Konrad H. Jarausch: Aus der Asche. Eine neue Geschichte Europas im 20. Jahrhundert, Reclam, Ditzingen 2018, ISBN: 978-3-150-11114-7, 49 EURO (D)
Jarausch zerteilt die Geschichte Europas in vier Zeitabschnitte. Der erste reicht mit einem Rückgriff auf die Endphase der 19. Jahrhunderts bis 1929. Dieses Zeitalter sei vom Versprechen des Fortschritts bestimmt, das dann im 1. Weltkrieg die erste Katastrophe erlebte. Danach folge als zweites Zeitalter die „Wende zur Selbstzerstörung“ ausgelöst mit der Weltwirtschaftskrise und dem Aufstieg faschistischer und nationalistischer Regime. Hitlers Machtübernahme 1933 war dabei die wesentlichste Prägung. Der vom faschistischen Deutschland entfachte 2. Weltkrieg, die Millionen von Toten, der Holocaust und Europa in Trümmern bildeten dabei das dunkelste Kapitel. Die dritte Epoche war der Wiederaufstieg Europas zwischen 1945 und 1973 mit einem von den USA unterstütztem kapitalistischem Block im Westen und den Staaten des Warschauer Paktes im Osten, wo auch allmählich trotz veralteter Industrie der Lebensstandard stieg. Die vierte Epoche, die „Konfrontation mit der Globalisierung“ seit den 1970er-Jahren bis zum Ende des 20. Jahrhunderts und weiter darüber hinaus weltumspannenden Rolle Europas in der Globalisierung.
Die wichtigsten seiner Thesen sind die folgenden: Europa war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein Kontinent im steten Niedergang. Ihre imperialistischen Akteure beherrschten am Anfang des 20. Jahrhunderts noch die Welt. Der Erste Weltkrieg bedeutete die erste Katastrophe Europas. Die Weltwirtschaftskrise 1929 läutete nach einer kurzen Atempause die zweite Katastrophe ein: den Zweiten Weltkrieg die weitgehende Zerstörung Europas, viele Millionen von Toten und den Holocaust und die Pervertierung des Humanen. Danach entstand Europa aus der Asche neu (daher der Titel) und lernte aus der jüngeren Vergangenheit und entwickelte sich sukzessive zu einem Kontinent des inneren Friedens, mit Menschenrechten und Demokratie, des Wohlfahrtsstaates und europäischen Integration. Diese „Lernleistung“ ist für konstitutiv für die Wiederaufblühen Europa im 20. Jahrhundert.
So gut dieses Werk als Überblicksdarstellung phasenweise ist und detailliert recherchiert worden ist, sind jedoch Kritikpunkte sowohl in der Zeiteinteilung als auch in seinen Thesen offensichtlich.
Die Zeit zwischen der Russischen Revolution 1917, dem Kriegsende 1918, den Revolutionen danach und dem Versailler Vertrag brachte ein völlig neues Europa als vorher hervor. Das nicht als Zäsur zu begreifen, ist nicht nachvollziehbar. Die Argument Jarauschs für den Beginn der „Konfrontation mit der Globalisierung“ schon in den 1970er Jahren trotz der Hochphase des Kalten Krieges sind nicht überzeugend. Der Umbruch 1989/90 mit dem Zusammenbruch des Staatssozialismus erst läutete eine Epochenwende ein.
Seine Thesen des Wiederaufblühens Europas, das Lernen aus der Vergangenheit, mit Frieden und Freiheit, Demokratie und Menschenrechten und aufblühendem Wohlstand gepaart mit Umweltbewusstsein sind viel zu plakativ. Das Ende des 2. Weltkriegs war der Beginn des Kalten Krieges, der Furcht vor dem Ende Europas durch die Blockkonfrontation. Im Westen gab es zwar einen stetigen Wirtschaftsaufschwung, an dem jedoch nicht alle teilhatten. Franco und Salazars Regime waren keine Abkehr vom Faschismus, die Entnazifizierung in der BRD und DDR in weiten Teilen gescheitert und das Beschweigen der Vergangenheit Normalität. Wirtschaftliche Prosperität überdeckte die seelischen Narben des 2. Weltkrieges überall in Europa. Dies ist nur ein Ausschnitt an Kritikpunkten.
Auch die Tatsache, dass europäische Geschichte im 20. Jahrhundert spätestens seit 1945 immer auch abhängig von Globalgeschichte des 20. Jahrhunderts war (Kuba- Krise, Stellvertreterkriege der Systeme wie in Korea, Weltmacht USA, NATO usw.) findet hier kaum Berücksichtigung.
Insgesamt gesehen gibt es zu viele Kritikpunkte, um das Buch als neues Standardwerk für die europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts zu bezeichnen.