Rasanter Höllentrip durch das Berlin unserer Tage – „Skin City“ von Johannes Groschupf bietet Schnelligkeit, Spannung, Liebe und Gesellschaftskritik

Johannes Groschupf „Skin City“

Es gibt das Vorurteil, dass Engländer und Amerikaner einfach die besseren Thriller schreiben. Das mag im Großen und Ganzen zutreffen. Doch es gibt auch eine Reihe deutscher Autoren, die auf diesem Feld durchaus Beachtliches leisten. Zu nennen sind unter anderem Andreas Pflüger („Wie Sterben geht“) und Max Annas („Tanz im Dunkel“) – oder aber auch Johannes Groschupf.

Der 1963 in Braunschweig geborene Schriftsteller und Journalist arbeitete zunächst als freier Tourismus-Journalist für verschiedene Zeitungen (u. a. die F.A.Z.). Vor 31 Jahren überlebte er einen Hubschrauberabsturz im südlichen Algerien, wobei er sehr schwere Verbrennungen erlitt und nur knapp überlebte. Fortan konnte er nicht mehr in seinem ursprünglichen Beruf tätig sein. Seit 1999 arbeitet Groschupf als Schriftsteller.

Sein neuer Thriller „Skin City“ ist ein nur 230 Seiten starker rasanter Höllentrip durch das Berlin unserer Tage. Leider gibt es heute die Tendenz, dass auch Kriminalliteratur immer dickleibiger und dadurch auch schwerfälliger wird. Dabei sollte man einen guten Krimi recht schnell ausgelesen haben – möglichst in einer Nacht. „Skin City“ erfüllt diesen Anspruch. Er bietet Schnelligkeit und Spannung. Trotzdem sind die geschilderten Charaktere nicht flach. Groschupf gelingt überdies das Kunststück, drei scheinbar eigenständige Erzählstränge zusammenzuführen, ohne dass der Leser die Lust und die Übersicht verliert.

„Am Stadtrand gab es Tausende von Einfamilienhäusern mit Gärten und Hecken. Die drei sollten zwei Monate bleiben und die Liste abarbeiten“, so lautet die Jobbeschreibung von Koba, der von einem Leben in Kanada träumt, und seinen beiden georgischen Kumpels, die auf Raubzug durch Berlin gehen. Die Hauptstadt ist für den jungen Georgier nur eine Durchgangsstation. Er hasst Berlin, denkt zurück an Tiflis und seine Freundin und träumt von den kanadischen Wäldern.

Koba und seine Kumpane sind ohne Zweifel Diebe, sie sind Verbrecher. Doch freiwillig steigen sie auch nicht in die schicken Villen am Rande der Stadt ein, sondern haben Onkel und mafiöse Strukturen im Nacken. Wer nicht spurt, dem werden die Knochen gebrochen.

Die Lebenswege des jungen und schönen Diebs aus Tiflis und derjenige der jungen und ebenfalls schönen Kriminalpolizistin Romina Winter werden sich im Laufe des Romans auf eine sehr überraschende, vielleicht auch nicht ganz realistische Weise kreuzen. Aber was macht das schon. Wer Realismus pur haben möchte, kann ein Sachbuch lesen.

Rominas Familie stammt aus einem Dorf in der Nähe von Bukarest. Der ganze Ort, fünfhundert Roma, hatte sich nach Berlin aufgemacht und lebt nun in der Harzer Straße. Auch Rominas geliebter Vater ist ein Dieb und hat im Gefängnis gesessen. Während sie als Polizeibeamtin fest in der deutschen Gesellschaft integriert ist – so scheint es zumindest zunächst der Fall zu sein – misstraut ihre Familie dem deutschen Staat und der Polizei. Gemeinsam mit ihrem älteren Kollegen Frank-Walter, genannt Steinmeier, bildet sie ein ungleiches Duo, das einem auf Anhieb sympathisch ist.

Und dann ist da noch der kriminelle Hochstapler Jacques Lippold, der zwei Jahre wegen Betrugs im Tegeler Gefängnis eingesessen hat und versucht, sich als windiger Finanzberater in der Kunstszene zu etablieren. Lippold ist eine ziemlich abstoßende, brutale Figur. Hinter seinem Charme und seiner Überredungsgabe verbirgt sich ein Charakter, der schon bei der geringsten Kränkung die Kontrolle verliert und dann auch vor hefiger Gewalt nicht zurückschreckt.

Während Koba und seine Jungs in die Einfamilienhäuser der Reichen und Schönen einsteigen, will Lippold sie auf andere Weise finanziell erleichtern. Wie ihm dies gelingt, ist streckenweise äußerst amüsant zu lesen. Das Mitleid mit denen, die sich von diesem aufgeblasenen Dampfplauderer über den Tisch ziehen lassen, hält sich in Grenzen. Bei der vermögenden Anwältin Beate kommt Lippolds Charme sehr gut an. Bisher hatte sie eher Pech mit den Männern, wie ein Bekannter sagt: „Das war teilweise unterste Schublade. Teppichhändler. Atemtherapeuten. Ein Bezirksabgeordneter von den Grünen. Wir haben immer schon gewusst, was kommt“. In diesem Fall eben nicht: Denn der kunstsinnige Lippold ist von ganz anderem Kaliber und schreckt zur Not auch nicht vor Mord zurück.

Schade, dass es zu Ende ist, denkt man sich nach der Lektüre dieses Krimis, der Spannung, Liebe, Gesellschaftskritik, Blick in fremde Lebenswelten (die Roma-Familie in der Harzer Straße, die georgische Gang) und eine Menge Berlin bietet. „Skin City“ ist ein weiteres Juwel aus der von Thomas Wörtche herausgegebenen Thriller-Reihe im Suhrkamp-Verlag.

Johannes Groschupf „Skin City“

2025 Suhrkamp, ISBN-13 978-3-518-47449-5

Preis: broschiert 17 €, 231 Seiten

Johannes Groschupf „Skin City“
Über Ansgar Lange 28 Artikel
Ansgar Lange wurde 1971 in Arnsberg / Westfalen geboren. Er studierte Politische Wissenschaft, Geschichte und Germanistik in Bonn und schrieb seine Magisterarbeit über "Christa Wolf und die DDR" bei Professor Hans-Peter Schwarz. Während seines Studiums war er freier Mitarbeiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Schloss Eichholz . Anschließend arbeitete er in einer Bonner Kommunkationsagentur und journalistisch (u. a. Deutschlandfunk, Die Furche, Die Tagespost, Die Politische Meinung, Die Neue Gesellschaft / Frankfurter Hefte). Seit 2009 ist er als Geschäftsführer einer Ratsfraktion in Remscheid tätig.