Antisemitismus-Keule gegen Viktor Orbán

Judengasse in Salzburg, Foto: Stefan Groß

Am 8. April wählen die Ungarn ein neues Parlament. Die regierenden Jungdemokraten (Fidesz) des Ministerpräsidenten Viktor Orbán sowie deren Bündnispartner, die Christlich Demokratische Volkspartei (KDNP), erfreuen sich nach einer unerwarteten Niederlage bei der Bürgermeisterwahl in Hódmezövásárhely nach Auskunft aller demoskopischen Befunde jetzt wieder starken Zuspruchs. In der Kleinstadt wähnte sich die Opposition nach dem Sieg des von Sozialisten (MSzP) sowie der von ihnen abgespaltenen DK („Demokratischen Koalition“ des als „Lügen-Premier“ nicht allzu beliebten vormaligen Regierungschefs Ferenc Gyurcsány), der links-grünen LMP („Politik kann anders sein“) und der ehedem rechtsextremen, seit 2015 sich betont „bürgerlich“ gebärdenden „Bewegung für ein besseres Ungarn“ (Jobbik) unterstützten Bürgermeisterkandidaten im Aufwind. Die Nachwahl hatte gezeigt, wie die Regierungsparteien im gesamten Staate Ungarn durchaus geschlagen werden könnten: wenn sich nämlich die Kräfte der Opposition in den Direktwahlkreisen auf einen einzigen Kandidaten verständigten, der für Wähler, die Fidesz bzw. KDNP überdrüssig sind, eine akzeptable Alternative wäre.

Wie halten wir’s mit Jobbik?

Doch solch oppositionelles Zusammenwirken bleibt angesichts des Umstands Illusion, dass sie nicht in der Lage sind, sich zu einer geschlossenen „Anti-Orbán-Formation“ zusammenzuschließen. Die postkommunistische MSzP war nach ihrem Kurzzeit-Spitzenkandidaten László Botka, dem Bürgermeisters von Szeged, nicht einmal in der Lage, einen passablen Ersatz zu präsentieren und musste sich von der LMP-Abspaltung Párbeszéd („Dialog“) deren Führungsmann Gergely Karácsony ausleihen. Auf einer gemeinsamen Veranstaltung des Meinungsforschungsinstituts „Republikon“ mit der der deutschen FDP nahestehenden „Friedrich-Naumann-Stiftung“ zeigte sich soeben in Budapest die größte Uneinigkeit zwischen MSZP, DK, LMP und Párbeszéd darin, inwieweit die (an der Zusammenkunft nicht beteiligte) Jobbik in die Kooperation einzubeziehen sei. Die LMP sieht zwar ideologische Welten zwischen sich und Jobbik, hält aber dafür, dass eine die seit 2010 im Amt befindliche Orbán-Regierung ablösende Mehrheit im Parlament ohne Jobbik gänzlich unrealistisch sei. Während sich Karácsony sogar „mit dem Teufel verbünden“ würde, „um Fidesz zu schlagen“, will Gyurcsáns DK „kein Ungarn, in dem Jobbik-Chef Gábor Vona Regierungschef wäre“.

Bei so viel oppositioneller Kooperations(un)lust wäre alles andere als ein klarer Wahlsieg Orbáns am 8. April eine große Überraschung. Ob Fidesz und KDNP allerdings abermals in die Nähe der Zweidrittelmehrheit der Parlamentssitze kommen, dürfte eher auszuschließen sein. Doch auch mit einer zu erwartenden komfortablen absoluten Mehrheit der Sitze lässt sich anständig regieren. Alle gewichtigen Materien, für welche, wie ehedem für die neue Verfassung, die Zweidrittelmehrheit unabdingbar waren, sind im Sinne des 2010 von Orbán propagierten „Umbaus Ungarns an Haupt und Gliedern“ ohnehin längst politisch umgesetzt.

Anfechtungen von innen und außen

Von innen wie von außen ist Orbáns Politik stets massiv kritisiert worden. Man zeiht ihn, seit er sich im Juli 2014   im siebenbürgischen Tusnádfürdő (rumänisch: Băile Tușnad; deutsch: Bad Tuschnad oder Kaiserbad) zur „illiberalen Demokratie“ bekannte, der „Zerschlagung des liberalen Rechtsstaats im Namen einer Mehrheitsdemokratie“. Solche Verdikte entlarven sich selbst umso mehr, als doch wohl in jeder parlamentarischen Demokratie eine Partei, die die Mehrheit an Stimmen und/oder Sitzen erringt, die Politik bestimmt. Wäre dem nicht so, gälten parlamentarische Mehrheiten in den Vereinigten Staaten, in Großbritannien, in Frankreich und Deutschland als undemokratisch.

Als Belege für derartige Anwürfe werden meist die neue ungarische Verfassung und das Mediengesetz aus der ersten Wahlperiode nach dem bravourösen Wahlsieg von Orbáns Fidesz anno 2010 genannt. Dem steht indes die fundierte Feststellung des renommierten deutschen Verfassungsrechtlers Rupert Scholz entgegen, wonach die ungarische Verfassung alle zeitgemäßen verfassungsrechtlichen Standards aufweist. Dass zudem deutsche Rechtswissenschaftler enormen Anteil an deren Ausarbeitung hatten, ist im übrigen kaum bekannt. Und der sogenannte Dohnanyi-Bericht der „Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik“ (DGAP) führte die meist im Kleide des „Qualitätsjournalismus“ daherkommenden invektiven Kommentare über das ungarische Mediengesetz und viele weitere politische Materien in Orbáns Ungarn ad absurdum. (https://dgap.org/de/article/getFullPDF/26830)

Die Umtriebe des George Soros

Als weiteren Beweis für die als „antidemokratisch-autoritär“ gebrandmarkte Haltung der Orbán-Regierung wird von der politisch-medialen in- und ausländischen Kritik die Schließung der Zeitung „Népszabadság“ genannt, welche vor dem Systemwechsel Parteiorgan der ungarischen Kommunisten war und an der die Nachfolgepartei MSZP trotz Mehrheitsbesitzes des Schweizer Verlagshauses Ringier beteiligt war. Ringier hatte das defizitäre Blatt schon 2014 an die Mediaworks Hungary AG veräußert, von der es die Vienna Capital Partners (VCP) des Österreichers Heinrich Pecina übernahm. Dieser stellte die Zeitung 2016 aus Mangel an Liquidität ein.

Schließlich werden immer wieder angebliche „Schikanen“ gegen Stiftungen, Einrichtungen und die Finanzierung von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) des ungarisch-amerikanischen Milliardärs George Soros als Belege für die „antiliberale Einstellung“ bzw. „illiberale Demokratie“ Orbáns und seiner Regierung(spartei) ins Feld geführt. Soweit es die von Soros finanzierte Central European University (CEU) in Budapest angeht, ist weithin verschwiegen worden, dass es sich dabei in erster Linie um ein Akkreditierungsproblem handelte, welches – im Gegensatz zu mehr als 20 ausländischen Hochschuleinrichtungen in Ungarn, die alle ihren gesetzlichen Verpflichtungen nachkamen – nur die CEU betraf: Ein schlichtes Büro in New York ist nun einmal keine Akkreditierungsinstanz. Mittlerweile sind alle Formalien erfüllt, und die CEU wird weiterhin in Budapest tätig sein und bleiben; doch das ist weder dem Boulevard noch den sogenannten „Qualitätsmedien“, die sich einander in Stimmungsmache gegen Orbán überschlugen, des hinreichend klärenden Berichtens wert (gewesen). Im Gegenteil: Dass die CEU jetzt auch in Wien universitäre Einrichtungen etablieren will, gerät in der medialen Darstellung durch Verschweigen von Tatsachen faktisch zur „Flucht aus Ungarn“.

Die Antisemitismus-Keule

Im Zusammenhang mit Soros – aber nicht nur damit – schwingt insbesondere die deutsche und österreichische Publizistik die Antisemitismus-Keule gegen Orbán(s Ungarn). Mit der Wirklichkeit hat dies wenig bis nichts zu tun. Tatsache ist, dass es keine ungarische Regierung vor respektive nach dem Systemwechsel von 1989/90 gab, die so beherzt gegen antisemitische Erscheinungen im Lande einschritt wie dies seit 2010 für jeden unvoreingenommenen Beobachter zu erkennen gewesen ist. Das haben sowohl die Repräsentanten der jüdischen Organisationen Ungarns, als auch Vertreter des jüdischen Weltverbands und Repräsentanten Israels – so unlängst Premier Netanjahu – anerkennend hervorgehoben. Anerkennung ist der Regierung Orbán – und insbesondere dem zuständigen Minister Zoltán Balog – auch hinsichtlich getroffener Maßnahmen für die nationalen und ethnischen Minderheiten des Landes zu zollen, insbesondere für die ideelle und materielle Unterstützung des Ziels der gesellschaftlichen Emanzipation von ungefähr 600.000 Zigeunern. Dergleichen gilt für die „Nationalpolitik“ im Blick auf die mehr als zwei Millionen Angehörigen magyarischer Volksgruppen in den Nachbarländern.

Erfolgreiche Wirtschafts- ….

Das wohl größte Pfund, mit dem die Regierung Orbán wuchern kann, stellt – neben dem besonders in der Wählerschaft ankommenden Dauerthema „Kampf gegen die EU-Flüchtlingspolitik“ – ihre nachhaltigen wirtschafts- und sozialpolitischen Erfolge dar. Nirgendwo zeigt sich das deutlicher als im unlängst veröffentlichten „Good Governance Index 2017 für Mitteleuropa“. Daraus geht unzweifelhaft hervor, dass Ungarn zu den politisch und ökonomisch stabilsten der zehn untersuchten Länder (Deutschland, Österreich, Polen, Tschechien, Slowakei, Slowenien, Kroatien, Rumänien, Bulgarien, Ungarn) gehört. Hinsichtlich Wirtschaftswachstum und -stabilität nehmen Deutschland und Österreich vor Ungarn die Spitzenplätze ein. Indes hält Ungarn in puncto Lebensqualität – untersucht wurden Arbeitslosigkeit, Kriminalität, Familienpolitik und Rentensystem – nach Tschechien, Deutschland und Österreich Rang vier. Auch auf allen anderen Untersuchungsgebieten zeigte sich, dass die Spitzengruppe unter den zehn mitteleuropäischen Staaten aus Deutschland, Österreich Ungarn und Tschechien besteht.

…. und Nationalpolitik

Es ist daher zu erwarten, dass sich die überwiegende Mehrheit der wahlberechtigten Ungarn an der Wahlurne eher von politischer, ökonomischer und sozialer Stabilität die Hand führen lassen anstatt vom polit-publizistischen Geschrei über angebliche, jedenfalls juristisch unbewiesene Korruptionsfälle, in welche Orbán, Personen aus seinem engeren Umfeld sowie Fidesz- und/oder KDNP-Granden verwickelt sein sollen. Das individuelle Dasein, die persönliche Befindlichkeit und Erfahrung dürften weitgehend von den Lohn- und Einkommenszuwächsen sowie den aufgrund von gezielten Regierungsmaßnahmen (aktive Familienpolitik; verminderte Lebenshaltungskosten) bestimmt sein – was das Untersuchungskriterium „Lebensqualität“ widerspiegelt. Wird zudem der von den Regierungsparteien beschworene und seit dem Konflikt wegen der alles dominierenden Migrationsfrage propagierte „nationale Zusammenhalt“ wider äußerliche Bedrohungen in Rechnung gestellt, können Fidesz und KDNP am 8. April gegen die ohnedies uneinige Opposition problemlos bestehen. Und Orbán, an dem das meiste hängt und mit dessen Namen letztlich alles verbunden ist, kann vier weiterer Jahre mehr oder weniger unangefochtenen Regierens sicher sein.

 

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Über Reinhardt Olt 33 Artikel
Prof. Dr. Dr. h.c. Reinhard Olt war seit 1. November 1985 politischer Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und seit 1. September 1994 bis zu seinem Ausscheiden am 31. August 2012 mit Sitz in Wien deren politischer Korrespondent für Österreich, Ungarn, Slowenien, zeitweise auch für die Slowakei. In der FAZ hat er die meiste Zeit seines beruflichen Wirkens zugebracht; daneben nahm er Lehraufträge an deutschen und österreichischen Hochschulen sowie in Budapest wahr. Seit 1990 ist er Träger des Tiroler Adler-Ordens, seit 2013 des Großen Adler-Ordens. 1993 erhielt er den Medienpreis des Bundes der Vertriebenen. 2003 zeichnete ihn der österreichische Bundeskanzler mit dem Leopold-Kunschak-Preis aus, und der Bundespräsident verlieh ihm im gleichen Jahr den Titel Professor. 2004 wurde er als erster von diesem mit dem "Otto-von-Habsburg-Journalistenpreis für Minderheitenschutz und kulturelle Vielfalt geehrt"; ebenfalls 2004 wurde ihm das Goldene Ehrenzeichen der Steiermark verliehen. 2012 ernannte ihn die Eötvös-Loránt-Universität in Budapest zum Ehrendoktor (Dr. h.c.) sowie Professor, und 2013 verlieh ihm der österreichische Bundespräsident das Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst. Geboren wurde Olt 1952 als Sohn eines Bauern im Odenwald. Sein Abitur bestand er 1971 in Michelstadt. Nach Ableistung des Wehrdienstes studierte er Germanistik, Volkskunde, osteuropäische Geschichte und Politikwissenschaft in Mainz, Freiburg und Gießen bis zur Promotion 1980. Es folgte an der Universität Gießen eine Assistententätigkeit. Dann begann 1985 seine Zeit in der FAZ.