„Antifaschistischer Schutzwall“: Der Bau der Mauer und die Ereignisse danach in der DDR

Die Ministerpräsidenten der westdeutschen Länder vereinbarten im Sommer 1948 die Einberufung eines Parlamentarischen Rates, der den Entwurf eines Grundgesetzes ausarbeiten sollte. Nachdem alle Landtage mit Ausnahme des bayrischen zugestimmt hatten, konnte das Grundgesetz am 23.05.1949 in Bonn verkündet werden. Am 14.08.1949 setzte die wahlberechtigte Bevölkerung in den westlichen Besatzungszonen das im Grundgesetz vorgesehene zentrale Organ ein: den ersten Deutschen Bundestag, der am 15.09.1949 Konrad Adenauer zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland wählte.[1] Am 07.10.1949 trat der „Deutsche Volksrat“ unter der Leitung von Wilhelm Pieck im Osten Berlins zusammen und konstituierte sich als „Provisorische Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik“, dessen Präsident der LDPD-Politiker Dieckmann wurde. Drei Tage später wählten die fünf Landtage der SBZ die 34 Mitglieder der „Provisorischen Länderkammer“, wohin Ostberlin sieben Beobachter schickte.[2] Am 11.10. traten Volkskammer und Länderkammer zu einer gemeinsamen Sitzung zusammen und wählten Wilhelm Pieck (SED) zum Präsidenten der DDR. Kurz danach tauschte die Sowjetunion offiziell Vertreter mit der Regierung der DDR aus. Die SMAD wurde durch eine sowjetische Kontrollkommission ersetzt, die die Erfüllung der Beschlüsse des Potsdamer Abkommens überwachen sollte.

Die Bildung zweier Regierungen in Bonn und Ostberlin, die sich beide als gesamtdeutsche Vertreter inszenierten,im Jahre 1949 war der Ausdruck einer sich verfestigenden Spaltung Deutschlands[3], die die folgenden Jahrzehnte bestimmen sollte und erst 1989 mit dem Fall der Mauer endete.

Am 11.01.1959 legte die Sowjetregierung 28 Staaten den Entwurf eines Friedensvertrages mit Deutschland, der 48 Artikel enthielt, vor. Die Berlin-Note vom 27.11.1958 wie der Friedensvertragsentwurf war als Versuch der sowjetischen Politik zu werten, die offizielle Anerkennung der DDR auf internationaler Ebene zu erreichen.
Die Genfer Außenministerkonferenz, die vom 11.05-05.08.1959, mit einer Unterbrechung vom 21.06-12.07. tagte, sah als Teilnehmer neben den vier Konferenzmächten USA, Großbritannien, Frankreich und die Sowjetunion die Bundesrepublik und die DDR. Der Versuch Moskaus, mit der gleichberechtigten Platzierung der Regierungsvertreter beider deutschen Staaten am Konferenztisch die völkerrechtliche de-facto-Anerkennung der DDR durchzusetzen, scheiterte am Widerstand der Westmächte.
Die Entscheidung über die Errichtung der Mauer fiel auf einer Zusammenkunft der Warschauer-Pakt-Staaten Anfang August. Sie unterstützen die DDR-Regierung bei der Durchführung dieses Schrittes.
Die Flüchtlingszahlen nach Westberlin, was für die DDR sowohl eine ideologischen Krise als auch den Verzicht hochbegabter Menschen für den Wiederaufbau bedeutete, nahmen in der ersten 7 ½ Monaten des Jahres 1961 drastisch zu. Die ständige Abwanderung unersetzbarer Arbeits- und Fachkräfte schufen ein ernstes Dilemma in der Wirtschafts- und Versorgungslage der DDR. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung über die schlechte Lebensmittelversorgung wuchs. Seit Herbst mehrten sich die Versuche, aus den Produktionsgenossenschaften auszutreten. Das von der Bundesrepublik gekündigte Interzonenhandelsabkommen, das die DDR-Unterhändler wegen der Abhängigkeit des Westberliner Verkehrs vom Interzonenhandel an sich in einer starken Position sah, führte zu einer weiteren Schwächung und Desorganisation der Wirtschaft.
Ulbricht war bemüht, diesem Problem durch die Schließung der Sektorengrenze entgegenzuwirken. Die Entscheidung über die Errichtung einer Mauer, die den Ostsektor Berlins vom Westsektor trennen sollte, fiel bei einem Treffen der Warschauer-Pakt-Staaten Anfang August. Die teilnehmenden kommunistischen Staaten unterstützten die DDR-Regierung bei der Durchführung dieses Schrittes. Am 04.08.1961 wurden die Grenzgänger per Verordnung angewiesen, sich registrieren zu lassen; die Volkspolizei kontrollierte die in den Westteil führenden Straßen und Verkehrmittel auf „Republikflüchtlinge“. In den frühen Morgenstunden des 13.08.1961 begann die Abriegelung der Sektorengrenzen innerhalb der Stadt und der Zonengrenze nach Westberlin durch Volksarmee und Volkspolizei.
Der Stachendrahtabsperrung und anderen Hindernissen folgte der Bau der zwei Meter hohen Mauer, die Berlin teilte. Fenster und Türen von unmittelbar an den Sektorengrenzen gelegenen Häusern wurden zugemauert, deren Bewohner zwangsweise ausgewiesen. Die Grenzposten erhielten Schießbefehl. Der S- und U-Bahnverkehr war vorübergehend unterbrochen. Die bis dahin ca. 80 Übergänge in Berlin wurden bis auf wenige geschlossen.
In den Wochen und Monaten nach Errichtung der Mauer kam es zu Repressionen im Ostteil Berlins, die jede mögliche Opposition verhindern sollten. Bis Ende September 1961 wurden 393 Personen zu insgesamt 1016 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, vier von ihnen sogar zu lebenslangen Haftstrafen. Die DDR-Regierung versuchte den Bau der Mauer als „antifaschistischen Schutzwall“ zu rechtfertigen.
Die Spannung zwischen politischer Herrschaft und Teilen der Bevölkerung war groß und wuchs weiter an. Repressionen waren die einzige Antwort von Partei und Regierung. Die Verurteilungen wegen „versuchter Republikflucht“ stiegen an. Die in Westberlin arbeitenden ca. 50.000 Grenzgängern wurden unter Druck gesetzt, um sie zur Arbeit in der DDR zu veranlassen.
Die Errichtung der Mauer selbst und die Monate danach waren von Repressionen begleitet, die jede mögliche Opposition verhindern sollte. In den ersten sechs Wochen nach dem 13. August wurden 392 Personen zu insgesamt 1016 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, 4 von ihnen wurden zu lebenslangen Gefängnisstrafen verurteilt. Die Bevölkerung wurde zu Zustimmungserklärungen und Ergebenheitsadressen im Rahmen von Betriebs- und Einwohnerversammlungen gezwungen.
Wie die übrige innerdeutsche Grenze wurde auch die Berliner Mauer über weite Strecken mit umfangreichen Systemen von Stacheldrahthindernissen, Gräben, Panzerhindernissen, Kontrollwegen und Postentürmen versehen. Allein etwa 1000 Diensthunde waren in Hundelaufanlagen bis Anfang der 1980er Jahre eingesetzt. Dieses System wurde über Jahrzehnte ständig ausgebaut. Dazu gehörte, dass nahe an der Mauer stehende Häuser, deren Bewohner zwangsweise umgesiedelt worden waren, gesprengt wurden.
Am 24. August 1961 erließ der Ministerrat die „Verordnung über Aufenthaltsbeschränkung“. Die Gerichte konnten von nun an politische missliebige Personen ausweisen, an einen bestimmten Ort verbannen oder gar zur Zwangsarbeit verurteilen.
Das Streikrecht wurde grundsätzlich abgeschafft. Der staatliche Arbeitgeber wurde unter Ulbricht mit dem Interesse der Arbeitnehmerschaft gleichgesetzt. Fand das Streikrecht noch in der Verfassung der DDR wenigstens noch seine formale Erwähnung, so wurde es im Gesetzbuch der DDR nicht mehr erwähnt mit der Begründung, dass die Arbeiter nicht gegen sich selbst streiken könnten, nachdem die volkseigenen Betriebe geschaffen wurden.

Erosion des Gesellschaftssystems

Stalin nannte die Gründung der DDR und das damit verbundene kommunistische Gesellschaftssystem im Oktober 1949 einen „Wendepunkt in der Geschichte Europas“.[4]
In der Periode von 1949-1955 übertrug die SED wesentliche Teile ihres ordnungspolitischen Konzeptes – das identisch war mit der Realität in der Sowjetunion – auf die DDR. Da sich die deutschen Kommunisten seit längerem als Mitglied des Weltkommunismus sowjetischer Prägung betrachteten, hielten sie sich dabei eng an ihre ideologischen Prämissen einerseits und die besondere Ausformung in der Realität der UdSSR andererseits. Auf der Grundlage der bis 1949 durchgeführten Reformen konnten so bis 1955 die Eigentumsformen rigoros verändert, die Sozialstruktur umgewandelt und die Gesamtgesellschaft neu geprägt werden.
In der Industrie nahm der Anteil der volkseigenen Betriebe (VEB), also des Staatssektors, ständig zu.[5] Mitte 1949 gab es 75 zentrale Vereinigungen volkseigener Betriebe, in denen 1764 Betriebe zusammengeschlossen waren, 1950 über 2600 zentral geleitete und über 1800 von den Ländern geführte volkseigene Betriebe. Diese beschäftigten 1950 1,5 Millionen Arbeitnehmer und produzierten drei Viertel der industriellen Bruttoproduktion. Die Privatindustrie zählte 1950 noch etwa 17.000 Betriebe, die 25% der industriellen Bruttoproduktion erzeugten. Bis 1955 wurde der Staatssektor systematisch ausgebaut; die Zahl der volkseigenen Betriebe wuchs auf 5700 mit 2,2 Millionen Beschäftigten, die mehr als 83% der industriellen Bruttoproduktion herstellten.
1954 waren auch die letzten SAG-Betriebe von der Sowjetunion an die DDR übergeben und den VEB’s eingegliedert worden, was den Staatsanteil weiter vergrößert hatte. Zwar gab es 1955 noch über 13.000 Privatbetriebe, doch diese hatten weniger als eine halbe Million Beschäftigte und produzierten knapp 15% der Bruttoproduktion. 1955 befanden sich die Energiequellen ganz in der Hand des Staates, und in der Grundstoff- und metallverarbeitenden Industrie waren die Betriebe mit 90% der Beschäftigten und des Bruttoprodukts staatseigen. In der Leicht- und Lebensmittelindustrie waren dagegen nur ein Viertel der Betriebe staatseigen, doch auch in diesen waren zwei Drittel der Beschäftigten und 70% der Produktion konzentriert. Der staatliche Sektor umfasste 1955 die wichtigsten Produktionszweige und die entscheidenden Großbetriebe.
Doch nicht nur in der Industrie, sondern in allen Wirtschaftszweigen errichtete die SED-Führung systematisch eine neue Eigentumsordnung. Der Großhandel ging fast völlig auf den Staat über, und auch der Einzelhandel veränderte seine Struktur: Während 1950 der private Einzelhandel noch 55% des Umsatzes erreichte (Staatshandel 25% und Genossenschaften 20%), sank dieser Anteil bis 1955 auf weniger als ein Drittel (Staatshandel etwa über ein Drittel, Genossenschaftshandel ein Drittel).
Das Handwerk arbeitete in der Zeit von 1949-1955 im Wesentlichen noch auf privater Grundlage. In der Landwirtschaft dagegen setzte 1952 ebenfalls eine Strukturveränderung ein, denn die SED begünstigte die Schaffung von landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften.[6] Ihre Zahl stieg von 1900 LPG’s mit 37.000 Mitgliedern und 200.000 ha Land im Jahre 1952 auf 6000 LPG’s mit 190.000 Mitgliedern und 1,2 Millionen ha Land (d.h. 18% der landwirtschaftlichen Nutzfläche) im Jahre 1955. Da es außerdem seit 1945 staatliche Güter gab, die 1955 fast 5% des Bodens besaßen, wurde auch in der Landwirtschaft das Privateigentum zurückgedrängt. Die 1949 geschaffenen Maschinen-Ausleih-Stationen (MAS) waren eine weitere staatliche Bastion auf dem Land. 1955 bestanden 600 der inzwischen in Maschinen-Traktoren-Stationen umbenannten MTS, von deren Maschinenpark (ca. 31.000 Traktoren, 28.000 Pflügen usw.) Einzelbauern wie LPG’s, die Maschinen mieten mussten, abhängig waren.
In der gesamten Wirtschaft unterschied die DDR drei grundsätzliche Formen des Eigentums:
Staatseigentum,Genossenschaftseigentum,Privateigentum.
Von 1949-1955 stieg der Anteil des Staatseigentums in Industrie und Handel sehr stark an, das Genossenschaftseigentum in der Landwirtschaft breitete sich ebenfalls aus. In bestimmten Bereichen (Handwerk, Landwirtschaft, Konsumgüterindustrie) gab es noch einen relativ großen Anteil an Privateigentum, die Anpassung der Grundlagen der Gesellschaftsstruktur an die der Sowjetunion war sehr weit gediehen, aber noch keineswegs abgeschlossen.
Da die DDR von Anfang an ein industriell entwickeltes Land war, in dem über 40% der Arbeiter und Angestellten in der Industrie arbeiteten, waren als Folge der veränderten Eigentumsformen nicht nur neue Besitzverhältnisse, sondern auch eine neue Sozialstruktur entstanden.[7] Die Zahl der Beschäftigten wuchs: Während es 1949 7 Millionen Berufstätige gab, waren es 1955 8,2 Millionen. Auch die soziale Schichtung veränderte sich. 1950 gab es 4 Millionen Arbeiter, 1,7 Millionen Angestellte, 1,1 Millionen Selbständige und 1 Million mithelfender Familienangehörige (darunter 1,4 Millionen Landwirte und Angehörige). 1955 wiesen die Statistiken 6,5 Millionen Arbeiter und Angestellte aus, d.h. 78% aller Berufstätigen, 1 Million Einzelbauern (12%), 300.000 private Handwerker, 150.000 private Einzelhändler, 190.000 LPG-Bauern und 35.000 Freiberufliche. Die Selbständigen insgesamt waren auf 900.000, die mithelfenden Familienangehörigen auf 650.000 zurückgegangen.
Von der auf Kosten der Selbständigen steigenden Zahl der Arbeiter und Angestellten, der Unselbständigen, waren im Jahr 68% beim Staat beschäftigt. Die in Industriegesellschaften generell zu beobachtende Entwicklung, nämlich die Verringerung der Zahl der Selbständigen und das Anwachsen der Zahl der Lohnabhängigen, brachte in der veränderten Gesellschaft der DDR eine direkte Abhängigkeit der Mehrheit der Beschäftigten vom Arbeitgeber Staat mit sich. Die neue soziale Schichtung war mit der sowjetischen Gesellschaftsstruktur noch nicht identisch, näherte sich ihr aber allmählich an.
Die Förderung der Jugend betrachteten Staat und Partei als ein wesentliches Ziel: Durch die Gewinnung und Integration der jungen Menschen sollte die dringend notwendige Stabilität von Gesellschaft und Staat erreicht werden. Bereits im Mai 1950 hatte die DDR das Volljährigkeitsalter auf 18 Jahre herabgesetzt. In den folgenden Jahren zogen Jugendliche in Partei, Staat und Wirtschaft ein, die DDR wollte sich als Staat der Jugend und damit der Zukunft präsentieren.
Die unterschiedlichen Strukturen in Ost- und Westdeutschland förderten das Auseinanderleben der beiden deutschen Staaten. So rückten auch Gesetzgebung und Rechtssprechung immer weiter auseinander. Bis 1955 blieben zwar in der DDR wie in der Bundesrepublik noch die alten familienrechtlichen Gesetze des BGB in Kraft; alle der Gleichberechtigung der Frau widersprechenden Gesetze und Bestimmungen waren allerdings bereits durch die Verfassung aufgehoben worden. Nach dem Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Leistung“ wurde im September 1950 mit dem Gesetz zum Schutze von Mutter und Kind und über die Rechte der Frau ein weiterer Schritt zur Emanzipation der Frau getan. 1954 unterbreitete das Justizministerium der Öffentlichkeit den Entwurf eines neuen Familiengesetzbuches, das allerdings damals noch nicht verabschiedet wurde.
Das Recht insgesamt war bereits in dieser Phase eindeutig der Politik untergeordnet, ein Instrument zur Sicherung und zum Ausbau des Einflusses der SED. Die Bekämpfung aller vermeintlichen Abweichler durch SSD und Gerichte zeigte, dass ein keinen Bereich der Gesellschaft gab, in denen nicht die stalinistischen Methoden der Sowjetunion kopiert wurden.
Die offizielle SED-Darstellung dieser Entwicklung einer neuen Gesellschaft erklärt die Veränderungen als Weg zum Sozialismus, in dem die Klassengegensätze allmählich verschwinden und die Klasse der Arbeiter, die Klasse der Genossenschaftsbauern sowie die Schicht der Intelligenz ohne antagonistische Widersprüche zusammenlebten. Tatsächlich bildete sich jedoch in der Phase von 1949-1955 in der DDR die gleiche Oberschicht heraus, die auch in der Sowjetunion Machtpositionen besetzte und materiell privilegiert war. Die hauptamtlichen Mitarbeiter von Partei, Staat und Wirtschaft besaßen die Schlüsselpositionen und erhielten soziale Privilegien.[8]
Die politisch entscheidende Rolle spielte der Parteiapparat, die hauptamtlichen Parteifunktionäre. Fast 2000 zentrale Funktionäre und eine entsprechend hohe Anzahl von Bezirks-, Kreis- und Ortssekretären, von Redakteuren, Propagandisten und Instrukteuren gehörten zu dieser politisch bedeutsamen Gruppe. 1955 zählte die offizielle Statistik 110.000 Angestellte und 30.000 Arbeiter bei politischen, sozialen und wirtschaftlichen Organisationen. Nach anderen Angaben waren 43.000 Angestellte bei gesellschaftlichen Organisationen beschäftigt. Mit dieser Zahl dürften im Wesentlichen die Parteiangestellten gemeint sein, zu denen außerdem noch die hauptamtlichen Mitarbeiter der Massenorganisationen gerechnet werden musste.
Im Staatsapparat zählten die politischen Funktionäre zur privilegierten Gruppe, ebenso die verantwortlichen Funktionäre des Bildungswesens und der Massenkommunikationsmittel. Materielle Privilegien erlangte vor allem die neue Wirtschaftsführung, die die Staatswirtschaft, d.h. die über 5000 Industriebetriebe, die volkseigenen Güter, LPG’s usw. anleitete. Schließlich gehörten Offizierskorps, SSD und Justiz zur bevorzugten Gruppe, die vermutlich eine halbe Million Menschen umfasste und sich von der Masse der Bevölkerung abhob.
Die meisten dieser privilegierten Funktionäre waren früher Arbeiter oder Angestellte gewesen (z.B. rekrutierten sich schon 40% aller Werksdirektoren und Betriebsleiter aus der Arbeiterschaft), doch wichtiger als die Qualifikation war für die Besetzung der Funktionen meist die Treue zur Parteiführung; dabei schuf der Gegensatz zwischen Sachverstand und politischer Ideologie neue Probleme.
Die sozioökonomische Struktur der DDR war bis 1955 ebenso wie das politische System in vielen Bereichen an das sowjetische Vorbild angepasst.

Wirtschaft

Die SED übernahm nach 1949 auch die Leitungsmethoden von Gesellschaft und Wirtschaft von der Sowjetunion.[9] Neben dem Prinzip des Staatseigentums brachte die zentrale Planung Partei und Staat weitere Einfluss- und Steuerungsmöglichkeiten. Der erste Fünfjahresplan 1951-1955 hatte in erster Linie das Ziel, in der DDR eine eigene Schwerindustrie zu entwickeln. Die Industrieproduktion sollte auf 190% des Standes von 1950 ausgedehnt und der Lebensstandard der Bevölkerung der Vorkriegszeit übertroffen werden. Gleichzeitig wurde die Wirtschaft der DDR zunehmend in die Ökonomie der osteuropäischen kommunistischen Staaten einbezogen. Im September 1950 beschloss der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW), die DDR aufzunehmen.
Die Abschlüsse von Handelsverträgen sowie wissenschaftlich-technischen Abkommen (so im September 1951 mit der Sowjetunion) vertieften die wirtschaftlichen Beziehungen der DDR an die übrigen kommunistisch regierten Länder. Ihr Außenhandel mit diesen Staaten erhöhte sich von 1950-1955 auf fast das Dreifache, während sich der innerdeutsche Handel in dieser Zeit lediglich verdoppelte. 1954 entfielen drei Viertel des Außenhandels der DDR auf die osteuropäischen Staaten.
Die DDR-Wirtschaft kopierte weitgehend sowjetische Methoden. Im Juni stellte das ZK der SED die Losung „Von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen“ in den Mittelpunkt der Agitation und erklärte, es komme darauf an, den volkseigenen Sektor in Industrie, Landwirtschaft, Verkehr, Handel und Finanzen entscheidend weiterzuentwickeln und die Prinzipien der sowjetischen Wirtschaftsführung und ihre Methoden gründlich zu studieren und aus ihnen Schlussfolgerungen für die Führung der volkseigenen Wirtschaft in der DDR zu ziehen[10]. Das Stadium und die Anwendung der von Stalin entwickelten Formen der wirtschaftlichen Planung sowie besonders der bolschewistischen Methoden der Anleitung der Wirtschaftsorgane durch die Partei sollten dabei vordringlich sein.
Da die Strukturen der Wirtschaft nach dem sowjetischen Vorbild entwickelt worden waren, mussten auch bei den Leitungsmethoden sowjetische Erfahrungen übernommen werden. Für die Gesamtwirtschaft der DDR brachte dies Erfolge, aber auch Schwierigkeiten, da die Arbeiter den neueren Methoden vielfach skeptisch gegenüberstanden, auch wenn im November 1952 erstmals der „Tag des sowjetischen Neuerers“ gefeiert wurde.
Wichtigstes Ziel der DDR-Wirtschaftspolitik war die Erhöhung der Arbeitsproduktivität. Auch das im April eingeführte „Gesetz der Arbeit“ sah neben der Verbesserung der Lage der Arbeiter und der Garantie des „Rechtes auf Arbeit“ vor allem eine Steigerung der Arbeitsproduktivität vor. Die 2. Parteikonferenz der SED 1952 rückte die Förderung der Schwerindustrie noch mehr in den Mittelpunkt, als Folge dieser Politik kam es zu weiteren Engpässen in der Versorgung der Bevölkerung. Immerhin war es in der DDR unter größten Mühen und Entbehrungen 1952/53 gelungen, das zerrüttete Wirtschaftssystem wieder aufzubauen. Die Rohstahlerzeugung, die 1946 auf 150.000 Tonnen abgesunken war, steig bis 1953 auf 2,1 Millionen Tonnen; das Doppelte der Erzeugung von 1936. Ähnlich erstaunliche Leistungen erzielten die Energiewirtschaft und die chemische Industrie.
Demgegenüber blieb die Entwicklung der Konsumgüterindustrie zurück und trotz vieler Versprechungen der SED-Führung war der Lebensstandard weiterhin relativ gering und hing hinter der Entwicklung in der Bundesrepublik zurück. Noch immer mussten Fett, Fleisch und Zucker rationiert werden, sehr viele Güter waren Mangelware und die Qualität ließ oft zu wünschen übrig. Außerdem waren die hohen Preise in den HO-Läden für viele Arbeiter unerschwinglich. Die Bruttostundenlöhne betrugen 1951 für Maurer 1,60 Mark, für Schlosser 1,78 Mark, die Mehrheit der Arbeiter verdiente unter 312 Mark brutto im Monat, bis 1955 stieg der Durchschnittsverdienst von Arbeitern und Angestellten auf 354 Mark.
Nach dem 17. Juni 1953 versuchte die SED mit dem „Neuen Kurs“ eine rasche Verbesserung der Lebenslage zu erreichen; die Produktion der Schwerindustrie wurde 1953 zugunsten der Erzeugung von Konsumgütern und Nahrungsmitteln gedrosselt.[11] Im Oktober 1953 senkte die Regierung die Preise in den HO-Geschäften. Diese Verbesserung wurde mit der Beendigung des „Neuen Kurses“ und der erneuten Bevorzugung der Schwerindustrie 1955 wieder in Frage gestellt.
Um die industrielle Produktion zu steigern, förderte die Regierung den „sozialistischen Wettbewerb“, durch den vor allem die Selbstkosten gesenkt und die Qualität der Produkte verbessert werden sollte. Ende 1954 änderte die SED wieder einmal die Methoden der Leitung und Planung, durch neue Experimente sollte die Produktion vorangebracht werden. Mit Gesetzen über neue Regelungen der Gewinnverteilung versuchte die Regierung die „materielle Interessiertheit“ der Arbeitnehmer zu steigern, dazu dienten vereinfachte Planungsmethoden als Unterstützung.
Im Jahre 1955 endete der erste Fünfjahresplan, er konnte mit 105 Prozent erfüllt werden. Damit hatte sich die Industrieproduktion gegenüber 1950 fast verdoppelt, die Arbeitsproduktivität war um 55 Prozent gestiegen. Die Wirtschaft der DDR hatte nunmehr eine schwerindustrielle Grundlage, die unter schwierigen Umständen mit erheblichen Kosten geschaffen worden war. Das Eisenhüttenkombinat Ost, die Großkokerei Lauchhammer und zahlreiche Betriebe und Kraftwerke waren neu errichtet, andere wie die Stahl- und Walzwerke Brandenburg, Hennigsdorf und Riesa stark erweitert worden.
Im Fünfjahresplan hatte die DDR 32 Milliarden Mark in ihre Wirtschaft investiert. Die ursprünglichen Planziele waren dennoch nicht völlig erreicht worden, so gab es in der Schwerindustrie erhebliche Lücken, und Disproportionen der Volkswirtschaft bestanden weiter. Vor allem war der Lebensstandard nicht so gestiegen, wie die Regierung versprochen und die Menschen erhofft hatten. Die Schwächen der Wirtschaft, die trotz hoher Anstrengungen offenkundig waren, vergrößerten die Instabilität der SED-Regierung.[12]

Warschauer Pakt und NATO

Die Pariser Verträge, am 23.10.1954 unterzeichnet und am 05.05.1955 in Kraft getreten, stellten in der Geschichte der Bundesrepublik eine entscheidende Zäsur dar. Die Alliierte Hohe Kommission und die Dienststellen der Landeskommissare wurden aufgelöst, das Besatzungsregime nach zehnjähriger Dauer beendet. Die Bundesrepublik hatte ihre formale Souveränität erlangt. Am 09.05.1955 wurde die Bundesrepublik Mitglied der NATO. Diese nach der Befreiung vom Nationalsozialismus 1945 nicht voraussehbare Entwicklung wurde ausgelöst und ermöglicht durch die seit Kriegsende immer stärker gewordene Ost-West-Spannung und durch die Ereignisse in Korea. Unter dem Eindruck dieser weltpolitischen Entwicklung wurde eine enge Verbindung der Bundesrepublik an den Westen und ihre Einbeziehung in das westliche Verteidigungssystem als notwendig angesehen.
Die Anpassung der alliierten Politik an die tatsächliche politische Lage, soweit sie die Bundesrepublik betraf, war mit der Ratifizierung der Pariser Verträge vollzogen. Die beiden grundlegenden Vorbehalte der Vertragsstaaten betrafen „die bisher von ihnen ausgeübten oder innegehabten Rechte und Verantwortlichkeiten in bezug auf Berlin und auf Deutschland als Ganzes einschließlich der Wiedervereinigung Deutschlands und einer friedensvertraglichen Regelung.“[13]
Außerdem blieb der in Artikel 5 des Deutschlandsvertrages von 1952 niedergelegte alliierte Notstandsvorbehalt bestehen. Die Pariser Verträge bestimmten seine Aufhebung, „sobald die zuständigen deutschen Behörden entsprechende Vollmachten durch die deutsche Gesetzgebung erhalten haben.“[14]
Am 14.05.1955 wurde die DDR Mitglied im Warschauer Pakt. Dieses in Warschau gegründetes Militärbündnis mit dem von Albanien, Bulgarien, der DDR, Polen, Rumänien, der Tschechoslowakei, der Sowjetunion und Ungarn unterzeichneten „Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigem Beistand“ sowie mit dem Beschluss über die Bildung eines vereinten Kommandos der Streitkräfte bildete das Gegenstück zur NATO. [15] Der Warschauer Pakt war neben dem COMECON die wichtigste multilaterale Organisation der europäischen kommunistischen Staaten. Veranlasst durch die Mitgliedschaft der Bundesrepublik in der NATO, wollte die Sowjetunion vertraglich gesicherte Rechte zur Stationierung ihrer Truppen in den Staaten Ostmittel- und Südosteuropas erhalten und damit ein Gegengewicht zur NATO bilden, die Streitkräfte der europäischen kommunistischen Staaten einheitlich zusammenfassen und diese Staaten möglichst eng an sich zu binden. Durch Truppenstationierungsverträge mit Polen 1956, der DDR, Ungarn und Rumänien 1957 sowie der Tschechoslowakei im Oktober 1968 wurde der Vertragsentwurf ergänzt.
Der Warschauer Vertrag verpflichtete zu Konsultationen in allen wichtigen Fragen der internationalen Politik, vor allem bei Gefahr für die Sicherheit eines der Vertragspartner (Artikel 3), zu gegenseitigem militärischen Beistand bei einem bewaffneten Überfall in Europa auf einen oder mehrere Teilnehmerstaaten (Artikel 4) sowie zur Unterstellung der Streitkräfte unter ein gemeinsames Oberkommando (Artikel 5).[16] Die Kündigung der Mitgliedschaft durch Ungarn 1956 im Verlauf des ungarischen Aufstandes wurde durch die bewaffnete sowjetische Intervention unwirksam gemacht. Faktisch schon 1961 mit dem Aufkommen des sowjetisch-chinesischen Konflikts, offiziell 1968, trat Albanien aus dem Bündnis aus.
Als politisches Führungsorgan des Warschauer Paktes fungierte der Politisch Beratende Ausschuss, in dem jeder Teilnehmerstaat vertreten war (Artikel 6). 1976 wurden zwei Hilfsorgane mit Sitz in Moskau gebildet: das Vereinigte Sekretariat und das Komitee der Außenminister, dessen Kompetenz sich auf die Ausarbeitung von Empfehlungen in außenpolitischen Fragen erstreckte.
Das militärische Führungsorgan des Warschauer Paktes bildete das Vereinte Oberkommando der Streitkräfte mit Sitz in Moskau. 1969 wurden zwei weitere Institutionen geschaffen, der Militärrat und das Komitee der Verteidigungsminister. Der Oberbefehlshaber des Vereinten Oberkommandos der Streitkräfte war immer ein sowjetischer Offizier, dem neben seinen Stellvertretern ein aus Vertretern der einzelnen nationalen Generalstäbe gebildeter Stab der Vereinten Streitkräfte zur Seite stand.
Auch die DDR erhielt am 20.9.1955 von der Sowjetunion ihre „volle Souveränität“. Sowjetische Truppen blieben aber ebenso in der DDR stationiert wie die Truppen der westlichen Alliierten in der Bundesrepublik.
Die Bundesrepublik und die DDR hatten, wesentlich durch die Ereignisse des für die deutsche Nachkriegspolitik entscheidenden Jahres 1955 bestimmt, ihre festen Positionen in den beiden Machtblöcken bezogen. Der Weg, Sicherheit und Wiedervereinigung miteinander zu verbinden, erwies sich als nicht realistisch. Die Grundpositionen auf der Linie einer Politik der Stärke waren bezogen, die Grenzen abgesteckt. Chruschtschow, damals noch Parteisekretär, sagte bei seiner Rückkehr aus Genf am 26.07.1955 in Ostberlin:[17] „Ist es denn nicht klar, daß die mechanische Vereinigung beider Teile Deutschlands, die sich in die verschiedenen Richtungen entwickeln, eine unreale Sache ist?“
Deutlicher wurde er gegenüber dem französischen Ministerpräsidenten Mollet und dessen Außenminister Pineau, die Moskau vom 15-19.05.1956 einen Staatsbesuch abstatteten:[18] „Wir ziehen 17 Millionen Deutsche unter unserem Einfluß 70 Millionen wiedervereinigten Deutschen, auch wenn sie neutralisiert sind, vor.“
Beide Zitate waren richtungsweisend für die Zukunft der sowjetischen Deutschlandpolitik. Chruschtschows Ostberliner Erklärung stellte die Weichen, die Existenz zweier deutscher Staaten wurde von der Sowjetunion und der DDR als Tatsache angesehen. Erstmals hatte sich somit die Sowjetunion öffentlich auf die Zweistaatentheorie festgelegt. Sie machte ihre Zustimmung zur Wiedervereinigung von Bedingungen abhängig, die für den Westen unannehmbar waren.
In der Sicht Moskaus wurde die Wiedervereinigung immer mehr zu einer Angelegenheit der Bundesrepublik und der DDR. Parallel zu dem Desinteresse an dieser Frage wuchs die Insistenz der Sowjetunion, die Westmächte zu einer Anerkennung des Status quo unter Einschluss der Lösung der Situation Berlins zu bewegen.
Am 27.11.1958 richtete die Sowjetunion Noten an die drei Westmächte, die Bundesrepublik und die DDR, in denen sie für Westberlin den Status einer „freien und entmilitarisierten Stadt“ forderte und eine einseitige sowjetische Aktion zur Beendigung des Viermächte-Besatzungsstatuts in Berlin nach Ablauf von sechs Monaten androhte.[19]
In der Note der Sowjetunion an die USA hieß es dazu:[20] „(…) Man muß natürlich berücksichtigen, daß die politische und wirtschaftliche Entwicklung Westberlins in der Zeit seiner Besetzung durch die drei Westmächte in einer anderen Richtung verlief als die Entwicklung Ostberlins und der DDR, so daß die Lebensformen in beiden Teilen Berlins gegenwärtig grundverschieden sind. Die Sowjetregierung ist der Meinung, daß der Bevölkerung Westberlins bei Beendigung der ausländischen Besetzung das Recht gewährt werden muß, solche Verhältnisse bei sich zu haben, die sie selbst wünscht. Wenn die Einwohner Westberlins die gegenwärtigen Lebensformen beizuhalten wünschen, die auf privatkapitalistischem Eigentum beruhen, so ist das ihre Angelegenheit. Die UdSSR ihrerseits wird jede Wahl der Westberliner in dieser Beziehung respektieren. In Anbetracht aller dieser Erwägungen würde es die Sowjetregierung ihrerseits für möglich erachten, daß die Frage Westberlins gegenwärtig durch Umwandlung Westberlins in eine selbständige politische Einheit – eine Freistadt – gelöst werde, in deren Leben sich kein Staat, darunter auch keiner der bestehenden zwei deutschen Staaten, einmischen würde. Man könnte unter anderem vereinbaren, daß das Gebiet der Freistadt entmilitarisiert werde und daselbst keinerlei Streitkräfte stationiert werden. Die Freistadt Westberlin könnte eine eigene Regierung haben und ihre Wirtschaft, ihre Verwaltungs- und sonstigen Angelegenheiten selbst lenken. Die vier Mächte, die nach dem Kriege an der gemeinsamen Verwaltung Berlins beteiligt waren, wie auch die zwei deutschen Staaten, könnten die Verpflichtung übernehmen, den Status Westberlins als Freistadt zu achten, wie das beispielsweise die vier Mächte in bezug auf den von der österreichischen Republik übernommenen Neutralitätsstatus getan haben. Die Sowjetregierung ihrerseits hätte keine Einwände dagegen, daß in irgendeiner Form auch die Organisation der Vereinten Nationen an der Wahrung des Status der Freistadt Westberlins mitwirken würde. Offensichtlich würde in Anbetracht der spezifischen Lage Westberlins, das sich auf dem Territorium der DDR befindet und von der Außenwelt abgeschnitten ist, die Frage auftauchen, mit der DDR in dieser oder jenen Form eine Vereinbarung über Garantien für einen ungehinderten Verkehr in der Freistadt mit der Außenwelt –sowohl in östlicher als auch in westlicher Richtung -, für die Freizügigkeit der Menschen und die Beförderung der Waren zu treffen. Westberlin würde seinerseits die Verpflichtung übernehmen, in seinem Gebiet keine feindselige, subversive Tätigkeit gegen die DDR oder einen beliebigen anderen Staat zu dulden. Die Sowjetregierung strebt danach, daß die erforderliche Änderung der Lage Berlins in einer ruhigen Atmosphäre ohne Eile und unnötige Reibungen unter möglichst weitgehender Berücksichtigung der Belange der interessierten Seiten erfolge. (…) In Anbetracht dessen gedenkt die Sowjetregierung, im Laufe eines halben Jahres keine Änderungen an dem gegenwärtig geltenden Modus für Militärtransporte der USA, Großbritanniens und Frankreichs aus Westberlin in die Bundesrepublik vorzunehmen. Sie hält diese Frist für durchaus hinreichend, um eine gesunde Basis für die Lösung der Fragen zu finden, die mit der Änderung der Lage Berlins verbunden sind. Wird die erwähnte Frist jedoch nicht dazu ausgenutzt, zu einer entsprechenden Einigung zu gelangen, so wird die Sowjetunion durch Übereinkommen mit der DDR die geplanten Maßnahmen durchführen. Hierbei wird in Betracht gezogen, daß die DDR, wie jeder andere selbständige Staat, ganz für die Fragen zuständig sein muß, die ihren Raum betreffen, das heißt, ihre Hoheitsrechte zu Lande, zu Wasser und in der Luft ausüben muß. Gleichzeitig damit werden alle bisherigen Kontakte mit Vertretern der Streitkräfte und anderen offiziellen Personen der USA sowie Großbritanniens und Frankreichs in Berlin betreffende Fragen eingestellt werden.“
Das Datum dieser Note war zugleich die diplomatische Geburtsstunde der kommunistischen Dreistaatentheorie. Diese Theorie, die bei dem Passierscheinabkommen vom 17.12.1963 eine zentrale Rolle spielen sollte, besagte, dass die Entwicklung nach der Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus zu drei Staaten geführt habe: die DDR, die Bundesrepublik und „Besonderes Territorium Westberlin“, das weder zur Bundesrepublik noch zur DDR gehöre. Diese kommunistische These verneinte also die staatsrechtliche Zugehörigkeit Westberlins zur Bundesrepublik.[21]
Die Motive und Ziele des ultimativen Schrittes der Sowjetunion in der Berliner Frage waren offensichtlich. Es war der Versuch, den Westen zur Anerkennung der DDR zu zwingen und die Bereitschaft, Westberlin in das kommunistische Lager zu integrieren.
Die Sowjetunion hatte bei Nichtanerkennung ihres Vorschlages und Nichtbeachtung ihres Ultimatums, womit sie rechnete, die Übertragung ihrer Rechte aus den seit 1945 bestehenden alliierten Vereinbarungen an die Organe der DDR angekündigt. Das hätte zu weitreichenden und folgenschweren Konsequenzen für den Transitverkehr von Zivilpersonen, Truppen und Gütern zwischen den Westsektoren Berlins und der Bundesrepublik führen müssen. Die Wiederholung der Blockade Berlins von 1948 drohte. US-Außenminister John Foster Dulles entwickelte zu diesem Zeitpunkt die so genannte Agententheorie, durch die er Verhandlungen der Westmächte mit Beauftragten der DDR als Agenten der Sowjetunion für möglich hielt, sofern die Sowjetunion hierdurch nicht aus ihrer Verantwortung für Berlin entlassen und die DDR nicht anerkannt würde. Der Vollzug dieser Theorie trat aber nicht ein.
Die Eingliederung Westberlins in das kommunistische Lager war von höchster Priorität. Schon seit 1956/57 beschäftigte die DDR-Führung die Berlinfrage intensiv. Über Westberlin flüchteten jährlich Tausende aus der Zone in die Bundesrepublik. Das Flüchtlingsproblem störte die DDR nicht nur wegen der volkswirtschaftlichen Auswirkungen, sondern auch wegen des ideologischen Autoritätsverlustes. Das Drängen Ulbrichts auf Lösung des Berlinproblems hatte aber erst im Herbst 1958 Erfolg. Chruschtschows Rede im Moskauer Sportpalast vom 10.11.1958, in der er den Viermächtestatus Berlins durch Verletzung des Potsdamer Abkommens als überholt bezeichnete und für den Abschluss eines deutschen Friedensvertrages eintrat, bereitete die Welt auf die Berlin-Krise vor, die durch die sowjetische Note vom 27.11.1958 ausgelöst wurde.[22]
Der sowjetische Vorschlag war für den Westen unannehmbar.[23] Die Westmächte, die übrigen Mitglieder der NATO, Regierung, Opposition und Öffentlichkeit in der Bundesrepublik und Westberlin lehnten die Note ab.[24] Willy Brandt gab am 20.11.1958 zu den sowjetischen Forderungen vor dem Berliner Abgeordnetenhaus eine Erklärung ab, die das Anwesenheitsrecht der Westmächte in Berlin begründete und die Auffassungen des Weißen Hauses und des britischen Auswärtigen Amtes wiedergab:[25] „Über den Status Berlins im geteilten Deutschland gibt es einen Strauß internationaler Vereinbarungen, die fälschlich als Teil des Potsdamer Abkommens bezeichnet worden sind. Zwischen den Westmächten und der Sowjetunion handelt es sich vor allem um die Londoner Vereinbarungen vom 12. September 1944, die am 5. Juni 1945 in Berlin ergänzt wurden. In der Londoner Vereinbarung ist ausdrücklich von einem ‚Berliner Gebiet’ die Rede, das ‚unter der gemeinsamen Besatzung’ der Mächte stehen solle, und es wurde weiter festgelegt, daß die Streitkräfte der UdSSR die ‚Ostzone’ zu besetzen hätten ‚mit Ausnahme des Berliner Gebiets, für das ein Besatzungs-Sondersystem vorgesehen ist’. Diesen Text reihen sich die Vereinbarungen an, mit denen die Beschlüsse der Pariser Außenministerkonferenz vom Frühsommer 1949 bestätigt und ergänzt wurden.[26] Hier handelt es sich vor allem um die Wiederherstellung des ungehinderten Verkehrs von und nach Berlin. Jene Verträge und Abmachungen sind die Grundlage der freiheitlich-demokratischen Ordnung in Westberlin, der Unterstellung Westberlins unter die oberste Gewalt der drei Mächte, unseres Gemeinwesens überhaupt, das – unter einem frei gewählten Stadtparlament und einer der Volksvertretung verantwortlichen Regierung – allen Hindernissen zum Trotz unbestreitbare Leistungen des Aufbaues und wesentliche Erfolge im Interesse der Bevölkerung zu verzeichnen hat. Aus internationalen Verträgen, aus völkerrechtlichen Vereinbarungen kann man sich nicht einseitig lösen, ohne rechtsbrüchig zu werden. Wer glaubt, sich darüber hinwegsetzen zu können, wird selbst sehr ernste Rückwirkungen in Kauf nehmen müssen.“
Die Ablehnung der sowjetischen Vorschläge hatten verschiedene Gründe.[27]
Die Annahme des sowjetischen Vorschlages hätte zur Anerkennung der DDR geführt, da der sowjetische Plan die Teilnahme der DDR am Abschluss und an der Durchführung des Berliner Abkommens vorsah. Mit der „freien“ Stadt Berlin würde ein dritter deutscher Staat geschaffen.
Die politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit Berlins wäre ständig bedroht gewesen. Mit der Übernahme der Kontrolle der Verbindungswege in der Luft, zu Wasser und zu Lande durch ihre Organe hätte die DDR-Regierung ein Instrument der möglichen Erpressung in die Hand bekommen. In einer solchen permanent unsichren Situation gäbe es keine politische Unabhängigkeit einer autonomen Stadtregierung.
Die sowjetischen Truppen würden, aus dem Ostsektor Berlins abgezogen, an der Stadtgrenze vor Gesamtberlin stehen. Die Truppen der westlichen Mächte müssten in die Bundesrepublik abgezogen werden. Paramilitärische Verbände und Volkspolizei blieben in Ostberlin. Dies wäre aus Sicht des Westens keine Garantie für den Schutz der „Freistadt Berlin“.

Der sowjetische Friedensvertragsentwurf

Am 11.01.1959 legte die Sowjetregierung 28 Staaten den Entwurf eines Friedensvertrages mit Deutschland, der 48 Artikel enthielt, vor. Die Berlin-Note vom 27.11.1958 wie der Friedensvertragsentwurf war als Versuch der sowjetischen Politik zu werten, die Anerkennung der DDR zu erreichen.
Die fünf wichtigsten Punkte des sowjetischen Entwurfes waren die folgenden:[28]
1.Die völkerrechtliche Anerkennung der endgültigen Teilung Deutschlands wurde gefordert. Der Friedensvertrag sollte mit zwei deutschen Staaten abgeschlossen werden. Im Fall der Bildung einer deutschen Konförderation sollten ihre Organe zusammen mit den Regierungen beider deutschen Staaten den Friedensvertrag unterzeichnen. Bei der endgültigen Teilung Deutschlands würde es sich zunächst um eine Dreiteilung gehandelt haben, da Artikel 25 des Entwurfes vorsah, Westberlin bis zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands den Status einer entmilitarisierten Freien Stadt zu geben.
2.In Artikel 5 wurde die Neutralisierung Deutschlands gefordert:[29] „Deutschland verpflichtet sich, keinerlei Militärbündnisse einzugehen, die gegen irgendeinen Staat, der Teilnehmer des vorliegenden Vertrages ist, gerichtet sind, sowie nicht an Militärbündnissen teilzunehmen, deren Teilnahme nicht alle vier wichtigsten Verbündeten der Anti-Hitler-Koalition, die UdSSR, die USA, das Vereinigte Königreich und Frankreich, sind.“ Der Austritt der Bundesrepublik aus der NATO und der Westeuropäischen Union und der der DDR aus dem Warschauer Pakt wären die Folgen gewesen.
3.Die Forderung nach einer weitgehenden Entmilitarisierung Deutschlands stand im Raum. Die dem deutschen Staat zugestandenen eigenen nationalen Streitkräfte waren so schwach gehalten, dass sie nicht in der Lage gewesen wären, die Neutralität Deutschlands in einem bewaffneten Konflikt zu schützen.
4.Es wurde die Wiederzulassung der KPD in der Bundesrepublik und das Verbot politischer Betätigung revanchistischer Organisationen und Parteien postuliert, die „eine Überprüfung der Grenzen Deutschlands fordern oder territoriale Ansprüche an andere Staaten zum Ausdruck bringen.“ (Artikel 17).[30]
5.Der Anspruch der völkerrechtlichen Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als Ostgrenze Deutschlands wurde erhoben. Der Artikel 8, Absatz 1 des Vertragsentwurfs lautete: „Die Grenzen Deutschlands werden so sein, wie sie am 1. Januar 1959 waren.“[31]

Der Westen reagierte auf den sowjetischen Friedensvorschlag negativ. Er sah als unerlässliche Voraussetzung für eine Erfolg versprechende Lösung der deutschen Frage freie Wahlen als ersten Schritt an. Die Bildung einer gesamtdeutschen Regierung konnte nach Auffassung des Westens sich nur auf diesem Wege vollziehen. Machte Molotow noch auf der Londoner Außenministerkonferenz von 1947 die Unterzeichnung eines Friedensvertrages von der vorherigen Errichtung einer gesamtdeutschen Zentralregierung abhängig, so sollte sich diese Einstellung im Laufe der Jahre grundlegend wandeln. Der Gedanke der Zentralregierung wurde verdrängt durch den einer provisorischen gesamtdeutschen Regierung und den einer Ost- und Westdeutschland umfassenden Konförderation, wie von Ulbricht vorgeschlagen.
Mit dem Friedensvertragsentwurf von 1959 leitete die Sowjetunion aber eine neue Phase der Deutschlandpolitik ein, indem sie auf völkerrechtlich unvollkommen arbeitende Zwischenlösungen verzichtete und nicht nur die Aushandlung, sondern auch die Annahme und Unterzeichnung eines Friedensvertrages durch zwei deutsche Staaten forderte. Das, was als eigentliches Ziel sowjetischer Deutschlandpolitik schon seit Juli 1955 nicht mehr verborgen geblieben war, wurde jetzt in aller Öffentlichkeit verbindlich fixiert: die deutsche Wiedervereinigung wurde nicht mehr gewünscht.[32] Die Moskauer Politik berief sich mit Nachdruck auf das Modell von Potsdam, das sie in ihrer Besatzungszone verwirklicht sah. Die Westmächte hatten sich von diesem Potsdamer Modell in sowjetischer Auslegung (neutralisiertes und entmilitarisiertes Deutschland) frühzeitig gelöst und sich zum Wiederaufbau und zur Integration Westeuropas sowie zu seiner militärischen Sicherung entschlossen.[33]

Die Genfer Außenministerkonferenz

Die Regierung der Sowjetunion ließ keinen Zweifel am Abschluss eines separaten Friedensvertrages mit der DDR und den östlichen kommunistischen Staaten, falls der Westen den Entwurf ablehnen sollte.[34] Die durch Chruschtschow ausgelöste Berlin-Krise schufen eine starke internationale Spannung und in Deutschland und der DDR einen hohen Grad von Besorgnis, die etwas abgemildert wurde durch eine im März 1959 erreichte Vereinbarung über eine Außenministerkonferenz der vier Mächte in Genf. [35]
Der Westen zeigte Geschlossenheit, die in der Rede des amerikanischen Präsidenten Eisenhower vom 16.03.1959 ihren Ausdruck fand. Eisenhower ließ nicht den geringsten Zweifel zu, dass die USA ihre Rechte und Pflichten in Berlin wahrnehmen würden, zeigte sich aber auch zu Verhandlungen bereit. Der ultimative Charakter, den die sowjetische Berlin-Note zweifellos besaß, wurde von Chruschtschow auf einer Pressekonferenz am 19. März bestritten. Entgegen dem Notentext räumte er den Westmächten legitime Anwesenheitsrechte in Berlin ein.[36]
Der französische Präsident de Gaulle gab in einer Pressekonferenz ebenfalls deutlich zu erkennen, dass Frankreich in der deutschen wie in der Berlin-Frage den gleichen Standpunkt wie seine beiden Alliierten einnehme. In der Frage der Anerkennung der deutschen Grenzen deckte sich aber seine Auffassung mit der der Sowjetunion in Artikel 8 des Friedensvertrages. Er stellte fest:[37] „Die Wiedervereinigung der beiden Teile Deutschlands zu einem einzigen Deutschland, das völlig frei sein würde, scheint uns das natürliche Schicksal des deutschen Volkes zu sein unter der Bedingung, daß dieses Deutschland nicht seine augenblicklichen Grenzen im Westen, im Osten, im Norden und im Süden in Frage stellt.“
Chruschtschow hatte sich in der von ihm seit dem 27.11.1958 eingeleiteten krisenhaften Entwicklung so exponiert, dass es ein Teilziel des westlichen Konferenzprogramms für Genf war, ihm eine Brücke zum Rückzug zu bauen, ohne dass er sein Gesicht verloren hätte. Diesen Rückzug hatte er bereits mit seinen Antworten auf der Moskauer Pressekonferenz vom 19.03.1959 bereits eingeleitet. Das hatte er schon anlässlich eines Besuches in der DDR vom 04-12.03.1958 getan, als er am 9. März in Ostberlin erklärte:[38] „Wenn nötig, werden wir auch damit einverstanden sein, daß die USA, England und Frankreich und die Sowjetunion oder neutrale Länder in Westberlin ein Minimum an Truppen haben sollen, die die Einhaltung des Status der Freien Stadt zu sichern hätten, sich aber nicht in das innere Leben der Stadt einmischen dürften.“
Die Genfer Außenministerkonferenz, die vom 11.05-05.08.1959, mit einer Unterbrechung vom 21.06-12.07. tagte, sah als Teilnehmer neben den vier Konferenzmächten USA, Großbritannien, Frankreich und die Sowjetunion die Bundesrepublik und die DDR. Der Versuch Moskaus, mit der gleichberechtigten Platzierung der Regierungsvertreter beider deutschen Staaten am Konferenztisch die völkerrechtliche de-facto-Anerkennung der DDR durchzusetzen, scheiterte am Widerstand der Westmächte. Die beiden deutschen Delegationen unter Führung ihrer Außenminister erhielten nur den Status als Berater und getrennte Tische zugewiesen. An den Geheimsitzungen nahmen sie nicht teil. Trotzdem förderte das gleichberechtigte Auftreten der beiden die Aufwertung der DDR.[39]
Der Außenminister der USA, Herter, legte im Namen der Westmächte und in Übereinstimmung mit der Bundesregierung am 14. Mai einen Stufenplan für die deutsche Wiedervereinigung und für einen deutschen Friedensvertrag vor, der in seinen Grundzügen vorsah:[40]
Ost- und Westberlin sollen durch freie Wahlen unter UN- oder Viermächte-Überwachung vereint werden. Ein für Berlin frei gewählter Rat, der die Stadt nach eigenem Ermessen verwalten könne, wäre der erste Schritt der Wiedervereinigung. Die Freiheit und Unverletzlichkeit Berlins werde durch die vier Mächte garantiert, deren Streitkräfte in Berlin stationiert bleiben.Die vier Mächte setzen einen gemeinsamen deutschen Ausschuss ein, der Beschlüsse mit Dreiviertelmehrheit fasst. Er wird bestellt von den jeweiligen Behörden und setzt sich aus 25 Mitgliedern aus der BRD und 10 Mitgliedern aus der DDR zusammen. Die Aufgaben des Ausschusses sind die Vorschläge für technische Kontakte, Freizügigkeit von Personen, Sicherung der Menschenrechte sowie die Ausarbeitung eines Gesetzentwurfes zu allgemeinen, geheimen und freien Wahlen unter unabhängiger Kontrolle. Über den Wahlgesetzentwurf soll eine Volksabstimmung entscheiden. Falls der Ausschuss innerhalb eines Jahres keinen solchen Gesetzentwurf vorlegt, sollen die Bundesrepublik und die DDR je einen Entwurf aufstellen. Über beide Entwürfe soll in ganz Deutschland abgestimmt werden. Der Wahlgesetzentwurf mit Stimmenmehrheit erhält Gesetzeskraft.Nach spätestens zweieinhalb Jahren sollen Wahlen unter Kontrolle für eine gesamtdeutsche Versammlungin beiden Teilen Deutschlands gemäß Wahlgesetz abgehalten werden. Es wird eine Verfassung nach dem Grundsatz der Förderation durch die gesamtdeutsche Versammlung ausgearbeitet. Eine gesamtdeutsche Regierung, die nach dieser Verfassung gebildet wird, ersetzt die Regierungen der BRD und der DDR und erhält innere und äußere Entscheidungsfreiheit vorbehaltlich der Rechte und Verantwortlichkeit der vier Mächte für Berlin und Deutschland als Ganzes (Wiedervereinigung, Friedensvertrag, Truppenstationierung). Die gesamtdeutsche Regierung soll Verhandlungen über einen deutschen Friedensvertrag aufnehmen.Es soll eine endgültige Friedensregelung mit der gesamtdeutschen Regierung abgeschlossen werden. Allen ehemaligen Kriegsgegnern steht der Beitritt offen. Die Friedensregelung tritt in Kraft, wenn die entsprechenden Verträge durch die vier Mächte ratifiziert worden sind.
Dieser westliche Vorschlag für einen Friedensplan von 1959 enthielt gegenüber den Plänen der Außenminister von 1955 einige bemerkenswerte Zugeständnisse:[41]
Freie Wahlen standen nicht mehr am Beginn des Wiedervereinigungsprozesses.Das Wahlgesetz sollte nicht mehr von den vier Mächten, sondern von der deutschen Bevölkerung selbst ausgearbeitet werden bzw. im Fall einer Nichteinigung einer Volksabstimmung unterzogen werden.Ein gemischter deutscher Ausschuss wurde im Gegensatz zu 1955 erstmalig vorgeschlagen, somit also eine Kontaktnahme zwischen beiden Teilen Deutschlands.
Außenminister Gromyko legte den sowjetischen Friedensvertragsentwurf vom 10.01.1959 als Verhandlungsgrundlage vor. Im Gegensatz zu den westlichen Vorschlägen wünschte die Sowjetunion zuerst den Abschluss eines Friedensvertrages – ausgearbeitet von einer paritätisch besetzten Kommission aus Vertretern beider Teile Deutschlands – mit beiden deutschen Staaten und betrachtete die Wiedervereinigung als eine ausschließlich deutsche Angelegenheit. Hinsichtlich Westberlins beharrte die Sowjetunion auf ihrer Forderung, dieser Stadt den Status einer freien, entmilitarisierten Stadt zu geben.[42]
Die westliche wie die östliche Delegation lehnten die Vorschläge der Gegenseite ab.
Im Zuge weiterer modifizierter Vorschläge über Westberlin befristete Gromyko das westliche Besatzungsrecht auf eineinhalb Jahre. Der Westen erklärte am 16. Juni in einem Kompromissvorschlag sein Einverständnis zur Beschränkung seines Berliner Truppenkontingents auf insgesamt 110.000 Personen.
Die Genfer Außenministerkonferenz blieb also ergebnislos. Sie erreichte weder eine umfassende Vereinbarung zur deutschen Frage und zur europäischen Sicherheit, noch gelang ihr das Nahziel einer Interimslösung über Berlin, obwohl beide Seiten sich in dieser Frage in einigen Punkten recht nahe gekommen waren. Das Berlin-Problem, der eigentliche Kern der Genfer Konferenz, blieb zwar ungelöst, aber am 27.05.1959, dem Datum des Ablaufs des Ultimatums, brach kein Krieg aus, sondern die Weltmächte saßen am Verhandlungstisch. Hierin allein bestand schon ein Erfolg der Genfer Konferenz. Ein weiteres Ergebnis war eine Art stillschweigenden Einvernehmens über den Status quo in Berlin.[43] Chruschtschow hatte in seiner Moskauer Rede vom 19.06.1959 anlässlich des Empfanges einer Delegation der DDR unter Führung von Ulbricht und Grotewohl gesagt:[44] „In Anbetracht dessen, daß die Westmächte gegenwärtig nicht bereit sind, einer endgültigen und unverzüglichen Annullierung des Besatzungsregimes in Westberlin zuzustimmen, gab die Sowjetregierung Genossen Gromyko die Anweisung, gegen die Beibehaltung der Besatzungsrechte der drei Mächte in Westberlin für eine bestimmte Zeit keine Einwände vorzubringen.“
Die Spannungen um Berlin waren damit praktisch auf den Stand vor dem 27.11.1958 reduziert. Die Tagung in Genf führte zwar im Gesamtaspekt der deutschen Frage unter Einschluss Berlins zu keinem Ergebnis in der Sache, wohl aber zu einem Ausbruch aus dem gefährlichen Bannkreis gesetzter Fristen. Unmittelbarster Nutznießer dieser psychologischen Entspannung war die Berliner Bevölkerung. Wenn schließlich das Scheitern der Genfer Konferenz keine deprimierende Wirkung zeigte, lag das an der Einladung Chruschtschows durch Präsident Eisenhower zu einem Besuch in den USA. Diese Einladung wurde als ein weiterer Schritt zur Entspannung aufgefasst.[45]

Schien es um die Jahreswende 1958/59 noch so, dass die Krise um Berlin zu ernsteren Konsequenzen führen werde, so zeigte schon die Genfer Konferenz der Außenminister, dass aus dem russischen Ultimatum ein Dialog geworden war. Der Besuch Chruschtschows in den USA vom 15-18.09.1959 brachte die Fortsetzung dieses Dialoges. Es wurde zwischen Eisenhower und Chruschtschow die Übereinkunft erzielt, dass die Gespräche über die Berliner Frage ohne zeitliche Beschränkung wieder aufgenommen werden sollten. In den Gesprächen auf dem amerikanischen Landgut Camp David vom 25-27.09. gewann Eisenhower die Überzeugung, dass die Ultimaten in der deutschen und Berliner Frage nicht als Drohung gemeint gewesen seien, so dass er seine Zustimmung zur Pariser Gipfelkonferenz im Mai 1960 gab. Die Gipfelkonferenz scheiterte aber, ehe sie begann. Der Zwischenfall mit dem amerikanischen Erkundungsflugzeug U 2 über sowjetischem Territorium am 01.05.1959 war für den sowjetischen Ministerpräsidenten der Anlass, um die Konferenz zu boykottieren.[46]
Die Verschlechterung der internationalen Lage nach Abbruch der Konferenz ließ befürchten, dass Moskau in der deutschen Frage unter Einschluss Berlins nunmehr zu einseitigen Handlungen schreiten würde. Aber Chruschtschow lenkte zur Überraschung der Weltöffentlichkeit ein. Am 20.05.1960 stellte er in einer öffentlichen Versammlung in Ostberlin fest:[47] „Natürlich hat die Sowjetunion jetzt das völlige moralische Recht, ohne weitere Verzögerung den Friedensvertrag mit der Deutschen Demokratischen Republik zu unterzeichnen. Damit wäre auch die Westberlin-Frage gelöst. Wir haben das erörtert und sind zu folgender Schlussfolgerung gekommen: Wir glauben, daß ungeachtet der Sprengung der Gipfelkonferenz der Kampf der friedliebenden Kräfte vom Sieg gekrönt werden wird. Wir möchten glauben, daß die Gipfelkonferenz in sechs bis acht Monaten stattfinden wird. Unter diesen Bedingungen hat es Sinn, noch etwas zu warten und zu versuchen, durch gemeinsame Anstrengungen aller vier Siegermächte eine Lösung zu finden. Die Sache geht uns nicht aus den Augen, warten wir noch, dann wird sie besser heranreifen. Deshalb wird man in bezug auf den deutschen Friedensvertrag und dabei auch in der Frage Westberlins offensichtlich die bestehende Lage bis zum Treffen der Regierungschefs beibehalten müssen. (…) Die Westmächte, unsere Partner beim Gipfeltreffen, müssen diese unsere Haltung richtig verstehen. Ihrerseits müssen sie auch diese Prinzipien einhalten, das heißt, keinerlei einseitige Schritte zulassen, die ein Treffen der Regierungschefs verhindern würden.“
Dieses Einlenken entsprach auf keinen Fall den Vorstellungen der Politik der DDR, die in Konsequenz des Ausganges der Pariser Konferenz rasche und energische Schritte zu ihren Gunsten erwartet hatte. Die gewonnene Atempause hielt bis Juni 1961 an, als sich der neu gewählte Präsident der USA, John F. Kennedy, und Chruschtschow am 03-04.06 in Wien trafen. Das auf dieser Zusammenkunft Kennedy übergebene Memorandum zur Deutschlandfrage machte deutlich, dass sich die Vorstellungen der Sowjetunion nicht gewandelt hatten. Neu war, dass der Dreimächtestatus von Westberlin durch Stationierung sowjetischer Truppen in ein Viermächtestatus umgewandelt werden könnte:[48] „Die UdSSR schlägt vor, die zuverlässigen Garantien gegen die Einmischung in die Angelegenheiten der Freien Stadt seitens irgend eines Staates zu schaffen. Als Garant der Freien Stadt könnten in Westberlin symbolisch Kontingente von Truppen der USA, Großbritanniens, Frankreichs und der Sowjetunion stationiert werden. Seitens der UdSSR würden auch keine Einwände gegen die Stationierung von Kontingenten der Truppen neutraler Länder unter der Schirmherrschaft der UNO in Westberlin zu gleichen Zwecken erhoben werden.“
Bezogen auf den Abschluss eines Friedensvertrags war auch eine größere Flexibilität in den Modalitäten im Gegensatz zum sowjetischen Friedensvorschlag vom 10.1.1959 neu. Die Bundesrepublik brauche nicht sofort durch alle Partner eines Friedensvertrags anerkannt zu werden, man könne sogar einen östlichen und einen westlichen Friedensvertrag „mit beiden oder mit einem deutschen Staat nach eigenem Ermessen unterzeichnen, sofern die Verträge nur die gleichen Grundsätze zu den wichtigsten Fragen einer Friedensregelung enthalten.“[49]
Zum Schluss wurde wieder der Abschluss eines separaten östlichen Friedensvertrages für Westberlin genannt:[50] „Gleichzeitig wird dies auch die Aufhebung des Besatzungsregimes in Westberlin mit allen sich hieraus ergebenen Fragen bedeuten. Insbesondere werden die Fragen der Benutzung der Verbindungswege auf dem Lande, zu Wasser und in der Luft, die über das Territorium der DDR führen, nicht anders zu lösen sein als auf der Grundlage entsprechender Übereinkommen mit der DDR. Dies ist auch natürlich, da die Wahrnehmung einer Kontrolle über solche Verbindungswege das unveräußerliche Recht eines jeden souveränen Staates ist.“
Genau dies war das Ziel Ulbrichts. Mit dem Friedensvertrag zwischen der Sowjetunion und der DDR hätte er das entscheidende Instrument in den Händen gehabt, um die Anwesenheit der Westmächte in Berlin zu erschweren. An entsprechenden Äußerungen aus Ulbrichts Munde im Sommer 1961 hat es nicht gefehlt, wobei er die Nachgiebigkeit des Westens einkalkulierte.
Das Problem der Flüchtlinge nach Westberlin, was die DDR schon seit Jahren beschäftigte, nahm sprunghaft zu und verschärfte die Lage. In den ersten 7 ½ Monaten des Jahres 1961 flohen 133.700 Menschen, lediglich 18.000 weniger als im ganzen Jahr 1960. Im Juni, Juli und August emigrierten täglich 1500 bis 2000 Menschen. Die Neue Zürcher Zeitung kennzeichnete am 02.07.1961 die Situation für die DDR-Führung folgendermaßen:[51] „Es ist verständlich, daß das kommunistische Regime der Ostzone diesen Zustand als unerträglich ansehen muß. (…) Das ‚offene Loch’ in Berlin verzögert eine politische Konsolidierung des Regimes und läßt die Ostzone im Vergleich zur dynamischen Entwicklung Westdeutschlands immer fühlbarer stagnieren, und zwar in einem Maße, das auch wichtige politische Aspirationen der kommunistischen Seite in Mitleidenschaft zieht. (…) Man ist sich in Berlin bereits heute völlig im klaren darüber, daß einer der ersten Schritte Ulbrichts nach dem Abschluß eines Friedensvertrages die Schließung der Sektorengrenze und damit die Abriegelung des Flüchtlingsstromes sein wird. Die bisherigen Absperrungsmaßnahmen, wie die Errichtung eines besonderen Kontrollnetzes um Ostberlin gegen die Zone, haben sich als ungenügend erwiesen.“
Ulbricht hatte noch am 15.06 in einer Pressekonferenz vor in- und ausländischen Journalisten erklärt:[52] „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten. (…) Wir sind für vertragliche Regelung der Beziehungen zwischen Westberlin und der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik. Das ist der einfachste und normalste Weg zur Regelung dieser Fragen.“
Die Westmächte hatten ihre ganzen Bemühungen darauf konzentriert, Moskau von der Unterstützung ihrer Entschlossenheit auch zum militärischen Handeln zu warnen. In dem im Inhalt übereinstimmenden Antwortnoten der Westmächte auf das Wiener Memorandum der Sowjetunion hieß es unmissverständlich:[53] „Die Sowjetregierung ist sich zweifellos bewußt, daß die Stadt Berlin noch zur sogenannten Deutschen Demokratischen Republik gehört. Sie liegt nicht, wie die Sowjetregierung behauptet, auf dem Territorium der Deutschen Demokratischen Republik. Das Protokoll vom 12. September 1944 ist in diesem Punkte völlig klar. Es sieht vor, daß die Sowjetunion ein Gebiet im Osten Deutschlands besetzen soll ‚mit Ausnahme des Gebietes von Berlin, für das ein besonderes Besatzungssystem gilt’ Dieses Protokoll, das die Sowjetregierung am 6. Februar 1946 gebilligt hat, ist nach wie vor in Kraft. Es kann revidiert oder außer Kraft gesetzt werden durch Übereinkunft zwischen den vier Mächten, aber nicht durch eine Vereinbarung zwischen einer der Mächte und den von dieser Macht in einem Teil Deutschlands eingesetzten Behörden. (…) Die Regierung Ihrer Majestät hofft, daß die Sowjetregierung ihrerseits nicht daran denkt, einen solchen Schritt zu unternehmen, der, wie bereits gesagt, unübersehbare Folgen haben würde. Sie hält es für notwendig, die Sowjetregierung mit allem Ernst vor den schweren Gefahren einer solchen Handlungsweise zu warnen.“
Die Entscheidung über die Errichtung der Mauer fiel auf einer Zusammenkunft der Warschauer-Pakt-Staaten Anfang August. Sie unterstützen die DDR-Regierung bei der Durchführung dieses Schrittes:[54] „Die Regierungen der Warschauer Vertragsstaaten wenden sich an die DDR mit dem Vorschlag, an der Westberliner Grenze eine solche Ordnung einzuführen, durch die der Wühltätigkeit gegen die Länder des sozialistischen Lagers zuverlässig der Weg verlegt und rings um das ganze Gebiet Westberlins einschließlich seiner Grenze mit dem demokratischen Berlin eine verlässliche Bewachung und eine wirksame Kontrolle gewährleistet wird. Selbstverständlich werden diese Maßnahmen die geltenden Zustimmungen für den Verkehr und die Kontrolle an den Verbindungswegen zwischen Westberlin und Westdeutschland nicht berühren.“
Am 04.08.1961 wurden die Grenzgänger per Verordnung durch den Berliner Magistrat angewiesen, sich registrieren zu lassen und Mieten sowie Mietnebenkosten künftig in West-Mark zu zahlen. Schon vor dem Mauerbau kontrollierte die Volkspolizei im Ostteil Berlins die in den Westteil führenden Straßen und Verkehrsmittel intensiv auf so genannte verdächtige „Republikflüchtlinge“ und „Schmuggler“. Außerdem kauften viele Westberliner oder in Westberlin arbeitende Ostberliner mit der auf dem Devisenschwarzmarkt günstig getauschter Mark der DDR – Umtauschkurs ca. 1:4 – die vergleichsweise billigen Grundnahrungsmittel und die wenigen hochwertigen Konsumgüter in Ostberlin.
Am 12.08 ging beim Bundesnachrichtendienst (BND) aus Ostberlin folgende Information ein:[55] „Am 11. Augusthat eine Konferenz der Parteisekretäre der parteigebundenen Verlage und anderer Parteifunktionäre beim ZK der SED stattgefunden. Hier wurde u.a. erklärt: ‚(…) Die Lage des ständig steigenden Flüchtlingsstromes mache es erforderlich, die Abriegelung des Ostsektors von Berlin und der SBZ in den nächsten Tagen – ein genauer Tag wurde nicht angegeben – durchzuführen und nicht, wie eigentlich geplant, erst in 14 Tagen.’“
Marshall Konjew, erster Oberbefehlshaber der Truppen der Warschauer-Pakt-Staaten, wurde wenige Tage vor dem 13. August zum Befehlshaber der sowjetischen Streitkräfte in der DDR ernannt. Am 10. August lud er die drei westlichen Stadtkommandanten in sein Potsdamer Hauptquartier. Er gab ihnen die Versicherung, dass, was auch immer in Berlin geschehen würde, die Rechte der Westmächte davon unberührt blieben. Am 11. August erteilte die Volkskammer der Regierung der DDR die Vollmacht, „alle Maßnahmen vorzubereiten und durchzuführen, die sich aufgrund der Festlegung der Teilnehmerstaaten des Warschauer Vertrages als notwendig erweisen.“[56] Der amtierende Ministerpräsident Stoph kündigte die Entschlossenheit der Regierung an, geeignete Maßnahmen gegen die Fluchtbewegungen zu ergreifen.
Trotz dieser und anderer Anzeichen, die auf eine bevorstehende Absperrung hindeuteten, löste der Vollzug dieser Maßnahmen in der Weltöffentlichkeit Erschütterung und Entsetzen aus. In den frühen Morgenstunden des 13. August 1961, riegelten Volksarmee und Volkspolizei die Sektorengrenzen innerhalb der Stadt und die Zonengrenze nach Westberlin hermetisch ab. [57] Den Bewohnern der DDR war jede Möglichkeit genommen, nach Westberlin zu gelangen. Den Westberlinern war es dagegen noch bis zum 22. August erlaubt, Ostberlin zu betreten. Einwohner der übrigen Bundesrepublik durften weiterhin Ostberlin besuchen, wozu sie eine Aufenthaltsgenehmigung brauchten. Die DDR bezeichnete den Bau der Mauer als „antifaschistischen Schutzwall“ und als „Sieg des sozialistischen Lagers über den westlichen Imperialismus“.[58]
Der Stachendrahtabsperrung und anderen Hindernissen folgte der Bau der zwei Meter hohen Mauer, die Berlin teilte. Fenster und Türen von unmittelbar an den Sektorengrenzen gelegenen Häusern wurden zugemauert, deren Bewohner zwangsweise ausgewiesen. Die Grenzposten erhielten Schießbefehl. Der S- und U-Bahnverkehr war vorübergehend unterbrochen. Die bis dahin ca. 80 Übergänge in Berlin wurden bis auf wenige geschlossen. Schätzungen sprechen von ca. 500.000 Menschen, die täglich in beiden Richtungen die Sektorengrenze passierten. Den Menschen aus Ostberlin war der Besuch der Westberliner Theater, Kinos und Konzerten gegen Ostmark im Umtausch-Verhältnis 1:1 möglich. Die 50.000 Pendler, die täglich von Ostberlin und den Berliner Randgebieten nach Westberlin kamen, konnten nicht mehr in Westberlin arbeiten.
An der gesamten Berliner Mauer gab es 25 Grenzübergangsstellen, 13 Straßen-, 4 Eisenbahn- und 8 Wasserstraßengrenzübergangsstellen. Dies waren etwa 60% aller Grenzübergänge zwischen der DDR und Westberlin. [59]
Die Berliner Mauer wurde ergänzt durch ausgedehnte Befestigungen der Grenze zur Bundesrepublik und – in geringerem Umfang – anderer Westgrenzen der Staaten des Warschauer Paktes, wodurch der sogenannte Eiserne Vorhang materielle Gestalt annahm.
Wie die übrige innerdeutsche Grenze wurde auch die Berliner Mauer über weite Strecken mit umfangreichen Systemen von Stacheldrahthindernissen, Gräben, Panzerhindernissen, Kontrollwegen und Postentürmen versehen. Allein etwa 1000 Diensthunde waren in Hundelaufanlagen bis Anfang der 1980er Jahre eingesetzt. Dieses System wurde über Jahrzehnte ständig ausgebaut. Dazu gehörte, dass nahe an der Mauer stehende Häuser, deren Bewohner zwangsweise umgesiedelt worden waren, gesprengt wurden. Noch am 28. Januar 1985 wurde an der Bernauer Straße sogar die Versöhnungskirche gesprengt. Das führte dazu, dass sich letztlich eine breite, nachts taghell beleuchtete Schneise durch die einst dicht bebaute Stadt zog.
Von der 167,8Kilometer langen Grenze um West-Berlin lagen 45,1km direkt in Ost-Berlin und 112,7km im ostdeutschen Bezirk Potsdam. Hierbei sind zum Teil die Öffnungen der Grenzübergänge mit enthalten. 63,8km des Grenzverlaufs lagen in bebautem, 32km in bewaldetem und 22,65km in offenem Gelände, 37,95km der Grenze lag in oder an Flüssen, Seen und Kanälen. Die absolute Länge der Vorderlandgrenzanlagen in Richtung West-Berlin betrug dabei 267,3km und die der Hinterlandgrenzanlagen in Richtung DDR 297,64km.
Für die ostdeutschen Grenzsoldaten galt der Artikel27 des Grenzgesetzes von 1982, wonach der Einsatz der Schusswaffe zur Verhinderung eines Grenzdurchbruches die äußerste Maßnahme der Gewaltanwendung gegen Personen war. Dies wird meist als Schießbefehl bezeichnet. Vor hohen Feiertagen oder Staatsbesuchen wurde der Einsatz der Schusswaffe ausdrücklich untersagt, um eine negative Westpresse zu vermeiden. Von West-Berlin wurde die Grenze von der West-Berliner Polizei und alliierten Militärstreifen beobachtet. Auffällige Aktivitäten wurden dokumentiert; auch um Einschleusungen von Spionen und Agenten nach West-Berlin zu verhindern. Später stellte sich heraus, dass es dennoch versteckte Mauerdurchgänge gab, die vom MfS genutzt wurden.
Die Grenzanlagen entstanden in mehreren Etappen. Am 13. August 1961 unterbanden Stacheldraht und Bewachung das einfache Wechseln zu oder aus den Westsektoren von Groß-Berlin. Ab dem 15. August wurde mit Betonelementen und Hohlblocksteinen die erste Mauer aufgebaut. Im Juni 1962 kam die sogenannte „Hinterlandmauer“ hinzu. 1965 ersetzten zwischen Stahl- oder Betonpfosten eingelassene Betonplatten die bisherigen Bauteile. Als ihr oberer Abschluss wurde eine Betonröhre aufgesetzt.
Der breiten Masse in der Bevölkerung der DDR war durchaus bewusst, dass die Grenzschließung darauf gerichtet war, „Republikflucht“ und die Tätigkeit der Grenzgänger, also jener Menschen, die in Ost- oder West-Berlin arbeiteten, aber im anderen Teil der Stadt wohnten, zu unterbinden. Darüber hinaus richtete sie sich gegen die ganze Bevölkerung der DDR, insofern sie die offenen Grenzen und die Möglichkeit der Abwanderung in den vielfältigen Verhandlungen mit Vertretern der Staatsmacht und der Behörden dazu genutzt hatte, Lösungen auszuhandeln, zu denen diese andernfalls nicht bereit gewesen wären.
Denn die offene Grenze hatte der SED durchaus einige Fesseln angelegt im Umgang mit einer Bevölkerung, der als letzte Möglichkeit, sich den Zumutungen der SED zu entziehen, immer der Weg nach Westen offen gestanden hatte. Diese Drohung hatte alle politischen, wirtschaftlichen und sozialen Auseinandersetzungen in der DDR beeinflusst, hatte doch ein Sechstel der Bevölkerung diesen Weg bis 1961 bereits eingeschlagen. Sie war einer der Gründe für den Mauerbau gewesen, denn die SED hatte diese Fesseln als Einschränkung ihrer Souveränität in der DDR wahrgenommen – so, wie sie die Abwanderung selbst als Verrat und als eine Form von Rebellion gegen ihre Herrschaft in der DDR ansah.
Die Auffassung, dass der „Republikflucht“ ein Riegel vorgeschoben werden sollte, war in der SED verbreitet. Auch wenn es bei einigen Bürgern Häme und Schadenfreude gegenüber den Grenzgängern gab, so stand doch die Beeinträchtigung der eigenen Chancen und Freiheiten, das Bewusstsein einer verschärften Spaltung zwischen den beiden Teilen Deutschlands und die Befürchtung, dass die DDR-Regierung die neue Situation zu einer Intensivierung der politischen Repression und der wirtschaftlichen Produktivität nutzen würde, im Vordergrund.
Die erste Reaktion in Berlin auf beiden Seiten des Stacheldrahts, der erst einige Tage später den ersten Mauern weichen sollte, war ungläubiges Entsetzen – und Wut, wie einige Angehörige der Kampfgruppen in der Nacht der Grenzsperrung direkt erfahren sollten
Am Vormittag und im Laufe des 13. August versammelten sich in Berlin immer wieder Menschen auf beiden Seiten der Grenze, um sich zu überzeugen, dass das nicht Denkbare tatsächlich geschah. Und auf beiden Seiten der tags zuvor noch nahezu unsichtbaren Grenze kam es zu Unmutsäußerungen und spontanen Protesten. Am frühen Morgen protestierten am Übergang Wollankstraße etwa fünf- bis sechshundert Menschen gegen die Grenzschließung. Weitere Proteste formierten sich am Vormittag an den Bahnhöfen an der Bornholmer Straße, Schönhauser Allee und Französische Straße sowie im Bezirk Prenzlauer Berg. Etwa 500 Menschen protestierten an der Eberswalder Straße; die Volkspolizei löste diese Gruppe auf.An der Kreuzung Brunnen-/Bernauer Straße sowie an der Wolliner Straße bildeten sich mehrfach im Verlauf des Tages aus den entsetzten Zuschauern protestierende Gruppen, die von der Volkspolizei aufgelöst wurden. Am Nachmittag gab es ähnliche Szenen – nur ohne Volkspolizei – auf der Westseite der Grenze an der Swinemünder Straße. Vor allem an den Bahnhöfen, an denen noch am Vortag eine Verbindung nach West-Berlin bestand, waren Agitatoren und Polizei mit erheblicher Kritik konfrontiert. Fahrgäste forderten „provokativ“, in den Westen fahren zu dürfen. Am Bahnhof Schönhauser Allee etwa verlangten zwei Jugendliche, die in West-Berlin arbeiteten, dorthin gefahren zu werden: „Sie wurden von den Sicherheitsorganen vom Bahnhof entfernt.“
Über Mittag wurden die Polizeieinheiten verstärkt, um vor allem jeden Kontakt zu Menschenansammlungen auf der Westseite zu verhindern, sodass sich kein übergreifender Protest formieren konnte. Es gelang der Volkspolizei, die meisten protestierenden Gruppen auf der östlichen Seite aufzulösen, die sich aber bald darauf neu formierten. Mehrfach wurde dabei Tränengas eingesetzt. Volkspolizei und Angehörige des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) verhafteten Menschen, die zum Streik aufriefen oder im Ärger die Bekanntmachungen der Regierung abrissen. Die Proteste setzten sich, selbst in der Innenstadt, bis in die Abendstunden fort. Häufig waren es junge Leute, die diese Proteste dominierten.
In den ersten zwei bis drei Tagen liefen immer wieder Menschen auf beiden Seiten der Grenze zusammen und gaben dadurch und durch verbale Äußerungen ihrem Unmut Ausdruck. Am 15. August demonstrierten mittags am Ost-Berliner Arkonaplatz nahe der Grenze ein- bis zweitausend Menschen gegen deren Abriegelung. Kollektive Proteste und spontane Demonstrationen in Ost-Berlin trieb die Volkspolizei in den folgenden Tagen immer wieder mit Nebelkörpern, Wasserwerfern und Schlagstockeinsatz auseinander. Aber es kam, wie der SED-Vorsitzende Walter Ulbricht im vorhinein versichert hatte, nicht zu einer Aufstandsbewegung in der DDR, die im Westen einige befürchtet hatten und die insbesondere Kremlchef Nikita Chruschtschow für möglich gehalten hatte. Die Überrumpelung der Bevölkerung, die Erfahrung von 1953, das schnelle Eingreifen der Parteimaschinerie und die schnelle und gut geplante Reaktion von Volkspolizei und Staatssicherheit gewährleisteten, dass es bei lokalen Protesten bleib.
Empörung und Verbitterung der Berliner Bevölkerung über den Bau der Mauer waren groß. Der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer rief noch am gleichen Tag die Bevölkerung zur Ruhe und Besonnenheit auf und verwies auf nicht näher benannte Reaktionen, die gemeinsam mit den Alliierten folgen würden. In der Bundesrepublik lief der Wahlkampf für die Bundestagswahlen im September 1961 auf Hochtouren. Adenauer besuchte viele Wahlkampfveranstaltungen in dieser Zeit und machte damit deutlich, dass ihn der Bau der Berliner Mauer und die daraus resultierenden Folgen für die weltpolitische Entwicklung nur am Rande interessierten. Erst zwei Wochen nach dem Mauerbau besuchte er Westberlin, was ihm innerhalb Westdeutschlands viele Sympathien kostete.[60]
Am 16. August fanden sich vor dem Schöneberger Rathaus, dem Sitz des Westberliner Senats, 250.000 Menschen ein. Auf dieser Demonstration teilte Berlins Regierender Bürgermeister Willy Brandt mit, dass er dem amerikanischen Präsidenten Kennedy[61] einen Brief geschrieben habe. Die wesentlichsten Auszüge lauteten:[62] „Die Maßnahmen des Ulbricht-Regimes, gestützt durch die Sowjetunion und den übrigen Ostblock, haben die Reste des Viermächtestatus nahezu völlig zerstört. Während früher die Kommandanten der alliierten Mächte in Berlin bereits gegen Paraden der sogenannten Volkspolizei protestierten, haben sie sich jetzt mit einem verspäteten und nicht sehr kraftvollen Schritt nach der militärischen Besetzung des Ostsektors durch die Volksarmee begnügen müssen. Die illegale Souveränität der Ostberliner Regierung ist durch Hinnahme anerkannt worden, soweit es sich um die Beschränkung der Übergangsstellen und des Zutritts zum Ostsektor handelt. Ich halte dies für einen ernsten Einschnitt in der Nachkriegsgeschichte dieser Stadt, wie es ihn seit der Blockade nicht mehr gegeben hat. (…) Die Sowjetunion hat die Hälfte ihrer Freistadt-Vorschläge durch den Einsatz der deutschen Volksarmee erreicht. Der zweite Akt ist eine Frage der Zeit. Nach dem zweiten Akt würde es ein Berlin geben, das einem Ghetto gleicht, das nicht nur seine Funktion als Zufluchtsort der Freiheit und als Symbol der Hoffnung auf Wiedervereinigung verloren hat, sondern das auch vom freien Teil Deutschlands abgeschnitten wäre. Dann könnten wir statt der Fluchtbewegung nach Berlin den Beginn einer Flucht aus Berlin erleben. Ich würde es in dieser Lage für angemessen halten, wenn die Westmächte zwar die Wiederherstellung der Viermächte-Verantwortung verlangen, gleichzeitig aber einen Dreimächtestatus Westberlins proklamieren. Die drei Mächte sollen die Garantie ihrer Anwesenheit in Westberlin bis zur deutschen Wiedervereinigung wiederholen und gegebenenfalls von einer Volksabstimmung der Bevölkerung in Westberlin und der Bundesrepublik unterstützen lassen.“
Präsident Kennedy entsandte am 18. August Vizepräsident Johnson und General Clay nach Berlin und verfügte die Verstärkung der amerikanischen Garnison um 1500 Personen. Die Truppenverstärkung erreichte Berlin ungehindert und wurde vom Vizepräsidenten und von weiten Teilen der Westberliner Bevölkerung begrüßt.[63]
Die sich aufdrängende Frage, ob ein sofortiges militärisches Eingreifen der drei Westmächte den Mauerbau verhindert bzw. beseitigt hätte, ist spekulativ. Es steht aber fest, dass die Westmächte diese Absicht nicht hatten. Durch die Absperrungen waren keine entscheidenden Rechte des Westens verletzt worden. Sicherlich war das zitierte Berlinprotokoll vom September 1944 nicht beachtet worden, denn das Berliner Statut sah nicht nur den ungehinderten Verkehr in alle Sektoren der Stadt, sondern auch das klare Verbot des Auftretens deutscher Truppen in irgendeinem Teil der Stadt vor. Die Westmächte wollten und konnten diesen Prozess – vor allem in einer Situation, die einem Pulverfass glich – nicht rückgängig machen.
Die Ereignisse schufen eine Spannung, die für das restliche Jahr 1961 zum Dauerzustand wurde, aber die Kriegsgefahr trotz zahlreicher Zwischenfälle nicht erhöhte. [64] Chruschtschow erklärte auf dem XXII. Parteitag der KPdSU in Moskau: [65]„Wenn die Westmächte Bereitschaft zur Regelung des deutschen Problems zeigen, so wird die Frage der Termine der Unterzeichnung eines deutschen Friedensvertrages nicht solche Bedeutung haben. Wir werden dann nicht darauf bestehen, den Friedensvertrag unbedingt bis zum 31. Dezember 1962 zu unterzeichnen.“
Das Drängen Ulbrichts auf Abschluss eines Friedensvertrages fand in der Sowjetunion kein Gehör. Das damit verbundene Risiko eines militärischen Konfliktes war Moskau offenbar zu hoch, während Ulbricht überzeugt war, dass es zu keinem Krieg kommen werde.
Zu einer direkten Konfrontation zwischen amerikanischen und sowjetischen Truppen kam es am 27.10.1961 am Checkpoint Charlie auf der Friedrichstraße, als sich als finale Folgen von Unstimmigkeiten jeweils vier Kampfpanzer der amerikanischen und sowjetischen Armee unmittelbar am Grenzstrich gegenüber aufbauten.[66] Am nächsten Tag wurden jedoch beide Panzergruppen wieder zurückgezogen. Dieses Scharmützel beinhaltete ernorme politische Bedeutung, da es den USA auf diese Weise gelungen war zu belegen, dass die Sowjetunion und nicht die DDR für die Sicherung des Ostteils von Berlin verantwortlich war. Beide Seiten wollten den Kalten Krieg wegen Berlin nicht eskalieren lassen oder gar einen Atomkrieg riskieren.
Mit der Errichtung der Mauer erfolgte der schwerste Vorstoß der Sowjetunion gegen den Viermächtestatus seit 1948. Gesamtberlin wurde als Verhandlungsgegenstand bei zukünftigen Verhandlungen durch die Sowjetunion nicht mehr akzeptiert. Die Sowjetunion hatte diese Haltung durch die Auflösung ihrer Kommandantur in Ostberlin am 23.08.1962 deutlich unterstrichen.
Die Spaltung der Stadt, die hohen Verluste durch Krieg und Demontagen sowie der weit über dem Durchschnitt liegende Prozentsatz alter und kranker Menschen beeinflussten die wirtschaftlichen Möglichkeiten Westberlins. Aus der Bundesrepublik flossen deshalb jährlich die notwendigen Geldmittel zum Ausgleich der Berliner Leistungsbilanz. Der entscheidende Teil dieser öffentlichen Mittel wurde für den Haushalt von Berlin in Form der Bundeshilfe gewährt.[67]

Die innenpolitische Entwicklung der DDR bis zum Mauerbau

4.11.1) Der neue Siebenjahresplan und die Änderung des Staatsbanners

Die Volkskammer der DDR beschloss am 01.10.1959 die Gesetze über den Siebenjahresplan 1959-1965 im ökonomischen Bereich und die Änderung der Staatsflagge.[68]
Es ist bereits dargelegt worden, dass die von Ulbricht auf dem V. Parteitag im Juli 1958 verkündete ökonomische Hauptaufgabe, bis 1961 den Pro-Kopf-Verbrauch an Lebensmittel und Konsumgütern der DDR-Bevölkerung dem der Bevölkerung Westdeutschlands anzugleichen, scheiterte. Der Siebenjahresplan litt von Anfang an unter dem Mangel wissenschaftlicher Grundlagen sowie an der Illusion über die eigene Wirtschaftskraft sowie über das Ausmaß sowjetischer Hilfe. Im November 1962 wurde der Siebenjahresplan aufgegeben und durch das „Neue ökonomische System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft“ ersetzt.
Die Flagge der DDR bestand bisher wie die der Bundesrepublik aus den Farben Schwarz-Rot-Gold. Die Farben wurden bei der Änderung beibehalten, aber es wurde auf beiden Seiten in der Mitte das Staatswappen mit Hammer und Zirkel beigefügt. In den unterschiedlichen Flaggen fand nun die These der DDR von der Zweistaatlichkeit ihren sichtbaren Ausdruck. In einer vom Präsidenten des Bundestages am 06.10.1959 verlesener mit nationalistischem Pathos durchtränkter Protesterklärung hieß es:[69] „Nun beleidigen sie das deutsche Volk mit der Verfälschung seiner Fahne. Durch die von ihnen eingeführten neuen Symbole bringen sie zum Ausdruck, daß es nach ihrem Willen zwei Staaten geben soll. Das deutsche Volk jedoch wird nicht aufhören, sich dem zu widersetzen. Auf dem Deutschen Reichstag in Berlin wird vom 7. Oktober 1959 an die unverfälschte Fahne Deutschlands wehen.“

Die Kollektivierung der Landwirtschaft

Ende 1959 wurde noch mehr als die Hälfte der landwirtschaftlichen Nutzfläche in der DDR durch privatwirtschaftlich arbeitende Bauern bewirtschaftet. Sie mussten zwar mit verstärktem Druck zum Eintritt in die LPG rechnen, weil sie der proklamierten Sozialisierung, die im Zuge des Siebenjahresplans bis Ende 1965 vollendet sein sollte, im Wege standen. Im Staatsapparat herrschte die Auffassung vor, die Kollektivierung in diesem Zeitraum zu beenden.[70] Am 02.02.1960 fand in Moskau eine Agrarkonferenz der osteuropäischen Staaten statt. Sie war notwendig geworden durch die schwierige Lage der Landwirtschaft, verschärft durch die unvorhergesehene Dürre des Sommers 1959 und durch die dadurch hervorgerufene Massenschlachtung des Viehs. Die Staatsreserven an Butter waren aufgezehrt, die an anderen Grundnahrungsmitteln gefährdet. Die DDR und andere osteuropäische Länder wandten sich um Hilfe an die Sowjetunion. Die Sowjetunion gewährte Mittel im Rahmen ihrer Möglichkeiten, forderte aber zugleich, durch eigene Anstrengungen in Zukunft diese Engpässe zu vermeiden. Die Moskauer Konferenz, an der neben den anderen kommunistischen Staatschefs auch Ulbricht teilnahm, fasste nicht den Beschluss der radikalen Kollektivierung der einzelnen Landwirtschaften. Während Gomulka keine Veranlassung zur Änderung seiner Landwirtschaftspolitik sowie zu einem verstärkten Druck auf die privaten polnischen Bauern sah und Kádár in Ungarn die Kollektivierung zunächst verlangsamte, hielt Ulbricht an seinen Plänen der Agrarkollektivierung fest. [71]
Im April 1960 wurde die Agrarkollektivierung unter dem Druck des Staates zuerst in Mecklenburg durchgeführt. Mitte April 1960 meldete der Bezirk Karl-Marx-Stadt als letzter den Abschluss der Kollektivierung. Die Struktur auf dem Lande war radikal verändert worden: Einzelbauern gab es fast keine mehr, während die über 19.000 LPG’s Mitte 1960 knapp 85% der landwirtschaftlichen Nutzfläche bewirtschafteten. Im folgenden Jahre erzeugten Staat und Genossenschaften fast 90% der landwirtschaftlichen Bruttoproduktion.[72]

Machtkonzentration in der Person Ulbricht

Am 07.09.1960 starb der Präsident der DDR, Wilhelm Pieck, im Alter von 84 Jahren. Sein Tod war die formale Voraussetzung zu einer auf die Person Ulbricht abgestellten ungewöhnlichen Machtkonzentration.[73] Schon am 10.02.1960 hatte die Volkskammer ein Gesetz über die Bildung des „Nationalen Verteidigungsrates“ verabschiedet, dessen Vorsitzender Ulbricht wurde. Das „Gesetz über die Bildung des Staatsrates der DDR“ vom 12.09.1960 schaffte das Amt des Staatspräsidenten ab und ersetzt ihn durch den „Staatsrat der Republik“, der von der Volkskammer auf vier Jahre gewählt wird. Der Staatsrat bestand aus dem Vorsitzenden, sechs Stellvertretern, 16 Mitgliedern und einem Sekretär.
Der Staatsrat als oberstes Regierungsorgan hatte die folgenden Funktionen:[74]
Ausschreibung der Wahlen zur Volkskammer und Berufung der ersten Tagung der Volkskammer nach der Neuwahl;Möglichkeit der Vornahme einer allgemeinen Volksbefragung;Ratifizierung und Kündigung internationaler Verträge;Ernennung und Abberufung der bevollmächtigten Vertreter der DDR in anderen Staaten;Entgegennahme von Beglaubigungs- und Abberufungsschreiben der bei ihm akkreditierten diplomatischen Vertretungen anderer Staaten;Erlassung von Beschlüssen mit Gesetzeskraft;Erlassung grundsätzlicher Beschlüsse zu Fragen der Verteidigung und Sicherheit des Landes;Bestätigung grundsätzlicher Anordnungen des Nationalen Verteidigungsrates der DDR;Berufung der Mitglieder des Nationalen Verteidigungsrates;Festlegung der militärischen Dienstgrade, diplomatischen Ränge und anderer spezieller Titel;Verleihung von Orden und anderer hoher Auszeichnungen und Ehrentitel;Ausübung des Begnadigungsrechtes.
Die personelle Zusammensetzung des Staatsrates erlaubte keine Überschätzung seiner politischen Bedeutung. Bedeutend allein war das Amt des Vorsitzenden, das Walter Ulbricht zufiel, auf den es ausschließlich zugeschnitten war. Er schuf sich damit eine verfassungsrechtlich gesicherte außerordentliche Machtfülle.[75] Der Staatsratsvorsitzende, der von keiner anderen Instanz kontrolliert wurde, wirkte gleichzeitig als oberster Gesetzgeber, als oberste Instanz der Exekutive, als praktisch einzige Instanz der Verfassungsgerichtsbarkeit sowie als oberstes Organ der Rechtsprechung. Mit dieser Machtkonzentration schaffte es Ulbricht sowohl seine innerparteilichen Gegner auszuschalten als auch seine Vision als Landesvater des „ersten Arbeiter- und Bauernstaates“ auf deutschem Boden zu realisieren.

Das „Gesetzbuch der Arbeit“

Von tief greifender Wirkung war das „Gesetzbuch der Arbeit der DDR“ (AGB), das von der Volkskammer am 12.04.1961 verabschiedet wurde.[76] Es trat am 01.07.1961 in Kraft. Das AGB stellte in seinem Inhalt eine Zusammenfassung bereits bestehender arbeitsrechtlicher Bestimmungen sowie neuer arbeits- und sozialrechtlicher Ziele dar. Dieses Gesetz sollte nach dem Willen der SED seine politische Ausformung als Vorbild für ein kommunistisches Gesamtdeutschland erhalten. Die Diskussion über den Entwurf zum AGB hatte über 23.000 Abänderungsanträge der Arbeiterschaft zum Ergebnis, wovon lediglich ein Minimum berücksichtigt wurde. Die Abänderungsanträge, die im Wesentlichen auf stärkere Mitbestimmung, längeren Urlaub, Arbeitszeitverkürzung, freien Hausarbeitstag für berufstätige Frauen zielten, wurden verworfen.
Der Kern des Gesetzes war das in der Verfassung verankerte Recht auf Arbeit.[77] Es war in der DDR möglich, dass jemand über längere Zeit dem Arbeitsprozess fernblieb, was insbesondere für die nicht berufstätigen Frauen galt. Die Bestimmungen über den Abschluss und die Auflösung von Arbeitsverträgen schränkten jedoch die freie Arbeitswahl teilweise ein und erlaubten in seltenen Fällen die zwangsweise Verpflichtung in andere Betriebe und an andere Orte. Ein Kündigungsrecht seitens des Arbeitnehmers und die damit verbundene Verfügungsgewalt gab es in der DDR nicht. Das Streikrecht wurde grundsätzlich abgeschafft. Der staatliche Arbeitgeber wurde unter Ulbricht mit dem Interesse der Arbeitnehmerschaft gleichgesetzt. Fand das Streikrecht noch in der Verfassung der DDR wenigstens noch seine formale Erwähnung, so wurde es im AGB nicht mehr erwähnt mit der Begründung, dass die Arbeiter nicht gegen sich selbst streiken könnten, nachdem die volkseigenen Betriebe geschaffen wurden.
Von grundlegender Bedeutung waren die durch das AGB geschaffenen und von der staatlichen Gewerkschaft weitgehend beherrschten Konfliktkommissionen. Die arbeitsrechtlichen Bestimmungen des „Bürgerlichen Gesetzbuches“ waren aufgehoben, der Rechtsweg konnte bei arbeitsrechtlichen Streitigkeiten nicht mehr beschritten werden, lediglich Bezirksarbeitsgerichte galten noch als zweite Instanz. In den Konfliktkommissionen wurden die Arbeitsstreitigkeiten entschieden. In den Paragraphen 143 und 144 AGB hieß es:[78] „Die Konfliktkommissionen dienen der gegenseitigen Erziehung der Werktätigen im Sinne der Gebote der sozialistischen Moral und zur bewussten Erhaltung des sozialistischen Rechts. (…) Die Konfliktkommissionen untersuchen und entscheiden bei Verstößen gegen die Gebote der sozialistischen Moral, insbesondere der sozialistischen Arbeitsmoral.“
Verstöße gegen die sozialistische Arbeitsdisziplin, die auf einer „grundsätzlichen Übereinstimmung der Interessen der Gesellschaft und des einzelnen“ beruhte, kamen einem Verstoß gegen die Staatsdisziplin und Staatsräson gleich und wurden entsprechend arbeits- oder strafrechtlich geahndet. Im Zusammenhang damit stand die materielle Verantwortlichkeit der Arbeitnehmer. Für misslungene Arbeiten konnte der Arbeiter schadenersatzpflichtig gemacht werden.
Das AGB ließ alle Forderungen nach Einführung der 45-Stunden-Woche wie der Fünftagewoche unberücksichtigt, der Urlaub blieb weiterhin auf 12 Tage begrenzt. Lediglich Jugendliche erhielten 18 bzw. 21 Tage Urlaub. Die Mitbestimmung oder Mitwirkung der Arbeitnehmer wurde eingeschränkt, die Leitung des Betriebes nach dem Prinzip der Einzelleitung gesetzlich durch das AGB verankert. Laut AGB §117 Absatz 1 war der Betriebsleiter auch „für die Erziehung der Jugend nach den Grundsätzen der sozialistischen Moral mitverantwortlich.“
Ein Auszug aus der Präambel des AGB unterstrich die Bedeutung, die die DDR-Regierung ihm unter gesamtdeutschen Zukunftsperspektiven zuerkannten:[79] „Die geschichtliche Aufgabe des ersten deutschen Arbeiter- und Bauernstaates (…) besteht darin, die Überlegenheit des Sozialismus vor dem ganzen deutschen Volk zu beweisen. (…) Die Erringung der Überlegenheit des Sozialismus wird die Arbeiterklasse beider deutscher Staaten befähigen, ihre historische Aufgabe zu lösen.“

Veränderungen im Bildungssystem und in der Literatur

Seit dem Jahre 1956 stellte die DDR die polytechnische Erziehung in den Mittelpunkt der Ausbildung der Jugend.[80] Der polytechnische Unterricht sollte – zurückgehend auf Vorstellungen von Karl Marx – eine Verbindung des Schulunterrichts mit der Arbeit in Industrie und Landwirtschaft schaffen. Zunächst wurden Unterrichtstage in der Produktion eingeführt. Die polytechnische Erziehung sollte folgende Ziele erreichen:[81]
Kenntnisse der Grundprinzipien der Produktion;Überblick über die Hauptproduktion;elementare Fertigkeiten im Umgang mit Werkzeugen und Messinstrumenten.
Im Oktober 1958 forderte Ulbricht neue Grundsätze der SED-Schulpolitik, im Januar beschloss das ZK Thesen zur „sozialistischen Umgestaltung des Schulwesens“, die die Grundlage für ein entsprechendes Gesetz der Volkskammer bildeten. Dieses Gesetz sah Fächer wie Werkunterricht und Unterricht in der Produktion vor. Um den Schülern die wichtigsten naturwissenschaftlichen Kenntnisse zu vermitteln, wurden Stoffgebiete der modernen Wissenschaft in den Unterrichtsplan einbezogen. Der Aufbau der „allgemeinbildenden zehnklassigen polytechnischen Oberschule“, wie die Schule nun hieß, sollte bis zum Jahre 1964 abgeschlossen sein. Damit der Ablauf der „technischen Revolution“ schon in der Schule vermittelt werden konnte, mussten 70% des Lehrstoffes die Fächer Naturwissenschaften, Mathematik, Technik und Wirtschaftskunde umfassen. Außerdem wurde die ideologische Erziehung des Marxismus/Leninismus verstärkt.[82]
Die „sozialistische Schule“ sollte in der „sozialistischen Universität“ ihre Fortsetzung finden. Die 3. Hochschulkonferenz der SED (28.02.-02.03.1958) stellte die Aufgaben für die Entwicklung der Hochschulen zu sozialistischen Bildungsstätten.[83] Danach musste die Wissenschaft eng mit der Praxis in Industrie und Landwirtschaft verbunden werden, und die Studenten waren zu hoch qualifizierten Fachleuten sowie zu „bewussten Sozialisten“ zu erziehen. Das gesamte Erziehungssystem hatte also die Aufgabe, einerseits die technisch-naturwissenschaftliche Ausbildung zu verstärken, andererseits die ideologische Schulung bestehend aus dem Marxismus-Leninismus zu forcieren. Durch diese Verbindung glaubte die DDR-Regierung sowohl Anschluss an die weltweite Forschungslandschaft zu finden, als auch dem sozialistischen Staat treue Mitarbeiter zu erziehen. Die Differenzen zwischen Sachverstand und Staatstreue führten indessen zu neuen Schwierigkeiten, nicht zuletzt, weil der Akademisierungsgrad der Bevölkerung der DDR weiter wuchs. Bereits 1959/1960 gab es neben 100.000 Hochschulstudenten, darunter 25% Frauen, 128.000 Fachschulstudenten, d.h. über 20% der jüngeren Jahrgänge erhielten eine akademische Ausbildung.
Zu ernsten Auseinandersetzungen führte auch die „sozialistische Revolution“ in der Kultur. Die SED rief die werktätige Bevölkerung dazu auf, die „Höhen der Kultur zu erstürmen“, die Künstler wurden angewiesen, die „Kluft zwischen Kunst und Leben“ zu überwinden. Auf einer Kulturkonferenz der SED im Oktober 1957 richtete das ZK den Hauptstoß gegen die „Dekadenz“, der „sozialistische Realismus“ sollte nicht Fernziel, sondern Gegenwartsaufgabe sein.[84] Es wurde eine „sozialistische deutsche Kultur“ gefordert. In den Mittelpunkt wurde der „Bitterfelder Weg“ gerückt, d.h. die Losung „Greif zur Feder, Kumpel“ einer Bitterfelder Autorenkonferenz im April 1959 sollte Talente aus der Arbeiterschaft für Literatur und Malerei zu gewinnen [85] Der „sozialistische Realismus“ galt als verbindliche Kunstrichtung.[86] Die Prinzipien dieser offiziellen Kunsttheorie der DDR sind im wesentlichen noch die gleichen, die 1934 auf dem ersten sowjetischen Schriftstellerkongress programmatisch ausgearbeitet und vorgelegt worden sind. Dabei wurde vor allem betont, dass die primäre Funktion von Literatur in der ideologischen Massenerziehung und im politischen Anschauungsunterricht liege. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde eine Kunsttheorie festgelegt, die zu einem recht starren Schematismus geführt hat. Daher ist der Terminus „sozialistischer Realismus“ in keiner Weise mit dem traditionellen Realismus-Begriff in Verbindung zu bringen oder zu verwechseln. Es handelt sich hier vielmehr um eine ideologische Literaturtheorie, die auf folgenden primären Grundsätzen beruht: ideologisch determinierter Ideengehalt, marxistisch-leninistische Parteilichkeit, Vorbildlichkeit, Optimismus, Volkstümlichkeit, Verständlichkeit und positiver Held. [87] Durch das genaue Beachten dieser Prinzipien soll gewährleistet werden, dass die Literatur ihrer Funktion und Aufgabe gerecht wird, nämlich den Aufbau der großen gesellschaftlichen Veränderung im Sinne des Sozialismus-Kommunismus nicht nur widerzuspiegeln, sondern durch ihre Wirkung auf die Leser zur Verwirklichung dieser Gesellschaft beizutragen. Durch ein solches Literaturdiktat wurden die DDR-Autoren in ihrer schöpferischen Freiheit begrenzt und häufig als Propagandawerkzeug instrumentalisiert. Dieses Prinzip des „sozialistischen Realismus“ blieb bis auf wenige Ausnahmen, wie die Lyriker der „Sächsischen Dichterschule“ oder auch „Lyrikwelle“ genannt, bis zum Ende der DDR die gültige Literaturtheorie, obwohl sich auch gerade renommierte Autoren in der Praxis davon distanzierten. Vor allem Stephan Hermlin, Volker Braun und andere junge Autoren der 2. Lyrikgeneration der DDR nutzten die Begeisterung der Bevölkerung für Literatur bspw. in der Veranstaltungsreihe „Jazz, Lyrik, Prosa“, um sich von dem „Sozialistischen Realismus der 1. Lyrikgeneration“ abzugrenzen.
Die Entwicklung der Literatur in der DDR setzte mit der antifaschistischen Literatur zahlreicher heimgekehrter literarischer Emigranten ein. Sie wurde wesentlich durch Erlasse und offizielle Äußerungen der SED beeinflusst und gelenkt, so dass man von einer zentralistisch organisierten Literaturszene sprechen kann. Dies spiegelt sich auch darin wider, dass eine übersichtliche Ordnung der gesamten Literatur erstellt werden kann. Ziel der Literaturpolitik war, im Rahmen des „Sozialistischen Realismus“ die gesellschaftlichen Veränderungen zu beschreiben und selbst verändernd einzugreifen. [88] Die Aufbauliteratur befasste sich thematisch mit dem Aufbau großer Industrieanlagen (bes. Chemiewerke). In den Erzählungen sind die Arbeiter die Helden und der Held der spezifischen Erzählung ist ein besonders qualifizierter und erfahrener (also meist etwas älterer) Arbeiter, der unter Schwierigkeiten hilft, das Werk aufzubauen, sich also durch eine besondere Leistung in der Arbeit auszeichnet. [89] Meist treten auch Vertreter „der alten Kräfte“ auf. Das sind Saboteure, die den ökonomischen Erfolg des Sozialismus verhindern, und entlarvt werden oder in den Westen fliehen. Indem der Aufbau der Industrieanlage zuletzt erfolgreich ist und der Sozialismus „seinen Lauf“ nimmt, propagiert die Aufbauliteratur eine optimistische Perspektive. [90] Es handelt sich um eine didaktische Literatur im Interesse des Aufbaus, die die Menschen dazu ermutigen soll, sich für die Sache des Sozialismus zu engagieren. [91]
Während in der bildenden Kunst Monotomie um sich griff, fanden Schriftsteller aus der DDR auch internationale Anerkennung, z.B. Bruno Apitz mit „Nackt unter Wölfen“ (1958), Dieter Noll „Die Abenteuer des Werner Holt“ (1960) und Karl-Heinz Jakobs „Beschreibungen eines Sommers“ (1961). Die jüngeren Lyriker, die 1956 mit modernen Formen und gesellschaftskritischen Aussagen hervorgetreten waren (Heinz Kahlau, Gunter Kunert, Armin Müller, Peter Jokostra) wurden dagegen gemaßregelt, der Schriftsteller Erich Loest im Jahre 1958 ins Gefängnis gesperrt. [92] Auch Theater, Film und Zeitschriften blieben nicht von Kritik verschont, fehlender „Klassenstandpunkt“ und „Dekadenz“ waren häufige Vorwürfe, die Abweichungen von „sozialistischen Realismus“ vermeiden sollten.
Im Jahre 1959 fand die „Bitterfelder Konferenz“ statt, auf der die Überwindung bürgerlicher Literatur durch die Verbindung von Schriftsteller und Arbeitswelt gefordert wurde. Als wichtigstes Zeugnis dieser literarischen Orientierung galt Erik Neutschs Roman „Die Spur der Steine“, der im Jahre 1964 erschien. Neutsch erzählte die Geschichte einer Bauerbeiterbrigade um ihren leicht anarchistischen Brigadier Balla. Die Verpflichtung auf den Aufbau des Sozialismus stand im Vordergrund; aber Neutsch stellte in moderater Form Außenseiterpositionen dar, die –den Vorgaben entsprechend – in der Integration in die Gemeinschaft mündeten.
Hermann Kant griff ähnliche Probleme auf. In seinem Roman „Die Aula“, der zuerst im Jahre 1963 in der Zeitschrift „Forum“ veröffentlicht wurde, ließ er den Ich-Erzähler Robert Iswall über den Aufbau der Arbeiter- und Bauern-Fakultät mit seinen Idealen und Schwierigkeiten berichten.

Innenpolitische Entwicklungen vor und nach dem Bau der Mauer

Ende 1960/Anfang 1961 hatte sich die Parteiführung zu taktischen Zugeständnissen gegenüber einigen Bevölkerungsgruppen bereit gefunden (Ärzte, Zahnärzte, Lehrer, Studenten). Sie gingen zurück auf die programmatische Antrittsrede Ulbrichts als Staatsratsvorsitzender vom Oktober 1960, in der er kritisiert hatte, dass „noch zu sehr kommandiert, abgewiesen, anderen über den Mund gefahren“ werde. Weiterhin beschloss der Staatsrat einen Strafnachlass für mehr als 12.000 Personen in den Gefängnissen. Dieser neue Stil, eines seiner Ziele war die Eindämmung der Fluchtbewegung, wurde bereits ab Sommer 1961 durch eine radikale Kursverschärfung abgelöst.
Die ständige Abwanderung unersetzbarer Arbeits- und Fachkräfte schufen ein ernstes Dilemma in der Wirtschafts- und Versorgungslage der DDR.[93] Die Unzufriedenheit der Bevölkerung über die schlechte Lebensmittelversorgung wuchs. Seit Herbst mehrten sich die Versuche, aus den Produktionsgenossenschaften auszutreten. Das von der Bundesrepublik gekündigte Interzonenhandelsabkommen, das die DDR-Unterhändler wegen der Abhängigkeit des Westberliner Verkehrs vom Interzonenhandel an sich in einer starken Position sah, führte zu einer weiteren Schwächung und Desorganisation der Wirtschaft. Der Versuch, kurzfristig eine weitgehende Unabhängigkeit von westdeutschen Lieferungen zu erreichen, die so genannte „Störfreimachung“, wirkte sich empfindlich auf Verbraucherversorgung, Export und Investitionen aus.
Die Forderung von Ulbricht 1961 nach Abschluss eines, wenn erforderlich separaten, Friedensvertrages löste in dieser mit Unmut, Unzufriedenheit und starkem Vertrauensschwund erfüllten Atmosphäre negative Reaktionen aus. Die Flüchtlingszahlen stiegen sprunghaft an. Die Spannung zwischen politischer Herrschaft und Teilen der Bevölkerung war groß und wuchs weiter an. Repressionen waren die einzige Antwort von Partei und Regierung. Die Verurteilungen wegen „versuchter Republikflucht“ stiegen an. Die in Westberlin arbeitenden ca. 50.000 Grenzgängern wurden unter Druck gesetzt, um sie zur Arbeit in der DDR zu veranlassen.[94]
Die Errichtung der Mauer selbst und die Monate danach waren von Repressionen begleitet, die jede mögliche Opposition verhindern sollte. In den ersten sechs Wochen nach dem 13. August wurden 392 Personen zu insgesamt 1016 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, 4 von ihnen wurden zu lebenslangen Gefängnisstrafen verurteilt.[95] Die Bevölkerung wurde zu Zustimmungserklärungen und Ergebenheitsadressen im Rahmen von Betriebs- und Einwohnerversammlungen gezwungen. Die DDR-Regierung selber versuchte den Bau der Mauer ideologisch zu rechtfertigen. Der 1. Sekretär der Kreisleitung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Berlin-Mitte , Thieme, stellte fest: [96] „Am 13. August 1961 haben die friedliebenden Berliner eine Schlacht um den Frieden gewonnen. Die Kampftruppen der Berliner Arbeiterklasse setzten der Wühltätigkeit der in Westberlin stationierten Agentenzentralen, Menschenhändler und Revanchisten-Organisationen gegen die DDR gemeinsam mit den Genossen der Nationalen Volksarmee und den Genossen der Deutschen Volkspolizei in der Hauptstadt der DDR ein Ende.
Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands spricht allen Genossen der Kampftruppe, Gesellschaft für Sport und Technik und des Deutschen Roten Kreuzes ihren Dank aus, für die hohe Bereitschaft, Entschlossenheit, den Mut und die Disziplin, mit denen die Genossen und Freunde den Frieden geschützt haben. Wir danken den Genossen der Nationalen Volksarmee und den Genossen der Deutschen Volkspolizei, die durch ihr entschlossenes Auftreten demonstriert haben, daß unser junger Arbeiter- und- Bauern- Staat willens und fähigist und über alle notwendigen Mittel verfügt, um den Frieden in Deutschland zu sichern. Wir danken vor allem auch den Frauen unserer Genossen Kämpfer, die immer mit ihren Herzen bei ihren Männern waren und ihnen Kraft gaben. Sie wußten, der Kampf ihrer Männer sichert den Frieden und ist damit die Grundlage für unser aller Glück und das Glück unserer Kinder. Der Dank gebührt allen in unserem Stadtbezirk, die die Maßnahmen der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik unterstützten, die uns halfen, durch eine rasche und gute Sicherung der Grenzen keine Möglichkeit zu Provokationen zu geben und die unsere bewaffneten Kräfte unterstützten und betreuten. Der 13. August war ein Tag des Sieges der Kräfte des Friedens und des Sozialismus. Geschlagen wurden die Kräfte des Krieges und der Reaktion. Der Sieg wurde errungen von den friedliebenden Deutschen, von den guten Deutschen, über die Bonner Ultras und deren Handlanger in Westberlin. Gescheitert ist die Kriegspolitik der USA. Wir sagen: Ami, go home’ Die vorliegende Broschüre wurde von Genossen der Kampfgruppen Berlin-Mitte geschrieben und aus Dankbarkeit an die Genossen Kämpfer, ihnen zur Erinnerung an die Tage, in denen sie dem Militarismus in Westberlin einen entscheidenden Schlag versetzten. Die Broschüre wurde geschrieben zur Mahnung für alle, die Verteidigung des Friedens in ihre eigenen Hände zu nehmen und die Wachsamkeit zu erhöhen.
Am 13. August wurde für jeden sichtbar: Die Entwicklung wird nicht von den Militaristen bestimmt, sondern von den Stärkeren, bei denen die Zukunft Deutschlands liegt. Das sind die friedliebenden Kräfte Deutschlands, die in der DDR eine feste und zuverlässige Basis haben. Der 13. August hat noch einmal offenbart: Es gibt für unser Volk nur eine Perspektive, die Perspektive des Friedens und des Sozialismus. Beide sind untrennbar, und ihre Heimat in Deutschland ist die Deutsche Demokratische Republik als erster Arbeiter- und- Bauern- Staat. Ihn zu festigen, ist die patriotische Pflicht jedes guten Deutschen. Wir stärken die DDR durch unsere Taten beim sozialistischen Aufbau, durch die Bereitschaft der Jugend, unsere sozialistische Heimat mit der Waffe zu verteidigen, durch die überzeugende Demonstration der politisch- moralistischen Einheit unseres Volkes bei den Wahlen am 7. September 1961. Wir wählen die Kandidaten der Nationalen Front, denn sie sind die Kandidaten des Friedens und des Sozialismus. Liebe Genossen und Freunde, wir stehen auf Friedenswacht. Noch ist der Militarismus in Westdeutschland nicht gebändigt. Darum ist der Abschluß eines Friedensvertrages noch in diesem Jahr und die Umwandlung Westberlins in eine entmilitarisierte freie und neutrale Stadt unbedingt erforderlich. Alles für die Stärkung unserer Arbeiter- und- Bauern- Macht. Dem Frieden und dem Sozialismus unsere Tat. Die Bonner Ultras und ihre Auftraggeber werden nicht durchkommen. Darum kampfbereit für Frieden und Sozialismus, für das Glück der deutschen Nation.“
Am 24. August 1961 erließ der Ministerrat die „Verordnung über Aufenthaltsbeschränkung“. Die Gerichte konnten von nun an politische missliebige Personen ausweisen, an einen bestimmten Ort verbannen oder gar zur Zwangsarbeit verurteilen.
Die Reaktionen in den westdeutschen und westlich orientierten Zeitungen und Zeitschriften waren durchtränkt von Empörung, Fassungslosigkeit und Aktionismus. Die „Neue Zürcher Zeitung“ schreibt: „Bonn hat bisher keinerlei offizielle Andeutungen gemacht, welcher Art die Reaktion auf die Maßnahmen des Sowjetzonenregimes in Berlin sein werde. (…) Aus den Fanfaren, die trotzdem den ganzen Montag über auf allen Seiten geblasen wurden, kamen denn auch nur Worte, starke und stärkste Worte des Protestes, die dem, was am Sonntag geschah, zweifellos vollkommen angemessen sind – aber eben nur Worte.“[97]
Unter der Überschrift „Verlegenheiten“ kommentiert Benno Reifenberg in der „Frankfurter Allgemeinen“: „Alle Augen richten sich jetzt auf den Westen. Wenn wir richtig sehen, findet sich der amerikanische Präsident durch die westlichen Bundesgenossen nicht zu sofortigen, im Scheinwerferlicht stehenden Taten ermuntert. Gegenmaßnahmen werden nur angedeutet, die wirtschaftlichen zögernd diskutiert. (…) Washington könnte den Beginn der Verhandlungen (mit der Sowjetunion) an die Voraussetzung knüpfen, dass der erste einseitige Schritt, den Chruschtschow unternommen hat – das Ultimatum enthielt nur die Drohung eines einseitigen Schrittes – rückgängig gemacht würde.“[98]
Zu einer direkten Konfrontation zwischen amerikanischen und sowjetischen Truppen kam es am 27. Oktober 1961 am Checkpoint Charlie auf der Friedrichstraße, als – infolge von Unstimmigkeiten – jeweils 30 Kampfpanzer der amerikanischen und sowjetischen Armee unmittelbar am Grenzstreifen einander gegenüber auffuhren. Am nächsten Tag wurden allerdings beide Panzergruppen wieder zurückgezogen. Dieses „kalte Scharmützel“ hatte aber enorme politische Bedeutung, weil es den Amerikanern auf diese Weise gelungen war, zu belegen, dass die UdSSR und nicht die DDR für den Ostteil Berlins verantwortlich war. Beide Seiten wollten den Kalten Krieg nicht wegen Berlin eskalieren lassen oder gar einen Atomkrieg riskieren.
Der US-amerikanische Außenminister Rusk sprach sich in einem Fernsehinterview am 28. Februar 1962 für die Schaffung einer internationalen Behörde zur Überwachung des freien Zugangs nach Berlin und gegen eine Anerkennung der DDR aus, und am 24. April erklärte Rusk, die US-Regierung halte den freien Zugang nach Berlin mit Befugnissen der DDR-Behörden an den Zugangswegen für unvereinbar. Der bundesdeutsche Außenminister Heinrich von Brentano und der französische Staatspräsident Charles de Gaulle wiederum sprachen sich in Pressekonferenzen gegen eine internationale Zugangskontrollbehörde für Berlin aus.
Im Juni 1963 besuchte US-Präsident John F. Kennedy Berlin. Vor dem Rathaus Schöneberg hielt er eine Rede über die Mauer, in der er die historischen Worte „Ich bin ein Berliner“ „sprach.[99] Dieser symbolische Akt bedeutete den West-Berlinern – insbesondere in Anbetracht der amerikanischen Akzeptanz beim Bau der Mauer – viel. Für die Westalliierten und die DDR bedeutete der Mauerbau eine politische und militärische Stabilisierung, der Status Quo von West-Berlin wurde festgeschrieben – die Sowjetunion gab ihre im Chrutschschow –Ultimatum noch 1958 formulierte Forderung nach einer entmilitarisierten, „freien“ Stadt West-Berlin auf.
Am 22. August 1962 wurde die sowjetische Kommandantur in Berlin aufgelöst. Am 28. September 1962 erklärte der US-amerikanische Verteidigungsminister Robert Mc Namara in Washington, dass der freie Zugang nach Berlin mit allen Mitteln zu sichern sei. Die Außenminister der drei Westmächte und der Bundesrepublik kamen am 12. Dezember 1962 in Paris überein, dass der Sowjetunion keine neuen Vorschläge zur Berlin-Frage gemacht werden sollten.
Anlässlich eines Arbeitsbesuches von Bundeskanzler Ludwig Erhard am 11. Juni 1964 in Paris bot der französische Präsident Charles de Gaulle für den Fall eines militärischen Konflikts um Berlin oder die Bundesrepublik den sofortigen Einsatz französische Atomwaffen an. Die Regierungen der drei Westmächte bekräftigten in einer gemeinsamen Erklärung am 26. Juni 1964 zum Freundschaftsvertrag zwischen der Sowjetunion und der DDR vom 12. Juni 1964 ihre Mitverantwortung für ganz Berlin.
Zwischen den beiden Stadthälften und an der Stadtgrenze von West-Berlin zur DDR wurden die Grenz- und Transitübergänge auf der DDR-Seite stark ausgebaut. Es wurde bei der Ein- und Ausreise von den Grenzorganen und dem Zoll äußerst scharf kontrolliert. Die äußere Grenzsicherung und Sicherung der Grenzübergangsstellen übernahmen spezielle Sicherungskompanien der Grenztruppen der DDR (SiK).
Die eigentliche Personen- und Fahrzeugkontrolle wurde von den Passkontrolleinheiten (PKE) vorgenommen. Die PKE unterstanden organisatorisch nicht den Grenztruppen der DDR und damit dem Verteidigungsministerium, sondern dem MfS (HauptabteilungVI/Abteilung6, Passkontrolle). Die PKE trugen während des Dienstes auf der GÜSt die Uniform der Grenztruppen. Ausschließlich speziell ausgebildete Kräfte wurden für die Personenkontrolle eingesetzt. Die Pässe, Ausweise usw. konnten zuletzt mittels Videosignal von den Kontrollstationen in einen zentralen Fahndungsraum übertragen und bei Bedarf aufgezeichnet werden. Dort erfolgte die Überprüfung der Personalien in den vorhandenen Fahndungsbeständen. Mittels Zahlencodeanzeige konnte ggf. eine Befehlsübermittlung an den Kontrolleur erfolgen, z.B. weiterblättern, zusätzliche Dokumente anfordern, Abfertigung verlangsamen, vordefinierte Fragen stellen. Anders als in der Bundesrepublik Deutschland (Visaerteilung über die Botschaften) erfolgte die Erteilung von erforderlichen Visa (Transit- und Einreisevisa) zum überwiegenden Teil an den Grenzübergangsstellen der DDR.[100] Damit verbunden war ein erheblicher personeller und organisatorischer Aufwand, der auch die zahlenmäßige Stärke der Passkontrolleinheiten und die räumlichen Dimensionen mancher GÜSt (Transitübergänge) erklärt.
West-Berliner mussten mit ihrem „Behelfsmäßigen Berliner Personalausweis“ (Reisepässe der Bundesrepublik wurden von den DDR-Behörden nicht anerkannt, wenn als Wohnsitz Berlin eingetragen war) vorher einen Berechtigungsschein für ein Tages- oder Mehrfachvisum beantragen. Dafür gab es in den West-Berliner Bezirken fünf Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten, also Ost-Büros im Westteil der Stadt. Es wurde zwischen Verwandten- bzw. Bekanntenbesuchen und touristischen Einreisen unterschieden. Mit einem Visum für Ost-Berlin durfte das Berliner Stadtgebiet nicht verlassen werden. Die Mindestumtauschbeträge (Umtausch von DM in Mark der DDR an der Grenze) waren für Ost-Berlin und die übrige DDR von 1974 bis 1980 unterschiedlich (6,50DM für Ost-Berlin, 13DM für die übrige DDR), danach einheitlich 25DM. Zeitweise gab es das Geld bereits abgezählt in Plastiktüten verpackt – ein Beutel für Ost-Berlin, zwei Beutel für die DDR. Die Ausreise musste bis spätestens 24Uhr geschehen, eine Übernachtung in Ost-Berlin war normalerweise nicht möglich.
Für den Schutz der Grenze zu West-Berlin war in der DDR das Grenzkommando Mitte der Grenztruppen der DDR zuständig, dem nach Angaben des MfS vom Frühjahr 1989 11.500 Soldaten und 500 Zivilbeschäftigte angehörten. Es bestand neben dem Stab in Karlshorst aus sieben Grenzregimentern, die in Treptow, Pankow, Rummelsburg, Henningsdorf, Groß-Glienecke, Babelsberg und Kleinmachnow stationiert waren, sowie den Grenzausbildungsregimentern GAR-39 in Wilhelmshagen und GAR-40 in Oranienburg.
Jedes Grenzregiment besaß fünf direkt geführte Grenzkompanien, außerdem je eine Pionier-, Nachrichten-, Transportkompanie, Granatwerfer- und Artilleriebatterie, einen Aufklärungs- und einen Flammenwerferzug sowie eine Diensthundestaffel und unter Umständen eine Bootskompanie und Sicherungszüge bzw. -kompanien für die Grenzübergangsstellen.
An einem normalen Tag waren etwa 2300 Soldaten direkt an der Grenze und im grenznahen Raum eingesetzt. Bei sogenannter „verstärkter Grenzsicherung“, die beispielsweise 1988 wegen politischer Höhepunkte oder schlechter Witterungsbedingungen etwa 80 Tage galt, waren dies etwa 2500 Grenzsoldaten, deren Anzahl in besonderen Situationen weiter verschärfte.
Die äußere Stadtgrenze West-Berlins verlief an mehreren Stellen durch schiffbare Gewässer. Der Grenzverlauf war dort durch eine vom West-Berliner-Senat errichtete Kette aus runden, weißen Bojen mit der (an der Stadtgrenze nicht ganz zutreffenden) Aufschrift „Sektorengrenze“ gekennzeichnet. West-Berliner Fahrgastschiffe und Sportboote mussten darauf achten, sich auf der West-Berliner Seite der Bojenkette zu halten. Auf der DDR-Seite der Grenze wurden diese Gewässer von Booten der Grenztruppen der DDR patrouilliert.
Die Grenzbefestigungen der DDR befanden sich jeweils auf dem DDR-seitigen Ufer, was teilweise große Umwege erzwang und die Ufer mehrerer Havelseen „vermauerte“. Der größte Umweg befand sich am Jungfernsee, wo die Mauer bis zu zwei Kilometer vom eigentlichen Grenzverlauf entfernt stand. An mehreren Stellen verlief der Grenzstreifen durch ehemalige Wassergrundstücke und machte sie so für die Bewohner unbrauchbar; so am Westufer des Groß Glienecker Sees und am Südufer des Griebnitzsees.
Bei den Gewässern an der innerstädtischen Grenze verlief diese überall direkt am westlichen oder östlichen Ufer, sodass dort keine Markierung des Grenzverlaufs im Wasser existierte. Die eigentliche Mauer stand auch hier jeweils am Ost-Berliner Ufer. Dennoch wurden die zu Ost-Berlin gehörenden Gewässer selbst ebenfalls überwacht. Auf Nebenkanälen und -flüssen wurde die Lage dadurch zum Teil unübersichtlich. Manche Schwimmer und Boote aus West-Berlin gerieten versehentlich oder aus Leichtsinn auf Ost-Berliner Gebiet und wurden beschossen. Dabei gab es im Laufe der Jahrzehnte mehrere Tote.
An einigen Stellen in der Spree gab es Unterwassersperren gegen Schwimmer. Für Flüchtlinge war es nicht klar zu erkennen, wann sie West-Berlin erreicht hatten, sodass für sie noch nach dem Überwinden der eigentlichen Mauer die Gefahr bestand, ergriffen zu werden.
Vom Tag des Mauerbaus am 13. August 1961 bis zum Fall der Berliner Mauer am 09. November 1989 kamen an der Berliner Mauer bei dem Versuch, die Grenzanlagen zu überwinden, mindestens 98 Personen ums Leben. 8 Grenzsoldaten der DDR wurden während des Dienstes entweder von ihren Kameraden oder von Flüchtenden bzw. Fluchthelfern erschossen. Weiterhin kamen 20 Personen ohne Fluchtabsicht ums Leben
An der innerdeutschen Grenze und an der Seegrenze (Ostsee) wurden nach dem 13. August 1961 mindestens 50 Personen gewaltsam durch Schusswaffen oder andere Gewaltakte der Grenztruppen getötet, 33 Personen kamen durch Erd- oder Splitterminen ums Leben
Eines der ersten Opfer der Berliner Mauer war Ida Siekmann, die aus einem Fenster in der Bernauer am 22. August 1961 sprang und ihren Verletzungen erlag. Wenige Tage später wurde am 24. August 1961 der erste Flüchtling, Günter Liftin, erschossen. Der erste nach dem Mauerbau getötete DDR-Grenzsoldat Jörgen Schmidtchen wurde am 18.04.1962 von zwei fahnenflüchtigen Kameraden erschossen. Unweit des Checkpoint Charlies wurde am 17.08.1962 Peter Fechter erschossen, der vor den Augen der Alliierten und der Westberliner Polizei auf dem Gebiet der DDR verblutete. Chris Gueffroy versuchte im Alter von 20 Jahren aus der DDR zu fliehen und wurde am 05. Februar 1989 erschossen.
Flüchtlinge, die DDR-Grenzsoldaten erschossen hatten und denen die Flucht gelungen war, wurden bereits vor 1989 in der Bundesrepublik zu meist geringen Haftstrafen verurteilt. DDR-Grenzsoldaten, die von der Schusswaffe Gebrauch machten und Flüchtlinge erschossen hatten, wurden nach der Wiedervereinigung zu Haftstrafen oder auf Bewährung verurteilt. Aber auch Verantwortliche der DDR-Führung (Krenz und andere) sowie Offiziere der Grenztruppen wurden wegen „Totschlags und Mitverantwortung für das Grenzregime der DDR“ verurteilt.
Die Zahlenangaben zu den Toten an der Berliner Mauer und der innerdeutschen Grenze sowie der Grenze an der Ostsee sind je nach Quelle sehr unterschiedlich und schwanken im Laufe der Jahre nach der deutschen Einheit. Die Berliner Staatsanwaltschaftgibt 169 Todesfälle durch Gewaltakte für die Zeit vom 13.08.1961 bis zum 09.11.1989 an der DDR-Grenze einschließlich Berlins an. Das Museum Haus am Checkpoint Charlie gab auf der 137.Pressekonferenz am 13.08.2004 folgende Zahlen an: 1065 Grenz- und Mauertote, davon
Todesfälle vor / nach dem 13. August 1961.


[1] Neues Deutschland vom 23.06.1953
[2] Abel, T.: Walter Ulbricht, Hamburg 1985, S. 102
[3] Vgl. dazu Fricke, K.W.: Der Arbeiteraufstand – Vorgeschichte, Verlauf, Folgen, in: Spittmann, I./Fricke, K.W. (Hrsg.): 17. Juni 1953. Arbeiteraufstand in der DDR, 2. Auflage, Köln 1988, S. 5-23; Conze, E.: Die gaullistische Herausforderung. Die deutsch-französischen Beziehungen in der amerikanischen Europapolitik 1958-1963, München 1994; Ansprache vom 17.06.1955 im Bundestag, Das Parlament, Ausgabe vom 22.06.1955; Feist, P.: Die Berliner Mauer, 4. Auflage, Berlin 2004¸ Posener, A.: John F. Kennedy, 4. Auflage, Reinbek bei Hamburg 1995 oder Schneider, P.: Adenauers Außenpolitik, Frankfurt/M. 1984
[4] Rubel, M.: Stalin, 7. Auflage, Reinbek bei Hamburg 1994, S. 112
[5] Steiner, A.: Von Plan zu Plan. Eine Wirtschaftsgeschichte der DDR, München 2004, S. 54
[6] Schöne, J.: Frühling auf dem Lande?, Die Kollektivierung der DDR-Landwirtschaft, Berlin 2005, S. 24f
[7] Steiner, Von Plan zu Plan, a.a.O., S. 74
[8] Ebd., S. 101
[9] Ebd., S. 76
[10] Ebd., S. 80
[11] Ebd., S. 123
[12] Ebd. S. 131
[13] Zitiert aus Schneider, P.: Adenauers Außenpolitik, Frankfurt/M. 1984, S. 84
[14] Ebd., S. 91
[15] Uschakow, A./Frenzke, D.: Der Warschauer Pakt und seine bilateralen Bündnisverträge, Berlin 1987, S. 178ff
[16] Simecka, M.: Das Ende der Unbeweglichkeit, Frankfurt/Main 1990, S. 31
[17] Zitiert aus Dudka, P.: Chruschtschow und Stalin, Hamburg 1986, S. 136
[18] Ebd., S. 144
[19] Lemke, M.: Die Berlinkrise 1958 bis 1963. Interessen und Handlungsspielräume der SED im Ost-West-Konflikt, Berlin 1995, S. 13
[20] von Siegler, Archiv der Gegenwart, 1958, a.a.O., S. 7417f
[21] Pötzsch, Deutsche Geschichte von 1945 bis zur Gegenwart, a.a.O., S. 122f
[22] Sethe, P.: Russische Geschichte, 2. Auflage, Frankfurt/M./Berlin 1978, 159ff
[23] Pötzsch, Deutsche Geschichte von 1945 bis zur Gegenwart, a.a.O., S. 123
[24] Uhl, M.: Krieg um Berlin? Die sowjetische Militär- und Sicherheitspolitik in der zweiten Berlin-Krise 1958 bis 1962, München 2008, S. 28
[25] von Siegler, Archiv der Gegenwart, 1958, a.a.O., S. 7407
[26] Stern, C.: Willy Brandt, 6. Auflage, Reinbek bei Hamburg 1998, S. 50
[27] Eschenhagen/Judt, Chronik Deutschlands 1949-2009, a.a.O., S. 90
[28] von Siegler, Archiv der Gegenwart, 1958, a.a.O., S. 7417ff
[29] Ebd.
[30] Ebd., S. 7419
[31] Ebd., S. 7418
[32] Eschenhagen/Judt, Chronik Deutschland 1949-2009, a.a.O., S. 93
[33] Kurth, D.: Die europäische Integration, Stuttgart 1987, S. 76
[34] Kosthorst, D.: Brentano und die deutsche Einheit. Die Deutschland- und Ostpolitik des Außenministers im Kabinett Adenauer 1955-1961, Düsseldorf 1993, S. 163
[35] Eschenhagen/Judt, Chronik Deutschland 1949-2009, a.a.O., S. 92
[36] Hahn K.-E.: Wiedervereinigungspolitik im Widerstreit. Einwirkungen und Einwirkungsversuche westdeutscher Entscheidungsträger auf die Deutschlandpolitik Adenauers von 1949 bis zur Genfer Viermächtekonferenz 1959, Hamburg 1993, S. 189
[37] Zitiert aus Conze, E.: Die gaullistische Herausforderung. Die deutsch-französischen Beziehungen in der amerikanischen Europapolitik 1958-1963, München 1994, S. 97
[38] Ebd., S. 98
[39] Ebd., S. 102
[40] Ebd., S. 104
[41] Ebd., S. 106
[42] Ebd., S. 107
[43] Ebd., S. 110
[44] Ebd., S. 117
[45] Laumann, P.: Die Genfer Konferenz, München 1982, S. 178
[46] Eschenhagen/Judt, Chronik Deutschland 1949-2009, a.a.O., S. 92
[47] von Siegler, Archiv der Gegenwart, 1961, a.a.O., S. 9045
[48] Ebd., S. 9142
[49] Ebd., S. 9143
[50] Ebd., S. 9146
[51] Neue Zürcher Zeitung vom 02.07.1961
[52] von Siegler, Archiv der Gegenwart, 1961, a.a.O., S. 8493
[53] Ebd., S. 8495
[54] Ebd., S. 8498
[55] Ebd., S. 8502
[56] Eschenhagen/Judt, Chronik Deutschland 1949-2009, a.a.O., S. 111
[57] Feist, P.: Die Berliner Mauer, 4. Auflage, Berlin 2004, S. 36ff
[58] Ebd.
[59] Hertle, H.-H.: Der Fall der Mauer, 2. Auflage, Opladen/Wiesbaden 1999, S. 26
[60] Stützle, W.: Kennedy und Adenauer in der Berlin-Krise 1961-1962, Bonn 1973
[61] Vgl. dazu Posener, A.: John F. Kennedy, 4. Auflage, Reinbek bei Hamburg 1995, S. 100ff
[62] von Siegler, Archiv der Gegenwart, 1961, a.a.O, S. 9309
[63] Hertle, Der Fall der Mauer, a.a.O, S. 67
[64] Rührle, J./Holzweißig, G.: 13. August 1961. Die Mauer von Berlin, 3. Auflage, Köln 1988, S. 137
[65] Ebd., S. 139
[66] Ebd., S. 141
[67] Eggert, H.: Die Bundesrepublik bis zum Jahre 1968, Hamburg 1991, S. 154
[68] Eschenhagen/Judt, Chronik Deutschland 1949-2009, a.a.O., S. 96
[69] Zitiert aus Neues Deutschland vom 09.10.1959
[70] Schöne, Frühling auf dem Lande?, Die Kollektivierung der DDR-Landwirtschaft, a.a.O., S. 109
[71] Ebd., S. 112
[72] Bauerkämper, A. (Hrsg.): „Junkerland in Bauernhand“? Durchführung, Auswirkungen und Stellenwert der Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone, Berlin 1996, S. 198
[73] Eschenhagen/Judt, Chronik Deutschland 1949-2009, a.a.O., S. 104
[74] Welland, I.: Das Regierungssystem der DDR, Berlin 1999, S. 93ff
[75] Eschenhagen/Judt, Chronik Deutschland 1949-2009, a.a.O., S. 105
[76] Happe, G.: Rechtslehre in der DDR, Bochum 1994, S. 167
[77] Ebd. S. 169
[78] Ebd., S. 173
[79] Ebd., S. 176ff
[80] Ertel, R.: Erziehung und Bildung in der DDR, Hildesheim 2000, S. 67
[81] Ebd., S. 101
[82] Hoffmann, F.: Schulpolitik in der DDR, Münster 1996, S. 64f
[83] Ertel, Erziehung und Bildung in der DDR, a.a.O., S. 106f
[84] Ebd., S. 123f
[85] Bathrick, D.: Geschichtsbewusstsein als Selbstbewusstsein. Die Literatur der DDR, in: Hermand, J. (Hrsg.): Neues Handbuch der Literaturwissenschaft, Wiesbaden 1999, S. 273-314, hier: S. 292
[86] Arnold, H. u.a. (Hrsg.): Literatur in der DDR. Rückblicke, München 1991, S. 54
[87] Emmerich, W.: Kleine Literaturgeschichte der DDR, Berlin 2000, S. 62f
[88] Barck, S./Lokatis, S.: Zensurspiele. Heimliche Literaturgeschichten aus der DDR, Halle 2008, S. 12
[89] Zimmermann, P.: Industrieliteratur in der DDR. Vom Helden der Arbeit zum Planer und Leiter, Stuttgart 1984, S. 25
[90] Gerlach, I.: Arbeiterliteratur und Literatur der Arbeitswelt in der DDR, Kronberg/Ts 1974, S. 104
[91] Greiner, B.: Von der Allegorie zur Idylle. Die Literatur der Arbeitswelt in der DDR, Heidelberg 1974, S. 42
[92] Hanach, B.: Anderssein und Andersdenkend, Bonn 1971, S. 52
[93] Pötzsch, Deutsche Geschichte von 1945 bis zur Gegenwart, a.a.O., S. 157
[94] Ebd., S. 159
[95] Ebd., S. 160
[96] Kreisleitung Berlin-Mitte der SED (Hrsg.): Da schlug’s 13. 13. August 1961. Bau der Berliner Mauer, Berlin 1961, S. 3f
[97] Pötzsch, Deutsche Geschichte von 1945 bis zur Gegenwart, a.a.O., S. 152
[98] Eschenhagen/Judt, Chronik Deutschland 1949-2009, a.a.O., S. 108
[99] Hertle, Der Fall der Mauer, a.a.O, S. 109f
[100] Ebd., S. 112

Über Michael Lausberg 572 Artikel
Dr. phil. Michael Lausberg, studierte Philosophie, Mittlere und Neuere Geschichte an den Universitäten Köln, Aachen und Amsterdam. Derzeit promoviert er sich mit dem Thema „Rechtsextremismus in Nordrhein-Westfalen 1946-1971“. Er schrieb u. a. Monographien zu Kurt Hahn, zu den Hugenotten, zu Bakunin und zu Kant. Zuletzt erschien „DDR 1946-1961“ im tecum-Verlag.

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