
80 Jahre nach ihrer Gründung ist die kommunistische „Freie Deutsche Jugend“ weiterhin aktiv – im Berliner Karl-Liebknecht-Haus unter dem Dach der SED-Nachfolgerin Die Linke, die sich offiziell von ihr „getrennt“ haben will. Von Benedikt Vallendar.
Berlin – „Wir wissen von denen nichts“. Den Unwissenden mimend fummelt der Mitarbeiter im Berliner Karl Liebknecht Haus an seinem Schlüsselbund herum. Und wird fast ausfällig, als der Mann von der Zeitung einen unscheinbaren Briefkasten fotografieren möchte, in dessen plexigläsernem Adressfenster drei blaue Buchstaben zu sehen sind. Die Rede ist von der „Freien Deutschen Jugend“, abgekürzt FDJ, der früheren DDR-Massenorganisation und selbst ernannten „Kampfreserve“ der SED, mit der die Linke, deren Nachfolgepartei seit 1990 nichts mehr zu tun haben möchte. Und ihr dennoch weiter Unterschlupf gewährt; hinter gut gesicherten Milchglastüren im Karl Liebknecht Haus, unweit der Volksbühne, wo die FDJ ein Postfach mit Büro unterhält, dessen Angestellte von der Partei und damit, zumindest teilweise, vom Steuerzahler entlohnt werden. Wer zu DDR-Zeiten als junger Mensch nicht der FDJ angehörte, musste im Alltag, bei der Berufs- und Studienplatzwahl oft massive Schikanen in Kauf nehmen. Besonders Kinder aus christlichen Familien hatten zu leiden, wenn sie die Mitgliedschaft in der atheistischen FDJ nicht mit ihrem Glauben vereinbaren konnten.
Werbung für Castro
Auffällig ist, dass die heutige FDJ nicht im Mieter- und Telefonverzeichnis des Karl Liebknecht Hauses auftaucht. Was den Eindruck erweckt, als würden dort nur Anwälte, Ateliers und Architekten logieren. So als seien die Linken in ihrem demokratischen Selbstverständnis längst in der gesamtdeutschen Gesellschaft angekommen, ohne den Stallgeruch von Extremisten zu besitzen. Dass die Genossen um Gysi, Wagenknecht und Co indes noch immer kommunistische Altkader unter ihrem Dach beherbergen, sind die Nachwehen der SED-Diktatur, zu der die Partei ein höchst ambivalentes, beinahe schizophrenes Verhältnis pflegt. Denn die Sache mit der FDJ ist vielen Genossen einfach nur noch peinlich, soll möglichst unter der Decke bleiben, wie schlecht erzogene Kinder, die man ungern in der Öffentlichkeit zeigt. Dazu gehört bei den Linken auch die Arbeitsgruppe „Cuba sí“, in der frühere Blauhemdkader ungeniert Werbung für das diktatorische Castro-Regime machen. Wovon die Berliner Parteispitze am liebsten auch nichts hören möchte.
Fahrstuhl nach oben
Einst hatten namhafte DDR-Politiker wie Egon Krenz, Erich Honecker, Hermann Axen und Hans Modrow in der FDJ Karriere gemacht; stand die seit den fünfziger Jahren in Westdeutschland verbotene Sonne auf blauem Grund für jenen Einheitsbrei, mit der die SED den jugendlichen Teil ihres untertanen Volkes bei Laune zu halten glaubte. Von einst 2,3 Millionen FDJ-Mitgliedern im Jahre 1989 sind nach Angaben des Online-Lexikons Wikipedia gerade mal 150 übrig geblieben. Nicht nur in Sachen Mitgliederzahl, auch medial steht die FDJ seit geraumer Zeit unter Druck. Ihre frühere Zeitung „Junge Welt“ befindet sich weiter im Blickfeld des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Köln. Der Grund: Immer wieder gibt die Redaktion in Einzelbeiträgen zu verstehen, dass sie ein Problem mit Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und parlamentarischer Demokratie hat.
Anfang Mai 2016 errang die FDJ einen Sieg vor dem Oberlandesgericht München gegen das weiterhin bestehende Verbot, das Emblem ihrer Westgenossen auf Straßen und Plätzen zeigen zu dürfen. Ein von der Münchner Staatsanwaltschaft erlassener Strafbefehl wegen des Zeigens verfassungsfeindlicher Symbole lief ins Leere. Woraus die Genossen auf ihrer Homepage einen „Sieg über das kapitalistische Ausbeutersystem“ machten und zu weiteren Aktionen im Bundesgebiet aufriefen.
Träumen von Lenin
Auch die Gründung der FDJ hätte eigentlich Grund zum Feiern sein können, wären die Nachwuchsgenossen nicht nach der Wende abgewickelt und ihr Vermögen weitgehend privatisiert worden. Von Aura, Macht und Wichtigkeit, mit denen sich die blau behemdeten Berufsjugendlichen einst umgaben, ist nur noch die Erinnerung geblieben. Und nicht nur das: Binnen weniger Jahre mutierte die frühere Massenorganisation zu einem bunten Haufen linker Politclowns, über deren innere Strukturen wenig bekannt ist. Ihr zeitweiliger Vorsitzender, ein gewisser Ringo Ehlert, ist mittlerweile 48, gelernter Maurer, Wehrdienstverweigerer und stammt aus Mecklenburg-Vorpommern. Nur selten lässt sich Ehlert in der Öffentlichkeit blicken. Und wer mit der FDJ per E-Mail kommuniziert, bekommt in der Regel weder Namen noch Telefonnummer mitgeteilt. Auch die auf der Homepage fdj.de angegebene Nummer ist „zurzeit nicht erreichbar“. Wohl zu groß ist die Angst der Genossen, dass der Verfassungsschutz Einblick in ihre Organisationsstrukturen kriegen könnte, die er aber wohl längst haben dürfte. Denn noch immer hat die Kölner Behörde vereinzelte Blauhemdträger in ihrem operativen Blickfeld, wie eine Sprecherin auf Anfrage bestätigte. Das Problem: Noch immer träumt die FDJ von der Weltrevolution im Sinne Lenins, in der das Grundgesetz keinen Platz hätte.
Programmatische Intoleranz
Nach dem Zusammenbruch der DDR schien im Frühjahr 1990 auch die FDJ im Nirwana ihres untergehenden Staates zu verschwinden, wogegen vor allem die hauptamtlichen Funktionäre, die einst im heutigen ZDF-Landesstudio Berlin Unter den Linden residierten, alle Hebel in Gang setzten. Jedoch vergebens. Als sich im Herbst 1989 an der Berliner Humboldt-Universität unabhängige Studentengruppen bildeten, versuchte die FDJ noch durch „Moderatoren“ die Meinungsführerschaft zu behalten, was ebenfalls misslang. Die Studenten wussten, dass die, die sich „frei“ gerierten, alles bekämpften, was nicht zum eigenen Weltbild passte, und das zur Not mit der „Waffe in der Hand“, wozu sie die berüchtigte Volksbildungsministerin Margot Honecker noch im Juni 1989 ermuntert hatte.
Zumindest der langjährige FDJ-Vorsitzende Eberhard Aurich scheint hinzu gelernt zu haben. Bis Oktober 1989 Vertrauter Erich Honeckers und später Geschäftsführer eines Verlages für pädagogische Literatur, kümmert sich der gelernte Deutschlehrer heute ehrenamtlich um Flüchtlinge. Die SED und ihre Nachfolgepartei verließ Aurich 1991 im Streit. Heute, mittlerweile in Rente, äußert er sich eher kritisch zu seiner Zeit als DDR-Politfunktionär. Aurich hatte gar den Mut, sich in öffentlichen Podiumsdiskussionen kritischen Fragen zu stellen und mit Opfern des SED-Regimes konfrontiert zu werden.
Gründung im Exil
Dabei hatte alles so hoffnungsvoll begonnen. Noch während des zweiten Weltkrieges bildeten sich kommunistische Jugendgruppen im englischen Exil, die sich 1946 in der Sowjetischen Besatzungszone zur „Freien Deutschen Jugend“ zusammenschlossen. Zunächst hatte es so ausgesehen, als böte die FDJ allen, auch kirchlichen und bürgerlichen Gruppierungen ein Dach, unter dem sie sich frei entfalten konnten. Doch hielt diese pseudoliberale Fassade nur wenige Jahre, bis zum Arbeiteraufstand am 17. Juni 1952, als die FDJ ihr wahres, stalinistisches Gesicht zeigte. Und zum Lakaien der ostdeutschen Kommunisten mutierte, was sie wohl auch weiterhin gerne wäre.