„Auf dem Haus“ – Mythos und Wahrheit aus dem Innenleben von Studentenverbindungen

Carsten Kreklau: Es leben die Studenten auf dem Haus, WHB-Verlag Mönchengladbach

Carsten Kreklau, Es leben die Studenten auf dem Haus, WHB-Verlag Mönchengladbach, 316 Seiten, gebunden in Fadenheftung mit Kapitalband und Lesebändchen, ISBN 978-3-943953-09-1, 19,90 Euro.

Ein neues Buch beschreibt, wie es auf einem Verbindungshaus zugeht. Bereits die Präposition „auf“ gehört dabei zu einem speziellen Wortschatz, der natürlich Attitüde ist. Aus derlei kleinen Zutaten der Distinktion speist sich, was die Verbindungen dann ausmacht. Bedauerliche Schlagzeilen über Körperverletzungen und unappetitliche politische Ausfälle sind ebenfalls wahr – aber die krasse Ausnahme. Was also ist dran an „den“ Verbindungen? Ihr Geheimnis besteht gerade darin, dass ihre kleinen, völlig harm- und belanglosen Eigenheiten nicht öffentlich werden. Deswegen ist es ein gelungener Kunstgriff, die Realität in ein fiktives Gewand zu kleiden, ganz so, wie es hier geschieht.

In allen größeren Universitätsstädten gibt es Verbindungshäuser. In Städten wie Tübingen und Marburg prägen sie das Stadtbild, im weitgehend kriegszerstörten Jena war es einst auch so, in Göttingen gibt es aber immer noch rund 40 davon, in München sind es sogar über 70. Was aber passiert dort? Nur ein verschwindend kleiner Teil der Verbindungen agitiert ja politisch, und selbstverständlich wissen auch die strikten Gegner der Verbindungen, dass die Zahl möglicher Extremisten „auf“ diesen Häusern eher kleiner ist als in der Gesamtbevölkerung. Aber diese Hierarchien, diese Rituale, die Gesänge, die offenkundige Nachtschwärmerei – ist das nicht alles doch sehr verdächtig?

Carsten Kreklau, als Manager im „wahren Leben“ höchst erfolgreich, hat nun 121 Episoden aus dem Alltag der fiktiven Studentenverbindung „Libertitia“ zusammengetragen. Die Leser erleben hier eine in Sachen Politik völlig abstinenten Verbindungen, so, wie sie zahlenmäßig bei weitem überwiegen. Mit den Worten „Nur wenige hundert Meter vom Hauptgebäude der Hochschule entfernt weht vor einem repräsentativen Verbindungshaus eine Fahne mit einem altehrwürdigen Wappen unter dem ‚Libertitia sei’s Panier!’ zu lesen ist“, führt er uns in die ausgedachte, aber eben aus ganz realen Versatzstücken zusammengesetzte Welt der „Libertitia“ ein. Bereits nach kurzer Lektüre wird uns klar, dass die Geschichten mit ihren verschiedenen Charakteren sehr eng an die Wirklichkeit angelehnt sein müssen.

Wir werden bekannt mit „Alten Herren“, die sich beständig um das Fortleben der Verbindung sorgen und die Aktiven mit eher etwas zu viel an Rat und Tat beglücken. Mit dem Damenkränzchen, dessen Mitgliedschaft aus den Ehefrauen der Erstgenannten besteht – und die natürlich immer furchtbar wichtige und höchst interessante Ideen für die Gestaltung des Verbindungslebens vortragen. Egal, wie unpassend – übergangen werden dürfen sie nicht. Natürlich lernen wir auch die Aktiven kennen, die jedes Semester wieder aus ihrer Mitte die Chargierten wählen, mit dem Senior als Primus inter pares. Und die eifrig bestrebt sind, die traditionellen Verbindungsregeln exakt so zu zelebrieren, dass möglichst großer Klamauk entsteht.

Und hat Carsten Kreklau genug Überblick für so ein Buch? Oh ja, durchaus! Immerhin war er für den Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI) geschäftsführend tätig. Zu Studienzeiten war er bei einer Turnerschaft in Berlin und bei der Merovingia Darmstadt aktiv, beide sind im Coburger Convent (CC) organisiert. Er übernahm während und nach Beendigung des Studiums diverse Aufgaben für den seinen Dachverband. Unter anderem war er Mitglied des CC-Rates, CC-Amtsleiter und AHCC-Beauftragter. Nicht zuletzt leitete er in den Jahren 1977/78 den CC als Sprecher des Gesamtverbandes.

Mit Liebe zum Detail und ohne Wertung bringt Kreklau seine kurzweiligen Geschichten zu Papier. Teils stimmen sie den Leser nachdenklich, teils entlocken sie ihm auch ein amüsiertes Schmunzeln. Der Einblick, den der Autor gewährt, kann ein „Insider“ – auch der Autor dieser Rezension gehört zwei unpolitischen Studentenverbindungen an – als durchaus gelungen anpreisen. Dies ist ein realistischer Blick in das Leben von Studentenverbindungen, ob sie nun konservativ oder progressiv, freidenkerisch oder christlich, nicht- oder pflichtschlagend sind. Kreklau gelingt der Zweiklang aus Information und Unterhaltung sehr elegant und witzig, dabei zugleich leichtfüßig und tiefgründig. Das Buch ist nicht nur geschrieben für Korporierte sondern wendet sich an jeden, der einmal unverbindlich in die verbindungsstudentische Welt hineinschnuppern will. Und wir können ein Menge faktenbasierte Lesefreude bei feiner Ironie versprechen, gewürzt mit einem Schuss Satire.

Wie übrigens eine gute Reaktion auf die Weltlage aussieht, ohne politisch zu agitieren, weiß Kreklau offenkundig auch. Er spendet seine Honorare aus dieser Veröffentlichung für die Ukraine-Hilfe – für die gemeinnützige Hugo-Auvera-Stiftung, die der Zivilbevölkerung hilft.

Carsten Kreklau, Es leben die Studenten auf dem Haus, WHB-Verlag Mönchengladbach, 316 Seiten, gebunden in Fadenheftung mit Kapitalband und Lesebändchen, ISBN 978-3-943953-09-1, 19,90 Euro.

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Über Sebastian Sigler 104 Artikel
Der Journalist Dr. Sebastian Sigler studierte Geschichte, Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte in Bielefeld, München und Köln. Seit seiner Zeit als Student arbeitet er journalistisch; einige wichtige Stationen sind das ZDF, „Report aus München“ (ARD) sowie Sat.1, ARD aktuell und „Die Welt“. Für „Cicero“, „Focus“ und „Focus Money“ war er als Autor tätig. Er hat mehrere Bücher zu historischen Themen vorgelegt, zuletzt eine Reihe von Studien zum Widerstand im Dritten Reich.