei den allermeisten vor ihrem geistigen Auge ein ganz anderes Bild dieser gigantischen Kreaturen aus dem Mesozoikum (Erdmittelalter: 250 bis 100 Millionen Jahre vor der Jetztzeit) herum, deren jähes Ende in Gestalt eines Meteoriten vom Himmel fiel. Seit deren erster Erwähnung im Geburtsjahr eines gewissen Karl May (1842) hat sich ein Typus in den Köpfen festgesetzt, der mit dem Evolutionsgedanken mehr und mehr an Einfluss gewann: Dinos waren zwar groß und ehrfurchtgebietend riesig, aber gehörten dennoch zu den Verlierern der Erdgeschichte, die durch einen verhängnisvollen, gewaltigen Felsbrocken „von den sehr viel flinkeren, schlaueren, in jeder Beziehung überlegenen Säugetieren“ überholt und weit zurückgelassen wurden. Mehr Schein als Sein sozusagen. „Fast scheint es, als hätten die heute dominierenden Organismengruppen das aus den Tiefen des Alls herannahende Unheil geahnt und sich im Windschatten der Dinosaurier rechtzeitig vor dem großen Knall so in Stellung gebracht, dass sie den Staffelstab nach dem Ableben der Riesenechsen übernehmen konnten.“
Auch als mögliche Vorfahren der Vögel wurden sie nicht mehr gehandelt, denn jene – so die Auffassung der meisten Experten Anfang des 20. Jahrhunderts – seien wohl aus der Krokodilverwandtschaft hervorgegangen. Weit gefehlt! Bernhard Kegel stellt in seinem Buch die neuesten Forschungen, Ausgrabungserfolge sowie daraus gewonnene Erkenntnisse auf überaus unterhaltsame Art und Weise vor. Dabei reiht er keineswegs stupide Fakten aneinander, die im Kopf des Lesers genauso zerbröseln wie vielleicht manch kleiner, mühsam mit Spatel geborgener und mit Pinsel gesäuberter Knochen eines Fossils, sondern sein Text stellt sich als erhellend, wissenschaftlich interessant UND unterhaltsam zu lesen heraus. Sein Buch darf eher als kurzweiliger Streifzug durch den vielfältigen „Gestaltenwandel und seinen Spiegelungen und Resonanzen im Geistes- und Kulturleben der jeweiligen Zeit“ gesehen werden „und bietet dabei auch, jenseits der Biologie, rein fiktiven Gestalten wie Drachen, Godzilla und King Kong Raum.“ Aufgelockert durch vielfältige Illustrationen, Abbildungen und Fotos führt der studierte Chemiker und Biologe, der auch ökologischer Gutachter und Lehrbeauftragter ist, durch die vergangenen Jahrmillionen des Trias, Jura und der Kreidezeit bis ins Jetzt.
Um letztendlich noch einmal auf die eingangs wiedergegebene, provokative Aussage Jack Horners zurückzukommen. Dessen Antwort ging nämlich noch weiter. „Dinos ähnelten eher Rotkehlchen als Krokodilen. Ihre ganzen Stacheln und Schildpanzer waren recht zerbrechlich und ziemlich sicher eher zur Show als für einen Kampf gemacht – ganz ähnlich wie Knochenkämme einiger moderner Vögel. Manche Dinos hatten Federn, und sie haben wahrscheinlich auch Balztänze wie die Vögel heute aufgeführt. Wenn wir wirklich einmal einen >Jurassic Park< aufbauen, würde er wohl eher Szenen wie aus der Serengeti liefern statt aus Der weiße Hai. Ich habe tatsächlich schon einmal ein Drehbuch geschrieben, bei dem Wissenschaftler aus der Zeitmaschine aussteigen und sich mit tanzenden Triceratops konfrontiert sehen, die mit ihren farbigen Schädelschildern angeben. Na ja, so einen Film würde sich halt kein Mensch anschauen.“
Fazit: Und jetzt halten Sie sich fest: „Ein Teil, hervorgegangen aus einer Gruppe relativ kleiner Raubdinosaurier, lebt heute mitten unter uns und bildet mit zehntausenden Arten eine der buntesten, vielgestaltigsten und lautstärksten Tiergruppen des Planeten.“ Unsere heutigen Vögel sind Dinosaurier und nicht nur deren Verwandte oder Abkömmlinge! Bleibt jetzt nur noch die Frage: „Trug etwa auch T. rex Federn? Krähte er, statt zu brüllen?“ Antwort gibt Bernhard Kegels wunderbares „Ausgestorben um zu bleiben“. Auf jeden Fall waren Dinosaurier auch hervorragende Ökosystemingenieure.
Bernhard Kegel
Ausgestorben um zu bleiben. Dinosaurier und ihre Nachfahren
DuMont Buchverlag Köln (16.04.2018)
270 Seiten, Gebunden
ISBN-10: 3832198709
ISBN-13: 978-3832198701
Preis: 22,00 EUR