Etwas verloren, lieblos abgestellt und geradeso, als sei er zur Abholung für den Sperrmüll positioniert, wirkt der von zahlreichen und wohl auch gewaltsamen Gebrauchsspuren gezeichnete Stahlschrank im lichtdurchfluteten Foyer von „Kolumba“. Die leicht geöffnete Tür ermöglicht den Blick in den leeren, ausgeräumten Innenraum des Tresors, der nun nicht mehr dafür zu gebrauchen ist, bestimmte Dinge zu verbergen und dem Sichtbaren zu entziehen und gerade daher eigentlich so interessant wird. Was hat sich darin einmal befunden? Warum sollte es verborgen werden? Wurde der wertvolle Inhalt geplündert, entwertet, vernichtet?
Den Besuchern von „Kolumba“, dem Kunstmuseum des Erzbistums Köln, stellt sich die Thematik der neuen Jahresausstellung unvermittelt und ohne lange Anlaufphase am Beispiel eines Alltagsgegenstands direkt in den Weg. „zeigen verbergen verhüllen. Schrein“ ist die Schau überschrieben, die den Anspruch erhebt, eine Ausstellung zur Ästhetik des Unsichtbaren zu präsentieren und diesen mit dem „Sicherheitsschrank“ von Felix Droese (Jahrgang 1950) und damit anhand eines profanen Alltagsgegenstands einleitet. Beim Gang durch die Ausstellungsräume begegnen den Betrachtern immer wieder Beispiele für jene Kästchen, Kisten oder andere Behältnisse, die in ihrer je unterschiedlichen Funktionalität dafür gemacht sind, Dinge oder Objekte oder Dokumente oder Geld oder was auch immer zu verbergen, weil sie nur einem bestimmten Personenkreis oder einem Individuum gezeigt werden und einen Wert besitzen, der anderen verhüllt werden soll oder für andere möglicherweise auch gar keinen Wert haben.
Szenenwechsel, zweites Ausstellungsgeschoss, Raum Dreizehn. Im größten Raum erreicht das neue Jahresthema seinen erhabenen Kulminationspunkt. Vier großformatige abstrakte Gemälde an den Wänden der amerikanischen Malerin Max Cole (Jahrgang 1937) korrespondieren mit vier mittelalterlichen Schreinen sowie dem so erschütternden elfenbeinernen Kruzifix aus dem zwölften Jahrhundert, bei dem der Gekreuzigte scheinbar vor dem Kreuz zu schweben scheint. Wie jeder Ausstellungsraum in diesem Museum, dessen Bau mit der Einhausung einer alten Kapelle selbst zur bergenden Umhüllung für eine spätmittelalterliche Mariendarstellung wurde, braucht es gerade hier viel Zeit und Ruhe, um sich die Raumwirkung als Raum sowie die Präsentation der Exponate zu erschließen. Die vier Schreine wirken zunächst ein wenig wie unaufgeräumt in den Raum gestellt, gleichsam so, als würden sie dieser Tage noch auf den ihnen angestammten Platz verrückt.
Doch wer länger in dem Raum verweilt, nachdem er hierher gelangt ist und dabei manch „profane Umwege“, so Museumsdirektor Stefan Kraus, gegangen ist, wird aber entdecken können, dass diese herausragenden Reliquienkästen eben nicht wie Raumteiler platziert sind, sondern in ihrer Anordnung dem zentralen Präsentationsraum des Hauses eben seine Zentralität und damit seine Wirkung belassen. Verhüllen und Zeigen bedingen sich hier in einer Weise, die den Tenor der Ausstellung offenkundig werden lässt: Erst die Verhüllung lenkt den Blick auf das Verborgene und macht es damit sichtbar; gleichsam wie ein Vorhang, der sich ein wenig hebt und etwas von der Vorstellung und Überzeugung der unsichtbaren Wirklichkeit Gottes wahr und sichtbar werden lässt. Der Glaube an den unsichtbaren und nicht fassbaren Gott – damit begibt sich die Ausstellung in das Zentrum der christlichen Überzeugung.
Das dialogische Prinzip, „die lustvollen Kontraste sowie inhaltlichen Verwandtschaften und Wechselwirkungen“, so Kraus über eine der wesentlichen Konstitutiva des Hauses, werden bei diesem Thema mit Werken vom achten bis ins 21. Jahrhundert ausgestaltet. Da werden etwa in acht aneinander gereihten und prall gefüllten Vitrinen ein Fernseher, eine Büro-Sprechanlage, Bildbetrachter oder ein Apothekenkasten mit Reliquienbehältern, Reliquienkästchen, Reliquienkreuz oder einem Messkoffer zusammengebracht. Da stehen dem wunderbaren Kreuz aus dem zwölften Jahrhundert und der reichhaltig ausgestalteten Reliquienbüste aus dem 14. Jahrhundert plötzlich eine Eisentruhe, Nähmaschine und ein Grammophonschrank gegenüber. Nicht nur für die vermeintlich trivialen Gebrauchsgegenstände, auch für die religiös motivierten Gebrauchsgegenstände stellt sich die Frage: Was bergen oder verhüllen diese Objekte für eine Wirklichkeit, die der sichtbaren Wirklichkeit offenkundig entzogen ist? Welch besonderer Wert kommt ihrem Inhalt, für den sie Hülle sind, zu? Nicht alles erschließt sich, manches gar wirkt beim ersten Blick und Eindruck gar verstörend – wie beispielsweise die Präsentation einer Videoarbeit von Kurt Benning (Jahrgang 1945), die mit dem mittelalterlichen Kirchenschatz aus der Siegburger Pfarrei St. Servatius in Beziehung gesetzt wird.
Dieser schroffe Kontrast mag aber auch dazu beitragen, diesen Kirchenschatz, der zu den bedeutendsten Goldschmiedearbeiten gehört in besonderer Weise in den Blick zu nehmen. Die Exponate sind entstanden in den Jahrzehnten nach dem Tode des Kölner Erzbischofs Anno, der in seiner Amtszeit (1056 bis 1075) zu den einflussreichsten und mächtigsten Protagonisten des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation gehörte. Der Schrein mit den Gebeinen des 1183 heiliggesprochenen Erzbischofs ist im darüber liegenden Stockwerk den drei anderen Schreinen vorangestellt. Aus gutem Grunde, schließlich verweist der Schrein durch diese Art der Präsentation noch auf zwei andere Daten: das 1700-jährige Bestehen des Erzbistums Köln sowie die Überführung der Gebeine der Heiligen Drei Könige im kommenden Jahr vor 850 Jahren. Und der Annoschrein gilt als Vorläufer für den Dreikönigenschrein, der so etwas wie ein Sicherheitsschrank für die sterblichen Überreste der ersten Zeugen Christi ist.
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