Buchempfehlung der Redaktion: Alan Posener,  Shot of Love, Fünfzig Interpretationen bekannter und weniger bekannter Songs von Bob Dylan

„Shot of Love“. Alan Poseners fünfzig Interpretationen bekannter und weniger bekannter Dylan-Songs entwickeln einen essenziellen Sog.

„Shot of Love“. Alan Poseners fünfzig Interpretationen bekannter und weniger bekannter Dylan-Songs entwickeln einen essenziellen Sog. Der Buchtitel spricht die geheime Botschaft im Dylan- „Universum“ bereits aus: ohne Liebe geht es nicht, kommt keine sinnvolle Wahrheit zustande. Dass die, um zu bleiben, besser etwas „schräg“ daherkommt, dazu rät die zu Poe’s Zeiten in Massachusetts geborene Dichterin Emily Dickinson, thematisch mit „gebrochenem Herzen“ und oft „des Redens und Erklärens müde“. Ihr Seelenverwandter Bob Dylan bekennt, „stets nur sein Herz zu befragen“, mit einem Herzen für die Beraubten: ihrer Zeit, ihrer Pläne, ihrer Liebe, ihres Vertrauens.  2016 erhielt Bob Dylan den Nobelpreis für Literatur.  „Fast möchte ich dazu gar nichts sagen, weil man durch Kommentierung, Exegese, Interpretation von der funkelnden Wirkung des Gedichts ablenken könnte“ schreibt Alan Posener zum Liedtext „Every Grain of Sand“.  Gut, dass er andererseits der Überlegung folgte, dem nicht-englischsprachigen Publikum, beim Verstehen der zahlreichen Anspielungen in Dylans Liedern, mit seinen „Anmerkungen hilfreich zu sein“. In einer Erzählung des Nobelpreisträgers für Literatur 1978, Issak Bashevis Singer, wird ein Rabbi gefragt. „Man soll so schreiben, dass es den Menschen hilft“, lautet die Antwort des Rabbi. Und das tut der 1949 in London geborenen deutsch-britische Journalist mit stark beachteten rororo-Monografien etwa über William Shakespeare, John F. Kennedy, Elvis Presley und John Lennon, auf den schön zu lesenden 180 Seiten, die von fast allem handeln, was nach Hilfe schreit. Geschrieben während der Corona-Pandemie, als nun die ganze Welt nach Hilfe schrie, und der Autor und seine Frau Maria, des normalen Alltags „beraubt“ und zu „trauter Zweisamkeit“ gezwungen, gleichen die 50 Interpretationen einem Lebensbuch. Darin das Hilflose wie vergeblicher Zorn, verstörender Stolz, der falsche, selbstzerstörende Blick auf die Welt oder die falsche Hoffnung, die einen mehr verlieren als jemals gewinnen lässt, konfrontiert wird mit den Dingen, die zumindest den Liebenden „wahr klingen“. Was beweisen soll und beweist, dass man auch nur mit dem Herzen gut hört.  Und warum nicht auf Kants Gesetz? Das nicht in den „50“ steht, sich aber für den Rezensenten wie ein Zirkelschluss aufzwängt. Für unsere modernen Zeiten von Daniel Kehlmann übersetzt, lautet es: „Ich wäre gerne Mensch, ich arbeite dran.“ Das unnachgiebig zu sagen, scheint nämlich auch Bob Dylan das Wichtigste zu sein. „Nicht nachgeben“, lautet nun ein Vers des Gedichts „Liebe“, das die 16järigen Dagmar Hilarova 1944, während der politischen Pest, im KZ- Ghetto Theresienstadt schrieb:  https://www.youtube.com/watch?v=EYVHfJDUN-M   Jeder Vers darin ist wertvoll und nimmt Dylans eigene Intention, seit 1988 auf „Never ending Tour“, vorweg.  Alan Posener hat der Arbeit, Mensch zu sein (auch) in Zeiten von Corona, mit seinen 50 Dylan-Interpretationen jedenfalls keinen ganz unwertvollen Dienst erwiesen. Volle Empfehlung!

Alan Posener,  Shot of Love, Fünfzig Interpretationen bekannter und weniger bekannter Songs von Bob Dylan,  Festeinband, 185 Seiten, 158 x 235 mm,  Februar 2024, ISBN 978-3-86732-441-0 , Preis 25, – €    

„Shot of Love“. Alan Poseners fünfzig Interpretationen bekannter und weniger bekannter Dylan-Songs entwickeln einen essenziellen Sog.

                                                                                           

Über Axel Reitel 36 Artikel
Axel Reitel (*1961); 1982 Freikauf/Ausbürgerung; seit 1982 Hamburg, dann Westberlin; 1983 literarisches Debüt; 1985-1990 Studium (Kunstgeschichte/Philosophie); seit 1990 freischaffender Autor (u. a. Jugendstrafvollzug der DDR; Theorie vererbter Schuld); seit 2003 freier Mitarbeiter der ARD. Lebt in Berlin.