Im thüringischen Eichsfeld widersetzten sich Katholiken oft erfolgreich Vereinnahmungsversuchen der SED – so das Ergebnis einer als Buch veröffentlichten Doktorarbeit. Von Benedikt Vallendar.
Es ist das Jahr 1945. Ganz Ostdeutschland ist von Kommunisten besetzt. Ganz Ostdeutschland? Nein, im Südwesten des Landes, in einem kleinen katholischen Landstrich an der Landesgrenze zu Niedersachsen wehren sich die Bewohner erfolgreich gegen die roten Eindringlinge. Die haben es schwer, die Alteingesessenen von ihrem Glauben abzubringen und lassen dennoch kaum etwas unversucht. – So oder ähnlich könnte ein Heldenepos über die Geschichte des thüringischen Eichsfeldes in den Jahren zwischen Ende des zweiten Weltkrieges und dem Mauerfall 1989 beginnen. Tatsächlich hat es solche Epen, Mythen und Erzählungen in so großer Zahl gegeben, dass viele Menschen bis heute daran glauben. „Katholisch geprägt, schwach industrialisiert und zudem im deutsch-deutschen Grenzgebiet stellte dies die SED im Eichsfeld vor große Herausforderungen“, sagt der Historiker Christian Stöber, der mit seiner im Berliner Ch. Links Verlag als Buch erschienenen Dissertation „Rosenkranzkommunismus. Die SED-Diktatur und das katholische Milieu im Eichsfeld 1945 – 1989“ in der Fachwelt für Diskussionsstoff sorgt.
Geschönte Berichte
Das Problem: „Oft verschwimmt bei der Beschäftigung mit DDR-Geschichte die Grauzone zwischen Erlebtem und Tatsächlichen, ohne dass am Ende jemand weiß, was authentisch und was erfunden ist“, konstatierte 2015 die Potsdamer Historikerin Jenny Krämer. Unbestritten ist die historische Wahrheit, wie bei allen Legenden, auch in Bezug auf das katholische Milieu im Eichsfeld komplizierter und widersprüchlicher, als es auf den ersten Blick scheint. „Legenden und belegbare Historizität im Binnenverhältnis zwischen SED und Eichsfelder Katholiken unterscheiden sich in zahlreichen Punkten“, resümiert Stöber. Die Vorstellung, dass das Eichsfeld ein hartnäckiges Widerstandsnest gegen die SED-Diktatur war, sei genauso verzerrt wie die in Geheimdienstakten immer wieder auftauchende Behauptung, der SED-Staat würde bei der Bekämpfung kirchlich-rückwärts gerichteter Strukturen „gut vorankommen“, sagt Stöber. Beides sei nur zum Teil richtig und bedürfe genaueren Hinschauens. Denn die Mitarbeiter des früheren DDR-Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) tendierten gern zu geschönten Berichten an Vorgesetzte, um ihre Karrierechancen zu verbessern. Der gleichnamige Buchtitel „Rosenkranzkommunismus“ stammt übrigens aus ihren Akten, in denen sich die Sachbearbeiter verschiedentlich über zu bespitzelnde Katholiken im Eichsfeld lustig gemacht haben. In den Archiven zur früheren MfS-Hochschule in Potsdam – Eiche fanden sich gleich acht Diplomarbeiten, die der Frage nachgingen, wie sich das Eichsfeld mit geheimdienstlichen Mitteln für den Kommunismus gewinnen lassen könne. Besonders heikel war die Situation nach dem Arbeiteraufstand am 17. Juni 1953, wenige Monate nach Stalins Tod, als das SED-Regime ins Wanken geriet und nur durch den Einsatz sowjetischer Truppen überlebte. „In den darauffolgenden Jahren musste die Partei alles tun, um die Lage im Innern zu stabilisieren, und das vor allem im Eichsfeld, das als bürgerlich-rückständig galt und auf die vorgegebenen Verhältnisse eingetrimmt werden musste“, sagt Stöber.
Ungeliebte Jugendweihe
Dabei hatte die Partei vor allem die Jugend im Visier, die es an das System zu binden galt, was in der DDR vor allem über die Jugendweihe erfolgte. 1955 erstmals landesweit durchgeführt, glich das Ritual mit vorbereitenden „Jugendstunden“ und anschließendem Gelöbnis der katholischen Firmung und wurde den Jugendlichen als pseudosakrale Ersatzhandlung angeboten, schreibt Stöber. Wie stark der kirchliche Einfluss im Eichsfeld auch nach Gründung der DDR blieb, zeigte sich daran, dass dort überdurchschnittlich viele die Jugendweihe verweigerten, darunter auch Kinder von SED-Mitgliedern.
Stöber, getauft und katholisch sozialisiert, stammt selbst aus der Region und hat im protestantischen Marburg studiert, was er als „große Bereicherung“ seiner Studienjahre betrachtet. Im Hauptberuf ist der Familienvater, Jahrgang 1987, wissenschaftlicher Direktor des Grenzlandmuseums Schifflersgrund zwischen Thüringen und Hessen und bereits mit diversen Fachpublikationen zur DDR-Geschichte hervorgetreten. Im Epizentrum seiner über 400 Seiten starken Dissertation steht die Frage, ob es der SED im katholisch geprägten Eichsfeld gelang, die Menschen von ihrem Glauben abzubringen und zu loyalen, atheistischen Staatsbürgern zu machen. – „Die Antwort lautet eindeutig nein“, sagt Stöber und verweist auf die im Eichsfeld bis heute allerorts sichtbaren Kapellen, Kirchen und Heiligenstatuen am Wegesrand. Auch Ordensgemeinschaften, ob Redemptoristen, Dominikaner oder Franziskaner haben im Eichsfeld bis heuer ihre Niederlassungen, und am Gymnasium in Heiligenstadt steht katholischer Religionsunterricht weiter wie selbstverständlich auf dem Stundenplan. Und dennoch. „Die für die Kirche erst einmal positive Bilanz sollte nicht darüber hinwegtäiuschen, dass die SED kaum etwas unversucht ließ, die Eichsfelder in ihr totalitär-stalinistisches Herrschaftsmodell zu pressen“, sagt Stöber. Höhepunkt der Bemühungen um die nie offiziell propagierte Atheisierung des Eichsfeldes war der so genannte „Eichsfeldplan“ in den sechziger und frühen siebziger Jahren, bei dem durch gezielte Ansiedlung von Industriebetrieben, die Schaffung sozialer Infrastruktur und Arbeitsplätzen bescheidener Wohlstand und politische Loyalität zum Regime bewirkt werden sollte; ein Unterfangen, das der SED gründlich misslang, da die Schattenseiten dieser Politik bei weitem überwogen, und sich auch im Eichsfeld flächendeckende Unzufriedenheit über die politischen Verhältnisse auf Dauer nicht unterdrücken ließ.
Jenseits staatlicher Norm
Die von Erich Honeckers Strategen konzipierte Politik, politische Unfreiheit durch Ferienplätze, preiswerten Wohnraum und vielleicht ein Auto aus heimischer Produktion zu kompensieren, ging nicht auf und führte letztendlich zum Untergang der DDR. Doch daran dachte in den sechziger Jahren noch kaum wer. Herzstück des Eichsfeldplans war die 1961 errichtete Baumwollspinnerei in Leinefelde, durch die bis Mitte der siebziger Jahre mehr als fünftausend Menschen Arbeit fanden. „Aus den Akten des MfS wissen wir, dass viele Bürger mit den Arbeitsbedingungen unzufrieden waren und an Kündigung dachten“, sagt Stöber. Der katholische Glaube war daher für viele Menschen ein Rückzugsort, an dem sie auftankten und sich Aktivitäten jenseits der vom Staat normierten Gesellschaft widmeten. Ob Gottesdienste, Bibelkurse oder Sommerfeste, das katholische Leben im Eichsfeld bewirkte, dass die Menschen enger zusammenrückten und den SED-Staat, wenn auch nicht als Feind, so doch als fragwürdiges Konstrukt betrachteten, das sich im Herbst 1989 auch in ihrer Region erledigt hatte.