Es gibt ihn seit mehr als zwanzig Jahren. Ob es nun 25 Jahre seit der Gründung sind, weshalb eine Gruppe von CDU-Leuten am 16. Januar 2019 zu einer Jubiläumsveranstaltung nach Berlin einlädt, oder gar 27 Jahre, darüber gehen die Vorstellungen auseinander. Es ist wie so häufig im (politischen) Leben: Eine Idee hat, wenn sie sich erfolgreich etabliert, stets viele Väter und Mütter. Manche sind dann plötzlich dabei, die einst gar nichts von der Idee hielten, während andere, die sich von Anfang an engagierten, von manchen „Spätberufenen“ ins Vergessen geschoben werden sollen. Das ist menschlich. Wenn auch nicht fair oder gar faktenecht.
Von diesem – man möchte sagen – Spiel scheint auch der „Kardinal-Höffner-Kreis“ (KHK) beim Parlament in Berlin nicht verschont zu sein. Erinnerungen scheinen bisweilen geschichtliche Fakten zu vernebeln. Dabei ist die Geschichte des KHK eine nachvollziehbare. Und weil das dahinter steckende „Problem“ der Union, also die zu Beginn der 90er Jahre noch in der Bundeshauptstadt Bonn erkannten Fragen, bis heute nicht für alle beantwortet werden konnten, lohnt sich ein Blick in die Unterlagen. Und siehe da: Aus diesem forschenden Blick wird eine höchst aktuelle Erkenntnis. Der KHK ist mehr als Geschichte.
Bereits nach der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 trafen sich am Rande des Bundestages in Bonn Abgeordnete und Mitarbeiter, die als Katholiken befürchteten, dass nunmehr eine noch einigermaßen vorhandene Akzeptanz christlicher Vorstellungen von Politik immer mehr schwinden könne. Man traf sich in den folgenden Monaten zu einer Gesprächsrunde, die bald schon personell erweitert wurde. Neben dem CSU-MdB Norbert Geis stieß unter anderem der rheinland-pfälzische CDU-Politiker Christoph Böhr dazu, Staatssekretär Bernhard Worms aus Nordrhein-Westfalen war dabei, aber auch Klaus-Dieter Uelhoff und andere. Ebenfalls zu nennen ist der damalige Militärgeneralvikar Ernst Niermann.
Auf dem Weg zur Gründung des KHK, dessen Namen der damalige Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner in Erinnerung an seinen für die christlichen Impulse der jungen Bundesrepublik Deutschland engagierten Vorgänger, Joseph Kardinal Höffner, vorgeschlagen hatte, kamen auch Vertreter des „Bundes Katholischer Unternehmer“ (BKU) dazu. Schließlich war Höffner als Hochschullehrer auch ehedem Geistlicher Berater des BKU gewesen, der dessen Impulse einer Politik aus christlicher Verantwortung schon früh in den politischen Entscheidungsalltag getragen hatte. Der Kölner Unternehmer Philipp Laufenberg, ein einflussreiches BKU-Mitglied, wurde hier – in der Vorbereitung des KHK – eine der treibenden Kräfte. Später nahm auch, von seinem Erzbischof entsandt, der Kölner Weihbischof Klaus Dick an den Runden teil. Ebenfalls bald dabei waren auch Journalisten und Publizisten wie Martin Lohmann, weil man ein breites Miteinander zur Stärkung einer für notwendig erachteten Plattform für berechtigte katholische Anliegen etablieren wollte. Einen closed shop nur für Abgeordnete lehnten die Gründer des Kreises damals ab, weil sie sich einem weiten Blick von Politik, Kirche, Gesellschaft und Medien verpflichtet wussten.
Genannt werden müssen aus der Anfangszeit auch die Staatsekretäre Manfred Carstens MdB und Bernhard Worms und Staatssekretär a.D. Klaus Dieter Uelhoff MdB. Eine Gruppe von 12 Personen gründete dann im Herbst 1992 im Bundesarbeitsministerium von Norbert Blüm den „Kardinal-Höffner- Kreis“ (KHK). Die Idee zu diesem Namen stammte von Höffners Nachfolger auf der Kölner Cathedra, Joachim Kardinal Meisner. Vor allem Höffners gesellschaftspolitisches Ideenengagement als Hochschullehrer, Berater des BKU und Kölner Kardinal legte diesen Gedanken sehr nahe. Bald mit dabei war auch Georg Brunnhuber, MdB, der von 1994 an Vorsitzender des Kreises war, gefolgt von Hermann Kues MdB, Staatssekretär und Karl Schiewerling MdB, dessen Nachfolger heute Staatssekretär Christian Hirte MdB ist. Auch bei Veranstaltungen in Berlin waren immer sehr viele Vertreter des BKU und Journalisten mit dabei. Und für die Zeit nach Bonn muss für Berlin im Blick auf den KHK vor allem der Unternehmer Wolfgang Gruhn genannt werden.
In der damals ebenfalls in Bonn beheimateten Wochenzeitung „Rheinischer Merkur“ (RM) waren aus der Feder des „Christ-und-Welt“-Redakteurs Martin Lohmann zu Beginn der 90er Jahre mehrere Beiträge erschienen, die sich mit dem „C“ im Namen der Unionsparteien und der Profilsuche der C-Parteien befassten. Vor allem die Abtreibungsdebatte hatte den Kölner Erzbischof Meisner veranlasst, der Union nahezulegen, auf das „C“ zu verzichten oder ihre Haltung in dieser Frage zu ändern. Und ein protestantischer Generalsekretär der CDU hatte damals die Vision geäußert, dass Deutschland mit der Herstellung der Deutschen Einheit „protestantischer und östlicher“ werde. Im RM hieß es 1992: „Eine Vision, die denen gefallen musste, die von der noch kurz zuvor verkündeten Statistiknachricht geschockt waren, dass es ausgerechnet im westdeutschen Lutherland mehr Katholiken als Protestanten gebe. Ein römischer Vorsprung, der durch die Einheit schnell zur Makulatur wurde.“
Bereits damals gab es bemerkenswerte Reaktionen auf die Forderung, der ökumenischen Gleichberechtigung innerhalb der Union durch Gründung eines katholischen Arbeitskreises Rechnung zu tragen. In einem idea-Interview „bekundete Angela Merkel, sie halte die ,Gründung einer katholischen Bewegung nicht für sinnvoll und auch nicht für notwendig, dass das C in unserem Parteinamen – nach dem Selbstverständnis aller – Programm ist und bleibt’. Und warum gibt es dann noch einen eigenen Evangelischen Arbeitskreis, muss die logische Frage lauten?“ (RM 1992) Zuvor hatte Merkel, die damals für einige Monate Vorsitzende des „Evangelischen Arbeitskreises“ (EAK) war, Martin Lohmann zu einem Gespräch gebeten, um ihm ihre entschieden ablehnende Haltung gegenüber einer anerkannten Austausch-Möglichkeit für katholische Christen in der Union kundzutun. Ihr „Nein“ konnte auch nicht beeinflusst werden durch Hinweise, dass es aus exakt denselben Gründen in der jungen Bundesrepublik Deutschland unter dem Katholiken Konrad Adenauer und mit dessen Zustimmung aus ökumenischem Geist zur Gründung des in der Partei auf allen Ebenen etablierten EAK gekommen war, der unter anderem auch offiziell im Vorstand vertreten ist, eigene Büros im Adenauerhaus unterhielt und einen durch Beiträge aller CDU-Mitglieder bestallten Geschäftsführer sowie eine eigene Zeitschrift hatte und weiterhin hat. 27 Jahre später scheint die Frage, warum es denn nach wie vor einen EAK geben muss, nichts an Aktualität und Berechtigung verloren zu haben – wo doch das „C“ im Parteinamen für alle Parteimitglieder eine Selbstverständlichkeit sein soll.
Ebenfalls aktuell scheint zu sein, was der damalige CDU-Mann Christoph Böhr gegenüber dem „Rheinischen Merkur“ anmerkte: „Das Überleben der Union als Volkspartei im bisherigen Sinne kann nur gelingen, wenn in der Union selbst erkennbar wird, dass man dies will. Es muss in ihrer Politik deutlich werden, was unverzichtbar und offensiv vertretenes Fundament bleiben soll.“ Martin Lohmann, der später das Buch „Das Kreuz mit dem C – Wie christlich ist die Union?“ veröffentlichte, stellte damals im RM fest: „Wenn es der Partei Adenauers nicht gelingt, ein von christlichem Geist geprägtes Programmangebot zu unterbreiten, und wenn sie sich noch lange ziert, profilverstärkende Gruppierungen zuzulassen, wenn sie also noch lange in dem Irrglauben lebt, wer allen alles recht mache, habe das facettenreichste Profil, dann könnte es in nicht allzu ferner Zukunft zu spät sein für eine wirkliche Reformierung. So seltsam es klingt: Damit es zu einer echten Reformation innerhalb der CDU kommt, braucht die Union eine Plattform, auf der sich Katholiken engagieren. Und zwar jetzt.“
So gründeten also Unions-Politiker, Unternehmer, Kirchenleute und Publizisten Ende 1992 den „Kardinal-Höffner-Kreis“ (KHK), man möchte sagen: wenigstens. Eine erste Veranstaltung in Bonn fand mit dem damaligen Prager Erzbischof Miloslav Kardinal Vlk statt. Auch nach dem Umzug von Bonn nach Berlin zeichnete den KHK jene von Anfang an in seine DNA gewobene Weite des Miteinanders aus, denn Kirchenvertreter und Publizisten waren ebenso selbstverständlich dabei wie Mitglieder aus dem BKU. Daran erinnern sich nicht nur Gründer wie Norbert Geis, Philipp Laufenberg und Martin Lohmann.
Später gab es dann aber auch Kräfte, die sich eher „unter sich“ auszutauschen und das ursprüngliche Miteinander zu meiden suchten. Dabei war der KHK ganz bewusst als eine Plattform gegründet worden, um über den Tellerrand des Parlaments zu schauen und katholisches Gedankengut insgesamt in die Überlegungen einzubringen und wirksam werden zu lassen. Das aber setzt mehr als die Bildung einer eher geschlossenen Gruppierung voraus.
Der KHK war – wie auch später andere Gründungen – niemals gegen einen EAK gerichtet, sondern verstand sich stets als eine Ergänzung. Der ökumenische Gedanke stand von Anfang an Pate. Auch nach dem Umzug nach Berlin war übrigens der BKU engagiert vertreten. Zum Beispiel durch dem Unternehmer Wolfgang Gruhn, der eine gute Beziehung zu den Kardinälen Meisner und Sterzinsky pflegte.
Im Rheinland wurde – ebenfalls nicht als Konkurrenz, sondern als eigene Einrichtung – 2002 die wissenschaftliche Joseph-Höffner-Gesellschaft gegründet. Sie versteht sich als Verein zur Bekanntmachung der Christlichen Soziallehre der Kirche im Sinne des wissenschaftlichen, sozialen und pastoralen Lebenswerkes von Kardinal Höffner. Auch hier wirkten – neben dem Sozialethiker Lothar Roos und anderen – Gründungsmitglieder des KHK, zum Beispiel Laufenberg und Lohmann, als Mitbegründer mit.
So ist es bedauerlich, dass die spätere Gründung (2009) eines „Arbeitskreises Engagierter Katholiken“ (AEK), bei der wiederum Norbert Geis und Martin Lohmann mitwirkten, von manchen ebenfalls nicht geduldet und fälschlicherweise als Bedrohung oder Störung empfunden wurde. Der Volkspartei CDU hätte dieser Profilgewinn, das muss man heute leider feststellen, nicht geschadet. Die Demokratie braucht gerade heute eine starke christlich geprägte geistig-politische Kraft, die aus der Mitte der Gesellschaft hervorgehen und im ökumenischen Miteinander von Protestanten und Katholiken gerade in einer Partei mit dem Anspruch des „C“ erkennbar und sichtbar sein sollte.