F.W.J. Schelling, Über das Wesen der menschlichen Freiheit, hrsg. v. O. Höffe und A. Pieper, Berlin 1995
„1809 erschien Schellings Abhandlung über die Freiheit. Sie ist Schellings größte Leistung, und sie ist zugleich eines der tiefsten Werke der deutschen und damit der abendländischen Philosophie.“ Mit dieser Würdigung von Schellings Freiheitsschrift als einem der Höhepunkte der abendländischen Philosophiegeschichte eröffnet Martin Heidegger seine 1936 gehaltene Vorlesung „Schellings Abhandlung über das Wesen der menschlichen Freiheit“. Fast 60 Jahre später liegt nun mit dem von Otfried Höffe und Annemarie Pieper herausgegebenen Band ein weiterer Kommentar zu dieser bedeutenden und schwierigen Schrift Schellings vor. Wer ihn zur Hand nimmt, wird nicht nur eine gründliche Einführung in den Duktus des Gedankenganges dieser Schrift bekommen, sondern zugleich einen Einblick in die verschiedensten, differenten Standpunkte der Schellingforschung.
Der Kommentar folgt dem Text von Schellings Abhandlung, jeweils ein Autor bespricht einen Abschnitt der Schrift. Die Komplexität und Dichte des Textes wird bei einem flüchtigen Blick in den Band schon durch die unterschiedlichen Interpretationsperspektiven, die er zuläßt, deutlich. Neben transzendentalphilosophischen Deutungsansätzen werden ontologische Interpretationen dieser Schrift in Anschlag gebracht. Diese Interpretationsdifferenzen führen dem Leser unmittelbar die Schwierigkeit des Verständnisses dieser Schrift vor Augen.
Einführend wird Schellings Gedankengang in dem Beitrag von Otfried Höffe „Ein Thema wiedergewinnen: Kant über das Böse“ durch eine Kontrastierung mit Kants Lehre vom Bösen profiliert. Kants Schrift „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ bildet unbestritten einen der Referenzpunkte von Schellings Schrift über das Wesen der menschlichen Freiheit. Der für diese Schrift Kants zentrale Begriff des Bösen wird von Höffe als ein unverzichtbarer Begriff der philosophischen Ethik herausgestellt. Schellings Aufnahme dieser Thematik in der Freiheitsschrift von 1809 kommt in dieser Perspektive als eine Weiterführung Kants in den Blick, jedoch so, daß der Kantische erkenntniskritische Ansatz überschritten wird. Die kritische Frage an Schelling und an die Interpretationen der Schrift muß dann lauten, „kann Schelling die von ihm praktizierte Erweiterung der Vernunftgrenzen angemessen begründen?“ (34).
Hans Michael Baumgartner erläutert den Einleitungsteil der Freiheitsabhandlung Schellings. Schon die Zeitgenossen Schellings, so Baumgartner, haben die Freiheitsschrift unterschiedlich bewertet. Die einen empfanden sie als Einschnitt in Schellings philosophischer Entwicklung, die anderen als erste profilierte Reaktion auf Hegels Phänomenologie des Geistes. Dieses Problem der Einordnung der Freiheitsschrift taucht sofort auf, wenn man sich vergegenwärtigt, daß diese Schrift nach Schellings eigenem Bekunden die erste Darstellung des ideellen Teils der Philosophie darstellen soll und somit rückgebunden wird an die „Darstellung meines Systems“ von 1801. Auf den ersten Blick liegen zwischen diesen beiden Schriften Schellings Welten. Zugespitzt wird diese Problemlage auch dadurch, daß die Intentionen der Schrift den in ihr verwendeten Systembegriff scheinbar aufheben.
Nach Baumgartner stellt Heideggers Interpretation der Freiheitsschrift von 1936 immer noch die „beste Darstellung und gründlichste Interpretation des Werkes insgesamt“ (50) dar. Freilich sind nach Baumgartner Fragen an die Interpretation Heideggers zu richten, etwa, ob seine Einschätzung, die Freiheitsschrift stelle das Paradigma der Metaphysik des deutschen Idealismus dar, haltbar ist.
Odo Marquard überschreibt seinen Interpretationsabschnitt „Grund und Existenz in Gott“, um ausgehend von dieser Unterscheidung Schellings ein „Ultrakurzreferat“ nicht nur der betreffenden Textabschnitte, sondern auch des Theodizeeproblems zu geben. Nach Marquard lassen sich drei Antwortmöglichkeiten auf das Theodizeeproblem ausmachen. Wird das Theodizeeproblem vom Gedanken der Allmacht Gottes aus angegangen, d.h. von der Aporie, wie ein allmächtiger und guter Gott im Verhältnis zu den Übeln, dem Bösen und den Leiden in der Welt zu denken sei, so besteht eine erste Antwortmöglichkeit darin, daß die Allmachtsgrenze vor Gott liegt. Dieser Lösungsansatz wurde nach Marquard in der Antike favorisiert, jedoch mit der Tendenz, die Übel, das Leiden und das Böse zu veruneigentlichen. Demgegenüber beharrt der christliche Lösungsansatz darauf, daß die Allmachtsgrenze neben Gott zu lokalisieren sei. Auf Grund des Sündengedankens als Ursprung des Bösen, der Leiden und des Übels wird das Theodizeeproblem so gelöst, daß der Mensch verantwortlich sei. Die christliche Tradition beerbt die Antike durch eine Transformation der Problemlage in die Sphäre der Moralität. Mit dieser Transformation geht der Gedanke einher, daß die menschliche Freiheit zu einem Gegengott avanciert. Der neuzeitliche Theodizeeansatz sieht die Allmachtsgrenze in Gott. Das Alibi Gottes angesichts der Übel in der Welt ist jetzt in einer Differenz in Gott selbst zu sehen.
Marquard würdigt auf diesem Hintergrund Schellings Theodizee als den konsequentesten neuzeitlichen Versuch einer Theodizee. Durch die Unterscheidung eines Grundes der Existenz und einer Existenz in Gott vermag Schelling die Möglichkeit des Bösen mit dem Gottesgedanken so in Zusammenhang zu bringen, daß Gott selbst nicht für das Böse verantwortlich ist.
Die Unterscheidung von „Grund von Existenz“ und „Existenz“ stellt auch Jörg Jantzen in seinem Interpretationsabschnitt „Die Möglichkeit des Guten und des Bösen“ in den Vordergrund. Diese fundamentale Unterscheidung ist in der Tat für das Verständnis von Schellings Freiheitsschrift ausschlaggebend, da an ihrem Verständnis das Verständnis der gesamten Schrift hängt. Jantzen plädiert mit guten Gründen für eine transzendentalphilosophische Lesart dieser Differenzierung. Das Wesen, sofern es „Grund von Existenz“ und „Existenz“ sei, ist, so Jantzen, als gleichgültiges Verhältnis von „Grund von Existenz“ und „Existenz“ zu verstehen. Die Termini „Grund von Existenz“ und „Existenz“ beziehen sich nicht auf ein zugrundeliegendes Etwas, eine Substanz, sondern machen die logischen Bedingungen der Konstitution eines solchen Etwas namhaft. Schelling geht mit dieser Unterscheidung das systematische Problem der absoluten Synthesis an, welche zwar konzipiert, aber nicht in einem Satz ausgesagt werden kann. Hierin zeigt sich, so Jantzen, Schelling dem Fichteschen Gedanken verpflichtet, daß Wissen und Wissensgrund im Selbstbewußtsein sowohl zusammen als auch auseinanderfallen.
In Schellings Grundunterscheidung ist also keine nebulöse Metaphysik zu sehen, sondern der konsequente Versuch, einen ungegenständlichen Anfang zu denken, der das Denken selbst ist und sich somit der abstrakten Alternative von Dualismus und Monismus entzieht.
Annemarie Pieper erläutert in ihrem Interpretationsabschnitt „Zum Problem der Herkunft des Bösen I: Die Wurzel des Bösen im Selbst“ Schellings Gedankengang mit Kierkegaards Figur des Selbst als einem Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält aus dessen Schrift „Krankheit zum Tode“. Nach Pieper rekonstruieren beide Denker die Bedingung der Möglichkeit des Bösen durch einen Rückgang auf eine ursprüngliche Verhältniseinheit. Diese Verhältniseinheit stellt nun keine Gegebenheit dar, sondern eine Identität, die durch die Tätigkeit des Sich-Verhaltens hergestellt werden muß. Schelling faßt diese Verhältniseinheit mit den Formeln Grund von Existenz und Existenz, bzw. Eigenwille und Universalwille. Diese Verhältniseinheit, als welche das Selbst des Menschen begriffen wird, kann so vollzogen werden, daß der Eigenwille gegenüber dem Universalwillen absolut gesetzt wird. Die Möglichkeit und die Wirklichkeit dieser Umbesetzung der Verhältniseinheit zeichnen verantwortlich für die Wirklichkeit des Bösen. Damit ist die Möglichkeit gegeben, das Böse nicht als Privatio oder als Mangel zu fassen, sondern als Position, die auf einer Verkehrung der Prinzipien beruht. Ähnlich wie Kierkegaard bezeichnet Schelling diese Verkehrung der Verhältniseinheit als Krankheit. Das Positive im Bösen wie im Guten ist somit die gemeinsame Freiheitswurzel. Dieses Positive ist jedoch noch jenseits der Differenz von Gut und Böse, so daß dieser hiermit intendierte Freiheitsakt als in sich gegensatzlose Setzung begriffen werden muß, durch welchen die Möglichkeit des Guten und Bösen allererst eröffnet wird.
So sehr diese Figur die Verantwortung des Bösen auf Seiten des Menschen festmacht, so wenig ist damit Gott im Sinne der Theodizee bereits entlastet. Diesen Aspekt verfolgt Wilhelm Vossenkuhl in seinem Interpretationsabschnitt „Zum Problem der Herkunft des Bösen II: Der Ursprung des Bösen in Gott“. Vossenkuhl geht in seiner Untersuchung der Differenz von Kants und Schellings Begriffen des Bösen nach. Für beide ist zwar der Mensch die Ursache des Bösen, jedoch ist für Kant die menschliche Freiheit die Bedingung der Möglichkeit und der Wirklichkeit des Bösen, während für Schelling die menschliche Freiheit für die Wirklichkeit des Bösen verantwortlich ist. Damit stellt sich erneut das Theodizeeproblem, da Freiheit zwar das Böse verursacht, es jedoch nicht erklärt. In seiner spekulativen Theodizee hat Schelling somit das Problem zu bewältigen, wie Gott als Möglichkeit des Bösen zu denken sei, ohne ihm die Schuld am Bösen zuzuschreiben.
Nach Vossenkuhl kann das Böse als moralisches und als metaphysisches Problem angegangen werden. Die metaphysische Auffassung des Bösen sieht im Menschen zwar den Urheber des Bösen, aber das Böse wird darüber hinaus in einem transhumanen, kosmologischen Rahmen erläutert, so daß der Mensch zugleich Täter und Opfer des Bösen ist. Der moralischen Auffassung des Bösen zufolge ist der Mensch allein der Ursprung des Bösen, womit diese Auffassung nicht mit der Hypothek belastet ist, transhumane Gründe anzuführen. Schelling folgt nun, so Vossenkuhl, der metaphysischen Auffassung des Bösen und verstrickt sich in die unlösbaren Aporien, die mit diesem Ansatz verbunden sind. Deutlich werde dies daran, daß der Preis für eine Auffassung des Bösen als Position darin besteht, daß er mit einer Resubstantialisierung des Bösen bezahlt werden muß. Damit wird jedoch tendentiell Gott selbst die Ursache des Bösen, womit sich eine Theodizee allerdings erübrigt.
Wilhelm G. Jacobs geht in seinem Interpretationsabschnitt „Die Entscheidung zum Bösen oder Guten im einzelnen Menschen“ der Auseinandersetzung Schellings mit Kants und Fichtes Freiheitsbegriffen nach und diskutiert auf diesem Hintergrund Schellings Freiheitsbegriff als Freiheit zum Guten und Bösen. Zwar würdigt Schelling Kants Freiheitsbegriff, da, so Schelling, erst der Idealismus einen adäquaten Freiheitsbegriff aufgestellt habe, jedoch bleibe dieser im Gefolge Kants aufgestellte Freiheitsbegriff allgemein und formell. Insofern diese Freiheitsbegriffe jedoch nach Maßgabe der Selbstbestimmung konzipiert sind, geraten sie in das Dilemma, daß die Selbstbestimmung die für diesen Vollzug beanspruchte Autonomie immer schon voraussetzen muß. Der hier aufbrechende Zirkel wird von Schelling dadurch gelöst, daß Selbstbestimmung für ihn kein erster Begriff ist.
Jacobs vertieft diese Fassung des Freiheitsbegriffes durch eine Untersuchung der Auseinandersetzung Schellings mit Fichtes Schrift „Das System der Sittenlehre nach den Prinzipien der Wissenschaftslehre“ von 1798. Fichte kennt im Unterschied zu Schelling und Kant keine transzendentale Tat des Bösen. Freilich spricht Fichte in der Sittenlehre auch nicht vom Bösen, sondern vom Übel, d.h. streng genommen vom Malum physicum und nicht vom Malum morale. Das Übel besteht für Fichte in der „Trägheit zur Reflexion und dem entsprechenden Handeln“ (139). Der Nichtgebrauch der Freiheit stellt damit in der Perspektive Fichtes das Übel dar. Demgegenüber insistiert Schelling mit Kant auf einer transzendentalen Tat, so daß „die menschlichen Handlungen als zeitliche Entfaltung einer jenseits der Zeit zu denkenden Tat anzusehen“ (147) sind. Gegenüber Kant macht jedoch Schelling das Problem des Systems geltend, so daß er in der Freiheitsschrift auch nicht Kant folgen kann. Der von Schelling in der Freiheitsschrift profilierte reale Begriff der Freiheit zieht als systematische Konsequenz somit einen Systembegriff nach sich, der weder formell, noch deduktiv verstanden werden kann, sondern am Leben orientiert ist. Verbunden ist damit eine Umstellung des Begriffsinventars auf Metaphern.
Den Freiheitsbegriff Schellings stellt auch Dieter Sturma in seiner Erläuterung in den Mittelpunkt. Schon der Titel seiner Untersuchung „Präreflexive Freiheit und menschliche Selbstbestimmung“ zeigt die Leitbegriffe seiner systematischen Rekonstruktion an. Sind die traditionell philosophischen Freiheitsbegriffe dadurch charakterisiert, daß sie die Antinomie von Spontaneität und Notwendigkeit einseitig auflösen, so ist Schellings Neueinsatz seiner Freiheitskonzeption darin zu sehen, daß er an dem Gegensatz festhält und ihn nicht zum Verschwinden bringt. Der von Schelling in der Freiheitsschrift konzipierte Freiheitsbegriff überbietet in seiner Radikalität alle bisherigen Konzeptionen dadurch, „weil er den Menschen in seinem Vermögen zum Guten und zum Bösen letztlich auch als von Gott unabhängig bestimmt“ (156). Schellings philosophische Untersuchung übersteigt damit die Grenze der praktischen Philosophie auf eine Ontologie der Person hin. Subjektivität ist für Schelling nicht mehr das Telos, sondern das Problematische. „Die differenzsetzende Selbstheit kann niemals in sich zur Ruhe kommen, weil sie sich selbst nicht bewußt außer Kraft setzen kann.“ (159) Konsequent unter diesen Prämissen ist es, wenn Sturma im Irrealis davon spricht, daß die Selbstheit allenfalls in der Selbstdistanzierung existentielle Sicherheit finden kann. Wie dies jedoch denkbar ist, bleibt problematisch und muß es wohl auch bleiben.
Die Konzeption einer präreflexiven Freiheit stellt nun, so Sturma, Schellings Umgang mit dem Problem einer philosophischen Theorie der Selbstbestimmung dar. Verstrickt sich eine Theorie der Selbstbestimmung unvermeidlich in einen Zirkel, da sie das bereits voraussetzen muß, was erst erwiesen werden soll, so bricht Schelling diesen Zirkel dadurch auf, daß er einerseits den Prozeß der Selbstbestimmung zeittheoretisch ausdifferenziert und andererseits Präreflexivitätsbestimmungen entwickelt. Selbstbestimmung wird von Schelling auf diesem Hintergrund als innere Notwendigkeit des Sich-Bestimmens begriffen, wobei die wesentliche Festlegung endlich humaner Subjektivität in einem Bereich „jenseits bewußter Handlungsvollzüge“ (165), d.h in der Selbstkonstitution der Selbstheit erfolgt.
Hermann Krings wendet sich in seinem Interpretationsbeitrag „Von der Freiheit Gottes“ dem Gottesbegriff von Schellings Freiheitsschrift zu. Während Sturma eine stärker ontologische Lesart Schellings favorisierte, insistiert Krings, wie auch Jantzen und Jacobs, auf ein transzendentalphilosophisches Verständnis von Schellings Freiheitsschrift. Krings benennt in seinem Beitrag drei Voraussetzungen des Redens von Gott. Die Rede von Gott hat Gott nicht als Gegenstand oder als Objekt, sie ist nur denkbar, wenn der Redende in Gott ist und nicht außer Gott, und wir haben von der Freiheit Gottes keine Intuition oder ein Gefühl. Im Gedanken der Freiheit Gottes wird die Freiheit des Menschen durch Schelling begründet, während der Erkenntnisgang von der Freiheit des Menschen zur Freiheit Gottes fortgeht. Damit ist klar, daß der Weg, den Schellings Untersuchung einschlägt, als transzendentalphilosophisch zu bestimmen ist, bzw. als transzendentalphilosophische Prinzipienlehre zu lesen sei. Schelling fragt nach den Bedingungen der menschlichen Freiheit oder genauer nach den Bedingungen der Möglichkeit der Differenz von Eigenwillen und Universalwillen als der Möglichkeit des Bösen. Schellings duale Fassung der Prinzipienlehre („Grund von Existenz“ und „Existenz“) weist einen absoluten Monismus zugunsten eines relativen Monismus zurück. Diese duale Prinzipienstruktur wird von Schelling auf Gott, die Freiheit Gottes und auf die Freiheit des Menschen appliziert. Für den Gottesgedanken hat dies zur Folge, daß er nicht als Absolutes gedacht wird, aus dem alles mit Notwenigkeit folgt, sondern als Freiheit, sich zu offenbaren. In diesem transzendentalphilosophischen Sinne erläutert Krings die wichtigsten Begriffe der Schellingschen Schrift, wie Grund, Wollen, Schöpfung etc.
Dem für Schellings Freiheitsschrift signifikanten Begriff der Persönlichkeit Gottes geht Francesco Moiso in seinem Beitrag „Gott als Person“ nach. Der Personbegriff, den Schelling aufstellt, ist dadurch charakterisiert, daß er ein lebendiges Band von Geist und Natur namhaft macht. Mit dieser Konzeption ist, so Moiso, eine Kritik an Freiheitsbegriffen verbunden, die Freiheit ohne Natur und Natur geistlos konzipieren. Gegen diese Konzeptionen kommt es darauf an, das Band von Geist und Natur, von Identität und Differenz zu durchdringen. „Der Schlüssel, um das Wesen der Differenz zu verstehen, liegt aber in der Struktur des Grundes, der Basis.“ (192) Der von Schelling zum Zuge gebrachte Begriff Basis kann Moiso zufolge nur in seinem damaligen naturphilosophischen Kontext angemessen gewürdigt werden. Schelling rezipiert den Begriff Basis, bzw. Base als Grund einer Auflösung, jedoch so, daß „der Mechanismus der Aktivierung bzw. Inaktivierung […] als ein Streben nach außen zur tätigen Differenz bzw. als ein Nach-innen-zurück-Kehren zur Indifferenz und `Selbstheit' mit einem Widerstand gegen jede fremde Einwirkung erfolgt“ (195). Mit der so rezipierten Basenlehre versucht nun Schelling die Erzeugungsprozesse zu entschlüsseln, die Jacob Böhme in „De signatura rerum“ beschrieben hatte. Dabei übernimmt Schelling die Metaphorik Böhmes zur Beschreibung des Anfangs jeder Tätigkeit. Nicht einer Abhängigkeit von Jacob Böhme ist es demzufolge zuzuschreiben, daß Schelling in der Freiheitsschrift von der Persönlichkeit Gottes spricht, sondern dem leitenden Interesse an einer Ontologie der Freiheit. Der Persongedanke bringt die strukturelle Verfassung zum Ausdruck, daß Freiheit nicht ohne Natur adäquat zu verstehen ist.
Unter dem Titel „Das Ende der Offenbarung“ geht Walter E. Ehrhardt der Frage Schellings nach „endet das Böse, und wie?“ (221). Dabei eröffnet Ehrhardt durch den Text der Freiheitsschrift hindurch einen Blick auf die zeitgenössischen Kontroversen, auf die Schelling implizit und explizit Bezug nimmt. Für das Verständnis der von Schelling eingesetzten Begrifflichkeit ist dieser Hintergrund zweifellos von wichtiger Bedeutung. Die Abnutzung des Freiheitsbegriffes zu Beginn des 19. Jahrhunderts, wo das Reich der Freiheit, so Windischmann, „jeder Schuft prophezeihet“ (222) läßt erkennen, warum Schelling in der Freiheitsschrift den Freiheitsbegriff durch den Begriff Leben ersetzte. Die Eingangsfrage, endet das Böse, und wie, wird von Ehrhardt konsequent auf den Freiheitsbegriff bezogen und die Begrifflichkeit Schellings von diesem aus interpretiert. In Schellings Freiheitsschrift steht für das Ende des Bösen der Begriff der Liebe. Liebe wird von Schelling als Selbstheit verstanden, welche von sich weg kann, welche also in ihrem Selbstvollzug den Anderen als Anderen anerkennt und sich insofern durch „vollkommene Sittlichkeit“ (225) realisiert. Erfüllt sich in der Liebe die Endabsicht der Schöpfung als Reich der Freiheit, so ist diese Freiheit nach Kants Einsicht in den antinomischen Charakter der Freiheit nicht als seiende Freiheit zu begreifen, sondern nur als Sein-Sollende. Diese Fassung des Liebesbegriffes durch den Freiheitsbegriff steht in Opposition zu Fichtes Verständnis der Liebe in der Anweisung zum seligen Leben von 1806. Opfert Fichtes Liebesbegriff in der Sicht Schellings die Differenzen, so gilt es im Gegenzug zu Fichte, die Differenzen gegen eine Einheitsideologie stark zu machen.
Dem in Heideggers Kommentar zur Freiheitsschrift zu kurz kommendem Schlußabschnitt widmet sich der Beitrag von Ryôsuke Ohashi „Der Ungrund und das System“. Nach Meinung Ohashis geschah diese Vernachlässigung des Schlußabschnittes der Freiheitsschrift durch Heidegger zu Unrecht, da hier erst der Gedankengang Schellings seine Spitze erreicht. Der zentrale Begriff dieses Abschnittes und in der Interpretation Ohashis ist der des Ungrundes. Ohashi diskutiert den Begriff des Ungrundes nun nicht vom Freiheitsbegriff her, sondern versucht, ihn im Zusammenhang einer religiösen Erfahrung zu lokalisieren. Neben dieser religiösen Erfahrung liegt dem Begriff die Unmittelbarkeit eine Realitäts- und Lebenserfahrung zu Grunde. Gemäß dieser Unmittelbarkeitsdirektive muß der Ungrund als das verstanden werden, was allen Gegensätzen vorausliegt und „darf dennoch kein letztes Wesen im Sinne des gemeinsamen Mittelpunktes der Gegensätze sein“ (249). Diesen so gewendeten Begriff des Ungrundes versucht Ohashi durch Schellings Anspielung auf den Korinther-Brief (1. Kor. 15, 25f.) als konkrete und radikale Erfahrung der Sterblichkeit zu erläutern.
Mit Ohashis Beitrag endet der Kommentar zu Schellings Freiheitsschrift, der dem Leser nicht nur Einblick in die Kontroversen gibt, auf welche Schelling mit seiner Schrift reagiert, sondern auch die systematischen Implikationen des Textes und deren Aktualität offenlegt. Ein weiterführendes Literaturverzeichnis sowie ein Personen- und Sachwortregister geben die Möglichkeit zu vertiefender Lektüre und zur leichten Erschließung von zentralen Begriffen der Schrift.
Kommentar hinterlassen
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.