Toskana des Ostens – Westpolen ist heute ein wahrer Touristenmagnet

Burg Tzschocha in Westpolen gilt heute in Reiseführern als das "Neuschwanstein des Ostens". Foto: Benedikt Vallendar

Auch dank seiner deutschen Geschichte ist Westpolen heute ein wahrer Touristenmagnet. Von Benedikt Vallendar.

Den Hamburger für zwei Euro und ein großes Kaltgetränk für knapp darunter. Urlaub in Westpolen schont den Geldbeutel; und man lernt auch viel über das Leben in den einst deutschen Gebieten östlich von Oder und Neiße. „Der Besucher reist durch eine Region, die sich ihren märchenhaften Charme bis heute bewahrt hat und Jahr um Jahr schöner, gepflegter und gemessen an der Infrastruktur auch zeitgemäßer wird“, schrieb kürzlich eine Brandenburger Gymnasiastin in ihrem Erlebnisbericht aus Polen. So etwa auf Burg Tzschocha in Niederschlesien, wo im Sommer Scharen von Besuchern hinwandern, um sich auf die Spuren des deutschen Erbes in dieser so pittoresken Landschaft zu machen.  Liebevoll hergerichtet und mit EU-Geldern gefördert ist der einstige deutsche Herrensitz mit Rittersaal, Schatzkammer, Bibliothek und Burggraben knapp 100 Kilometer nordöstlich von Görlitz heuer ein Kleinod für Menschen, die die Stille suchen und sich zugleich von der Weite der Landschaft, Bergen, Seen und Flüssen bezaubern lassen möchten. Übernachtungsmöglichkeiten verschiedener Kategorien sind vorhanden, „und zumindest zur Nebensaison deutlich günstiger als andernorts in Europa“, sagt die angehende Jungunternehmerin Julia Lach (22), in Niederschlesien geboren und in England aufgewachsen. Vor einem Jahr hat Lach in Zary das berufliche Gymnasium mit dem Schwerpunkt Tourismus abgeschlossen und wird sich bald selbstständig machen. Wie viele junge Leute ihrer Generation verkörpert sie das neue Europa, bei dem viele ihr Glück zwischen den offenen Binnengrenzen suchen und oft genug auch finden. Und was sie deutlich von ihren Eltern und Großeltern unterscheidet; aufgewachsen in der Unmenschlichkeit des Kommunismus, als es für die Ausreise in den Westen Wartezeiten gab, und oft genug ein Visum beantragt werden musste, was heute anmutet wie ein Märchen aus längst vergangenen Zeiten.

Mittelalterliche Waffensammlung auf Burg Tzschocha. Foto: Benedikt Vallendar

Geheime Funkstation der SS

Während des zweiten Weltkrieges nutzte Hitlers SS Burg Tzschoca als Funkstation, um verschlüsselte Botschaften aus Berlin an die weit in der Ukraine operierenden Einsatzgruppen zu übermitteln. Kaum zu glauben, dass dieser so idyllisch anmutende Ort einst eine Nahtstelle in der Befehlskette des Holocaust war. Noch heute stehen im Burgkeller die früher streng geheimen Geräte als Ausstellungsstücke, weil sie im allgemeinen Chaos des Rückzugs vor den anrückenden Sowjettruppen im April 1945 nicht mehr rechtzeitig entsorgt werden konnten. Später richtete sich in den Gemäuern die polnische Armee ein, um den Funkverkehr mit anderen Warschauer Pakt Staaten, auch der DDR zu koordinieren. Über die Vertreibung der Deutschen aus ihren angestammten Gebieten nach 1945 zu sprechen, war vor allem im Osten lange ein Tabu, über das nicht gesprochen wurde; ja nicht gesprochen werden durfte, im Angesicht der vielen Millionen Toten.

Von Burg Tzschocha aus funkte die SS im zweiten Weltkrieg u.a. Erschießungsbefehle in die Ukraine. Foto: Benedikt Vallendar

Aus Feinden wurden Partner

„Heute scheint sich ein Wandel einzustellen, in Polen und Deutschland leben Generationen, die diese Kapitel gemeinsamer Geschichte nur mehr aus Büchern kennen, und sie dort auch belassen möchten“, sagt der Historiker Wolfgang Blaschke von der FU Berlin. Menschen wie Julia Lach, die wie selbstverständlich zwischen beiden Ländern hin und herpendeln, ja oft genug längst in beiden Teilen zuhause sind und damit das ausmachen, was der frühere französische Außenminister und Adenauer-Vertraute Robert Schuman (1886 – 1963) einmal als das „geeinte Europa“ bezeichnet hat.

Burg Tzschocha in Westpolen gilt heute in Reiseführern als das „Neuschwanstein des Ostens“. Foto: Benedikt Vallendar

Ein Hauch von Provence

Was nur wenig bekannt ist: In den einst deutschen Gebieten Westpolens hat sich seit dem Ende des Kommunismus eine mittlerweile einzigartige Kulturlandschaft entwickelt, die sich problemlos messen kann mit der Toskana, der Provence oder dem burgenreichen Schottland. „Heute arbeiten Polen und Deutsche Hand in Hand, die sicherlich einzig sinnvolle Antwort nach Jahrzehnten der Feindschaft und des Hasses, der ja vor allem von deutscher Seite geschürt worden war“, sagt Historiker Blaschke. Nicht vergessen im polnischen Bewusstsein sind Hitlers Vernichtungsfeld gegen den östlichen Nachbarn im September 1939, aber auch die Jahre der Teilung im 18. Jahrhundert, in denen Polens Staatlichkeit aufgehoben war und das Land nur als Kulturgemeinschaft überleben konnte. Heute scheint sich im einstigen Grenzgebiet zwischen Polen und Deutschland eine neue Kulturlandschaft zu entwickeln; gespeist aus der gemeinsamen Vergangenheit und dem Auftrag, es besser zu machen als ihre Vorfahren.

Historische Möbel auf Burg Tzschocha aus deutscher Zeit. Foto: Benedikt Vallendar

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Über Benedikt Vallendar 83 Artikel
Dr. Benedikt Vallendar wurde 1969 im Rheinland geboren. Er studierte in Bonn, Madrid und an der FU Berlin, wo er 2004 im Fach Geschichte promovierte. Vallendar ist Berichterstatter der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) in Frankfurt am Main und unterrichtet an einem Wirtschaftsgymnasium in Sachsen.