»Augengespenst und Urphänomen. 200 Jahre Goethes Farbenlehre« – Klassik Stiftung Weimar beleuchtet einen der faszinierendsten Beiträge zur Farbtheorie in Wissenschaft, Kunst und Rezeptionsgeschichte

Zum 200. Jahrestag des Erscheinens seiner »Farbenlehre« würdigt die Klassik Stiftung Weimar erstmals in einer umfassenden Ausstellung die Vielschichtigkeit von Goethes Farbstudien. Mit rund 400 Exponaten reflektiert die vom 19. Juni 2010 bis zum 19. Juni 2011 im Goethe-Nationalmuseum gezeigte Schau einen der faszinierendsten und bedeutendsten Beiträge zur Farbtheorie in der damals zeitgenössischen Wissenschaft und Kunst sowie in der Rezeptionsgeschichte. Zur Vernissage am Freitag, 18. Juni 2010, 19 Uhr, im Festsaal des Goethe-Nationalmuseums begrüßt Prof. Dr. Wolfgang Holler, Generaldirektor der Museen. Das Grußwort spricht Christoph Matschie, Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Thüringen. Eine Einführung geben die Kuratorinnen der Ausstellung, Diplom Biologin Gisela Maul und Sabine Schimma. Die Gruppe »gnadenlos schick« zeigt zwischen den Wortbeiträgen eine Modenschau zum Thema Farben und Farbenkreise.
Zu sehen sind Zeichnungen, Mineralien, Tierpräparate und farbige Gebrauchsgegenstände aus Goethes Sammlungen, aber auch physikalische Geräte, an denen sich seine Farbstudien anschaulich demonstrieren lassen. Dazu gehören das große Wasserprisma, verschiedene Schirme für Farbexperimente und die Farbkreisel. Zahlreiche weitere Exponate wie Brillen, Lupen, Mikroskope und historische Augenmodelle zeigen den allgemeinen Entwicklungsstand optischer Medien um 1800. Ergänzend zu den historischen Stücken bieten interaktive Installationen die Möglichkeit, Goethes Versuche nachzuvollziehen und dadurch sinnlich zu erfahren. So können in verschiedenen Vorrichtungen aus Licht und farbigem Material Nachbilder erzeugt und in Experimenten mit Prismen und Spiegeln Spektralfarben produziert werden. Der Dialog zwischen historischen Originalen und moderner Umsetzung der Goethe-Versuche verleiht der Ausstellung ihren besonderen Charakter.
Im Jahre 1810 erschien Goethes zweibändiges Werk »Zur Farbenlehre«, das noch heute als die komplexeste Farbentheorie überhaupt gilt. Er untersuchte die physiologisch, physikalisch und chemisch erzeugten Farben sowie den psychologischen Eindruck, den diese hinterließen. Anders als die meisten Wissenschaftler seiner Zeit, die dem Vorbild Isaac Newtons folgten, suchte Goethe nicht nach abstrakten Erklärungsmodellen für die Farben, sondern nach ihren sichtbaren Entstehungsbedingungen. Indem er die Farbe als »ein elementares Naturphänomen für den Sinn des Auges« betrachtete, stellte er die menschliche Sinneswahrnehmung ins Zentrum seiner Studien. Der Farbforschung widmete Goethe über 40 Jahre seines Lebens. Sie begann mit der vergeblichen Suche nach einer einheitlichen künstlerischen Farbgesetzgebung. Ihr Fehlen führte ihn zur intensiven physikalischen Untersuchung der Farben. Diese wiederum machte ihn auf die vom Auge erzeugten Farbeindrücke und die psychologischen Farbwirkungen aufmerksam.
Die Ausstellung orientiert sich in ihrer Gliederung an der Werkstruktur der »Farbenlehre«: Im »Didaktischen« und wichtigsten Teil bereitet Goethe seine Lehre in systematisierter Form auf. Hier thematisiert er wissenschaftliche und Alltagspraktiken gleichermaßen. Das Buch ist sowohl ein Werk für Fachleute als auch für Laien.
Im »Polemischen Teil« zieht er gegen die komplizierte Versuchsmethode und die Mathematisierung der Farben in Newtons optischen Studien zu Felde. Er demontiert Newtons in dessen »Opticks« beschriebenen Versuche und interpretiert sie im Sinne seiner Farbentheorie.
Im »Historischen Teil« stellt Goethe die Geschichte der Farben in einen wissenschaftlichen Kontext. Hier reiht er – beginnend bei der Urzeit – chronologisch ausgewählte Farbentheorien und die Biographien ihrer Urheber aneinander und stützt so seine eigene, im letzten Kapitel dargelegte Lehre.
Goethes »Farbenlehre« hat eine widersprüchliche Wirkungsgeschichte, die nicht zuletzt der Komplexität dieses Werkes geschuldet ist.
Von den Vertretern der newtonschen Physik wurden Goethes physikalische Auffassungen abgelehnt. Seine phänomenologische Herangehensweise ließ sich nicht mit dem herrschenden Denkmuster der mathematischen Beweisführung vereinbaren, sein ganzheitlicher Naturbegriff nicht mit den spezialisierten Analysemethoden der Physik.
Erst mit der Entwicklung der Quantenphysik im 20. Jahrhundert wurde Goethes Versuchsmethodik aufgewertet. Im subatomaren Bereich sind objektive Ergebnisse nur dann möglich, wenn die Rolle des Subjekts als integrativer Bestandteil des Experiments betrachtet wird. Goethes farbphysiologische Studien hingegen waren wegweisend für die Entwicklung der Sinnesphysiologie. Besonders Johann E. Purkinje und Johannes Müller beschrieben und systematisierten, aufbauend auf Goethe, das Eigenleben des Gesichtssinns – ebenso der Philosoph Arthur Schopenhauer, der Goethes Experimenten beigewohnt hatte.
Fasziniert von Goethes Polaritätsprinzip der Farben gestaltete William Turner 1843 zwei Szenen aus der Geschichte der Sintflut. Künstler der klassischen Moderne wie Adolf Hölzel, Franz Marc und Wassily Kandinsky bezogen sich in ihren Werken auf Goethes farbphysiologische und farbpsychologische Reflexionen. Der Begründer der Anthroposophie, Rudolf Steiner, betrachtete Goethes ganzheitliche Naturauffassung als Gegenentwurf zur herrschenden Spezialisierung der Wissenschaften.
Goethe entwarf zahlreiche didaktische Materialien zum Mitexperimentieren, z. B. ein optisches Kartenspiel für Brechungsversuche, die Tafeln zur »Farbenlehre« und Farbschirme. Zum eigenen Erkunden der Ausstellung und besseren Verständnis der Farbenlehre können Kinder von 6 bis 12 Jahren kostenfrei einen Experimentierkasten an der Kasse ausleihen. Daneben bietet das Rahmenprogramm der Ausstellung noch weitere Angebote für Kinder und Familien.
Ein imposantes Lichtkunstkonzert wurde im Dezember 2008 im Jenaer Volkshaus vom städtischen Unternehmen JenaKultur organisiert: »Luce. Der Ton der Farben«. Zu den Klängen von Igor Strawinskys Feuervogel-Suite und zwei Werken Alexander Skrjabins, die von der Jenaer Philharmonie aufgeführt wurden, wechselten 170 Leuchtballons ihre Farben. Die außergewöhnliche Lichtinstallation wurde von der Künstlerin rosalie entworfen und ist nun im Goethe-Nationalmuseum zu sehen. Mit Hilfe von neuen JENCOLOR – Farbsensoren, von der MAZeT GmbH entwickelt und von Jenoptik gefertigt, wurde eine bislang unerreichte Homogenität und Brillanz des mit Leuchtdioden komponierten Farbspiels zur Musik erreicht.
Neben der JENOPTIK AG, der MAZeT GmbH und JenaKultur dankt die Klassik Stiftung Weimar der der CAPAROL Farben Lacke Bautenschutz GmbH, der GRAFE Advanced Polymers GmbH und dem MUSTER-SCHMIDT Verlag für die freundliche Unterstützung der Ausstellung.
Medienpartner von »Augengespenst und Urphänomen. 200 Jahre Goethes Farbenlehre« ist MDR FIGARO.

Ausstellungsdaten
Augengespenst und Urphänomen. 200 Jahre Goethes Farbenlehre
19. Juni 2010 bis 19. Juni 2011
Vernissage: Freitag, 18. Juni 2010 | 19 Uhr
Apr–Sep: Di–Fr 9–18 Uhr, Sa 9–19 Uhr, So 9–18 Uhr
Okt: Di–So 9–18 Uhr
Nov–Mrz: Di–So 9–16 Uhr
Goethe-Nationalmuseum
Frauenplan 1 | 99423 Weimar
Eintritt: Erw. 3 € / erm. 2,50 € / Schüler 1 €
Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren haben freien Eintritt.

Öffentliche Führungen
jeden 1. und 3. Sonntag im Monat, 11 Uhr
Erw. 3 € / Schüler 1 € zzgl. zum Eintrittspreis

Angebote für Kinder und Familien
Sommerferienprogramm
24.bis 25. Juni 2010
Augengespenst und Farbphänomene –
Kreativworkshop zur Farbenlehre
Weitere Informationen unter www.ferienpass-weimar.de

Interaktive Familienführung
25. Juli 2010 | 10. Oktober 2010 | 30. April 2011 | jeweils 14 Uhr
Führung ist im Eintritt inbegriffen.

Museumsbox für Kinder 6–12 Jahre
Experimentierkasten zum eigenen Erkunden der Ausstellung ist kostenfrei. Die Ausleihe erfolgt an der Kasse.
Anmeldung für Schulklassen unter forschung.bildung@klassik-stiftung.de

Angebote für Schulklassen
Warum ist die Sonne gelb?
Interaktive Führung und Kreativworkshop zur Farbenlehre
Dauer: 120 Min.
Kosten: 70 €
Buchung: +49 (0) 36 43 | 545-400
info@klassik-stiftung.de

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