Bad Waldsee ist auch im Winter eine Reise wert

Tut wirklich gut!

Bildquelle: Christof Rauhut

Winter in Deutschland, das ist oft nicht viel mehr als Grau in Grau und ein bisschen Regen. Das ist die Zeit, wo es Lust macht, zu verreisen. Manche träumen von tropischen Fernen. Wir sehnen uns nach süddeutschen Thermalbädern – im Außenbecken im dampfend heißen Wasser schweben, umgeben von frostgezuckerten Bäumen. Wir denken an romantische Moorlandschaften, hügeliges Voralpenland, Kunst und historische Kleinstadt-Idylle. Unsere Reise geht diesmal über Ulm in die Große Kreisstadt Bad Waldsee in der Ferienregion Oberschwaben, am Rande des Allgäus, an der Grenze zwischen Baden-Württemberg und Bayern. Nur 40 km nördlich des Bodensees.

Da liegt es, Bad Waldsee, in einer wirklich einzigartigen Situation, zwischen zwei Seen, Stadtsee und Schlosssee mit dem Waldseer Wasserschloss der Fürsten von Waldburg-Wolfegg und Waldsee aus dem Jahr 1745, das heute Sitz verschiedener Firmen ist. Im Stadtsee kann man im Sommer herrlich baden. Jetzt aber glitzern Eisschollen in der Wintersonne. Ein gepflegtes, heiteres, ein wenig österreichisch anmutendes Städtchen mit glücklicherweise autofreier Altstadt: Das ist Bad Waldsee.

Die Schwäbische Bäderstraße, welche die zahlreichen Kurorte dieser Region verbindet und auch die Oberschwäbische Barockstraße führen hier vorbei. Und der vor einigen Jahren neu angelegte Oberschwäbische Pilgerweg sowie der Radwanderweg Donau-Bodensee leiten durch die Stadt – dazu kommt das lokale Radwegenetz in sanft-hügeliger Landschaft. Wir haben auch im Winter unsere Falträder dabei – und das Wetter spielt mit: Kaum sind wir da, reißt die Wolkendecke auf, die Sonne kommt hervor. Empfehlenswert ist etwa eine – fast gänzlich schattenfreie – Radtour vom Parkplatz am Neuen Friedhof auf dem Scharren: Auf dem Wanderweg Nr. 6 (eine Wanderkarte gibt es bei der Touristinfo) geht es über Wolpertsheim und Seeden bis Arisheim und von weiter auf einem geschotterten Wanderweg nach Dinnenried. Nun folgen wir den Radschildern über Gwigg bis Bergatreute. Zurück geht es in Eigenregie über Giesenweiler, Abetsweiler und Ankenreute nach Arisheim und von dort wieder auf der Nr. 6, nun links aufwärts (aussichtsreiche Ruhebänke am Waldrand!) und zuletzt durch den Wald zum Parkplatz. 90 Prozent der Strecke sind asphaltiert und genussvoll befahrbar.

Im Südosten der Stadt schließt sich das Naherholungsgebiet Tannenbühl an – mit Wanderwegen, Kletterpark und Wildgehegen samt neu angelegtem Wildtierlehrpfad. Immerhin schon fast 600 Meter hoch liegt die Stadt – die mächtige Alpenkette ist nah, doch hier sind wir noch im pittoresken Hügelland. Wanderungen bieten sich an – es werden mittwochs und samstags geführte Touren angeboten. Lohnend ist beispielsweise ein Abstecher auf die 754 Meter hohe Grabener Höhe, ein Aussichtsberg auf dem Haisterkircher Rücken mit an manchen Tagen grandiosem Blick auf die Alpen. Von hier oder von Haisterkirch ist auch die Sebastianskapelle im Wald schnell erreicht. Besonders schön ist auch eine Wanderung durchs Steinauer Ried, entweder auf Weg Nr. 9 oder kreuz und quer auf zum Teil verwunschenen Pfaden, vorbei an dunklen Moorgewässern, aus denen bizarre Baumgerippe emporragen.

Nach Bad Waldsee kommt man gern wegen des Golf Resorts, aber auch wegen Kur und Reha, erläutern Walter Gschwind und seine Kollegin Svenja Auer von Bad Waldsee Tourismus, die ich in ihrem Büro in der Altstadt treffe. Thermalwasser, Moor- und Kneippbäder gibt es – und viele Therapieangebote. „Bad Waldsee tut gut“, das ist das Motto des agilen Stadtmarketings – dem man gleich Glauben schenkt. Die 1994 eröffnete Waldsee-Therme mit verschiedenen Innen- und Außenbecken, Dampfgrotte und vielen anderen Wellness-Angeboten hat täglich von 9 bis 22 Uhr geöffnet, die Sauna-Landschaft lädt derzeit ab 17 Uhr zum Schwitzen ein. Mit beinahe 65 Grad findet sich hier die heißeste Quelle in ganz Oberschwaben – heruntergekühlt wird auf 28 bis 37 Grad. Prädikat: „TOP Kurort“.

Bad Waldsee mit seiner langen österreichischen Geschichte – bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts gehörte die Region zu Vorderösterreich – besticht mit viel Kultur und Sehenswürdigkeiten. Da ist mitten im Stadtzentrum die barocke Stiftskirche St. Peter mit ihren schräg angeordneten Doppeltürmen: das Wahrzeichen der Stadt. In der Kirche sollte man einen Blick auf den Hochaltar werfen, ein Werk des bekannten Wessobrunner Baumeisters und Stuckateurs Dominikus Zimmermann, dessen weltberühmtes Hauptwerk die Wieskirche im Bistum Augsburg ist. Hinter der Kirche hat das Stadtarchiv seinen Sitz, das  Gedächtnis der Stadt.

Unbedingt sehenswert ist das Museum im Kornhaus, das aus dem späten 15. Jahrhundert stammt. Im Winter ist es eigentlich geschlossen, doch Museumleiter Hubert Leißle, Vorstand des Museums- und Heimatvereins Bad Waldsee, öffnet es extra für uns. Das Kornhaus mit seinem gotischen Stufengiebel ist ein stadtgeschichtliches, aber auch kunsthistorisch bedeutendes Museum, in dem auch Sonderausstellungen stattfinden. Früher wurde hier das Getreide verwahrt. Seit 2013 werden die bedeutenden Werke der Waldseer Bildhauerfamilie Zürn sehr stilvoll präsentiert, die im 16. und 17. Jahrhundert in und um Bad Waldsee wirkte – etwa in der Frauenbergkapelle nahe des Stadtzentrums – und so die Kunst des oberschwäbischen Barock mitprägte. Die Künstlerfamilie arbeitete auch in Bayern, Oberösterreich und in Mähren.

Und noch eine andere Künstlerfamilie ist im Kornhaus zu entdecken: Die Terrakotta-Figuren der Familie Sohn sind zum Teil ungemein expressiv, vor allem die 42 fantastischen Figurenpaare des „Basler Totentanzes“. Eine weitere Entdeckung ist die neoklassizistische Kunst des 1841 in Bad Waldsee geborenen Bildhauers Constantin Dausch, der in Rom zu Ruhm kam und dort im ehemaligen Atelier des klassizistischen Meisters Antonio Canova arbeitete.

Das Waldseer Rathaus ist noch etwas älter als das Kornhaus. Auch seine gotische Fassade beeindruckt. Es zählt zu den schönsten Rathäusern Oberschwabens. Ebenfalls aus dem frühen 15. Jahrhundert stammt das Wurzacher Tor – das letzte erhaltene Stadttor von Bad Waldsee. Das Spital mit seiner neugotischen Schaufassade, die Apotheke zu St. Peter oder auch das Franziskanerkloster – alle diese Bauten künden vom Reichtum dieser kleinen, äußerst vitalen Stadt, der 1298 das Stadtrecht verliehen wurde. Man kann sie auch vom Stadtsee aus erkunden, um den ein idyllischer Spazierweg führt. Oder man schließt sich der Stadtführerin Barbara Ertner an, die auch im Winter jeden Montag um 14 Uhr kostenlose Führungen anbietet.

Etwas Einzigartiges ist das lichtdurchflutete Erwin-Hymer-Museum, das von Direktorin Susanne Hinzen geleitet wird. Schon das Museumsgebäude des Architekten Joachim Liebel ist ein Erlebnis: ein visuelles Ausrufezeichen mit riesigen Glasflächen. Der weltbekannte Hersteller von Wohnwägen und Reisemobilen mit Sitz in Bad Waldsee präsentiert hier auf 6.000 m² Ausstellungsfläche die lange Geschichte des mobilen Reisens – vor allem historische Wohnwägen und Reisemobile seit den 1920er-Jahren – darunter erstaunliche Kostbarkeiten und auch Eigenbauten. Ganz neu eröffnet wurde soeben die Museumswerkstatt mitten im Museum, wo die Besucher miterleben können, wie die Preziosen der 265 Fahrzeuge umfassenden Sammlung restauriert und gewartet werden: ein Mekka für Oldtimer- und Youngtimer-Fans, welche die Schönheit eines Hymermobil 520 D von 1976 oder eines Ford-Eriba-Gespanns aus den frühen 1960er-Jahren zu schätzen wissen. Wohnmobilisten und Caravan-Fans sind in Bad Waldsee und der ganzen Region überhaupt sehr willkommen. Überall gibt es zum Teil hervorragend ausgestattete und zentral gelegene Wohnmobilstellplätze.

Vom Museum des mobilen Reisens zur Bildenden Kunst: Der Kunstraum kleine galerie im Haus am Stadtsee in der Wurzacher Straße, direkt neben dem Wurzacher Tor, lädt regelmäßig zu Kunstausstellungen ein. Die Galerie wird geführt von dem Künstler Axel Otterbach – dessen Skulpturen an vielen Orten im öffentlichen Raum der Region zu sehen sind.

Die zeitgenössische Kunst ist der ganzen Region gut vertreten. Im näheren Umkreis finden wir die MEWO Kunsthalle Memmingen, das Kunstmuseum Ravensburg, die Kunsthalle Schloss Isny, die Kunsthalle Kempten und das Museum Für Zeitgenössische Kunst Diether Kunerth in Ottobeuren: allesamt überregional bekannte Kunsthäuser, die einen Besuch lohnen.

Noch näher von hier, in Bad Saulgau, lohnt die Städtische Galerie „Die Fähre“ im Alten Kloster einen Besuch: Bereits 1947 gegründet, zeigt das Ausstellungshaus in geschichtsträchtigem Ambiente die klassische Moderne des Südwestens, aber auch junge Kunst. Hier wird auch die Sammlung „Kunst in Oberschwaben“ präsentiert.

Kunsthäuser sind wichtig, aber Wirtshäuser auch! Traditionelle Wirtshäuser (zum Teil mit modernem Effet) gibt es in Bad Waldsee: Der Grüne Baum mit oberschwäbischer Küche (natürlich gibt es auch Maultaschen, Kässpätzle, Flädlesuppe oder Schupfnudeln) ist das älteste Gasthaus der Stadt. Das Haus stammt aus dem späten 17. Jahrhundert. Die Alternative liegt gleich vis-à-vis und ist auch zu empfehlen: Zum Hirschen. Oder die Weinstube Hasen. Hier wird oberschwäbisch gevespert – man isst Seelen, Saure Kutteln oder Wurstsalate. Aus vielen offenen Weinen kann man wählen und sollte natürlich auch die legendäre „Hasenmilch“ versuchen, eine Weinschorle mit geheimer Rezeptur.

Liebhaber barocker Kunst werden in ganz Oberschwaben fündig – Kunsthistoriker unterscheiden sehr fein zwischen dem oberschwäbischen Barock, dem bayerischen, württembergischen und dem österreichischen. (Als Standardwerk sei immer noch „Barockreisen in Oberschwaben und am Bodensee“ von Herbert Schindler empfohlen.) Und liebt man barocke Kunst, dann sollte auch das Franziskanerinnen-Kloster Reute auf dem Klosterberg im Bad Waldseer Ortsteil Reute besucht werden. Von der hochgelegenen Terrasse hat man bei entsprechender Wetterlage auch einen beeindruckenden Blick auf die Alpenkette. Die Geschichte des Klosters reicht weit zurück. So stammt die Pfarr- und Wallfahrtskirche St. Peter und Paul aus dem frühen 17. Jahrhundert, hat aber noch einen spätromanischen Turm von 1250. Ganz gegenwärtig aber ist ein Projekt, das die Franziskanerinnen von Reute vor Kurzem initiiert haben: Das „Klosterbergprojekt Reute“ ist ein innovatives, barrierefreies und generationsgerechtes Wohnprojekt mit gemeinwohlorientierter Nutzung – geschaffen aus dem Geist franziskanischer Spiritualität. „Wir bewahren Historisches und wagen Neues“, so die Franziskanerinnen.

In der näheren Umgebung lohnt die Fahrt nach Bad Schussenried mit seinem ehemaligen Kloster aus dem 18. Jahrhundert und dem prächtigen Bibliothekssaal – geplant wieder einmal von Dominikus Zimmermann. Hier finden immer wieder auch Wechselausstellungen statt. Ganz in der Nähe lockt die Wallfahrtskirche Steinhausen. In einem Ortsteil von Bad Schussenried steht sie, die, wie man hier ganz selbstbewusst sagt, „schönste Dorfkirche der Welt“. Auch sie geplant und stuckiert von Dominikus Zimmermann, mit Fresken ausgestattet von seinem Bruder Johann Baptist Zimmermann: ein Hauptwerk der Wessobrunner Schule. Frühes Rokoko in seiner allerschönsten Form!

Weiterhin auf den Spuren prächtiger Barockbaukunst befinden wir uns im Kloster Weingarten, einer ehemaligen Benediktinerabtei kurz vor Ravensburg. Das Kloster auf dem Martinsberg wurde im 11. Jahrhundert gegründet. Hier kann die Blüte der oberschwäbische Barockkunst erlebt werden: Die Basilika ist die größte Barockkirche nördlich der Alpen – immerhin halb so groß wie der Petersdom.

Ein besonders schönes Ensemble der Baukunst verschiedener Epochen finden wir in Wolfegg mit seinem Renaissance-Schloss und der von Johann Georg Fischer geplanten Pfarrkirche St. Katharina. Lohnend ist auch ein Spaziergang zur Orangerie im Fürstlichen Hofgarten. Wolfegg ist der Stammsitz des Adelshauses Waldburg-Wolfegg, das bis heute hier residiert.

Auf der Rückfahrt grüßt linkerhand die Wallfahrtskapelle im Ortsteil Volkertshaus. Sie steht besonders pittoresk auf einem Moränenhügel und lädt uns zu einem kurzen Spaziergang hinauf ein. Überhaupt bezaubern im unmittelbaren Umland zahlreiche fein ausgeschmückte Dorfkirchen und Kapellen!

Doch kehren wir wieder in das in diesen Tagen mit bunten Wimpeln geschmückte Bad Waldsee zurück – ein Zeichen dafür, dass hier gerade die fünfte Jahreszeit tobt. Die Narrenzunft Waldsee hat die Fasnet ausgerufen und trägt ihren Teil dazu bei, dass die schwäbisch-alemannische Fastnacht lebendig bleibt. Bad Waldsee ist eine Hochburg der Fasnet, ein regelrechtes Narrennest, das am Vorabend des „Gumpigen Donstig“ so richtig auf Tour kommt: Narrenrechtabholen, die Nacht der Waldseer Narren, um Mitternacht der Schrättelestanz, ein Hexentanz auf dem Rathausplatz: All das ist einigermaßen schaurig, traditionsreich und unbedingt sehenswert. Die Narrenhäs-Träger mit ihren holzgeschnitzten Gesichtsmasken und handgearbeiteten Narrenkleidern sind seit 2014 auch Teil des immateriellen Kulturerbes der UNESCO – ein eigenwilliges Spektakel. „Aha!“ Das ist der Ruf der Waldseer Närrinnen und Narren. Schulsturm, Wächsebrauch und Narrensprünge, also Festzüge verschiedener Narrenzunften, folgen.

Was eine Reise in diese Gegend so lohnend macht, ist die Vielzahl der Möglichkeiten. In alle Richtungen locken neue Reiseziele: Im Süden Ravensburg und der Bodensee mit der Inselstadt Lindau, das nahe St. Gallen in der Schweiz, südöstlich die österreichische Region Vorarlberg und der Bregenzer Wald, im Osten das Allgäu, im Norden Biberach und Ulm, im Westen die Schwäbische Alp. Alle diese Reiseziele sind nah von Bad Waldsee. Es lohnt also auch ein längerer oder langer Aufenthalt in der kleinen Stadt zwischen den Seen. Nach den Tagesausflügen kann man sich im heißen Thermalwasser wunderbar erholen.

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Über Marc Peschke 18 Artikel
Marc Peschke, 1970 geboren, Kunsthistoriker, Texter, Kulturjournalist und Künstler, lebt in Wertheim am Main, Wiesbaden und Hamburg. Er hat in Mainz Kunstgeschichte, Komparatistik und Ethnologie studiert. Seitdem schreibt der gebürtige Offenbacher unter anderem über Bildende Kunst, Fotografie, Fotokunst und Popmusik. Gelegentlich arbeitet er auch als freier Kurator, war Mitinhaber und Mitbegründer der Fotokunst-Galerie KUNSTADAPTER in Wiesbaden und Frankfurt am Main – sowie der Kultur-Bar WAKKER in Wiesbaden. In Wertheim am Main ist er Kurator des exklusiven Kunstraum ATELIER SCHWAB. Seit 2008 zahlreiche eigene Ausstellungen im In- und Ausland. Marc Peschkes künstlerische Arbeiten entstehen zumeist auf seinen zahlreichen Reisen und sind in verschiedenen nationalen und internationalen Sammlungen vertreten. Seit 2020 ist Marc Peschke unter dem Namen MASCHERA auch wieder als Musiker aktiv. Im Jahr 2022 wird er kuratorisch die Wiesbadener Fototage unterstützen. www.marcpeschke.de