Balis Hohepriesterin – Das Phänomen Ida Resi Alit

Alles entwickelt sich so, wie es sein soll – Das Schicksal der Hohenpriesterin

Bali. Bild von David Mark auf Pixabay.

Eine junge Frau sitzt mir gegenüber im warmen Schein der balinesischen Spätnachmittagssonne. Die traditionelle Brahmanentracht steht ihr gut. Ernst und würdevoll wirkt sie, und älter als sie eigentlich ist. Denn Ida Resi Alit zählt gerade einmal 27 Jahre. Doch wenn sie lächelt und spricht,  ihre Worte mit ausdrucksstarken Gesten untermalt, dann ist sie auf einmal wieder ein junges Mädchen. Ida Resi Alit erzählt mir die Geschichte einer  Frau aus einfachen Verhältnissen in einem kleinen balinesischen Dorf. Es ist ihre eigene Geschichte.

Sie wurde hier, in diesem Dorf namens Demulih, in der Nähe der Kleinstadt Bangli in Balis Zentralprovinz  am 14. März 1986 geboren, und erhielt den Namen I Komang Wediantari. Nichts deutete in ihrer Kindheit auf besondere Gaben oder eine ausgeprägte Spiritualität hin. Ganz im Gegenteil.  I Komang Wediantari hatte nicht vor, so zu leben wie ihre Eltern und Verwandten als Bauern oder kleine Handwerker. Sie wollte raus aus dem Dorf, in die Stadt, und etwas aus sich machen. Nachdem sie im Jahr 2005 die Schule abgeschlossen hatte, war es ihr größter Traum, zu studieren. Doch die dafür notwendigen finanziellen Mittel vermochte ihre Familie nicht aufzubringen. 

So entschloß sich die junge Frau, zunächst eine Arbeit anzunehmen, um damit ihr Studium zu finanzieren, und vielleicht sogar ihre Familie zu unterstützen. Die Arbeitssuche führte sie weit über das heimatliche Bali hinaus, bis nach Bintan, einer kleinen Insel in der Nähe von Singapore. Doch so sehr sie sich auch mühte, es gelang I Komang Wediantari nicht, eine Arbeitsstelle zu finden. Monate vergingen, und im November 2006 war sie schließlich gezwungen, unverrichteter in ihre Heimat zurückzukehren. Die ständige vergebliche Mühe und die zahllosen Enttäuschungen forderten nun ihren Tribut. I Komang Wediantari verfiel in tiefe Depression. Ihr Großvater, der Dorfpriester Manku Bawe, machte sich zunehmend Sorgen um das Wohlergehen seiner Enkeltochter. Wenn es in weltlichen Dingen nicht gut um I Komang Wediantari stand, so würde sie doch vielleicht im Spirituellen Halt und neuen Mut finden. Daher entschloß sich Mangku Bawe, seine Enkelin in Yoga und Chakren Meditation zu unterrichten. Diese Idee stieß jedoch zunächst bei I Komang Wediantari nur wenig Gegenlieb. Die Meditationen langweilten sie, die noch immer von Beruf und Studium in der Stadt träumte. 

Doch nach einiger Zeit sollte sich ihre Situation dramatisch verändern. Während einer Meditation fühlte I Komang Wediantari ihr völlig unbekannte Energien in sich aufsteigen, und begann, Mantren zu rezitieren, die sie vorher nie gehört, geschweige denn gelernt hatte. Dieses Ereignis markierte den Beginn ihres spirituellen Erwachens. Die junge Frau, welche vorher nie ein Interesse an spirituellen oder religiösen Themen entwickelt hatte, und der Hindureligion ihrer Vorfahren nur darum folgte, weil es eben so Tradition war, machte nunmehr regelmäßig außerkörperliche Erfahrungen und entwickelte eine direkte, starke Verbindung zu den geistigen Welten. Sie beschreibt es als den „Unterricht durch ein weibliches Geistwesen“. 

Auf diese Weise erhielt sie auch die Instruktion, eine bestimmte Zeremonie durchzuführen, deren Sinn sich ihr jedoch nicht erschloß. Die Familie war zunächst skeptisch, entschloß sich aber, den neuen Weg der Tochter zu unterstützen. Bei der abendlichen Zeremonie im Familientempel kam es dann zu einem außergewöhnlichen Vorfall.  Während ihrer Meditation wurde I Komang Wediantari plötzlich bewußtlos. Doch nicht nur das. Sie fiel ins Koma, hörte schließlich auf zu atmen. Auch ihr Puls war nicht mehr fühlbar. Ihre Familie reagierte voller Panik und Trauer, war doch I Komang Wediantaris Vater erst sieben Jahre zuvor unter ganz ähnlichen Umständen aus dem Leben geschieden. Auch er war während einer Zeremonie in tiefe Bewußtlosigkeit verfallen, aus der er nicht mehr erwachte. Sollte es nun seine Tochter ebenso treffen? 

Doch nach einiger Zeit kehrte das Leben in ihren Körper zurück. Es war gegen zwei Uhr morgens, als I Komang Wediantari aus ihrer Bewußtlosigkeit erwachte. Noch war sie nicht in der Lage, sich zu bewegen, oder auch nur zu sprechen.  Aber sie konnte sehen, und sie sah ein mächtiges, helles Licht am nächtlichen Himmel, das an einen Laser erinnerte. Auch die anderen Familienangehörigen sahen dieses Licht. Danach erlangte I Komang Wediantari wieder die volle Herrschaft über ihren Körper. Doch sie war von dem Erlebten so erschöpft, daß sie bis zum Nachmittag des darauffolgenden Tages schlief. 

Als I Komang Wediantari schließlich erwachte, war sie eine andere geworden. Sie konnte Mantren rezitieren, die sie nie gelernt hatte, und beherrscht mehr davon, als Brahmanen Priester jemals in ihrer Ausbildung lernen. Auch das pewedaan ist ihr geläufig, also die Fähigkeit, in Sanskrit oder anderen alten Sprachen zu kommunizieren, von denen sie in ihrer Schulzeit nichts gehört hatte. I Komang Wediantari beherrschte auf einmal sämtliche Mudras, die sakralen Handbewegungen sowie komplexe religiöse Riten wie tantrische Tänze und Gesänge. Ihre Fähigkeiten sprachen sich rasch herum, und erreichten auch die Brahmanen Balis. Sie wollten diese außergewöhnliche junge Frau gern näher kennenlernen.  

Auf diese Weise traf I Komang Wediantari im Februar 2007 in der Nähe von Ubud den Priester Nabe, einen spirituellen Lehrer, der ihr nahelegte, sich zur Brahmanin und Hohepriesterin weihen zu lassen. Der Weg dahin war hart, und vom National Board of Ordination of The Hindu Dharma Association detailliert vorgeschrieben. Er umfaßte zahlreiche spirituelle und körperliche Prüfungen, welche jeder für sich allein schon eine große Herausforderung  darstellte. Doch I Komang Wediantari meisterte sie alle. Nach nur 21 Tagen intensiver Meditation und spiritueller Arbeit ohne formalen Unterricht war sie kurz nach ihrem 21. Geburtstag bereit für die Weihe zur Hohepriesterin. 

Üblicherweise dauert es mindestens drei Jahre unter der Anleitung eines erfahrenen spirituellen Lehrers, bevor der Novize oder die Novizin bereit ist für die endgültigen Prüfungen. Auch sind die Kandidaten für dieses Amt zu Beginn ihrer Lehre mindestens vierzig Jahre alt. Auf Bali gibt es mehr als sechzig Hohepriester, von denen aber nur fünf Frauen sind. Alle entstammen jedoch der Brahmanenkaste, welcher I Komang Wediantari nun eben nicht angehört. Sie ist ein absoluter Ausnahmefall in der Geschichte balinesischer Religion und Spiritualität. 

Ihre endgültige Prüfung durch die Mitglieder des National Board of Ordination of The Hindu Dharma dauerte lediglich zwanzig Minuten. Dann wurde die feierliche Weihe zur Hohepriesterin vorgenommen. I Komang Wediantari erhielt als Zeichen ihrer spirituellen Wiedergeburt einen neuen Namen – Ida Panditha Mpu Budha Maharsi Alit Parama Daksa oder einfach – Ida Resi Alit.

Seither lebt Maharesi Alit ihre Schicksalsaufgabe. Mit Hilfe von heiligem Wasser führt sie  Reinigungszeremonien durch, deren Aufgabe es ist, energetische Blockaden zu lösen und seelische Leiden sowie körperliche Krankheiten zu heilen. Außerdem erfüllt sie ihre Pflichten bei den auf Bali so zahlreichen wichtigen Ritualen und Zeremonien, welche die Balinesen durch das gesamte Leben begleiten. 

Ich bin selbst  Zeuge von Ida Resi Alits Reinigungszeremonien für Europäer und Balinesen geworden. Diese Rituale beginnen stets mit einer gemeinsamen Meditation in traditionell balinesischer Tracht. Das entspricht nicht nur der Tradition, sondern ist auch dem Umstand geschuldet, daß die Klienten durch die Reinigung mit dem Heiligen Wasser komplett durchnäßt werden. Besucher sollten also immer eine zweite Garnitur Kleidung dabei haben.  

Die Reinigungszeremonien verlaufen meist sehr emotional. Energetische Blockaden werden aufgebrochen, alte Verletzungen und unverarbeitete Lebensthemen werden herauf- und dann vom heiligen Wasser im wahrsten Sinne des Wortes davongespült. Ida Resi Alit ermutigt ihre Klienten zu emotionalen Reaktionen: „Laßt alles zu, und dann laßt es los. Wonach Euch auch immer ist, was auch immer kommt, tut es. Schreit, weint, stampft mit den Füßen, lacht Euch krumm und schief. Das ist egal. Aber macht es, laßt es zu. Und dann laßt es los.“  

Ida Resi Alit hat eine Vision von spiritueller Einheit. Es ist ihr Anliegen, in spirituelles Zentrum zu schaffen, in dem sich Menschen aller Religionen, Weltanschauungen und Rassen treffen und sich austauschen können. Dafür soll ihr Ashram stehen – der Ashram Purwa Agung. Nicht nur sie wird hier lehren, jeder spirituelle Meister ist eingeladen, hier sein Wissen an interessierte Schüler weiterzugeben.  

Ida Resi Alit weiß, das alles – jede Inspiration, jede spirituelle Schule und jede Religion – aus einer Quelle kommt. Das Ganze enthält alles Teile, und in jedem Teil ist das Ganze zu finden. 

Noch steckt Ida Resi Alits Vision in den Kinderschuhen. Ihr spirituelles Zentrum ist eine Baustelle, im wahrsten Sinne des Wortes. Doch unglaublich viel ist bereits in kurzer Zeit entstanden. Kleine Gästehäuser erheben sich dort, wo noch vor kurzem Dschungel war. Nun wird der Tempel renoviert und vergrößert. Es ist jener Familientempel, in dem vor ein paar Jahren alles begann.

 „Eines Tages werde ich reisen, so wie du,“ sagt Ida Resi Alit zu mir und lächelt. „Eines Tages wird es soweit sein. Doch jetzt beginne ich erst einmal hier, zu Hause. Der Platz stammt von meinen Vorfahren, und ich gehöre hier hin. Die Idee wird wachsen, Stück für Stück, und so wird es auch der Ashram. Ich kann diesen Platz nicht für mich allein haben. Er ist da zum Teilen, mit allen, die daran Teil haben wollen. Denn ich brauche auch Leute, die mir hier helfen. Eine Vision ist etwas  Gutes. Sie ist der Ursprung. Aber um sie zu manifestieren, braucht es Helfer.” 

Doch Ida Resi Alit hat keine Eile. Alles entwickelt sich so, wie es sein soll. Alles ist präsent – die Lehren der Vergangenheit, die Pläne für die Zukunft, die Hoffnung auf Gelingen und auch die Ängste, dieser Aufgabe doch nicht gewachsen zu sein. Jeder kann Teil dieses Werkes sein, und auch Teil eines gemeinsamen spirituellen Wachstums mit Ida Resi Alit, dieser außergewöhnlichen jungen Frau und begnadeten spirituellen Lehrerin. 

“Es hat alles gerade erst begonnen. Und es wird seine Zeit brauchen, bis die Arbeit Früchte trägt,“ meint Ida Resi Alit, „eine lange Zeit. Doch was ist schon Zeit?“ 

 Wieder lächelt sie und schaut hinüber in die untergehende Sonne. 

„Weißt du, ich wollte nie Hohepriesterin werden. Aber es ist mein Schicksal.“

Ida Resi Alit hat sich gefunden und ihre Aufgabe, ihre Mission angenommen, obwohl ihr ursprünglicher Lebenstraum darin keinen Platz hat. Ida Resi Ali hat akzeptiert, ein Teil des göttlichen Plans zu sein. Schließlich ist sie Balinesin – und Hohepriesterin.

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Begriffserläuterungen

Brahmane:

sanskr.: brahmana; Angehöriger der obersten Kaste der Hindus.

Mantra:

Gesänge. Worte voll geistiger Kraft bzw. heilige Formeln.

Pedanda:

So werden auf Bali die Angehörigen der Priesterkaste genannt, denen allein das Lesen der alten, heiligen Texte vorbehalten ist. Lesungen poetischer Texte, die auf den alten indischen Epen Mahabharatha und Ramayana basieren, sind unverzichtbarer Bestandteil von Tempelfesten und Totenritualen. Dabei wird bis heute zu diesen Anlässen ausschließlich von Palmblattmanuskripten gelesen. Eine Lesung der heiligen Texte von Manuskripten aus Papier gilt als schweres Sakrileg.

Yoga:

Selbstkontrolle – spirituelle Disziplin mit dem Ziel des Einswerdens mit Gott.

Über Thomas Ritter 110 Artikel
Thomas Ritter, 1968 in Freital geboren, ist Autor und freier Mitarbeiter verschiedener grenzwissenschaftlicher und historischer Magazine. Thomas Ritter hat zahlreiche Bücher und Anthologien veröffentlicht. Außerdem veranstaltet er seit mehr als zwanzig Jahren Reisen auf den Spuren unserer Vorfahren zu rätselhaften Orten sowie zu den Mysterien unserer Zeit. Mit seiner Firma „Thomas Ritter Reiseservice“ hat er sich auf Kleingruppenreisen in Asien, dem Orient, Europa und Mittelamerika spezialisiert. Mehr Informationen auf: https://www.thomas-ritter-reisen.de Nach einer Ausbildung zum Stahlwerker im Edelstahlwerk Freital, der Erlangung der Hochschulreife und abgeleistetem Wehrdienst, studierte er Rechtswissenschaften und Geschichte an der TU Dresden von 1991 bis 1998. Seit 1990 unternimmt Thomas Ritter Studienreisen auf den Spuren früher Kulturen durch Europa und Asien.